Donnerstag, 27. Dezember 2007

"Abba fever" kommt ans Original nicht ran

Abba ist Kult. Das Schweden-Quartett ist ein Exportschlagern und hat auch zweieinhalb Jahrzehnte nach seiner Auflösung nichts von seiner Anziehungskraft verloren. Dass die Fanschar ungebrochen groß ist, zeigte auch der Zulauf zur Show „Abba fever“, die nun in der Rheingoldhalle gastierte. Die Produktion des Berliner Veranstalters „Star Entertainment“ lockte mit dem „Original aus London“ – in Abgrenzung zum konkurrierenden „Original aus Hamburg“, das ebenfalls durch die Lande tingelt.

Was da geboten wurde, hatte zumindest einen ordentlichen Skurrilitäts-Faktor. Die beworbenen „erstklassigen Solisten“, die für all jene namenlos bleiben, die keine sechs Euro für ein Hochglanz-Heftchen ausgeben wollten, schienen entweder noch die Folgen der Weihnachtsfeiertage auszukurieren oder werden in einer Welt als erstklassig geführt, die mit Musik nicht viel zu tun hat. Den Agnetha- und Frida-Darstellerinnen schien es in der Vorbereitung jedenfalls vor allem um den modischen Aspekt der Präsentation gegangen zu sein. Zu späte oder komplett ausgelassene Einsätze und unsaubere Intervalle im Duett gab es in fast jedem Titel zu hören. Ordentlich verstärkt für einen Raum, der vermutlich zehn Mal so groß wie die Rheingoldhalle ist.

Optisch überraschten die Damen mit Kostümen nahe der Anstandsgrenze, die nur wenig mit der zumeist hochgeschlossenen Garderobe der Originale zu tun hatten und mitunter wirkten, als seien sie aus einem einschlägigen Nachtclub ausgeliehen worden. Stilgetreu im Hintergrund hielten sich die Männer zumeist an ihren Instrumenten fest oder warfen kurze Melodiefetzen ein.

Zusätzlich gab es eine Tanzgruppe aus „internationalen Startänzern“. Der Etiketten-Schwindel, der dahinter steckte, erschloss sich jedem, der auch nur einmal in seinem Leben die Synchronität eines Männerballetts bewundert hat. Fern jeglicher Übereinstimmung tanzte die Gruppe extatisch zu den Titeln. Abstände wurden selten eingehalten, Hebefiguren kurzfristig abgebrochen, Auf- und Abtritte schlampig bis lustlos absolviert. Ach, und dann sind da noch die „fantastischen visuellen Projektionen“ gewesen. Zwei runde Leinwände, auf denen ab und an Abba-Gesichter oder bunte Kaleidoskop-Bilder erschienen. Nicht zu vergessen die grellen Strahler, die gerne direkt auf die Zuschauer gerichtet wurden.

Hinter all dieser geschmacklichen Verirrung muss sich die arme Disco-Kugel über der Bühne wohl recht verloren vorgekommen sein. Sie immerhin drehte zuverlässig ihre Runden und erinnerte als einzige ein wenig an die Zeiten, als Geschäftemacher wenigstens noch Respekt vor dem Urteilsvermögen ihres Publikums hatten.

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Mittwoch, 26. Dezember 2007

Sven Hieronymus mit seinem Kabarett-Programm "Ich werd Depp"

„Der macht nix, der will nur spielen.“, versucht das Management zu beruhigen. Doch weit gefehlt, Sven Hieronymus macht wohl was. Er startet einen Angriff auf die Lachmuskulatur und das Hirn zugleich. Dass sich hinter seinen oft derben Scherzen so manche Subtilität verbirgt, mag zunächst etwa konstruiert wirken, doch nach einer vollen Ladung „Ich wird Depp“, verzieht sich das Grinsen nur mühsam aus dem Gesicht und mancher Kalauer, mancher Seitenhieb auf die große und die kleine Politik bleibt im Kopf hängen, um dann dort seine Kreise zu ziehen.

Kabarett oder Comedy zu machen, war eigentlich nicht sein Plan. Der Sozialarbeiter und Gelegenheits-Rocker von „Se Bummtschacks“ geriet durch einen Zufall auf die Bühne. Als er aus seinen AZ-Kolumnen lesen sollte, wurde das als Comedy-Programm angekündigt. Also nutzte er die vier verbleibenden Wochen, um sich eines auszudenken. Mittlerweile ist er eine ordentliche Rampensau geworden, deren Mischung aus einstudiertem Witz und situativ-spontaner Komik unvergleichlich originell ist. Den legendären Schlachtruf „Halldeimaul“, brüllt ihm schon lang keiner mehr entgegen, wie auch vor lauter Zwerchfellkrampf…

Doch was macht Sven Hieronymus eigentlich? Sein Programm ist klar strukturiert, es gibt ein paar Charaktere, mit denen er sich kurzzeitig identifiziert. Doch letzten Endes bleibt er immer er selbst. Was ihm besonders gut liegt ist das Poltern des „Kleinen Mannes von der Straße“. Natürlich steht da die Motzerei über den Nichtraucherschutz ganz oben auf der Liste. „Wenn das europäische Anpassung ist, will ich aber auch, dass sie auf Kreta Winterreifen aufziehen“, krakeelt er. Und er hofft auf eine rasche Erderwärmung, von der die Raucher immerhin profitieren würden. Ganz selbstlos ist seine Aufregung, schließlich raucht er ja nicht mehr, trinkt keinen Alkohol und dem Sex hat er auch abgeschworen. Glauben mag ihm das keiner im Unterhaus.

Dass früher alles besser war, weiß er auch. „Der Body Mass Index hat beschrieben, wie viel Maß Bier in meinen Körper gepasst haben”, beschwert er sich über Gesundheitsmoden. Allerdings ist er auch bekennender Hypochonder. „Mein Fuß schläft nicht ein, der stirbt ab“, ist er überzeugt. Urkomisch auch sein schönstes Ferienerlebnis mit dem dauergeilen Kumpel in Spanien. „Und ich wär’ so gern mit der Bimmelbahn im Volkspark gefahren“, erinnert er sich.

Seine gelungene Mischung aus Alltags-Beobachtungen und dramaturgisch geschickt aufgefahrenen Geschichten mit einem gehörigen Schuss Lokalkolorit machen sein Programm spannend. Auch, wenn er zwischendurch noch in die Rolle einer einschläfernden TV-Astrologin schlüpft und der spätnächtlichen Anruferin Liebestipps gibt. Der Vorzeige-Rowdie mit selbst eingestandener Streber-Vergangenheit wird noch einiges zu erzählen haben.

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Montag, 17. Dezember 2007

Staatsorchester Rheinische Philharmonie mit Tschaikowski, Haydn, Beethoven und Arutiunian

Populäre Melodien prägten das Meisterkonzert, zu dem das Staatsorchester Rheinische Philharmonie dieses Mal in die Rheingoldhalle gekommen war. Wer kennt sie nicht, die beliebten Motive aus dem „Nussknacker“ von Peter Tschaikowski. Die Suite mit den verschiedenen Tänzen russischer, arabischer und chinesischer Klangart gehört zum Repertoire eines jeden Orchesters und auch das Publikum kennt und liebt diese Töne. Hoch motiviert und mit viel Sinn für die klanglichen Eigentümlichkeiten dieser Komposition bescherte das Orchester unter Leitung von Daniel Raiskin seinen Zuhörern diese Suite zum Abschluss eines ausgesprochen vielseitigen und in bester Verfassung ausgeführten Konzerts.

Den Einstieg gestaltete der junge Trompeter Thomas Hammes mit dem berühmten Trompetenkonzert von Joseph Haydn. Der Komponist schrieb das Werk1796 für den Wiener Hoftrompeter Anton Weidinger, der als Erster die bis dahin gängige Naturtrompete erweitert hatte. Seine Klappentrompete konnte sich zwar nicht gegen die später entwickelte Ventiltrompete durchsetzen, doch das Trompetenkonzert gilt seitdem als eines der Beliebtesten seiner Gattung. Es sollte indes das einzige aus der Feder von Joseph Haydn bleiben.

Der aus Osann-Monzel an der Mosel stammende Trompeter überzeugte mit einem brillanten, absolut reinen und immer schlackenfreien Ton. Im Kopfsatz machte er Tempo, ohne zu hetzen, ließ seine Töne durchdringen und verlieh ihnen eine markante Schärfe. Verblüffend weich und sanglich gestaltete er dagegen den Andante-Satz. Im abschließenden Allegro jedoch rannte er dann doch ab und an dem Orchester ein wenig davon, wirkte dabei etwas ungeduldig. Außerordentlich pointiert und durchdacht präsentierte er sich dafür im Konzert für Trompete und Orchester in As-Dur des aserbaidschanischen Komponisten Alexander Arutiunian.

Seine Leistungsfähigkeit stellte das Koblenzer Orchester schließlich in Beethovens Sinfonie Nr. 8 unter Beweis. Die kürzeste aller Beethoven-Sinfonien aus dem Jahre 1812 wirkt vital und voller ungezügelter Energie. Daniel Raiskin, seit 2005 Chefdirigent des Staatsorchesters, hatte nun die Aufgabe, dieses Potenzial zu kanalisieren und mit seinen Musikern umzusetzen. Es gelang. Packend und energiegeladen stieg das Orchester in die Sinfonie ein, die ostinaten Holzbläser-Passagen im Allegretto scherzando erklangen präzise und ohne jede Abnutzungserscheinung. Im Menuett waren die Motivübergaben fließend, bevor das Finale das Werk formgerecht abschloss. Daniel Raiskin hatte seine Musiker dabei gut im Griff, motivierte sie mit ausdrucksstarken Gesten und leicht nachvollziehbaren Angaben.

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Sonntag, 16. Dezember 2007

Julia Neigel mit ihrem Programm "Stimme mit Flügel(n)"

Gleich vorne in der Reihe sitzt jemand aus dem Fanclub, einen anderen Gast kennt sie von einem Konzert in Ludwigshafen. Man ist unter sich, kennt sich, plaudert ein wenig miteinander. Julia Neigel ist nach Rüsselsheim gekommen, wo sie auf der Hinterbühne des Stadttheaters keinerlei Berührungsängste mit ihrem Publikum zeigt. Im Gegenteil, die Frau, die 1989 mit „Schatten an der Wand“ den Grundstein für ihre Karriere legte, hat sich offensichtlich zum abendlichen Plauderstündchen verabredet. Früher einmal hieß sie Jule, das ist aber lange her. Und scheinbar will sie daran auch nicht unbedingt erinnert werden. Zumindest ihrem Gesicht nach zu urteilen, das sie aufzieht, als ihr ein Gast erklärt, dass er 1989 zum letzten Mal auf einem ihrer Konzerte war. Seitdem ist eben viel passiert.

Seit einiger Zeit ist sie mit dem Pianisten Simon Nicholls unterwegs und präsentiert unter dem Titel „Stimme mit Flügel(n)“ lauter „Lieblingslieder“ von sich. Als sie im vergangenen Jahr damit begonnen hatte, von Mainz aus ihr Bühnen-Comeback zu feiern stieß sie den Seufzer aus: „Ihr glaubt nicht, wie mir die Bühne gefehlt hat“. Heute ist sie wieder ganz routiniert. Dass ihr die Bühne eine Art Zuhause gibt, wird aber in jedem Moment klar.

Von der Schlager-Sängerin von einst ist nicht mehr viel übrig. Die Rüsselsheimer - und alle die, die wie etwa ein Wetzlarer, weit gereist sind – erleben hier eine gereifte Sängerinnenpersönlichkeit, die auch mit der Neuinterpretation älterer Titel ungeahnte Überzeugungsarbeit leisten kann. Etwa mit der Ballade „Weil ich Dich liebe“ vom 92er Album „Nur nach vorn“. Und sie singt Erfolge von Kollegen nach, ohne sie zu imitieren. Darunter „Hijo de la Luna“ der spanischen Gruppe Mecano. Das hat Gefühl, Tempo und Witz zu gleichen Teilen. Titel von John Hiatt oder Eric Clapton interpretiert sie auf ihre ganz persönliche Art. Neuere Stücke, wie etwa „Jetzt und hier“, wirken dagegen etwas seicht.

Julia Neigel ist vielleicht auch deshalb so nah an ihrem Publikum, weil sie ihm ähnlich ist. Sie kokettiert ein wenig, wirkt etwas aufgedreht, als habe sie die gleiche Art Lampenfieber wie eine Neunjährige beim Krippenspiel. Ihre raue, tiefe Stimme erinnert in manchen Zügen an Marla Glenn, aber das ist auch schon alles, was an hinkenden Vergleichen zulässig ist. Wenn sie auf dem Barhocker den Freizeit-Vamp gibt oder verspielt mit ihrem ausgezeichnet mitziehenden Pianisten flirtet, erlebt der Zuhörer einen Menschen, der sich auf der Bühne mit Sicherheit nicht besonders anders verhält, als in seiner privaten Freizeit – ob man das mag, steht auf einem anderen Blatt. Auf jeden Fall macht diese Art einen seltenen Charme aus.

Veröffentlicht in der Main-Spitze

Mittwoch, 12. Dezember 2007

Über die Stumm-Orgel in der Bärstadter Martinskirche

Wenn man in den Ort hinein fährt, fällt die evangelische Martinskirche nicht sofort ins Auge. Obwohl sie, bei Näherem betrachtet, eine beachtliche Größe hat. Zwar stammt der Bau, wie er heute zu sehen ist, aus den Jahren 1709 bis 1717, doch es gibt auch deutlich ältere Spuren eines Gotteshauses. Bei Ausschachtungsarbeiten wurden Bodenplatten eines Vorgängerbaus gefunden, die auf das Jahr 1250 datiert wurden, auch die älteste Glocke stammt etwa aus dieser Zeit. Der Taufstein in der Bärstadter Kirche ist spätgotisch, ähnlich alt sind zwei weitere Glocken.

Was aber besonders auffällt, wenn man sich einen Moment in der Kirche, die tagsüber immer geöffnet ist, aufhält, ist die beeindruckende Orgelfront. Trotz der Größe des Raumes, wirkt das Instrument, als müsste es sich überall ducken, um nicht anzustoßen. Es gibt Vermutungen, dass die Orgel eigentlich im Kloster Eberbach stand. „Aber ich kenne mindestens drei Instrumente, die möglicherweise aus Kloster Eberbach stammen“, ist Thomas Wächter skeptisch. Er ist als Kantor des evangelischen Dekanats Bad Schwalbach letzten Endes auch zuständig für die Bärstadter Orgel. Das Instrument wurde von der renommierten Orgelbaufamilie Stumm im Hunsrück gebaut und stammt aus dem Jahr 1770. „Es ist ungewöhnlich, dass sie hier steht, ansonsten ist kaum eine rechtsrheinische Orgel aus dieser Werkstatt bekannt“, weist Wächter auf eine regionale Besonderheit hin. Lediglich in der Idsteiner Unionskirche ist noch das Gehäuse einer Stumm-Orgel erhalten.

Eine Erklärungslegende besagt, dass der Orgelbaumeister Stumm gemeinsam mit seinem Sohn auf der Durchreise vom Winter überrascht und von den Bärstadtern freundlich aufgenommen wurde. Zum Dank dafür hat er ihnen diese Orgel gebaut. Wie auch immer sie nun wirklich dorthin gekommen sein mag, sie gilt zumindest als die wertvollste Denkmalsorgel in Südnassau. Mit ihren zwei Manualen und sechs Zungenregistern ist sie eine Besonderheit unter den Dorfkirchenorgeln. Obwohl es keine Dokumente gibt, ist es unstrittig, dass es sich dabei um eine Stumm-Orgel handelt. „Das ist unzweifelhaft“, bestätigt Wächter. Für die Größe des Instruments spricht, dass Bärstadt einmal der Hauptort der Umgebung war.

Auch ihr Zustand ist recht beeindruckend. 1971 wurde sie durch die Firma Beckerath in Hamburg komplett saniert und seitdem jährlich gewartet. Sie wird vor allem im Gottesdienst eingesetzt, Konzerte gibt es nicht öfter als ein oder zwei Mal im Jahr. „Ich mag diese Orgel sehr“, sagt Thomas Wächter. Auch, weil er noch vor dem Studium viel auf Stumm-Orgeln gespielt hat. Vor einigen Jahren hat er auch selbst einmal ein Konzert in Bärstadt gegeben. Besonders froh ist er darüber, dass das Instrument über die Jahrhunderte nicht nach den unterschiedlichen Moden der Zeit verändert worden ist.

Zur Größe der Orgel passt der überaus kernige Klang. Besonders markant etwa ist die Pedalposaune (16 Fuß), auch die achtfüßigen Trompeten auf den Manualen verfehlen ihre scharf schneidende Wirkung nicht. „Es ist eine der lautesten Orgeln, die ich kenne“, bestätigt auch der Kirchenmusiker. „Stumm hat sehr rustikal gebaut“, ergänzt er noch. Die Trompeten der Bärstadter Orgel haben übrigens schon bei vielen Restaurationen ähnlicher Instrumente als Vorlage gedient. Dass die Firma Stumm derart robust klingende Orgeln gebaut hat, erklärt Thomas Wächter mit dem französischen Einfluss. „Daher lässt sich auch die französische Barockmusik hierauf sehr gut spielen“, so seine Erfahrung. Allerdings gibt es etwa mit der Gambenstimme auch einige etwas zartere Klänge zu erzeugen.

Wenn man genau hinschaut, erkennt man auch die vermutlich originalen Registerbezeichnungen: Ein Lederband mit Prägedruck, der sich über den Registerhebeln entlang zieht. Bemerkenswert ist auch das sehr kurze Pedal, das lediglich eine Oktave misst. „Da muss man die Orgel schon sehr gut kennen, um damit umgehen zu können“, bestätigt Wächter. Den Dienst hier verrichten im übrigen vier nebenamtliche Kollegen.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt

Sonntag, 9. Dezember 2007

Verdi-Oper "Simon Boccanegra" mit der Opera & Philharmonic Society Plovdiv

Verdis Oper „Simon Boccanegra“ gehört nicht zu seinen Bekanntesten. Dabei ist das verzwickte Drama um politische Ränkespiele, persönliche Machtspielereien, Liebe und Verrat voller Zündstoff und stellt eine spannende Vorlage dar. In Rüsselsheim wurde es jetzt von der „Opera & Philharmonic Society“ aus dem bulgarischen Plovdiv auf die Bühne gebracht. Verdis 1857 uraufgeführte und 1881 in überarbeiteter Fassung noch einmal herausgebrachte Oper beruht auf dem gleichnamigen Schauspiel von García Gutiérrez aus dem Jahr 1339, in dem das Schicksal des ersten vom Volk gewählten Dogen von Genua behandelt wird. Die Urfassung traf seinerzeit nicht auf Begeisterung. Die Kritik hielt es für zu düster und zu spröde.

Die Geschichte an sich ist eigentlich recht packend. Der Korsar Simon Boccanegra wird zum Dogen gewählt, obwohl er sich nicht besonders für dieses Amt interessiert. Er hofft allerdings durch den damit verbundenen gesellschaftlichen Aufstieg die junge Adlige Maria heiraten zu können. Die ist allerdings mittlerweile in der Gefangenschaft ihres Vaters Jacobo Fiesco gestorben. Dieser bietet dem verhinderten Schwiegersohn Versöhnung an, wenn der ihm die Tochter aus dieser Liaison überlässt, die wiederum verschwunden ist. Also wird nichts aus dem Tausch, die vererbte Fehde bleibt bestehen.

Ein Vierteljahrhundert später trifft Boccanegra auf seine tot geglaubte Tochter Amelia. Die hat sich in den Adligen Gabriele Adorno verliebt, einen erbitterten Gegner des Dogen. Boccanegra hat zwar Einwände gegen diese Verbindung, verhindert aber die Zwangshochzeit mit seinem Weggefährten Paolo Albiani, der die Adoptivtochter einer Adelsfamilie ebenfalls bedrängt. Albiani sinnt auf Rache, lässt Amelia entführen, die sich aber rasch befreien kann. Adorno hat in der Zwischenzeit den Entführer getötet und will nun gleiches mit Boccanegra tun, den er für seinen Rivalen um Amelias Gunst und deren Entführer hält. Amelia verhindert das, Paolo vergiftet den Dogen. Adorno erfährt von dem wahren Verhältnis zwischen Simon und Amelia, bittet den sterbenden Dogen um Verzeihung und wird dessen Nachfolger.

Die Gäste aus Plovdiv bieten unter der Regie des ungarischen Multitalents Tamas Ferkay eine brave und für den Tourneebetrieb ordentlich zusammengefügte Inszenierung. Es gibt hier keinerlei Ansätze, einer inhaltlichen Deutung oder eigenen Schwerpunktsetzung. Das Werk wird schlichtweg notengetreu wiedergegeben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dabei stehen solide Sänger auf der Bühne. Simon Boccanegra wird von dem körperlich überragend wirkenden Alexander Morozov mit verhaltener Leidenschaft und belastbarem Bariton gegeben. Die Rolle seines Gegenspielers Jacobo Fiesco übernimmt Rosen Krastev mit fundiertem Bass. Als Gabriele Adorno wirkt Svetoslav Stankov wendig und draufgängerisch. Etwas mehr Schwung hätte man sich vom Chor erhofft, das Orchester übernahm seine Rolle unter der Leitung von Georgi Dmitrov souverän und mit dem nötigen Gestaltungswillen.

Veröffentlicht in der Main-Spitze

Zum Auftakt der Mendelssohn-Tage in Frankfurt

Das kommt eben davon, wenn man sein Publikum nicht mit Programmheften ausstattet. Dann klatscht es auch einmal im Überschwang selbstbewusst zwischen die Sätze. Und das ausgerechnet bei der bekannten Psalm-Vertonung „Wie der Hirsch schreit“ von Felix Mendelssohn Bartholdy. Immerhin handelte es sich ja hier um die Gäste der Frankfurter Mendelssohn-Gesellschaft, die zum Auftakt ihrer Mendelssohn-Tage in die Alte Oper geladen hatte. Der 42. Psalm entwickelt in der Mendelssohn-Fassung über die gesamte Strecke hinweg eine fühlbare Spannung, die sich auch in den Schlusstakten nicht so recht zu entladen scheint. Den Interpreten des Abends gelang genau diese schlüssige und zielstrebige Interpretation, die man sich bei diesem Werk wünscht. Paulus Christmann führte die Deutschen Philharmoniker und die Sängerinnen und Sänger der Frankfurter Singakademie, des Polizeichors Frankfurt und der Mendelssohn-Chorvereinigung Frankfurt energisch zusammen. Elisabeth Scholl übernahm den Solopart in angemessen oratorienhafter Manier und mit hohem dramatischem Anteil. Eike Wilm Schulte trug in einer Frankfurter Erstaufführung die Konzertarie „On Lena’s Gloomy Heth“ vor. Das Werk ist weitestgehend unbekannt, auch weil es bis heute nicht editiert ist. Der Bariton vermischte hier die grundsätzliche Schlichtheit des Stückes geschickt mit einem kraftvollen Ansatz. In der Konzert-Ouvertüre „Die Hebriden“ und der „Schottischen“ Sinfonie erwies sich das Orchester als warm timbrierter Klangkörper, der feine Differenzierungen und Zwischentöne zuließ.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Donnerstag, 6. Dezember 2007

Das hr-Sinfonieorchester unter Paavo Järvi zeigt sich in der Alten Oper auch ohne Solisten in bester Verfassung

Es ist recht ungewöhnlich, ein Orchesterkonzert ohne Solisten zu hören. Auf der anderen Seite aber gibt das dem Orchester die Gelegenheit, endlich einmal den ganzen Abend lang im Zentrum des Interesses zu stehen und zu zeigen, was in ihm steckt, ohne auf einen Solisten Rücksicht nehmen zu müssen. Das hr-Sinfonieorchester jedenfalls braucht sich wirklich nicht hinter großen Namen verstecken. In der Alten Oper stellten die Musiker unter Beweis, das sie ohne Frage mit den großen internationalen Klangkörpern auf Augenhöhe spielen.

Der Auftakt geriet einigermaßen harmlos mit Gustav Mahlers „Blumine“. 1896 hatte der Komponist den ehemals zweiten Satz aus seiner ersten Sinfonie heraus genommen. Ob auf Druck des Publikums und der Kritik, die ihn als trivial und banal bezeichnet hatte, oder aus eigenem Antrieb, ist nicht sicher. Das serenadenhafte Stück jedenfalls wird von Mahler selbst als „glückselige Schwärmerei“ bezeichnet und so wirkte der Satz denn auch beim hr-Sinfonieorchester.

Mit der 2. Sinfonie D-Dur op. 73 setzte das Orchester unter Leitung von Paavo Järvi seinen Brahms-Zyklus fort. Der Komponist bezeichnete sie einmal als sein „neues liebliches Ungeheuer“. Ein Ausdruck, der vielleicht auch mit der Unbeschwertheit seiner Entstehungszeit im Jahr 1877 während eines Sommeraufenthalts am Wörther See zusammen hängt. Dem Orchester gelang es unter anderem, den idyllischen Charakter des dritten Satzes konsequent zu entwickeln, zuvor war der zweite Satz in nachdenklicher Stimmung verklungen.

Franz Schuberts „kleine“ 6. Sinfonie, ein Frühwerk in C-Dur, wurde energisch, mit viel Lebenslust und kraftvoller Zuversicht interpretiert. Das Orchester zeigte sich an diesem Abend spielfreudig und zupackend, dabei immer mit einem sicheren Gespür für Zwischentöne und notwendige Differenzierungen.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Mittwoch, 5. Dezember 2007

Über die 2006 eingeweihte Orgel in der Idsteiner Kirche St. Martin

Das klingt schon fast nach luxuriöser Verschwendung. Eine neue Orgel. Und das in Zeiten, in denen Gemeinden der Geldhahn zugedreht wird, oft nur noch das Nötigste finanziert werden kann. Dann so ein riesiges Projekt. Bis das Instrument in der Idsteiner Kirche St. Martin angeschafft wurde, dauerte es allerdings viele Jahre. In den Jahren 1989 bis 1991 war Thomas Gabriel Kantor in der katholischen Gemeinde und setzte sich vehement für den Bau einer Empore für den Chor und eine neue Orgel ein. Das bislang genutzte Instrument, eine 1974 von der Firma Walcker gebaute Orgel, hatte erhebliche Mängel aufgewiesen. In den 70er Jahren wurden nämlich seit Jahrhunderten bewährte Materialien wie Leder oder Holz durch Kunststoffe, Schaumstoff oder Aluminium ersetzt. Die Verschleiß-Spuren waren mittlerweile derart weit fortgeschritten, dass eine Renovierung zu teuer geworden wäre, um das Ergebnis zu rechtfertigen.

Also sollte ein neues Instrument her. Nach und nach wurde klar, dass ein solches Unternehmen auch zu einer Veränderung an der Bausubstanz der Kirche führen würde, so wurde der bisherige Orgel-Förderverein zum Förderverein für die Neugestaltung des Innenraums. Schließlich entschloss sich der Pfarrgemeinderat gegen eine Empore, die im hinteren Bereich der Kirche hätte gebaut werden müssen. Geplant wurde ein Umbau des Chorraumes, so dass die Sänger während des Gottesdienstes nicht ständig ihren Platz wechseln müssen, die Orgel wurde in der Mündung vom Querschiff zum Hauptschiff vorgesehen.

Mittlerweile war viel Zeit ins Land gegangen, im Jahr 2002 ging es endlich los. In der Zwischenzeit hatte Franz Fink das Kantorenamt übernommen und sich um den Bau der Orgel gekümmert. Seine Vorgabe: Die neue Orgel sollte mit den alten handwerklichen Techniken gefertigt werden. Eine Ausschreibung wurde durchgeführt, die schließlich von der Firma Mebold aus Siegen gewonnen wurde. „Jeder Organist hat sein Idealinstrument im Kopf“, sagt Franz Fink und ist sich der privilegierten Situation bewusst, an der Entwicklung seines persönlichen Ideals maßgeblich beteiligt gewesen zu sein. „Sie sollte auf jeden Fall mehr können als die alte Walcker-Orgel“, so lautete die erste Bedingung. Vor allem sollten die stilistischen Möglichkeiten erweitert werden.

Der finanzielle Rahmen jedoch war eng gesteckt, das Bistum gab keinen Zuschuss für das Instrument. „Wir wollten eine kostengünstige Orgel, aber es sollte nicht auf Kosten der Qualität gehen“, so Fink. Also wurde ein „kleines Konzept“ entwickelt. So hat das Instrument nun zwei, statt anfangs erhoffter drei Manuale. Durch eine raffinierte Technik aber kann diese vermeintliche Einschränkung geschickt überspielt werden. 8.000 verschiedene Klangkombinationen sind immerhin möglich. Bei der Ausschreibung hat die Gemeinde übrigens keinen Betrag vorgegeben. Während sich die anderen Firmen mit deutlich höheren Kosten bewarben, machte Mebold ein Angebot von unter 400.000 Euro. Und auch die Qualität, die das Unternehmen versprach, überzeugte.

Dass der Orgelbau überhaupt zustande gekommen ist, verdankt die Gemeinde allerdings sich selbst. Schon beim Abbau der alten Orgel waren viele Mitglieder ehrenamtlich am Werk. Auch der Aufbau des neuen Instruments wurde unter der Anleitung der Profis von den „Orgelbaugehilfen auf Zeit“ bewerkstelligt. Während der drei- bis viermonatigen Bauzeit wurden die Orgelbauer von Gemeindemitgliedern verpflegt, außerdem stellte ihnen die Gemeinde eine Wohnung zur Verfügung.

Bei der Klanggestaltung hat Franz Fink intensiv mitgewirkt. „Ich kann meine Finger da nicht rauslassen“, grinst er. Sein Glück war, dass er mit dem Intonateur Uli Skriwan einen optimalen Partner gefunden hat. „Oft war er schon früh morgens an der Orgel, weil ihm nachts noch etwas eingefallen ist“, erinnert sich der Kantor. Das Ergebnis kann sich hören lassen. „Auch unsere Gastorganisten sind jedes mal verzaubert“, beteuert Fink. Mittlerweile werden hier Prüfungen der Kirchenmusikerausbildung im Bistum durchgeführt. „Die Orgel ist das Gegenteil von aggressiv – sie schreit nicht“, umschreibt der Musiker den Klang.

Und tatsächlich besticht das Instrument durch eine unaufdringliche Brillanz. Dennoch hat sie Durchsetzungsvermögen, kling niemals schwach oder willenlos. Eine besondere klangliche Eigenheit ist das Martinsgans-Quietschen, das die Orgel ebenfalls imitieren kann. Das Instrument verfügt insgesamt über 33 Register auf zwei Manualen und dem Fußpedal sowie 1888 Pfeifen. Für das Gehäuse wurden 10 Kubikmeter Eiche verbaut

Stilistisch kann nun endlich eine gewaltige Spannbreite abgedeckt werden. Barocke Klänge lasse sich hier ebenso erzeugen wie die satten Vorgaben romantischer Klassiker. Das Instrument kommt vor allem im Gottesdienst zum Einsatz. „Ich habe den Ehrgeiz, jedes Mal eines der großen Werke der Orgelliteratur zum Auszug zu spielen“, sagt Franz Fink. Mittlerweile bleiben auch viele Gottesdienstbesucher extra bis zu der letzten Note sitzen, weil sie wissen, dass sie hier fast ein kleines Konzert geboten bekommen. „Darüber freue ich mich, weil ich das Orgelspiel als Teil des Gotteslobs verstehe“, so Fink.

Doch wie war nun die Finanzierung möglich? Ganz besonderen Anteil daran hatte das Ehepaar Annethee und Dieter Schnell, die Motoren des Fördervereins. Durch Basare an Ostern und Weihnachten und die Beteiligung am Idsteiner Weihnachtsmarkt war rund ein Drittel der 290.000 Euro zusammen gekommen, die der Verein letztendlich aufbrachte. Verkauft wurden 4.000 Gläser Gelee und 2.600 Flaschen „Orgelwein“. Unterstützung gab es außerdem von der Stadt Idstein und der Stiftung „Initiative und Leistung“. Außerdem haben viele Gemeindemitglieder einen Dauerauftrag eingerichtet und die Arbeit damit persönlich unterstützt. Ohne sie wäre die Orgel, die am 22. Januar 2006 eingeweiht wurde, nie nach Idstein gekommen.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt

"Live Lyrix" übersetzt englische Hits ins Deutsche

Eigentlich ist die Situation etwas merkwürdig. Der Saal im Frankfurter Hof ist bist auf den letzten Platz gefüllt. Und scheinbar sitzen die Menschen da und hören sich Musik vom Band an. Das allein aber hätte wohl keinen von ihnen hinter dem sprichwörtlichen Ofen hervor gelockt, es ist aber auch wirklich nicht alles, was bei den „Live Lyrix“ von SWR3 geboten wird. Drei Protagonisten sind es, denen zwischenzeitlich immer wieder die Aufmerksamkeit gilt. Die Schauspieler Carola von Grot und Ronald Spiess tragen nämlich die deutsche Übersetzung englischsprachiger Hits vor. Moderiert wird das ganze von Ben Streubel, der für lockeres Geplauder zwischen den Stücken steht.

Die „Live Lyrix“ sind die Bühnenversion einer SWR3-Sendung, die Sonntags morgens zu hören ist. Schon Ende 2006 war der Sender mit diesem Konzept auf Tournee und führte die Reihe nun wiederholt durch. Auf der Bühne stehen von innen beleuchtete Quader und Würfel, links und rechts ist jeweils ein mehrstrahliger Kerzenständer aufgestellt. Die Farben wechseln je nach Lied und Stimmung, Carola von Grot und Ronald Spiess bewegen sich in dieser Landschaft mal gemeinsam, mal allein.

Zum Duett setzen sie etwa bei „Something Stupid“ in der Version von Robbie Williams und Nicole Kidman an. „Ich weiß, dass ich sozusagen auf der Warteliste stehe in Sachen ’Einen Abend mit dir verbringen’“, heißt es da nüchtern am Anfang. Wer bisher nie auf den Text der Schnulze geachtet hat, wird sich wundern. „Du hast genug von den ewig gleichen Phrasen“, weiß der Sänger und rechnet sich nur mäßige Chancen aus, bei der Geliebten zu landen.

Eindrucksvoll bleibt der Text des Dire-Straights-Klassikers „Brothers in Arms“ in Erinnerung. Das Anti-Kriegs-Lied endet mit den Worten „Wir sind Narren, wenn wir Krieg führen gegen unsere Brüder“. Eine hübsche Ballade ist Tina Dicos autobiographisch angehauchtes „Room with a view“, in dem sie sich an vergangene Zeiten und eine verflossene Liebe erinnert, die in ihr noch lebendig ist.

Carola von Grot und Ronald Spiess gelingt es, mal hintergründiger, mal offensiver, die Töne mit ihren jeweiligen inhaltlichen Aussagen zu verknüpfen. Oft bekommt der Zuhörer dadurch die Möglichkeit, scheinbar längst bekannte Stücke deutlich aufmerksamer zu hören, als bisher.

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Dienstag, 4. Dezember 2007

Bach-Collegium München mit "Festlichem Adventskonzert"

Vor Weihnachten gibt es eine Menge davon. „Festliche Adventskonzerte“ finden überall statt, wo man hinblickt. Zu den einheimischen Kulturgewächsen, den Orchestern und Chören vor allem der Kirchengemeinden, gesellen sich zunehmend professionelle Ensembles, die mit ihrem Programm auf Vorweihnachts-Besuch vorbei kommen. So auch das Bach-Collegium München und sein Leiter Hansjörg Albrecht, der gleichzeitig in die Tasten des Cembalos griff. Auf dem Programm im Kurhaus stand tatsächlich Festliches und leicht Verdauliches. So auch die Wassermusik und die Feuerwerksmusik von Georg Friedrich Händel. Wohl zwei der populärsten Stücke aus seiner Feder. Die Gäste aus München verwendeten hier vor allem plakative Tempi und fielen damit beständig in die Extreme von schnell und langsam. Von den Bläsern hätte man sich in der Feuerwerksmusik wohl etwas klarere Phrasierungen gewünscht. Für das Cellokonzert C-Dur von Joseph Haydn kam die junge Cellistin Lena Wignjosaputro hinzu. Die 1983 geborene Musikerin hat bereits zahlreiche Preise gewonnen und ist unter anderem mit ihrem Lusingan-Streichquartett Stipendiatin der Stiftung Villa Musica. Ihr Wiesbadener Auftritt geriet etwas zwiespältig. Während sie stellenweise mit einer herausragenden technischen Finesse und klanglicher Souveränität überzeugte, verschluckte sie in den schnellen Passagen buchstäblich die eine oder andere Note, auch intonatorische Probleme ließen sich nicht immer überhören. Dafür gefiel die zurückhaltende Eleganz und Sanglichkeit, die sie im langsamen Satz vorzeigte.

Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt

Montag, 26. November 2007

Michael Sadler auf Abschiedstournee mit "Saga"

Voraussichtlich war es einer seiner letzten Auftritte mit der Band „Saga“. Michael Sadler hatte Anfang des Jahres verkündet, die Band noch binnen Jahresfrist zu verlassen. Die Gründe sind privater Natur, der 53-Jährige will sich mehr der Familie widmen. In der Phönixhalle aber stand er auf der Bühne, als wäre noch alles beim Alten. Auch eine Erkältung, die ihn bei vorherigen Auftritte während der Tour beeinträchtigt hatte, war abgeklungen. Und so mussten die Fans lediglich den Auftritt der Vorgruppe „The Urge“ hinter sich bringen, um dem legendären Quintett dann ungebremst zujubeln zu können. Schon der Einstieg geriet saftig, neben dröhnenden Keyboard- und Gitarrenklängen blitzte es aus allen verfügbaren Scheinwerfern, was von Anfang an überschäumenden Jubel provozierte.

Ohnehin war die Stimmung an diesem Abend enorm ausgelassen, die Fans sangen nahezu jede Strophe mit, egal ob es sich um einen Klassiker aus den 80ern handelte oder um einen Titel aus dem aktuellen Album „10.000 days“, das in diesem Jahr produziert worden ist. Dem oberflächlichen Beobachter mag es zwar geschienen haben, als seien die Progressive Rocker still und leise auseinander gegangen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Sowohl in den 90ern als auch im neuen Jahrtausend haben die Herren Alben fast im jährlichen Takt heraus gegeben. Auf der Bühne geben sie alles, wirken in ihrer Musik fest verwurzelt, feuern das Publikum zu immer frenetischer werdenden Choreinsätzen an.

Kommerzieller Erfolg blieb ihnen ja meist versagt. Die Alben stiegen in den Verkaufs-Charts selten auf die ersten 50 Plätze, die Fans lieben wohl vor allem den Live-Eindruck. Und so ist auch die aktuelle Tour, die „Saga“ durch Deutschland und die Niederlande führt, eine einzige Party mit ausschließlich gut gelaunten und feierwilligen Gästen. Der Altersdurchschnitt ist natürlich mit dem Alter der Musiker gestiegen – immerhin feiern die Kanadier gerade ihr 30-jähriges Bühnenjubiläum. Doch auch den jüngeren Generationen scheint diese Musik etwas zu sagen – passiert hier doch weit mehr, als sie von Retorten-Gruppen aus den Casting-Shows oder mit hohen Werbe-Etats aufgeputschten Eintagsfliegen gewöhnt sind.

Die deutschen Fans sind dann auch die bislang treusten, die sich „Saga“ im Laufe der Jahrzehnte erspielt hat. Hier konnten zumindest Achtungserfolge in den Charts verbucht werden. Titel wie „On the loose“ oder „Wind him up“ vom Album „Worlds Apart“ oder die Knaller „Time Bob“ und „Humble Stance“ verfehlen auch heute ihre Wirkung nicht.

Ein klein wenig Abschiedsschmerz war gegen Ende dann doch zu spüren, vermutlich waren die Zugaben schon ein wenig dem Umstand geschuldet, dass Sadler nun aufhört. Im Internet können sich Nachwuchstalente übrigens um seine Nachfolge bewerben. Dort lassen sich die Instrumental-Fassungen von „On the loose“ und „Wind him up“ herunterladen. Wer dann ein Video mit seiner eigenen Interpretation auf einem Videoclip-Portal veröffentlicht, beteiligt sich an dem Auswahl-Verfahren.

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Freitag, 23. November 2007

Hr-Sinfonieorchester mit Original-Filmmusik zum Chaplin-Klassiker "Modern Times"

Moderne Zeiten sind angebrochen im Jahr 1936. Die Industrialisierung hat sich zumindest in den wohlhabenden Ländern der Erde mit Macht durchgesetzt, überall rotieren die Maschinen und in den großen Städten raucht es aus allen Schornsteinen. Der Mensch wird in diesem System schnell zum Helfershelfer einer automatisierten Welt, in der Maschinen den Takt vorgeben. Wenn es jemandem gelungen ist, diese neue Welt treffend zu persiflieren, ohne dabei in politisches Wüten zu geraten, dann ist das Charlie Chaplin. Der Meister des Stummfilms hat mit „Modern Times“ ein legendäres Filmopus, geschaffen, das bis heute Kultstatus genießt.

Eine ganz besondere Aufführung stand jetzt im Sendesaal des Hessischen Rundfunks an. Der renommierte Filmmusik-Dirigent Frank Strobel stand am Pult des hr-Sinfonieorchesters, das die Originalmusik von Charlie Chaplin spielte, wie sie vor sieben Jahren erst von dem amerikanischen Komponisten Timothy Brock rekonstruiert wurde. Bemerkenswert ist, dass Chaplin neun Jahre nach Entwicklung des Tonfilms ganz bewusst seinem Genre, dem Stummfilm treu bleibt. Nur selten werden Stimmen oder Geräusche eingespielt, die entweder isoliert da stehen oder mit der Musik korrespondieren.

Chaplin ist hier in seiner Dauer-Rolle als Tramp mit Stock und Melone zu sehen, der meist vergeblich versucht, mit seiner Umwelt zurecht zu kommen. Am Fließband versagt er ebenso, wie als Nachtwächter, durch ein Missverständnis gerät er als kommunistischer Streikführer ins Gefängnis, wo er unter Drogeneinfluss einen Ausbruch verhindert. Ganz allmählich entwickelt sich auch so etwas wie eine Liebesgeschichte mit einer jungen Frau, wobei es nie zu einem Kuss oder gar mehr kommt.

Frank Strobel gelingt es, gemeinsam mit den HR-Musikern eine packende und stets präzise auf das Leinwandgeschehen zugeschnittene Musik aufzuführen. Dabei sind die Klänge oft mehr als reine Lautmalerei. Natürlich kommen hier die witzigen Begleitungen von Chaplins Ungeschicklichkeiten besonders gut an. Doch zwischendrin kann man erfahren, dass der Komiker auch als Komponist einiges zu bieten hat.

Donnerstag, 22. November 2007

Jungautor Florian Bergner legt seinen Debüt-Roman "Rastlien de Gravie" vor

Florian Bergner ist Autor. Das allein macht ihn noch nicht besonders außergewöhnlich, in gewisser Weise ist Schriftsteller ja auch nur ein Beruf wie jeder andere. Allerdings ist der Autor gerade einmal 18 Jahre alt und arbeitet eigentlich in erster Linie an seinem Abitur an der Elly-Heuss-Schule. Sein Erstlingswerk, das nun auch im Druck erschienen ist, kommt zunächst auf eine Auflage von 350 Stück. 100 davon erhält er zur Verbreitung etwa bei Lesungen oder im Bekanntenkreis. Die erste Lesung im „Haus der Heimat war übrigens gut besucht. „Mit weit über 50 Besuchern feierte unser jüngster Autor, Florian Bergner, am vergangenen Freitag eine tolle Buchpremiere in Wiesbaden. Das Publikum war von seiner Lesung mehr als überzeugt und kaufte eine stattliche Anzahl von Büchern.“, jubelt sein Verlag im Internet.

„Ich fühle mich jetzt auch nicht anders als vorher“, lacht Florian Bergner auf die Frage, ob das Schriftsteller-Dasein nun einen neuen Menschen aus ihm gemacht habe. Auch sein Umfeld war nicht sonderlich überrascht, denn seine schriftstellerischen Ambitionen waren nie ein Geheimnis. Das Buch ist ein Fantasy-Roman geworden und handelt von der fiktiven Gestalt Rastlien de Gravie – ihm verdankt das Buch auch seinen Titel. „Der Name ist frei erfunden“, erklärt der Autor, als Pate habe „eine Person aus der alten Stauffenbergischen Familie“ gestanden.

Der Protagonist wächst gut behütet im Prag des Mittelalters auf und sieht einer Medizinerkarriere entgegen. Bald jedoch nimmt Kain (aus der biblischen Geschichte um Kain und Abel) Einfluss auf ihn und wandelt seinen Charakter zum Bösen hin. Schließlich spaltet sich Kain von seinem unfreiwilligen Wirt ab und wird zum „Dunklen Messias“, um Rache an Gott und der Menschheit zu nehmen.

Die Keimzelle des Romans steckt in einem Essay, den der junge Autor einmal über die Frage geschrieben hat, ob man das eigene Schicksal verändern kann. „Das war mir aber zu trocken“, meint er. Und so hat er sich an einen Fantasy-Roman gesetzt. Dafür hat er insgesamt sechs Monate in zwei Schaffensperioden gebraucht. Seine Erfolgsaussichten sieht er ganz realistisch. „Ich warte ab, was auf mich zukommt“, sagt er entspannt. Der Verlag will noch einige Lesungen organisieren, außerdem hofft er, dass das Buch seinen Weg in die Auslagen der Buchläden findet.

Sein Interesse an fantastischen Geschichten und dem Mittelalter hat er schon von Kindheit an entwickelt. „Ich bin mit Rittergeschichten aufgewachsen“, erinnert er sich. Außerdem hat er auch eine Weile an Rollenspielen Teilgenommen. Bei der Konstruktion fiktiver Welten findet er es spannend, „Idealbilder“ zu erschaffen Außerdem sei er dabei auf der „Suche nach dem besseren Menschen“. Seit der siebten Klasse ist er Mitglied in der Theater-AG seiner Schule. „Ich nehme oft viel von den Rollen mit“, erzählt er aus diesem Teil seines Lebens. „Theater spielen gehört bei mir zum Leben dazu“, bekennt er. Und weitere Romanprojekte stecken auch bereits in der Schublade.

Florian Bergner: Rastlien de Gravie, erschienen im Geest-Verlag, 232 Seiten

Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier

Mittwoch, 21. November 2007

Michael Endes "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" am Mainzer Staatstheater

Die Kinderbücher von Michael Ende haben Generationen von Kindern fasziniert. Unter ihnen auch das Buch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, womit der Autor 1960 schlagartig bekannt wurde. Unter der Regie von Marcus Mislin wurde das Stück nun im Mainzer Staatstheater vorgestellt.

Was passiert, wenn ein ohnehin schon kleines Königreich einen neuen Bewohner per Post zugeschickt bekommt? Nun, solange der Neu-Insulaner noch ein „halber Untertan“ ist, macht das nicht so viel aus. Doch immerhin wird auch er einmal größer und braucht dann Platz, um sich ein Haus zu bauen. Der Ansicht jedenfalls ist König Alfons der Viertelvorzwölfte, unumschränkter Herrscher von Lummerland. Sein Problem: Vor einigen Jahren ist ein Päckchen auf der Insel angekommen, in dem der kleine Jim lag, der mittlerweile zu einem aufgeweckten Jungen herangewachsen ist. Lummerland aber ist wirklich klein. Gerade einmal fünf Bewohner zählt das Reich – inklusive König und Lokomotive.

Am Mainzer Staatstheater stand Jim Knopf nun zum ersten Mal auf der Bühne. Marcus Mieslin, Mitglied des Schauspiel-Ensembles mit einschlägiger Regie-Erfahrung, hat eine liebevoll inszenierte Fassung des Kinderbuchklassikers ersonnen. Das Bühnenbild von Elisabeth Pedross gleicht einer farbenfrohen Bilderbuch-Illustration. Allein die Insel ist ein kleines Schmuckstück. Dicht aneinander drängen sich hier der Bahnhof, das Schloss, der Laden von Frau Waas und Herrn Ärmels Wohnhaus zwischen den zwei Tunnel-Einfahrten.

Von hier aus brechen Lukas der Lokomotivführer (Thomas Kornack) und Jim Knopf (Joachim Mäder) auf, nachdem König Alfons (Adrian Hagenguth) beschlossen hat, dass Lokomotive Emma abgeschafft werden soll. Auf ihrer Reise erleben sie ein märchenhaftes Abenteuer. Dem Kaiser von China (Andreas Quirbach) versprechen sie, seine Tochter Lisi (Norma Anthes) aus den Klauen des bösen Drachen Frau Mahlzahn (Julia Kreusch) zu befreien. Die nämlich kauft einer Bande kleine Kinder ab, um sie in ihrer Schule zu quälen. Auf diese Weise erfährt Lukas auch, dass er selbst ein solches Kind war, doch durch eine unleserliche Adresse auf dem Paket, schließlich ins Lummerland geraten ist.

Natürlich gelingt das Rettungsunternehmen und am Schluss sind alle zufrieden. Vor allem auch deshalb, weil Frau Mahlzahn, während sie sich in einen guten Drachen verwandelte, noch den Tipp mitgegeben hat, eine Art Beistellinsel aufzutreiben, womit Lummerland wieder ausreichend groß wird.

Das alles wird in raschem Tempo, aber ohne Hast vermittelt. Die Kinder im Publikum sind von Anfang an begeistert, machen gefragt und ungefragt mit. Alexandre Bytchkov sorgt mit dem Akkordeon für die musikalische Umrahmung (Bühnenmusik: Till Löffler), den Protagonisten ist er eine solide Stütze bei ihren Gesangseinlagen.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Dienstag, 20. November 2007

European Union Baroque Orchestera bei den Bach-Wochen in Wiesbaden

Mit der Verpflichtung des European Union Baroque Orchestras ist Martin Lutz neben den großen Oratorien und den behutsam zusammengesuchten kammermusikalischen Perlen ein ganz besonders spannender Konzertabend gelungen. Das Ensemble ist derzeit international sehr gefragt, einen Tag vor seinem Gastspiel im Herzog-Friedrich-August-Saal spielte es in Portugal, am Folgetag wurden die Musiker bereits in Brüssel erwartet. Doch auf die Leistungsbereitschaft und die überschäumende Spielfreude hatte der straffe Tourneeplan keinerlei bemerkenswerte Einflüsse.

Das European Union Baroque Orchestra ist eines der beiden von der Europäischen Kommission als offizielle Repräsentanten anerkannten Orchester. Das allein sagt noch nicht unbedingt allzu viel über die künstlerische Qualität des Ensembles aus, allerdings zeigt es, dass der Kommission offensichtlich eine frühe Spezialisierung bei jungen Musikern besonders wichtig ist. Wer Mitglied dieses erlesenen Kreises von 21 Künstlern werden möchte, muss sich bei einer europaweiten Ausschreibung qualifizieren. Im Durchschnitt sind die Mitglieder 24 Jahre alt und arbeiten sechs Monate lang konzentriert mit führenden Barockspezialisten an einem Konzertprogramm. Damit gehen sie weltweit auf Tournee. Mittlerweile sind viele Ehemalige in den besten Barockensembles der Gegenwart zu finden – ein deutliches Indiz für die wichtige Funktion dieses Ausbildungs-Programmes.

Wie ein Studentenorchester klang das European Union Baroque Orchestra aber bei weitem nicht. Hier paarten sich im Gegenteil die jugendliche Frische, die unterstellt werden darf, mit einer ernsthaften und tiefgründigen Auseinandersetzung mit der Materie. Effekte wurden nicht um ihrer selbst Willen gezündet, sondern gehörten nachvollziehbar zum gesamtmusikalischen Konzept der Interpretation. Historisch informierte Bogentechnik, Klangerzeugung und die bewusst extrem gegensätzliche Dynamik sind Bestandteile des Erfolgs, den das Publikum in Gestalt pointiert vorgetragener Werke erleben konnte. Die Begeisterung schlug dem jungen Ensemble bereits nach dem ersten Stück ungebremst entgegen.

Sicherlich hatte der Zuspruch auch mit dem berühmten Funken zu tun, der an diesem Abend sofort übersprang. Der Zuhörer konnte sich hier jederzeit individuell angesprochen fühlen, die Musiker vermittelten von jedem Pult aus ihr ganz persönliches Anliegen. Margaret Faultless leitete das Ensemble als Prima inter pares und drehte dabei ein ums andere Mal beherzt am Schwungrad, konnte aber auch bremsen, wenn notwendig und dabei sensibel aufgeraute Töne im leisesten Pianissimo erschaffen.

Das Programm setzte sich aus Populärem und Unbekanntem fast zu gleichen Teilen zusammen. Johann Sebastian Bachs Doppelkonzert für zwei Violinen in d-Moll wurde mit begeisternder Frische transportiert, im Brandenburgischen Konzert Nr. 3 schwelgten die Musiker in komplexen Klanggebilden, ohne dabei an Präzision zu sparen. Geheimnisvolle Momente barg das Concerto grosso „Il pianto d’Arianna“ von Pietro Antonio Locatelli in sich, schroffe Passagen überraschten im Concerto grosso D-Dur op. 6/4 von Arcangelo Corelli. Ausgeglichen und mit homogenem Klang ausgestattet beendete das Ensemble sein Programm mit dem Concerto grosso B-Dur op. 6/7 von Georg Friedrich Händel.

Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt

Donnerstag, 15. November 2007

Das hr-Sinfonieorchester bot mit Hugh Wolff am Pult ein aufreibendes Konzert in der Alten Oper

Zwei Werke, die kurz hinter einander entstanden und schwer zugänglich sind. Dennoch sind es zwei vollkommen unterschiedliche Kompositionen. Beide vereint der enge Bezug zum gesellschaftlichen Hintergrund, vor dem sie geschrieben wurden. Als sich Benjamin Britten im November 1938 an sein Violinkonzert setzte, war gerade der Zweite Weltkrieg ausgebrochen. Was er noch in der englischen Heimat begann, vollendete er im September des darauf folgenden Jahres im amerikanischen Exil. Zwischenzeitlich war der Pazifist Britten vor dem Krieg in Europa geflohen.

Auch Schostakowitsch kämpfte mit Umständen, die wenig günstig für die Schaffenskraft scheinen. Er schrieb seine 4. Sinfonie in den Jahren 1935 und 1936, allerdings zunächst für die Schublade – es sollte 25 Jahre dauern, bis das Werk uraufgeführt wurde. Zuvor nämlich war der Komponist heftigen öffentlichen Angriffen ausgesetzt, die ihm mangelnde Nähe zum „Sozialistischen Realismus“ vorwarfen. 108 Musiker werden für die Sinfonie gefordert und vermitteln eine ungeheure Kraft, die streckenweise fast vernichtend wirkt.

Das hr-Sinfonieorchester hatte sich dafür seinen alten Chef Hugh Wolff ans Pult zurück geholt. Niemand anderes als die Geigerin Midori nahm sich das sperrige Violinkonzert vor – und es braucht durchaus eine Künstlerin von ihrem Format, um damit umzugehen. Midori, weit entfernt von der Suche nach dem raschen Effekt, sezierte ihren Part, ohne ihn in seine Einzelteile fallen zu lassen. Sie ermöglichte ihren Zuhörern eine ungewöhnlich rasche Ahnung von dieser Musik. Vor allem blieb Midori jedoch Künstlerin, war mit ganzer Seele und all ihrer Kompetenz an der Arbeit, so dass Brittens Werk an diesem Abend zu einem ästhetischen Genuss der besonderen Art wurde.

Ganz anders die 4. Sinfonie Schostakowitschs. Sie will und kann sich dem Zuhörer nicht andienen. Das hr-Sinfonieorchester nahm die Herausforderung mit ungetrübtem Engagement an. Unmöglich, nach 60 Minuten Dauerbeschuss wieder Sinn für sanfte Töne zu entwickeln, der Eindruck ist allumfassend und hält lange nach. Hugh Wolff führte die Musiker sicher durch steinige Pfade voller krachender Untiefen. Dass dabei oft die Schmerzgrenze des Erträglichen erreicht wurde, spricht für die stilsichere Interpretation. Ein aufregendes Konzert, das kaum die Möglichkeit bot, sich zurück zu lehnen.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Dienstag, 13. November 2007

David Mouchtar-Samorai präsentiert am Staatstheater Wiesbaden eine kühle Inszenierung der Gluck-Oper „Orfeo ed Euridice“

Manchmal ist es doch besser, nicht alles zu wissen. Die Geschichte von Orpheus, der seiner verstorbenen Geliebten Eurydike ins Totenreich folgt, um sie wieder zu den Lebenden zu holen, ist bekannt. Doch ähnlich wie Lots Frau bei der Flucht aus dem brennenden Sodom, kann auch Eurydike ihre Neugier nicht zügeln. Quengelnd wirft sie dem armen Orpheus vor, sie nicht zu lieben, versteht die angedeuteten Verpflichtungen nicht, die dieser eingegangen ist. Denn auf dem Rückweg aus dem Reich der Toten, darf Orpheus seine Geliebte nicht anschauen. Irgendwann setzt sie sich mit ihrer Nerverei durch, Orpheus fällt ihr in die Arme, sie stirbt sogleich ihren zweiten Tod. Dass Amor, der die Regeln aufgestellt hat, sie später wieder zum Leben erweckt ist dann eine Inkonsequenz, die der Geschichte einen opernhaften Charme verleiht.

Christoph Willibald Glucks „Orfeo ed Euridice“ hatte nun am Wiesbadener Staatstheater Premiere und erschreckte seine Zuschauer mit wirren Bildern vor einer riesigen kaltblau gefliesten Kulisse von Heinz Hauser. Schnell drängt sich der Eindruck einer Klinik, vermutlich einer Psychiatrie auf, denn nicht nur Orpheus wirkt bisweilen etwas fernab der Beherrschung seiner Sinne. Eurydike stirbt mitten im Liebesakt auf einer kargen Matratze, die rasch zur Totenbahre umfunktioniert wird. Nach einer ergreifenden Klage, die Ute Döhring mit inniger Wärme vorträgt, in der gleichermaßen Kraft und intime Weichheit zum Tragen kommen, taucht Amor auf. Emma Pearson muss eine überdrehte Pipi Langstrumpf geben, die den armen Orpheus mehr piesackt, als ihm Mut zu machen.

Die Unterwelt besteigt Orpheus über eine riesige Wendeltreppe, unten angelangt empfängt ihn ein skurriles Ballett aus Furien und anderen Unterweltlern, die ihm den Eintritt verwehren wollen. Bei seiner Wiedergeburt trifft er auf prägende Figuren seiner Kindheit, darunter auch seine Eltern. Doch Eurydike macht der Rettungsaktion mit ihrer Neugier und mangelndem Vertrauen einen vorläufigen Strich durch die Rechnung.

David Mouchtar-Samorais Inszenierung wirkt vor allem dann, wenn das von Christof Hilmer einstudierte Extra-Ballett seine Einsätze hat, etwas exzentrisch, ohne dabei die Handlung wesentlich voran zu bringen oder mit wahrnehmbaren Einfällen zu bereichern. Die Kühle der Kulisse scheint sich auch durch die Inszenierung selbst zu ziehen. Dem Publikum, das den Regisseur später mit deutlichen Missfallensbekundungen empfängt, erhien die Interpretation jedenfalls nicht besonders schlüssig.

Musikalisch kann vor allem das Orchester unter Leitung von Cornelius Heine punkten. Sehr kultiviert und gelöst klingt es aus dem Graben heraus, hier werden pointierte Einsätze und luftige Motive eines hoch engagierten Orchesters gefeiert, das sich der historisch informierten Aufführungspraxis verschrieben hat. Auch der Chor zeigt sich in bester Verfassung, ist auch in der Aktion behände und immer punktgenau zur Stelle. Das kleine Ensemble wird von Thora Einarsdottir (souverän und spielfreudig als Eurydike) und Simone Brähler, die einen kurzen Auftritt als Gouvernante hat, ergänzt.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Das Ensemble Parnassi musici interpretiert Bach-Werke in neuem Klanggewand

Für Johann Sebastian Bach und seine Zeitgenossen war es ein ganz übliches Verfahren. Einmal komponiert, war ein Werk noch lange nicht vor Veränderungen gefeit. Im Gegenteil, immer wieder wurden Stücke umgeschrieben, neu arrangiert oder auf bestimmte Anlässe zugeschnitten. Das Verfahren birgt einen gewissen ökonomischen Sinn in sich. Schließlich gab es nicht die Möglichkeit der industriemäßigen Reproduktion. Dennoch war das Interesse der musikliebenden Öffentlichkeit an Neuerscheinungen ähnlich groß, wie heute. Also griffen die Komponisten zu diesem allgemein akzeptierten Kunstgriff.

Bei den Wiesbadener Bachwochen hatte nun auch das Ensemble „Parnassi musici“ um Martin Lutz einmal vertraute Bach-Werke in ein neues Klanggewand gesteckt und in der Christophoruskirche aufgeführt. Besonderen Anklang fand dabei das berühmte Doppelkonzert für zwei Violinen und Orchester (BWV 1043), das hier zu einer Triosonate geschrumpft war. Die Geiger Margaret MacDuffie und Matthias Fischer gingen das populäre Stück gemeinsam mit dem Cellisten Stephan Schrader hochvirtuos an, interpretierten es luftig und schwungvoll, vor allem in den Ecksätzen. Der zweite Satz erhielt einen fahl-matten Glanz, gewann durch die behutsame Klanggestaltung des Trios immer mehr an eigenständigem Charakter, der in farbigem Kontrast zum ausgelassenen Finalsatz stand.

Der Fagottist Sergio Azzolini hatte das Cembalo-Concerto C-Dur BWV 1053 für sein Instrument umgeschrieben und verblüffte mit überaus kunstvoller Melodieführung und beherzter Kommunikation mit dem Ensemble. Zuvor hatte Martin Lutz die Partita für Violine Solo BWV 1004/5 transparent und pointiert auf das Cembalo übertragen.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt und Wiesbadener Kurier

Mittwoch, 7. November 2007

Frühe Mozart-Opern am Staatstheater Darmstadt

John Dew inszeniert am Staatstheater Darmstadt die beiden ersten Musiktheater von Wolfgang Amadeus Mozart.

Früh übt sich, das ist so eine Binsenweisheit, die manchmal aufs Erstaunlichste belegt wird. Etwa bei Wunderkindern, so auch bei dem Prototyp dieser Spezies, Wolfgang Amadeus Mozart. Während seine Altersgenossen noch recht unbekümmert ihre Kindheit genossen, schrieb er Musik und wurde von seinem Vater stolz an europäischen Adelshöfen herumgezeigt. Bereits als Elfjähriger befasste er sich mit einer der schwierigsten musikalischen Gattungen, der Oper. Am Staatstheater Darmstadt wurden nun seine ersten Musiktheaterwerke aufgeführt. Dabei handelte es sich um Inszenierungen, die Intendant John Dew bereits für die Salzburger Festspiele eingerichtet hatte.

„Apollo et Hyacinthus“ ist ein „lateinisches Intermedium“, das sich um den Gott Apoll dreht. Der Gott möchte die Sterbliche Melia heiraten, doch als sie erfährt, dass der ihren Bruder Hyacinthus getötet haben soll, wendet sie sich von ihm ab. Später kommt heraus, dass der wahre Schuldige ein Neider des Hyacinthus ist, Apoll verwandelt den Ermordeten in eine Blume und wirbt erneut um Melia. John Dew hat für seine Inszenierung den Griff in die Historie gewählt. Die Personen werden zu Marionetten mit einem übersichtlichen Repertoire an stilisierten und pointierten Bühnen-Gesten. José-Manuel Vázquez hat sie dazu in prächtige Rokoko-Kostüme gesteckt und Heinz Balthes liefert ein üppig gemaltes Bühnenbild.

Die faszinierende Wirkung entsteht durch den unverstellten Blickwinkel, den Dew anbietet. Denn bei seiner Inszenierung handelt es sich nicht um den Versuch, eine mögliche Aufführung aus dem 18. Jahrhundert zu kopieren. Er liefert lediglich das Angebot einer Zeitreise, die ihm gemeinsam mit dem ausgezeichnet mitspielenden Ensemble gelingt. Aki Hashimoto erreicht als Melia fantastische Höhen und bietet mühelose Koloraturen, schlank und zugleich volltönend lässt sich Maximilian Kiener als König Oebalus, Hyacinthus’ Vater vernehmen.

Für den zweiten Teil des Abends hatte Dew Mozarts Beitrag zu dem geistlichen Singspiel „Die Schuldigkeit des Ersten Gebots“ ausgewählt. Die beiden anderen Teile stammen von Michael Haydn und Anton Adlgasser und sind nicht erhalten. Hier wird es erstaunlich rasant, denn die Inszenierung macht sich augenzwinkernd über den Moralisten, den „Christgeist“ lustig, der auf linkische Art versucht, einen Menschen auf dem rechten Pfad zu halten, auch wenn ihn der „Weltgeist“ mit allerlei Verlockungen davon abbringen möchte. Weil die beiden Werke auf den ersten Blick nicht zueinander zu passen scheinen, wird der Bruch umso unmittelbarer erlebt. Das verbindende Element ist die beeindruckend ausgereifte Musik eines Elfjährigen. Das Orchester des Staatstheaters kann unter der Leitung von Martin Lukas Meister die Atmosphäre der verschiedenen Momente vortrefflich ausloten und wiedergeben.

Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse

Orchester der Großregion Luxemburg in Mainz

Musik kümmert sich nicht um Grenzen. Das beweist auch das Orchester der „Großregion“ Luxemburg. Das europäische Konstrukt besteht aus der belgischen Region Wallonien, dem französischen Lothringen, dem Großherzogtum Luxemburg, sowie den deutschen Bundesländern Rheinland-Pfalz und Saarland. Und das Projekt, so bürokratisch der Titel „Kooperation für Musik in der Großregion“ auch klingt, ist ausgesprochen erfolgreich. Bereits zum dritten Mal haben sich nun junge Musiker auf dem Weg ins Profidasein zusammen gefunden, um ein anspruchsvolles Orchesterprogramm auf die Beine zu stellen. Nach einer intensiven Probenphase standen Konzerte in den Metropolen der beteiligten Gebiete an.

In Mainz ist die Hochschule für Musik Rheinland-Pfalz seit Anfang an der Kooperationspartner des Projekts. Ein Hornist, ein Trompeter, eine Geigerin, ein Bratschist, zwei Cellistinnen und ein Kontrabassist aus den Mainzer Klassen waren mit dabei und hatten bereits mit ihren Kolleginnen und Kollegen erfolgreiche Konzerte in Nancy, Liège und Völklingen absolviert.

Im Mittelpunkt des Konzerts in der Phönix-Halle stand nun das Cellokonzert e-Moll von Edward Elgar. Als Solistin trat die Pergamenschikow-Schülerin Francoise Groben an. Die junge Musikerin, die bereits auf zahlreichen Erfahrungen mit renommierten Orchestern und Kammermusikpartnern zurückblickt, stieg mit viel Emotion in die ersten Takte ein. Sie verfügt über einen sanften, gleichzeitig voluminösen Klang, den sie klar zu differenzieren weiß. Ihr gelang es, dauerhaft atemlose Spannung herzustellen, um dann gleich darauf wieder äußerst temperamentvoll aufzutreten.

In den Orchesterstücken, Elgars Froissart-Ouvertüre und der 1. Sinfonie c-Moll von Johannes Brahms überraschte das Orchester mit einem ausgewogenen Klangbild. Ein weicher Streicherapparat lotete die dynamischen Grenzen fließend aus, dazu kamen kraftvoll wie präzise musizierende Blechbläser und fein abgestimmtes Holz. Erstaunlich, wie es dem Dirigenten Elgar Howarth in kürzester Zeit gelungen ist, aus den unterschiedlichen Musikern, die sich größtenteils vorher nicht kannten, eine weitestgehend harmonisch musizierende Gemeinschaft zu formen.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Sonntag, 4. November 2007

Felix Prader inszeniert „Die schöne Helena“ von Jacques Offenbach am Staatstheater Mainz

„Vielleicht muss man das heute so machen“, meint der ältere Herr im Fahrstuhl ein wenig resigniert zu seiner Begleiterin. Diese nickt nur müde. Beide scheinen bei aller Toleranz, um die sie sich bemühen, vor allem eines zu sein: traurig. Für sie ist es schade um einen Theaterabend, der amüsant hätte sein können und in ihren Augen doch vor allem zur Klamotte geriet. „Die Schöne Helena“, Jacques Offenbachs Opéra bouffe stand in Mainz auf dem Spielplan. Regisseur Felix Prader hatte bereits im Vorgespräch angekündigt, dass er keine historisierende Griechengeschichte erzählen will. Seine Vorstellung von Werktreue ist die zeitgemäße Veränderung. Denn schließlich gehe es heute ebenfalls darum, die Handelnden so zu zeigen, wie sie Offenbach gemeint habe: eben im Hier und Jetzt verankert.

Die schlimmsten Untiefen menschlichen Zusammenlebens hat Prader ausgekramt, um sie seinen Helden überzustülpen. Sie leben auf einem Campingplatz. Natürlich einem griechischen. Helena träumt einen eher bizarren Traum, vorher hat Kalchas, Großaugur des Zeus, die Spielregeln erklärt. In Praders Version ist er ein proletenhafter Platzwart. Ihm zur Seite steht ein ganzes Panoptikum an archetypischen Camper-Gestalten, so wie man sie, wenn man nicht selbst zu den Freilufturlaubern zählt, eigentlich nur aus den „Reportage“-Formaten der Privatsender her kennt (und nicht glauben mag, dass es sie in so großer Zahl gibt).

Hier also wird die Geschichte der schönen Helena verhandelt, die eigentlich dem etwas trotteligen Menelaos angetraut ist. Doch wie es nun mal so ist als Spielball der Götter, wird sie flugs dem Paris versprochen, weil er Venus zur schönsten Göttin gekürt hat. Der erobert die schöne Sterbliche kurzerhand, indem er ihr vorgaukelt, dass alles nur ein Traum sei – und in dem könne man ja mal versuchen… Zwischendurch wird ein Intelligenz-Wettbewerb ausgerichtet - schließlich ist der Pöbel nicht nur schön, sondern auch klug -, den Paris selbstverständlich gewinnt. Agamemmnon, hier in Gestalt eines Alleinunterhalter-Verschnitts, leitet die Show. Hinzu kommen krude Typen, die sonst Helden wären. Achill etwa im Gips, wegen der Achilles-Ferse.

Es ist vor allem dem Ensemble zu verdanken, dass die Fassung nicht ins Peinliche abrutscht. Denn allen auf der Bühne ist eine unbändige Spielfreude anzusehen. Ob sie sich eine „Augen-zu-und-durch“-Mentalität angeeignet haben, sei dahin gestellt. Auf jeden Fall hat es etwas von der Unbekümmertheit derer, die nichts mehr zu verlieren haben. Und so funktioniert es dann auch. Vor allem Patricia Roach glänzt als rappender und Müllwagen-surfender Orest, der außer Partys nichts im Kopf hat. Sie kann auch stimmlich voll und ganz überzeugen. Ebenfalls perfekt besetzt ist Jürgen Rust in der Rolle des Menelaos. Rusts komisches Talent und sein schneidender Tenor werden hier gebraucht. Etwas zu dramatisch fallen Tamara Gallo als Helena und Sergio Blasquez als Paris aus. Der Chor hat viel zu tun und nimmt seine Rolle mit Elan an, ebenso wie das Orchester unter Leitung von Thomas Dorsch.

In verschiedenen Fassungen veröffentlicht, unter anderem in der Frankfurter Neuen Presse

Samstag, 27. Oktober 2007

Die Mainzer Gitarristin Anna Koch stellt ihr neues Programm ¡Ay, coracón! mit der Mezzosopranistin Barbara Ostertag vor

Mit ihrem Konzert am Samstag kehrt die junge Gitarristin Anna Koch an den Ort zurück, wo ihre musikalische Ausbildung begann. Hier, am Peter-Cornelius-Konservatorium war sie Jungstudentin bei ihrem Vater Michael Koch. Schon früh gewann sie bei internationalen Wettbewerben, trat im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt und bei der Expo Hannover auf. Später studierte sie bei Sonja Prunnbauer in Freiburg und als Erasmus-Stipendiatin bei Carlo Marchione in Maastricht. Seit April ist sie Studentin in der Gitarrenklasse von Johannes Monno in Stuttgart.

Gemeinsam mit der Freiburger Mezzosopranistin Barbara Ostertag hat sie nun ein Programm unter dem Titel ¡Ay, coracón! ausgearbeitet. Dahinter stecken spanische, französische und englische Komponisten, die fast alle aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammen. „Die Lieder verbindet alle eins: sie basieren auf Volksweisen der jeweiligen Länder und wurden von den Komponisten aktuell bearbeitet“, gibt Anna Koch Einblick in das Programm. Sie spricht dabei von „viel Temperament und Melancholie“ bei den Spaniern, die Stücke aus Frankreich seien „sehr leicht und nobel“, die Briten hingegen wiesen „viel Humor und Ironie“ auf. Und natürlich gibt es auch einige Liebeslieder.

Anna Koch hat sich in ihrem Studium auf die klassische Gitarre spezialisiert, auch wenn es schon einmal einen Abstecher zur Barock-Gitarre gab. „Ich begleite unheimlich gern“, sagt sie und weist damit auf einen künstlerischen Schwerpunkt hin. „Man hat dabei eine schöne Rollen, kann unterstützen und selbst viel mit hineingeben“, findet sie. Auch die Arbeit mit den Texten interessiert sie dabei. Mittlerweile unterrichtet sie selbst an einer Musikschule und hat darüber hinaus private Schüler. Kürzlich hat sie bei den Aschaffenburger Gitarrenfestspielen debütiert und wird im kommenden Jahr nach Japan fahren.

Nach Abschluss des Studiums wird es sie jedoch zunächst in den Schuldienst verschlagen, denn sie hat Deutsch und Musik auf Lehramt studiert. Die Gitarre wird dann aber nicht in die Ecke gestellt. Am liebsten wäre es ihr, eine halbe Stelle an einem Gymnasium zu bekommen und die restliche Zeit der künstlerischen Arbeit widmen zu können.

Das Konzert findet am Samstag, 27. Oktober um 20 Uhr im Peter-Cornelius-Konservatorium statt.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Donnerstag, 25. Oktober 2007

Mit dem Performance Art Depot bekommt die Kulturszene in Mainz eine neue Spielstätte

Von so einem Glücksfall träumen wohl die meisten Künstler. Und auch Peter Schulz und Nic Schmitt hatten erst einmal gar nicht damit gerechnet. In der Leibnizstraße entdeckten sie einen kleinen Laden, den sich die Performance-Künstler einmal genauer anschauen wollten. Was sie nicht erwartet hatten: Darunter befindet sich ein fast 600 Quadratmeter großer Hallenkeller. Den wollen beide nun so weit herrichten, dass daraus mittelfristig eine neue Spielstätte entsteht. Ein Trägerverein befindet sich bereits in der Gründungsphase, er soll das zukünftige „Performance Art Depot“, kurz „pad“ bewirtschaften.

Geplant sind Produktionen und Präsentationen zeitgenössischer Kunst – ein Bereich, der in Mainz bisher nur am Rande die Möglichkeit hat, sich zu präsentieren. Schon am Wochenende vom 23. bis 25. November soll es einen ersten Einblick in die Möglichkeiten des „pad“ geben. Dafür können sich noch Künstler bewerben, die sich schon jetzt an der Belebung der neuen Spielstätte beteiligen wollen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, möglich sind Aufführungen jenseits des klassischen Literaturtheaters, Installationen, szenische Lesungen und andere alternative Inszenierungsformen und Kunst-Aktionen. Auch Video-Installationen und Filmvorführungen kann sich das Produktionsteam Schmitt und Schulz vorstellen.

Beide haben in Mainz Theaterwissenschaft studiert und sind in der Region keine unbeschriebenen Blätter. Peter Schulz leitete jahrelang den Theater-Ausschuss der Universität und ist in zahlreichen öffentlichen Kunstaktionen in und um Mainz hervorgetreten. Nic Schmitt hat ebenfalls einige Projekte hinter sich und war unter anderem an der Organisation des Rüsselsheimer Kultursommers beteiligt. Bei der Bischofsheimer „Gangart 2006“ stellten sie gemeinsam ihr Projekt „Spielstädte“ vor.

Durch ihre bisherige Arbeit haben sie es geschafft, erste Ausstattungs-Elemente zusammen zu tragen. Für Bühnenteile und Bestuhlung ist bereits für den Anfang gesorgt, wenn alles klappt, stehen noch ein Tanzboden und die immer wieder notwendigen schweren Molton-Tücher in Aussicht. Unterstützung ist aber noch an allen Ecken und Enden dringend notwendig. Bislang bestreiten die beiden engagierten Künstler alle Ausgaben aus eigener Tasche. Allein die Beheizung des riesigen Raumes würde monatlich über 1.000 Euro kosten. Noch ist ihnen der Vermieter bei der Kaltmiete deutlich entgegen gekommen, doch auch hier werden auf mittlere Sicht hohe Kosten anfallen.

Deshalb hoffen Schmitt und Schulz nicht nur auf rege Beteiligung der Mainzer Kunstszene, sondern auch auf Unterstützung durch Privatleute und Unternehmen. Es geht um konkrete Sachspenden, auch eine regelmäßige finanzielle Unterstützung wäre viel wert. Für das Mainzer Kulturleben jedenfalls, das zeigt sich bereits jetzt, wäre ein erfolgreiches „Performance Art Depot“ eine absolute Bereicherung. Und vielleicht sind ja auch noch ein paar öffentliche Gelder aufzutreiben.

  • Kontakt zum Produktionsteam: schmittundschulz@pad-mainz.de
  • Internetseite: www.pad-mainz.de
  • Künstler können sich noch bis zum 31.10. mit Ideen für das Vorstellungswochenende im November bewerben
Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Dienstag, 23. Oktober 2007

William Relton inszeniert Albert Lortzings "Der Wildschütz" am Staatstheater Darmstadt

Irgend etwas fehlt hier. Wenn William Relton in Darmstadt Albert Lortzings Komische Oper „Der Wildschütz“ inszeniert, bleibt in jeder Szene ein leeres Gefühl zurück. Was da auf der Bühne geschieht, hat weder den Anspruch einer eigenen Deutung des Stoffes, noch lässt sich ein Erzählfaden des Regisseurs entdecken. Im Gegenteil, alles wirkt wie ein einziges Volkstheater mit schnellen Pointen, die sich in der zigfachen Wiederholung aber rasch abnutzen. Der Anfang wirkt irgendwie noch originell, wenn die Hochzeitsgäste mit Äppelwoi aus zünftigen Bembeln anstoßen und der eine oder andere hessische Dialektfetzen erklingt. Doch nach einer Weile der Schreck: Die hessischen Dialoge von Michael Wambold ziehen sich durch das ganze Stück. Ganz egal, ob die Darsteller dazu in der Lage sind oder es einfach nur peinlich klingt. Relton wäre gut beraten gewesen, diesen an sich ordentlichen Einfall komplett an Hans-Joachim Porcher abzuarbeiten, der als Hausdiener Pankratius als einziger echtes komisches Talent im geforderten Sinn beweist.

Auch die Bühne von Heinz Balthes macht nicht so richtig glücklich. Sie wirkt monströs, bleibt aber eindimensional und wirkt wie die vervielfachte Kulisse eines Puppentheaters. Hier ist die Idee ebenfalls wieder einfallsreicher als die Ausführung zwischen hessischem Fachwerk und griechischem Bad. Die typische Verwechslungskomödie wird ansonsten aber temporeich erzählt. Dazu gehört es auch, dass die einzelnen Personen überzeichnet wirken und gerne ins Lächerliche gezogen werden. Der Regisseur sieht keinen Grund, sich schützend vor die Charaktere zu stellen, sondern lässt sie jeweils in ihrer Plumpheit ins offene Messer laufen.

Natürlich steht der arme Schulmeister Baculus (Thomas Mehnert) im Zentrum des Spotts. Der nicht mehr ganz junge Beamte hat sich in Gretchen (Margaret Rose Koenn) eine deutlich jüngere Braut gesucht, die ihm nur in Maßen zugetan ist. Als er nächtlich auf die Pirsch geht, um einen Braten zu schießen, fehlt er nicht nur sondern wird auch noch erwischt, so dass der Graf ihm sein Amt entziehen möchte. Da tritt Baronin Freimann (Anja Vincken) auf den Plan. Sie ist die Schwester des Grafen, erscheint dem Schulmeister aber als Student, dem Bruder später als Gretchen. Als solche wird sie vom Grafen (Oleksandr Prytolyuk) und dessen vermeintlichen Stallmeister (Mark Adler) umworben, der sich später als Baron Kronthal, der Bruder der Gräfin (Elisabeth Hornung) herausstellt. In dieser Maskerade wurde er auch von der eigenen Schwester als Objekt der Begierde entdeckt.

Insgesamt geht das unterhaltsame Spektakel munter vonstatten, es erhebt keinen besonderen Anspruch an mögliche Entlarvungen menschlicher Irrungen und Untiefen. Vielleicht muss das ja auch nicht immer sein. Unter der Leitung von Lukas Beikircher ist das Orchester des Staatstheaters ein zuverlässiger und stimmungsvoller Begleiter, auch der Chor bringt zusätzlichen Schwung ins Geschehen.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Freitag, 19. Oktober 2007

Wilde Worte bei Poetry Slam, Lesungen und Open Mic in Wiesbaden

Begonnen hat alles im Februar 1999. Da begann der spätere Verein „where the wild words are“ mit den ersten Veranstaltungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Drei Jahre später gründeten die Frauen und Männer der ersten Stunde einen eingetragenen Verein für Literatur, Kunst und wilde Worte. Neun bis zehn Veranstaltungen gab es in der Räucherkammer des Kultur- und Kommunikationszentrums Schlachthof, mittlerweile werden noch acht pro Saison ausgerichtet. Immer geht es um das gesprochene, in aller Regel auch gelesene Wort.

Sie heißen „Poetry Slam“ oder „Open Mic“ und binden dabei stets das Publikum mit ein. Aber natürlich gibt es auch reguläre Lesungen mit Gastautorinnen und –autoren aus ganz Deutschland. Beim Poetry Slam geht es darum, das Publikum von seiner eigenen Leistung zu überzeugen. Die Teilnehmer lesen eigene Texte vor, die ganz unterschiedlichen Charakter haben. Am Ende entscheiden die Gäste mit ihrem Applaus über das Wohl und Wehe der Teilnehmer. Mittlerweile gibt es eine bundesweit vernetzte Szene, die Slammer kommen aus der ganzen Republik, reisen zu Veranstaltungen, die ihnen wichtig erscheinen.

„Aktionismus“ ist die Antwort, die Bettina Lehmann gibt, wenn sie gefragt wird, was die Motivation für die Anfangs-Mannschaft war, sich ehrenamtlich um wilde Worte zu kümmern. Bevor sie damit angefangen hatten, gab es bereits ähnliche Veranstaltungen unter dem Begriff „Laboratorium“, die aber nach und nach eingeschlafen waren. Diese wollten die Wildwortler weiter am Leben erhalten, was ihnen bis in die Gegenwart auch gelungen ist. Die Veranstaltungen sind immer wieder gut besucht, außerdem präsentiert sich der Verein bei Großveranstaltungen in der Region, wie etwa „Folklore im Garten“ oder „Open Ohr“ in Mainz.: „Die Leute bleiben und laufen nicht einfach nur vorbei“, hat Bettina Lehmann erlebt. So kommen bei solchen Auftritten schnell mal um die 300 Zuhörer zusammen.

Von dem knappen Duzend Aktiven der Anfangszeit ist außer Bettina Lehmann nur noch Uwe Kisielowski mit dabei. Jens Jekewitz war ein Slammer, der später Mitorganisator war, dann stießen noch Vera Sauer, Sabrina Schlemmer, Hendrik Hartemann und in diesem Jahr Daniel Bauer dazu. Auf den Schultern dieses Teams ruhen sämtliche Organisationsaufgaben. Nach wie vor sind alle ehrenamtlich aktiv. Unterstützung erhält der Verein vom Kulturamt und vom Schlachthof. Um in Zukunft öfter Autoren einladen zu können, die von weiter weg kommen, will sich der Verein auf Sponsorensuche begeben. „Durch Externe werden die Veranstaltungen einfach vielfältiger“, weiß Bettina Lehmann.

Was sie an der Literatur fasziniert, beantwortet sie wieder ganz pragmatisch: „Man liest ja“, sagt sie ohne zu zögern und ein wenig erstaunt. Bei ihr und ihren Kollegen scheint das selbstverständlich zu sein. Und diese Ansicht geben sie mit ihren Veranstaltungen ein Stück weiter. „Wir wollen einfach was tun und es ist immer wieder schön, wenn eine Veranstaltung gut gelaufen ist und man sich auf die nächste freuen kann“, erzählt sie weiter. Die Juristin ist im Verein zuständig für die Pressearbeit, dank ihr ist auch die Homepage immer auf dem neusten Stand. So wie sie, hat jeder im Verein eine klare Aufgabe, so dass sich alle aufeinander verlassen können.

Arbeit macht sich der Verein jedenfalls genug. Er hat auch eine eigene Sendung, die an jedem Donnerstag der ersten geraden Kalenderwoche im Monat zwischen 18 und 19 Uhr auf Radio Rheinwelle läuft. Am 24. Oktober steht wieder ein Poetry Slam im Schlachthof an, bei dem noch ein paar Plätze auf der Bühne zu vergeben sind. Bisher gibt es Teilnehmer aus der Region, einige reisen aus Bonn, Bochum oder Bordeaux an. Am 28. November wird Daniela Böhle von der Berliner „Reformbühne Heim und Welt“ lesen. Beim anschließenden Open Mic ist das Publikum aufgefordert, das Mikrofon zu erobern.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt

Dienstag, 16. Oktober 2007

Alessandro Scarlattis Oper "La Giuditta" in Mainz

Die Geschichte stammt aus dem biblischen Buch Judith und ist fesselnd wie grausam zugleich. Die israelische Stadt Betulia steht kurz vor ihrer Vernichtung durch den assyrischen Feldherrn Holofernes. Der befindet sich gerade mitten in einem Plünderungs- und Eroberungsfeldzug, hat bereits zahlreiche Städte zuvor zerstört. Dementsprechend deprimiert ist die Stimmung unter den Oberen der Stadt. Da mischt sich mit der jungen Witwe Judith eine Frau ein, die glaubt, dem Treiben des Holofernes Einhalt gebieten zu können.

Diese Geschichte verpackte Alessandro Scarlatti nach einem Text seines Gönners Kardinal Pietro Ottoboni in den 1690er Jahren zu einem szenischen Oratorium. Das kaum mehr bekannte Werk wurde nun vom Jungen Ensemble des Mainzer Staatstheaters im Kleinen Haus aufgeführt – möglicherweise eine deutsche Erstaufführung.

Judiths spektakulärer Plan: Sie versucht, sich in das Lager des Assyrers einzuschmuggeln, ihn zu bezirzen und schließlich zu töten. Was sie vorhat, geht auf. Es kommt zu einer der berühmtesten Enthauptungen der Menschheitsgeschichte. In der Zwischenzeit aber erweisen sich die in der Stadt verbliebenen Entscheider als höchst wankelmütig. Ein von Holofernes übergelaufener Hauptmann flüchtet in die Stadt und wird vom Hohepriester und dem Fürsten Ozia skeptisch beargwöhnt. Als er davon berichtet, Judith im Lager gesehen zu haben, scheinen sie wieder beruhigt, doch als sie einige Tage nichts neues erfahren, ist ihr Glaube dahin und sie bereiten sich darauf vor, sich dem Eroberer zu unterwerfen. Just in diesem Moment erscheint Judith mit dem Haupt des Holofernes.

Die Inszenierung von Arila Siegert zeigt sich als überaus konzentriert und besticht durch eine klare Personenführung, die mitunter etwas schablonenhaft wirkt, gerade dadurch jedoch an Reiz gewinnt. Außerdem setzt sie auf Symbolkraft. So hat die vorher ganz in weiß gekleidete Judith nach ihrer Tat ein blutrotes Kleid an, die sich ergebenden Israeliten werden mit einem Stempel im Pass gekennzeichnet, bevor sie ins feindliche Lager können. Das alles geschieht jedoch ohne platte Aktualisierungs-Zwänge, sondern passt sich in die zeitlose Inszenierung von Arila Siegert ein. Das Bühnenbild von Hans Dieter Schaal bleibt überschaubar. Die weißgetünchten Wände mit großen Durchgängen und einem Einschusskrater dient gleichermaßen als Kulisse für die Heimstätte der Bürger Betulias wie für das Kriegslager der Assyrer.

In der Titelpartie überzeugt Ensemble-Mitglied Tatjana Charalgina mit angenehm offenem Sopran, der sowohl koloraturensicher ist als auch im emphatischen Einsatz bestens wirkt. Den Fürsten Ozia gibt Jasmin Etezadzadeh darstellerisch und sängerisch sehr ausgereift wieder, in die Rolle des Hohepriesters findet sich Kyoung-Suk Baek problemlos hinein. Mitunter etwas angestrengt wirkt der Counter Dmitry Egorov, was aber seine ansonsten tadellose Leistung nur selten schmälert. Als Hauptmann Achiorre ist schließlich Martin Erhard mit heller, ungekünstelter Stimme zu hören. Unter der Leitung von Clemens Heil macht das zu barocker Größe geschrumpfte Staatsorchester einen überaus beweglichen Eindruck.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse und im Darmstädter Echo

Montag, 15. Oktober 2007

Götz Alsmann mit neuem Programm "Mein Geheimnis" in Mainz

Warum sollte man ihm nicht glauben? Also tun wir es auch und nehmen jedes Wort, das er auf der Bühne erzählt, für bare Münze. Demnach hat sich Folgendes zugetragen. Eines Tages stieß Götz Alsmann beim gemeinsamen Buddeln mit Indiana Jones auf ein seltsames Bauwerk. Drinnen stieß er auf eine Kiste mit lauter Noten, die er fortan auch spielen sollte. Da kommen sie also her. All die jazzigen Schlager, die seit 40 oder 50 Jahren niemand mehr gespielt oder gesungen hat. Götz Alsmann hat sie als Musik-Archäologe wieder hervor gegraben, entstaubt, geputzt und auf Hochglanz gebracht. All das mit seinem eigenen Charme-Aufgebot das sich zwischen Schwiegermuttis Liebling und Vorgartenschreck bewegt.

Mit spitzbübischem Grinsen und dieser typischen Haartolle, die von mal zu mal vorlauter emporzustechen scheint, hat sich Alsmann einen ganz eigenen Platz in der deutschen Musikszene erspielt. Brillant sein Spiel am Klavier, der Mann hat Jazz im Blut und der wird direkt auf die Finger auf die Tasten übertragen. Alles, was er da spielt, klingt wie nebensächlich dahinimprovisiert und funktioniert jedes mal wieder. Seine Stimme wäre kaum der Rede wert, wenn der promovierte Musikwissenschaftler daraus nicht eine ganz besondere Sinnlichkeit heraus arbeiten würde, die mit nur in Maßen versteckter Ironie und einer großen Liebe zum gesprochenen Wort glänzt.

Sein aktuelles Programm „Mein Geheimnis“, das er nun in den Mainzer Kammerspielen aufzubieten hatte, ist eine gelungene Fortsetzung seines erfolgreichen „Kuss“-Programms. Wieder einmal sind die Perlen des Jazz-Schlagers versammelt, aufgefrischt mit pfiffigen Arrangements, ergänzt mit einigen Eigenheiten des Meisters, der gerne auch selbst schreibt. Ihm zur Seite steht erneut eine eingeschworene Mannschaft, deren musikalischer Teamgeist nicht oft genug lobend erwähnt werden kann. Altfried Maria Sicking beherrscht die Klöppel an Vibra- und Xylophon in virtuoser Perfektion, egal ob beim treibenden Latin-Verschnitt oder als einziger Begleiter von Alsmanns sonorem Tenor. Rudi Marhold ist der dezente Rhythmusgeber im abgehangenen Swing-Stil, dazu trommelt Markus Passlick auf seinen Congas und Bongos, was die Fingerkuppen hergeben. Die Ruhe selbst ist schließlich Rudi Marhold am Bass.

Gemeinsam gelingt es ihnen, vergessen geglaubte Töne und Texte wieder zu neuem Leben zu erwecken und dabei daran zu erinnern, dass auch die Wirtschaftswunderzeit so ihre amourösen Zweideutigkeiten liebte.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Donnerstag, 11. Oktober 2007

Ralf Dreis übersetzt die griechische Autorin Lily Zografou

Alles begann eigentlich recht zufällig. Ralf Dreis zog es nach dem Abitur per Autostop nach Griechenland, wo er ein „wunderschönes, beeindruckendes Land“ kennen lernte. Er fand Freunde in Thessaloniki, verliebte sich dort und kam immer wieder her. Mitte der 90er Jahre wollte er endlich die Sprache richtig lernen und schrieb sich vor Ort an der Uni ein, beschäftigte sich acht Monate lang mit dem Neugriechischen. Dann blieb er für weitere fünf Jahre im Land, arbeitete in seinem erlernten Beruf als Gärtner und schrieb für eine linke deutsche Tages-, später Wochenzeitung über die politische Lage.

In Griechenland beschäftigte er sich auch mit der dortigen Literatur, stieß erst auf Chronis Missios, später auf Lily Zografou. „Eine sehr bekannte Schriftstellerin dort“, wie er weiß. Immerhin wurde ihr Erzählband „Beruf: Hure“ bereits in der 40. Auflage gedruckt. „Ich habe mir dann zum Ziel gesetzt, ihr Werk in Deutschland bekannt zu machen“, erzählt Ralf Dreis. Also machte er sich an die Übersetzung und fand im Verlag Edition AV einen Partner, der zum Druck bereit war. Dort lief gerade eine Themenreihe „kämpferische Frauen“ an.

Dreis zeigt sich nicht nur von der Literatin, sondern auch von Lily Zografous Biografie fasziniert. Die 1922 geborene Frau ging in den Widerstand gegen die deutschen Besatzer, brachte in Kriegsgefangenschaft ihre Tochter zur Welt. Später sei sie weiterhin „unangepasst und kämpferisch“ gewesen und bezeichnete sich als „freiheitliche Kommunistin“, überwarf sich mit der stalinistisch geprägten griechischen Kommunistischen Partei. Auch gegen die bürgerliche Feminismus-Bewegung argumentierte sie vehement, weil den Frau hier erneut vorgeschrieben werde, wie sie sich zu verhalten hätten.

Die Erzählungen in „Beruf: Hure“ handeln teilweise von Begebenheiten während der Militärdiktatur, behandeln aber auch den Themenbereich Liebe und Einsamkeit im Alter. „Meiner Meinung nach hat sie sehr viel Witz“, sagt Ralf Dreis. Und sie vermittelt darin ein „anderes Griechenland“, das dem Touristen in der Regel verborgen bleibt.

  • Die von Ralf Dreis übersetzten Erzählungen „Beruf: Hure“ und der Roman "Meine Frau, die Schlampe" sind in der Büchergilde Gutenberg am Bismarckring erhältlich.

Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier

Mittwoch, 10. Oktober 2007

Vorschau auf Alessandro Scarlattis szenisches Oratorium "La Giuditta" am Staatstheater Mainz

Die Geschichte, die erzählt wird, ist so eindrucksvoll wie grausam. Der Feldherr Holofernes ist auf Geheiß von Nebukadnezar aufgebrochen, um das Volk von Betulia zu Steuerzahlungen zu zwingen. Die schöne Judith will ihre Stadt retten und gelangt heimlich in das feindliche Lager, wo Holofernes ihrem Zauber erliegt. Als er betrunken in den Schlaf fällt, wird er von Judith enthauptet, ihr Volk ist gerettet.

Diese alttestamentarische Geschichte hat Alessandro Scarlatti Ende des 17. Jahrhunderts unter dem Titel "La Giuditta" zu einem szenischen Oratorium geformt, das nun am 13. Oktober im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters Premiere feiert. Das Werk ist damit gleichzeitig der Auftakt zu einer Operntrilogie, die sich über drei Spielzeiten hinweg erstreckt und das Motto „Gottes starke Töchter“ trägt. In die Produktion wird das „Junge Ensemble“ einbezogen sein, außerdem wird hierfür eng mit der Mainzer Musikhochschule zusammengearbeitet.

Von dem Werk gibt es lediglich zwei CD-Aufnahmen, „szenische Aufführungen sind uns nicht bekannt“, sagt Musikdramaturgin Anne do Paco und bezeichnet das Stück als „sehr theaterwirksam“. Gespielt wird die erste Fassung von 1694, hinzu kommt noch ein Schlaflied aus einer späteren Fassung, das an das Ende des Stückes gestellt wird. Regisseurin Arila Siegert spricht von einer „sehr dramatischen Musik“, die in Szene gesetzt wird. Bei ihr bekommt jeder Darsteller eine wichtige Rolle zugeordnet. Selbst die Statisten-Rollen werden von Sängern besetzt, die bei den Vorstellungen alternierend auch Hauptrollen übernehmen.

Das Stück beginnt in Siegerts Deutung in einer jüdischen Privatvilla, die von Holofernes geräumt wird. Auf der Bühne des Kleinen Hauses will sie einen „starken, imposanten Raum“ erschaffen. Clemens Heil, der die musikalische Leitung hat, zeigt sich von der Ambivalenz des Stückes fasziniert, das sowohl Oper als auch Oratorium ist und Arien aufweist, „die die gesamte menschliche Leidenspalette“ abbilden. „Das Stück ist wie ein Thriller“, findet der Dirigent und sieht die „musikalischen Ebenen virtuos miteinander verbunden“. Für Arila Siegert ist das Stück „poetisch und zweideutig“, sie erkennt den Figuren verschiedene Gesichter zu und entdeckt auch einen erotischen Moment, der zwar umspielt, aber nie explizit genannt wird. „Die Arbeit daran ist ein kleines Abenteuer“ resümiert sie.

  • Die Premiere am 13. Oktober ist bereits ausverkauft
  • Weitere Aufführungen am 18. und 26. Oktober
  • Das „Junge Ensemble“ ist eine Kooperation des Staatstheaters mit der Musikhochschule Mainz und dem Peter-Cornelius-Konservatorium
  • Kartentelefon: 06131-2851-222
Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Dienstag, 9. Oktober 2007

„Tangerine Dream“ mit "One Night in Space“ in der Alten Oper

Die müssen ein eigenes Kraftwerk mitgebracht haben. Oder einen Sonderpreis für die Stromversorgung mit der Alten Oper vereinbart haben. Dieser Gedanke drängt sich unmittelbar auf, wenn man das Aufgebot an technischem Gerät sieht, das sich auf der Bühne auftürmt. „Tangerine Dream“ gab sich die Ehre, einen der wenigen Live-Auftritte in Frankfurts Guter Stube zu zelebrieren. Und mit zelebrieren ist auch wirklich das genüssliche Abfeiern technisch wie musikalisch ausgereifter Finessen gemeint. Was das Quintett um Keyboard-Altmeister Edgar Froese zusammengezaubert hat, liegt fernab jeder Vergleichbarkeit.

Der Synthesizer-Boom ist längst abgeebbt, doch „Tangerine Dream“ hatte noch nie Probleme damit, sich rein gar nicht um die aktuellen Trends zu scheren. Und so dröhnen bis zu drei Keyboards von Froese, Thorsten Quäschning und Bernhard Beibl durch die Halle, begleitet von mondänen Perkussions-Arrangements aus den flinken Händen von Iris Camaa, dazu schneidende oder einschmeichelnde Soli, je nachdem, wie es gebraucht wird, von Linda Spa.

Es lässt sich oft nicht sagen, wie die Kommunikation untereinander bewerkstelligt wird, welcher Klang gerade von wem erzeugt wird, oder etwa wo der zusätzliche Rhythmus herkommt, der eindeutig nicht von Iris Camaa stammt. Doch dieses Versteckspiel vor dem Publikum stört den musikalischen Eindruck ganz und gar nicht. Beste optische Ergänzung erhält der akustische Festschmaus durch Aufnahmen aus dem All. Da sind technische Details zu sehen, Nahaufnahmen eines Starts, Planeten in unterschiedlicher Konstellation und Größe. Ein ganzer Kosmos, der das musikalische Universum von „Tangerine Dream“ passgenau ergänzt.

Wenn sich die Musiker laut Presseinfo als „Botschafter einer weltoffenen, grenzenlosen Musik“ bezeichnen, dann ist das hoch gegriffen, doch keinesfalls abwegig. Die musikalischen Einflüsse, die hier im elektronischen Schmelztiegel landen, kennen tatsächlich keine Trennlinien mehr. Die verschwimmen oder sind von vorne herein gar nicht mehr wahrnehmbar. Deshalb ist die Einordnung nach wie vor schwer. Elektro-Pop ist das nicht, dafür steckt zu viel Experiment dahinter, doch für neutönende Avantgarde ist das alles zu gut verträglich. Also kein Etikett, einfach „Tangerine Dream“.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Montag, 8. Oktober 2007

Ansgar Weigner inszeniert die Künneke-Operette „Der Vetter aus Dingsda“ im Wiesbadener Staatstheater.

Julia ist schon eine treue Seele. Seit sieben Jahren wartet das naive Ding auf ihren Freund aus Kindertagen und blickt jeden Abend gen Mond. So, wie es sich die Heranwachsenden versprochen hatten. Der ferne Roderich jedoch hat die Kleine längst vergessen und sich im Fantasie-Land Batavia anderweitig vergnügt. Als goldene Zukunftsvision aber besetzt er nicht nur die Hoffnungen der jungen Frau, sondern er geistert auch als Schreckgespenst im Bewusstsein ihres Onkels Josse umher, der seine Vormundschaft über sie für ein Leben in Saus und Braus nutzt.

Im Wiesbadener Staatstheater hat Ansgar Weigner Eduard Künnekes Operette „Der Vetter aus Dingsda“ in einer Mischung aus bezaubernder Klamotte und sorgfältig modellierter Charakterstudie auf die Bühne gebracht. Ihm ist es gelungen, mit dem ausgezeichnet aufspielenden Ensemble eine zeitgemäße Inszenierung zu schaffen, die das Genre durchaus ernst nimmt. Die 1921 in Berlin uraufgeführte Operette bietet leichtfüßige Unterhaltung ebenso wie den Einblick in bürgerlich verkorkste Strukturen am Anfang des 20. Jahrhunderts.

Julias Jungmädchenträume werden von Annette Luig wunderbar anheimelnd nachvollzogen. Ansonsten zeigt sie sich durchaus resolut. Sowohl im Umgang mit Onkel und Tante, als auch mit dem stocksteifen Verehrer Egon von Wildenhagen, der von Klaus Krückemeyer herrlich transusig wiedergegeben wird. Auch die anderen Personen scheinen wie mit spitzer Feder gezeichnet. Da ist Tante Wimpel, die von Angela Mehling dezent überdreht und in ständig wechselnder bizarrer Kostümierung von Renate Schmitzer gespielt wird. Simone Brähler ist als Julias Freundin Hannchen stets die im Hier und Jetzt Verankerte, die zum Schluss aber ihren eigenen Weg gehen will.

In der Rolle des vermeintlichen Roderich, der jedoch nur August, ein weiterer Verwandter der Sippe, ist, kann Carsten Süß auch stimmlich überzeugen. „Wer wagt, gewinnt“, schreibt er am Ende des zweiten Akts resigniert auf die Möbel und verabschiedet sich mit Schuberts „Gute Nacht“ aus der „Winterreise“, eben den Worten „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“. Wolfgang Vater gibt den Onkel Josse überzeugend bärbeißig. Ein „Happy End“ verweigert Ansgar Weigner seinem Publikum so ganz nebenbei. Bei ihm gibt sich der demaskierte August nicht damit zufrieden, nur als Projektionsfläche zu dienen. Als Julia beharrlich in ihm ihren Roderich herbei ruft, zieht er von dannen.

Unter der Leitung seines ersten Kapellmeisters Wolfgang Ott spielt das Staatsorchester gut aufgelegt und beweglich, gibt sich stets munter und voller Tatendrang. Dabei gelingen stimmungsvolle Nuancen, die der Handlung auf der Bühne zusätzlichen Schwung verleihen. Den bringt auch die passgenau eingesetzt Choreographie von Torsten Gaßner mit sich.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Freitag, 5. Oktober 2007

Anu Tali dirigiert das hr-Sinfonieorchester in der Alten Oper

Es war ihr zweiter Einsatz innerhalb weniger Tage am Pult des hr-Sinfonieorchesters. Die estnische Dirigenten Anu Tali war kürzlich erst bei den „Debüt“-Konzerten im HR-Sendesaal zu hören und sprang nun in der Alten Oper für Kirill Petrenko ein. Zwei gewichtige Werke standen ihr bevor. In Ludwig van Beethovens einzigem Violinkonzert hatte Nikolaj Znaider den Solopart übernommen. Sein Spiel erwies sich als sehr überlegen und ruhig, dabei entwickelte er einen beständig vollen Ton in allen Lagen und dynamischen Abstufungen. Sorgfältige musikalische Analyse und ausgefeilte Technik ermöglichten ihm eine nahezu perfekte Interpretation, die an manchen Stellen jedoch etwas unterkühlt und sachlich wirkte. Das Orchester gab sich beweglich und als unverkrampfter Partner des Solisten. Hier wie in der 6. Sinfonie „Pathétique“ von Peter Tschaikowsky machte Anu Tali ihren Anspruch geltend, auf musikalische Entdeckungsfahrt zu gehen und nicht bloß den Status quo zu verwalten. Die verschwenderische Klangpracht im Allegro con grazia ließ sie fast grenzenlos auskosten, die Unruhe im Allegro molto vivace war permanent gegenwärtig, verhinderte aber nicht die flinken Themenübergaben vor dem Hintergrund eines extatisch schwappenden Marschs. Ungeheuer dicht und voller emotionaler Tiefe gelang das Adagio lamentoso im Finalsatz.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Montag, 1. Oktober 2007

Debüt-Konzert im hr-Sendesaal mit der Dirigentin Anu Tali und dem Pianisten Herbert Schuch

Diesmal gab’s ein dreifaches Debüt im hr-Sendesaal und alle sind rundum gelungen. Zunächst einmal die deutsche Erstaufführung von Tonu Korvits’ „Sung into the wind“ – eine 2006 vollendete sinfonische Klangorgie, die vom hr-Sinfonieorchester angenehm unaufdringlich und dennoch ausgesprochen präsent transportiert wurde. Es scheint dabei, als ob eine einzige Klangfläche nur ab und an eine neue dynamische Schattierung erhält, das Ganze bleibt zeitfern und ohne greifbares Metrum, dazu kommen süßliche Melodiefragmente, die eine gewisse konventionelle Struktur erahnen lassen. Der Applaus für den anwesenden Komponisten fiel nach den letzten Takten besonders herzlich aus. Auch Herbert Schuch war hier noch nicht zu hören und führte sich mit dem Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur von Ludwig van Beethoven nachhaltig ins Frankfurter Konzertgedächtnis ein. Sanft, aber mit dem nötigen Nachdruck gelang ihm der langsame Satz, zuvor hatte er sich bereits elegant aus der innigen Orchesterumarmung gelöst, dabei stets die Nähe zum Gesamtklang bewahrt. Faszinierend lebendig dann das gemeinsam angepackte Finale mit dem immer wieder kehrenden Hauptmotiv, das sich in Nuancen unterscheiden lässt und den Satz dadurch so spannend werden lässt. Anu Tali, die beeindruckende estnische Dirigentin schließlich, zeigte besonders in Schostakowitschs 9. Sinfonie Es-Dur, welche Gestaltungskräfte in ihr stecken. Lustvoll modellierte sie den Orchesterklang, ging dabei bestimmt und akkurat vor, formte die Musik exakt nach ihren Vorstellungen. Kraftvoll und effektiv sind ihre Schläge, die sich direkt auf die Musiker übertragen, denen die Spielfreude unter ihrer Gastdirigentin in jeder Sekunde anzumerken war.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Donnerstag, 27. September 2007

Gespräch mit dem Jazz-Gitarristen David Becker

David Becker ist Stammgast im Walhalla-Studio. Und die künstlerische Leiterin Sigrid Skoetz ist auch ganz begeistert von ihm. „Er hat eine ganz besondere Beziehung zum Publikum“, lobt sie „ihren“ Musiker, der ihr seinerzeit von Tilmann Höhn vorgestellt wurde. „Die Konzerte sind immer gut besucht“, freut sich die Veranstalterin. Der Musiker fühlt sich im Walhalla-Studio auch persönlich gut aufgehoben. „Es ist wie ein Zuhause“. Und wenn das ein Mann sagt, der ständig auf Achse ist, hat das etwas zu bedeuten. 100.000 Meilen seien es, die er pro Jahr zurücklegt. Da fällt es schwer, ein Zuhause zu finden. Doch die Lust zu reisen überwiegt bei dem Jazz-Gitarristen.

Im Übrigen hat der in Cincinatti/Ohio geborene Musiker Wiesbadener Wurzeln. Eine seiner Großmütter hat hier gelebt. Und Musik ist ihm quasi in die Wiege gelegt worden. „Meine Vorfahren waren bei Partys von Robert Schumann zu Gast“, erzählt er. Als 19-Jähriger war er zum ersten Mal in Wiesbaden und hatte dabei auch gleich sein Europa-Debüt als Musiker in dem Club „Treppe 14“. Daher freut er sich heute umso mehr, hier wieder einen Auftritts-Ort gefunden zu haben. „Ich hatte lange nicht gedacht, dass es wieder so eine Möglichkeit geben würde“, sagt er.

Gemeinsam mit Sigrid Skoetz freut er sich auf gemeinsame Projekte. Im November soll der große Saal im ersten Stock fertig gestellt sein, dann können sich beide auch Jazz in großer Besetzung oder ganze Jazz-Nächte vorstellen.. Damit hat David Becker Erfahrung. Kürzlich erst war er mit einem klassischen Orchester auf Tournee, hat dabei auch Trompete gespielt.

Seine neuen CD heißt „Leaving Agentina“ und ist „geprägt von Menschen, Landschaften und Musik dieses Landes“, sagt Becker. Dabei kommt eine Melange aus Jazz, Latin, Tango und etwa Folklore heraus. „Es ist eine große Mischung aus allem, was Jazz betrifft“, versucht er eine Einordnung. „Für mich hat Musik einfach keine Grenzen“, so seine Auffassung der eigenen Arbeit. Durch seine Reiselust hat er auch gelernt, jedes Land mit unterschiedlichen Augen zu sehen. Schon sein Vater war daran interessiert, ihm „Kultur zu zeigen“ und ging mit ihm auf große Fahrt. „Das hatte großen Einfluss auf mich“, erinnert er sich.

„Zeitgemäßer Jazz ist anspruchsvoll“, reflektiert er seine Kunst. Und dennoch freut er sich, wenn ein großes Publikum erscheint. „Da sind Teenager dabei, aber auch 80-jährige“, umreißt er seine Fans. Auch die Resonanz übers Internet freut ihn sehr. „Jazz ist nie verschwunden, es kommt immer darauf an, was man daraus macht“, verteidigt er das Genre. „Und wenn wir spielen ist da Publikum ein wichtiger Teil, den wir immer mit einbeziehen“, ergänzt er.

Das nächste Konzert findet am 29. September um 21 Uhr im Walhalla-Studio in der Mauritiusstraße statt.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt