Donnerstag, 31. Juli 2008

Accentus Austria mit spanischer Hofmusik beim Mainzer Musiksommer

Am Hofe Philipps III. ging's musikalisch zu. Der spanische Regent, der zwischen 1598 und 1621 die Epoche, die unter dem Namen „Pax Hispanica“ in die Geschichte einging, prägte, war mehr ein Mann der Feste und Zeremonien als ein großer Kriegsherr. An seinem Hof tummelten sich daher allerlei Musiker und Komponisten, deren Werke heute jedoch nicht mehr allzu bekannt sind. Das Ensemble „Accentus Austria“ hat sich ganz besonders auf diesen Bereich spezialisiert und bot nun beim Mainzer Musiksommer in St. Johannis einen interessanten Einblick.


Das zehnköpfige Ensemble, dessen Stammbesetzung aus Österreich kommt, hat sich die authentische Vermittlung der Musik auf die Fahnen geschrieben. Deshalb spielen die Musiker nicht nur auf historischen Instrumenten, sondern haben zudem die Gesangspartien mit Muttersprachlern besetzt. Der Lebendigkeit des Vortrags ist dieses Vorgehen auf jeden Fall sehr zuträglich. Denn die kleinen Stücke, meist Zwischenaktmusiken zu Theaterstücken des frühen 17. Jahrhunderts, erzählen in der Regel fantasievolle Geschichten.


Thematisch kannten die Musiker seinerzeit keine Grenzen. Meist ging es auch hier um Liebe und auch die Prostitution wurde offen thematisiert. Dem Ensemble gelang es immer wieder, gerade auch durch die Auswahl rhythmisch sehr akzentuierter Stücke, einen Teil der Atmosphäre einer vergangenen Zeit herbei zu spielen. Poetisch ging es in Capitán Mateo Romeros Stück „A la dulca rusa del alva“ zu, enorm zupackend geriet das „Entre dos álamos verdes“ von Juan Blas de Castro. Mit maurischen Einflüssen versetzt ist die Ballade „En los canos de Carmon“ eines anonymen Komponisten, in der sich herausstellt, dass der edle Reiter, der gerade ein junges Mädchen umwirbt, dessen Bruder ist.

Montag, 28. Juli 2008

Aziza Mustafa Zadeh mit "Opera Jazz"

Wem es gelungen ist, den langen Weg zur Wagenausbesserungshalle auf dem Gelände der Landesgartenschau in Bingen hinter sich zu bringen und wer trotz magerer Beschilderung die Hoffnung nicht aufgegeben hat, sein Ziel noch zu erreichen, wurde ausreichend belohnt. Zum Abschluss des Festivals „Rheinvokal“ lud Aziza Mustafa Zadeh zum Konzert unter dem Titel „Opera Jazz“. Wer, wenn nicht sie, kann glaubwürdig das Versprechen ablegen, diese beiden Musikrichtungen schlüssig unter einem Dach zu vereinen.


Die Tochter eines aserbaidschanischen Pianisten und Komponisten sowie einer georgischen Mutter, die klassisch ausgebildete Sängerin ist, zählt zu den Ausnahmetalenten des Jazz. Ihr weltmusikalischer Ansatz kennt keine Grenzen und scheut auch vor der Überwindung traditioneller Schranken nicht zurück. Mit Jazz, Scat-Gesang und des „Mugam“, einer aserbaidschanischen Improvisationskunst, hat sie sich international durchgesetzt. Dass sie auch in klassischen Gefilden beheimatet ist, stellte sie nun einmal mehr unter Beweis.


Auf ihrem aktuellen Album wendet sie einen Kunstgriff an, der in der klassischen Musik zahlreiche große Vorbilder hat. Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Liszt und viele andere Komponisten haben eigene oder fremde Opernwerke gerne für kleinere Besetzung umgeschrieben. Entweder als „Harmoniemusik“ für Bläserensemble oder eben als „Paraphrasen“ für Klavier. Damit konnten populäre Arien auch in kleinerem Rahmen aufgeführt werden, manchmal wurde dafür sogar ganz auf die Singstimme verzichtet. Der Wunsch des Menschen, sich seine Musik überall hin mitnehmen zu können, ist also nicht erst mit der Erfindung tragbarer Abspielgeräte in Erfüllung gegangen.


Mit großer Sensibilität und zupackendem Selbstbewusstsein nimmt sich Aziza Mustafa Zadeh die großen Melodien vor. Als „Queen of the Night“ wirbelt sie durch die schwindeligen Höhen der Rachearie aus Mozarts „Zauberflöte“. Mit ihrem herben Timbre und verträumten Umspielungen verleiht sie dem „Ombra mai fu“ aus der Händel-Oper „Xerxes“ einen ganz besonders sinnlichen Charakter.


Ohnehin gelingt ihr immer wieder diese einzigartige Übereinkunft aus virtuoser Fingerfertigkeit und hohem emotionalen Anteil in der Stimme. Mit diesem Anspruch kann sie auch Prinzessin Sheherazade von Bach träumen lassen, so wie sie sich ohnehin gern von den Altmeistern Bach oder Händel inspirieren. Lässt. Dazu kommt ein sanft säuselndes „Summertime“ als Reminiszenz an den vor fast 30 Jahren verstorbenen Vater, der Gershwin sehr verehrte.


Einziger Wermutstropfen an diesem Abend ist die völlig unzureichende Akustik. Es braucht daher immer wieder viel Wohlwollen und Phantasie, um hinter das Geheimnis der Musik zu kommen. Denn oft wirkt sie hier durch die vorherrschenden Bedingungen kalt oder gar schrill. Da der Direktheit des Raumes mit elektronischen Mitteln nicht ausreichend entgegen gekommen wurde, musste der Zuhörer das entsprechende Manko individuell ausblenden.


Veröffentlicht u.a. in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Regensburger Domspatzen in Eltville

Die Knabenchor-Tradition hat in Deutschland einige hochkarätige Vertreter, die das Feld unter einander aufgeteilt haben. Wer sich einmal von dem besonderen Klang dieser speziellen Chorformation hat fesseln lassen, wird die Begeisterung dafür so schnell sicherlich nicht los. Zu den vier der ganz großen Vertreter dieser Art gehören unzweifelhaft die Regensburger Domspatzen – und das seit mehr als 1.000 Jahren. Denn ihre Tradition geht bis auf die Gründung der Regensburger Domschule im Jahr 975 zurück. Zu den herausragenden Leitern gehörte im übrigen auch Georg Ratzinger, der Bruder des heutigen Papstes Benedikt XVI. Über dreißig Jahre lang prägte er den Chorklang und verhalf den Domspatzen zu ihrem internationalen Ruf.


1994 kam dann Roland Büchner als Domkapellmeister nach Regensburg, ein Amt, das mit der Leitung des renommierten Chores verbunden ist. Nun reisten sie bereits zum dritten Mal auf Einladung der Eltviller Burghofspiele in den Rheingau und präsentierte nden Zuhörern in der Pfarrkirche St. Peter und Paul in Eltville einen mit Bedacht ausgesuchten Querschnitt durch die geistliche Chorliteratur von über vier Jahrhunderten. Angefangen bei Orlando di Lasso, dem Altmeister des 16. Jahrhunderts bis hin zu Enjott Schneider, dem bekannten Münchner Komponisten, der spätestens seit der Filmmusik zu „Schlafes Bruder“ eine hohe Popularität genießt.


Von ihm gab es an diesem Abend gleich auch eine deutsche Zweitaufführung zu hören. Am Tag zuvor hatten die Regensburger den „Sonnengesang des Franz von Assisi“ in Regensburg erstmals in Deutschland gesungen. Im März hatte die Uraufführung bei einer Konzertreise in Südafrika stattgefunden. Das achtstimmige Chorwerk erweist sich als eine ansprechende Vertonung des alten Textes mit deutlich zeitgenössischen Einfärbungen, ohne jedoch in avantgardistischer Phrasendreschrei zu veröden. Im Gegenteil: Durch die Kombination aus altitalienischen Gesängen, Flüsterpassagen und behutsam eingefügten Clustern ist ein äußerst zuhörerfreundliches und dennoch herausforderndes Stück entstanden. Die Regensburger Domspatzen interpretierten ihr Werk mit großem Engagement und klanglicher Strahlkraft.


Auch in den zuvor gehörten Werken, etwa den „Drei Cantica“ von Johann Eccard (1553-1611) erwiesen sich die jungen Sänger als sehr aufmerksam und leistungsfähig. Vital nahmen sie die rhythmischen Herausforderungen an, leuchtend heller Chorsopran stand in erstaunlichem Kontrast zu den profunden Bässen des Chores. Auch für Felix Mendelssohn-Bartholdy fanden sie die angemessene Klangfarbe, ebenso wie für eine Reihe von Werken, die um das zweite Vatikanische Konzil entstanden waren, als es um eine Erneuerung der katholischen Kirchenmusik ging.


Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt

Donnerstag, 24. Juli 2008

Mainzer Musiksommer beginnt

Musikalische Sommerlöcher gibt es schon lange nicht mehr. Zwischen den Spielzeiten von Sinfonieorchestern und Theatern findet eine heiße Phase statt, die das Publikum ins Freie oder zwischen dicke, kühle Mauern lockt. Seit neun Jahren gehört der Mainzer Musiksommer zu den festen Größen. Das Konzept, an historischen Orten mit zumeist jungen Künstlern ein Programm mit dem Schwerpunkt auf Alter Musik anzubieten, hat sich in Mainz bewährt.

Auch in diesem Jahr stehen zahlreiche musikalische Höhepunkte. Bereits am kommenden Dienstag, 29. Juli wird das Eröffnungskonzert eine „Spiritualität auf höchster Ebene“ bieten. So zumindest nennt es Peter Stieber, der als Landesmusikredakteur Rheinland-Pfalz bei SWR2 mit für die Programmgestaltung zuständig ist. Bewährtermaßen findet das Festival in Kooperation mit der Stadt Mainz statt. Den Auftakt gestaltet der Mainzer Figuralchor unter der Leitung von Stefan Weiler gemeinsam mit dem renommierten sächsischen Organisten Hansjörg Albrecht. Hier werden alte und neue Werke neben einander aufgeführt, die Reihe der Komponisten beginnt bei Heinrich Schütz, geht über Brahms, Mendelssohn und Olivier Messiaen und endet bei dem griechischen Komponisten Theodore Antoniou.

10 Musiker haben 20 Stücke mitgebracht, die sie am 30. Juli in der Johanniskirche vorstellen werden. Das Ensemble „Accentus Austria“ spielt Theatermusik, die im 16. Jahrhundert in Spanien angesagt war. Im familiären Rahmen der Villa Musica kommt mit Hille Perl am 8. August eine der ausdrucksstärksten Musikerinnen unserer Zeit nach Mainz. Sie hat sich der „Musik aus den Gemächern von Ludwig XIV“ gewidmet. Begleitet wird die Gambistin von Lee Santana (Laute) und Steve Player (Gitarre). Ebenfalls um geschlagene Saiten geht es am 12. August in der Antoniuskapelle, diesmal mit dem „Barrios Guitar Quartet“, zusammengesetzt aus Musikern der Rhein-Main-Region. Erneut treffen Vergangenheit und Gegenwart aufeinander. Der 20-jährige Pianist Joseph Moog tritt am 14. August in Schloss Waldthausen den Beweis an, dass auch ehemalige Wunderkinder eine Zukunft haben können. Das Programm mit Beethovens Waldsteinsonate und Liszts 12. Ungarischer Rhapsodie benötigt mehr als antrainierte artistische Fingerfertigkeit.

Nur wenige Jahre älter sind die drei Mitglieder des Tecchler Trios, das 2007 den ARD-Musikwettbewerb für sich entschied. Am 17. August sind sie in Schloss Waldthausen zu hören und spielen Werke von Haydn, Schostakowitsch und Rachmaninow. Bulgarische Volksmusik bildet einen weiteren Farbtupfer im ohnehin schon bunten Musiksommer. Am 23. August kommt die „Via Nova Percussion Group“ in den Weihergarten, um Volkstänze, Lieder und Improvisationen für Percussion-Ensemble zu präsentieren.


Weitere Konzerte: Stuttgart Radio Brass am 19.8 in St. Stephan, Ensemble L'Ornamento am 21.8. in der Antoniuskapelle, Calmus Ensemble Leipzig in der Johanniskirche.

Alle Konzerte beginnen um 20 Uhr

Weitere Informationen und Karten: www.mainzer-musiksommer.de oder Telefon 06133-5799991


Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Dienstag, 22. Juli 2008

Oboist Albrecht Mayer und die Sinfonia Varsovia

Zu Zeiten Georg Friedrich Händels, also im 18. Jahrhundert, waren klassische Komponisten so etwas wie die heutigen Hitproduzenten. Waren sie gut im Geschäft, mussten sie im Wochenrhythmus Musik herstellen, sie in Windeseile mit den zur Verfügung stehenden Musikern einstudieren und sie dann zur Unterhaltung der meist adeligen Auftraggeber oder zur Mitgestaltung geistlicher Anlässe aufführen. Dass sie sich dabei oft genug bei alten eigenen und fremden Werken bedienten, gehörte zum alltäglichen Geschäft und wurde als üblich hingenommen.


Nun hat sich der Oboist Albrecht Mayer dieser Methode bedient, ohne freilich die Ergebnisse als eigene Werke zu beanspruchen. Bei Händel lieh er sich interessante Orgelwerke und Arien aus Oratorien, Kantaten oder Opern, schrieb sie für seine Verhältnisse um und setzte sie neu zusammen. Die Ergebnisse dieses „Pasticcio“-Verfahrens konnten sich die Besucher im Kloster Eberbach beim Rheingau Musik Festival nun gleich zwei Mal anhören.


„Voli per l'aria“ bezeichnet er ein Concerto für Oboe, Streicher und Basso continuo, bei dem ihm die Sinfonia Versovia zur Seite stand. Zwei Arien aus dem Oratorium „Semele“ bilden den Anfang des Werkes und werden durch ein kurzes Intermezzo verbunden – ein Ausschnitt aus dem langsamen Satz des Orgelkonzerts op. 4 Nr. 3, darauf folgen eine weitere Semele-Arie und eine aus der Kantate „Tra le fiamme“. Seinen sehr weichen und sanglichen Ton kann Albrecht Mayer im Kopfsatz besonders effektvoll zur Geltung bringen, im flotten dritten Satz nimmt er gemeinsam mit den Orchestermusikern den fliehenden Charakter unmittelbar auf. Unauffällig schleicht sich Mayer in den langsamen vorletzten Satz hinein, um sich zunächst die Stimme mit den ersten Geigen zu teilen und erst später seinen solistischen Anspruch geltend zu machen. Pulsierend gerät der Schluss-Satz.


Auch in „Verdi prati“, einem Concerto für Oboe d'amore, Streicher und Basso continuo ist es ihm gelungen, aus unterschiedlichen Stücken eine schlüssige Einheit zu bilden. Jetzt sind es die Opern Ariodante und Alcina sowie das Orgelkonzert A-Dur, die als musikalischer Steinbruch herhalten. Erzählfreudig nimmt sich Mayer das einleitende Allegro vor und streift anschließend geschickt die verschiedenen Charaktere der zusammen gestellten Sätze.


Die Sinfonia Varsovia, entstanden aus dem Polish Chamber Orchestra, zeigte sich ohne den Solisten von zwei fast gegensätzlichen Seiten. Während sie eine „Introduktion, Arie und Presto“ von Benedetto Marcello“ recht lustlos und schwerfällig interpretierten, gelangen ihnen die „Drei Stücke im alten Stil“ des polnischen Komponisten Henryk Mikolaj Górecki ausgesprochen lebendig und vielfarbig. Die populäre Mozart-Sinfonie Nr. 29 in A-Dur nutzte das Orchester, das ohne Dirigenten spielte, für auffällig Forcierungen im Allegro moderato und entwickelte im Finalsatz einen bissigen Tatendrang. Dazwischen lagen ein wohliges, fast sinnliches Andante und ein keck verspieltes Menuetto.

Veröffentlicht u.a. im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt

Immortal-Bach-Ensemble mit alter und neuer Chormusik

Bachs Musik ist unsterblich. Dachte sich der norwegische Komponist Knut Nystedt und schrieb ein Chorwerk mit dem Titel „Immortal Bach“. Als Grundmaterial nimmt er einen Choral des Thomaskantors und verändert ihn immer weiter, versucht dabei, die Besonderheiten folgender musikhistorischer Epochen anzuwenden. Sein Fazit: Die Ausstrahlung dieser Musik bleibt immer gleich, egal ob im Original oder in zeitgenössischem Gewand. Den gleichen Ansatz hat sich das „Immortal-Bach-Ensemble“ aus 16 professionellen Sängerinnen und Sängern auf die Fahnen geschrieben, die unter der Leitung von Morten Schuldt-Jensen in ihren Konzerten Bachs Musik immer wieder mit Werken des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus konfrontieren.


Nach Kloster Eberbach waren sie nun auf Einladung des Rheingau Musik Festivals gemeinsam mit dem früheren CDU-Politiker Heiner Geißler gereist. Der fasste in einer Mischung aus Vorlesung und Predigt seine Überlegungen zu den Texten der gesungenen Stücke zusammen. Vom Gottesbeweis Kants bis zum Sponti-Spruch „Wie kann einer Gott lieben, den er nicht sieht, wenn er seinen Bruder hasst, den er sieht“ spannte er dabei einen weiten Bogen.


Das Ensemble erwies sich einmal mehr als eine Zusammenkunft von Musikern, die wohl dosierend und klar formulierend an ihre Arbeit gehen. Helle, offene Intonierung in Morten Lauridsens „O magnum mysterium“ korrespondierte mit schlanker und weicher Tongebung in Felix Mendelssohn Bartholdys „Denn er hat seinen Engeln befohlen“. Die komplexen Klangstrukturen ihres Namensgebers durchdrangen sie mit traumwandlerischer Sicherheit. Sehr dicht formulierten sie Werke wie das „Lux aeterna“ von György Ligeti oder den „Morgensang“ von Niels Wilhelm Gade.


Zum klanglichen Spektrum des „Immortal-Bach-Ensembles“ zählen aber auch so hintergründige Kompositionen wie Gustav Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, in der die Stimmen sehr behutsam mit dem Material umginge. Seine dynamische Größe entfaltete das Ensemble indes vor allem im „Selig sind die Toten“ von Heinrich Schütz.

Freitag, 11. Juli 2008

Christine Schäfer mit den Berliner Barock Solisten im Rheingau

Der Auftrittsapplaus für Christine Schäfer fällt deutlich üppiger aus als der nach dem ersten Auftritt der Berliner Barock Solisten. Die Fans der international renommierten Sängerin sind ganz eindeutig in der Überzahl, was sich schon an der Masse der gezückten Operngläser ablesen lässt, die an die Augen gepresst werden, sobald die Sopranistin das Podium betritt. Sie gehört derzeit zu den führenden und auch vielseitigsten Vertreterinnen ihres Fachs und hat sich von der Oper bis zum Kunstlied einen Namen gemacht, der weit über den auch in der Klassikbranche seit geraumer Zeit üblichen Starrummel hinaus geht. Vom meinungsbildenden Fachblatt „Opernwelt“ 2006 zur „Sängerin des Jahres“ gekrönt, erhielt sie kurz darauf noch den Echo Klassik für die beste Liedeinspielung des Jahres nachgereicht.


In Kloster Eberbach zeigte sie sich von ihrer emotionalen und durchaus auch sinnlichen Seite in Werken alter Meister. „Nel chiuso centro“ heißt eine Kantate von Giovanni Battista Pergolesi, in der er den Stoff von Orpheus und Eurydike knapp verarbeitet und eine ganz eigentümliche, hoffnungsfrohe Grundstimmung vermittelt. „Wer seiner Liebe nahe ist, kann jedes Schicksal, kann alle Qualen leiden“, lässt er den tapferen Helden hoffen. Wenn Christine Schäfer diese Zeilen singt, kommen sangliche Freiheiten und geradezu jubelnde Koloraturen zur Geltung. Sie gleitet spielerisch in die Höhe und kann im nächsten Moment rau und geheimnisvoll flüstern. Ihre dramatischen Fähigkeiten stellt sie später in Ausschnitten aus Henry Purcells Oper „Dido and Aeneas“ unter Beweis.


Dass sich die Berliner Barock Solisten nicht auf eine reine Begleiterscheinung reduzieren lassen, machen sie in lebhafter Umspielung der Solistin ebenso deutlich wie in den rein konzertanten Werken des Abends. Etwa wenn die Musiker um Primus Rainer Kussmaul heimlich in den Kopfsatz des Vivaldi-Concertos g-Moll RV 156 huschen und galant tänzelnd eine spitzbübische Frechheit entwickeln. Auch das Flirren im Finalsatz und die kreisenden Bewegungen beim Voranspreschen zeigen deutlich: Kussmaul und Kollegen haben viel Freude am Musizieren.

Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse

Donnerstag, 10. Juli 2008

Opera Classica bringt seit fünf Jahren große Oper auf Schlösser und Burgen

Vor fünf Jahren waren sie noch recht bescheiden aufgetreten. „L'opera piccola“ nannte sich eine Gruppe von international erfahrenen Sängerinnen und Sängern um den Tenor Michael Vaccaro. Der amerikanische Sänger hatte sich mit seiner Frau, der damaligen Mezzosopranistin Romana in Bad Schwalbach im Taunus niedergelassen und dort die Idee ausgebrütet, in den theaterfreien Monaten ein Gastspieltheater auf hohem Niveau auf die Beine zu stellen. Aus dem ambitionierten Gedanken ist mit viel persönlichem Engagement der Vaccaros und ihrer Sängerfreunde mittlerweile eine erfolgreiche Produktionsgemeinschaft geworden.

Heute firmiert die einstmals kleine Oper selbstbewusst unter dem Titel „Opera Classica Europa“ und bespielt malerische Orte in ganz Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Italien und Kroatien. So kommt das Ensemble, das sich nach wie vor aus international erfolgreichen Solisten zusammensetzt, in dieser Spielzeit auf über 30 Aufführungen. Zu dem Künstler-Netzwerk zählen unter anderem die Sopranistinnen Sue Patchell und Deborah Lynn Cole, der Tenor Keith Ikaia-Purdy und der Bariton Juri Batukov. Auch Romana Vaccaro, die sich zur Sopranistin entwickelt hat, steht unter anderem in der Titelpartie von Giacomo Puccinis „Tosca“ auf der Bühne.


„Schon als junger Mensch war ich ein begeisterter Fan der großen Stars der Oper“, bekennt Michael Vaccaro und nennt Legenden wie Benjamino Gigli, Tito Schipa und nicht zuletzt Licia Albanese, die er persönlich kennen lernte und die ihn als jungen Sänger unterrichtete. „Opera Classica Europa“ sieht sich heute in der Tradition der „großen Oper von damals“. Vaccaro, der sich mittlerweile vor allem seinen organisatorischen Aufgaben widmet und für die Inszenierungen der Operntruppe verantwortlich zeichnet, ist kein Verfechter des modernen Regietheaters. Wenn er vor der Kulisse von Burgruinen und Schlössern, in Garten und Meeresbuchten Oper einrichtet, dann stehen die strahlkräftigen Partien und die Stimmen im Vordergrund. Dazu kommen die Emotionen, die aus der Kombination von Musik und Drama oft so unmittelbar entstehen. Sozusagen Musiktheater direkt aus dem Opernführer.


„Für mich persönlich gibt es nichts Schöneres, als an einem lauen Sommerabend vor der beeindruckenden Kulisse einer alten Burg oder eines schönen Schlosses eine Oper erleben zu dürfen“, bekennt er sich zum Romantiker. Zu seinem Konzept, so erzählte er vor fünf Jahren kurz nach dem Start der ersten Projekte, gehöre es auch, Menschen anzusprechen, die den Opernbesuch nicht zu ihren alltäglichen Freizeitbeschäftigungen zählen. Sein erklärtes Ziel war es damals, ein ganz neues Publikum zu erreichen. Dazu gehörte für ihn auch eine Politik „realistischer Eintrittspreise“. Dieses Credo gilt noch heute. Wenn „Opera Classica Europa“ am 2. August zu Giuseppe Verdis „Aida“ auf der Freilichtbühne Loreley einlädt, gibt es die Karten bereits am 30 Euro zu kaufen – und das, ohne durch öffentliche Gelder subventioniert zu werden. Einen Tag später werden am gleichen Ort dem Titel „Opernromantik am Rhein“ die schönsten Melodien von Verdi bis Johann Strauss versprochen. Hier kostet das günstigste Ticket 26 Euro. Zum Vergleich: wer zwei Wochen später Eric Clapton in Wiesbaden erleben möchte, muss mindestens das Doppelte hinlegen.


In Sachen Spielfreude ist den Routiniers übrigens ihre jahrzehntelange Erfahrung kaum anzumerken. Die ersten Auftritte für diese Spielzeit wurden mit Bravour gemeistert, insbesondere der Dauerbrenner „Tosca“ hat wieder zahlreiche Opernfans und solche, die es dabei geworden sind, gelockt. Die Mischung aus unkomplizierter Zusammenarbeit, weitab von divenhaften Attitüden , professioneller Leistung und persönlichem Engagement kommt an. Auch bei denen, die vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben Floria Tosca von der Engelsburg haben stürzen sehen oder das Bangen der äthiopischen Prinzessin Aida verfolgt haben.


Weitere Informationen und Kartenbestellungen: www.operaclassica.de

Ticktes können außerdem von Montag bis Freitag zwischen 10 und 12 Uhr telefonisch unter 06124-726 9999 oder per Fax 06124-72 35 24 bestellt werden.

Jerusalem String Quartett spielt Boccherini und Anton Arnski in Kloster Eberbach

Wenn sich der kaufmännische Leiter des Rheingau Musik Festivals, Heiner Louis, über eine „Perle“ freut, dann übertreibt er keinen Millimeter. Denn was sich das Jerusalem String Quartet mit ein wenig Verstärkung für seinen Auftritt im Laiendormitorium von Kloster Eberbach ausgedacht hat, gehört tatsächlich zur Kategorie der außergewöhnlichen Programme. Es braucht dafür allerdings den zweiten Blick, denn auf den ersten scheint es nicht allzu spektakulär, sich als Kammermusik-Ensemble mit Luici Boccherini zu befassen. Doch dann ist es zunächst das Quintett für zwei Violinen, Viola und zwei Violoncelli C-Dur, das ins Auge springt.


Als der Komponist und Cellist 1770 in den Dienst des spanischen Infanten Don Luís strat, fand er dort bereits ein Streichquartett vor. Also schrieb er die geforderte Unterhaltungsmusik eben für fünf Instrumente. Das C-Dur-Quintett ist ihm in dieser Form jedoch nie selbst eingefallen. Der Geiger Johann Christoph Lauterbach hat im späten 19. Jahrhundert die Sätze aus anderen Boccherini-Werken zusammen gesetzt und damit ein kammermusikalisches Pasticcio geschaffen. Das Jerusalem String Quartet setzte nun gemeinsam mit dem Cellisten Gavriel Lipkind die Musik zusammen, lotete die reichen Melodien des Minuettos aus, machten sich lustvoll und beherzt über das Rondo her.


Einer generell düsteren Stimmung folgten die Musiker im Quartett für Violine, Viola und zwei Violoncelli a-Moll von Anton Arnski. Hier entwickelten sie teilweise ein geradezu gewalttätiges Klangbild, das nur von wenigen leichteren Momenten unterbrochen wurde. Fulminant gelang ihnen das Finale. Zu Boccherinis „Stabat Mater“ op. 61 kamen wieder alle Musiker zusammen, den Gesangspart übernahm die Sopranistin Chen Reiss mit sparsam eingesetztem kultiviertem Vibrato, das ihre klare und reine Stimme unmittelbar zur Geltung kommen ließ. Das Quintett agierte dabei feinsinnig und farbenreich.

Dienstag, 8. Juli 2008

Tosca auf Burg Eppstein

Nirgendwo anders wird so effektvoll gestorben wie in der Oper. Auch Giacomo Puccinis 1900 in Rom uraufgeführte „Tosca“ bildet keine Ausnahme. Vier Tote in knapp drei Stunden sind eine stolze Bilanz. Dass auf der Burg Eppstein nun Oper in bester Verfassung gefeiert werden konnte, verdankten die Gäste der Eppsteiner Burgfestspiele der „Opera Classica Europa“, einem Zusammenschluss weltweit agierender Künstler unter der Leitung des Sängers und Regisseurs Michael Vaccaro aus Bad Schwalbach.


Wer mit der Erwartung gekommen war, hier Provinztheater zu erleben, wurde angenehm überrascht. Denn die Sänger, die bei der „Opera Classica“ engagiert sind, blicken auf zahlreiche Engagements an den großen Bühnen zurück. Allen gemeinsam ist die Liebe zur Oper in Reinkultur. So ist Vaccaros Inszenierung auch kein ambitioniertes Regietheater, sondern stellt die Stimmen und die strahlkräftigen Partien in den Vordergrund. Er zwingt nicht zum Neudenken des Stoffes, sondern stellt ihn in seiner ursprünglichen und direkt vermittelbaren Fassung auf die Bühne. Musiktheater direkt aus dem Opernführer.


Michael und seine Frau, die Sopranistin Romana Vaccaro haben vor einigen Jahren die Idee entwickelt, gemeinsam mit Freunden in den spielfreien Monaten im Sommer Oper pur zu spielen. Daraus ist mittlerweile ein beeindruckender Tourneebetrieb geworden. Über 30 Aufführungen stemmt die Truppe zwischen Ende Mai und Ende August. Sie bereist in dieser Zeit die malerischsten Orte der Republik, gastiert in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Italien und Kroatien.


In dem stimmungsvoll ausgeleuchteten Eppsteiner Burghof erzählten die internationalen Solisten sowie Chor und Orchester der Plovdiver Symphoniker die unglückliche Geschichte der Operndiva Floria Tosca. Ihr Geliebter, der Maler Cavaradossi gerät in die Fänge des sadistischen Polizeichefs Scarpia, weil er den napoleonisch gesinnten Cesare Angelotti in seiner Villa versteckt hat. Auch unter Folter verrät er den Freund nicht, Tosca jedoch verspricht Scarpia, sich ihm hinzugeben, wenn er den Geliebten frei lässt. Dieser sagt zum Schein zu, gibt gleichzeitig heimlich den Befehl, den Maler zu erschießen. Nachdem er Tosca schriftlich freies Geleit bescheinigt hat, ersticht sie ihn mit seinem Dolch. Als sie feststellt, dass Cavaradossi nicht nur zum Schein unter den Salven der Soldaten zusammen bricht, zudem ihr Mord an Scarpia entdeckt wurde, stürzt sie sich von den Zinnen der Gefängnisburg.


Das Drama lebte auf Burg Eppstein durch die ausgezeichneten sängerischen und darstellerischen Leistungen. Als Floria Tosca konnte Romana Vaccaro ausnahmslos überzeugen. Sie zog das Publikum mit emphatischer Darstellung und inständiger musikalischer Interpretation in ihren Bann. Den Maler Cavaradossi stellte Ignacio Encina mit schier endloser sanglicher Kraft dar, der Tenor deckte mühelos das gesamte Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten ab, das die Partie abverlangt. In der Rolle des Scarpia brillierte der Bariton Juri Batukov, der sein mitunter dämonisches Erscheinen durch eine markante und gehaltvolle Stimmgebung unterstrich. Obwohl das Orchester hinter den Sängern platziert werden musste, ging doch nichts von der Spannung des Abends verloren, die beteiligten Musiker bewältigten auch diese schwere Koordinations-Aufgabe mit Bravour.


Veröffentlicht u.a. im Wiesbadener Kurier. Foto: www.operaclassica.de

Samstag, 5. Juli 2008

Jazz und Gedanken zur Mitternacht

Dunkel ist es. Sehr dunkel. In der Marktkirche haben sich Nachtschwärmer versammelt und warten auf die zweite Auflage von „Round Midnight“, nachdem sie im vergangenen Jahr erstmals ausprobiert wurde. Um diese Uhrzeit ist die Kirche in der Regel geschlossen, doch im Juli gibt es fünf Mal, immer donnerstags, eine Ausnahme. Dann laden Bianca Schamps, Martin Schneider und Hanns Höhn zu Jazz und Gedanken ein. Dass sich beides gut verbinden lässt, ist schnell klar. In beiden Fällen, so stellt sich später heraus, geht es um Fragmente und Anstöße. Die Mitternacht ist nach dem Konzert nicht vorbei, sondern sie beginnt. Dann lassen sich musikalische Phrasen und literarische Anstöße auf dem Heimweg und darüber hinaus weiter spazieren tragen.


Fantasie ist gefragt, in einem Moment, in dem das Hirn bei den meisten Menschen eigentlich beginnt, langsam auf Sparflamme umzuschalten und sich auf den verdienten Schlaf vorzubereiten. Vielleicht sind Martin Wagner (Akkordeon) und Hanns Höhn (Kontrabass) deshalb zunächst so behutsam, vielleicht ist es ihr Verständnis für die späten Gäste, die ihrem Organismus erst klar machen müssen, dass es noch ein wenig dauert, bis aus den harten Kirchenbänken weiche Federbetten werden. Es lohnt sich, wach zu bleiben. Nachdem sich Wagner und Höhn sanft durch die Ohren in die Köpfe ihrer Zuhörer hineingeflüstert haben, tritt Martin Schneider in den Altarraum.


Seine Stimme verlässt ihn in den riesigen Klangraum hinein, er horcht seinen Worten ein wenig hinterher, gewöhnt sich daran, mehr zu hören, als er sagt. Es sind Ausschnitte aus Robert Walsers „Kleinen Dichtungen“, oder Alfred Polgars „Kleinen Schriften“, die er ausgesucht hat – der Titel dieser Veranstaltung heißt „East of the sun“ und dazu passen diese Zeilen. Wenn Bianca Schamps mit Ingeborg Bachmann die Sonne verehrt, gerät man ins Schwärmen. Wie erschreckend dann die letzte Zeile, in der vom „unabwendbaren Verlust meiner Augen“ die Rede ist. Wagner und Höhn improvisieren zu bekannten Melodien wie „Morning has broken“ oder den Evergreen „Sunny“. Das wohlige Bassknurren und das vertrauliche Knarren des Akkordeons vermischen sich schnell, die beiden Musiker setzen sich intensiv mit der Musik auseinander. Mal treiben sie sich gegenseitig an, mal necken sie sich spielerisch mit ihren Ideen. Zum Schluss lassen sie den Blues erzählen.


Dass jeder seinen Süden braucht und damit weder Länge- noch Breitengrad meint, hat Bianca Schamps mit dem Schweizer Iso Camartin heraus gefunden. Die Gedanken, nicht mehr zu wollen, als man kann oder durch Liebreiz mutig zu werden, sind Momentaufnahmen, die in dieser Atmosphäre gut funktionieren. Und wer sie zu Hause wiederbeleben möchte, hat nach „Round Midnight“ eine kleine Literaturliste zur Anregung in der Tasche.


Nächste Veranstaltung: 10. Juli, 22.30 Uhr: „That old devil moon“ mit Katharina Debus (Gesang) und Hanns Höhn (Bass)



Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt. Foto: wita / Uwe Stotz

Freitag, 4. Juli 2008

Beim Rheingau-Musik-Festival setzt das Budapes Festival Orchester unter Leitung von Iván Fischer Maßstäbe.

Wer das Budapest Festival Orchester einmal gehört hat, muss es wieder tun. Selten gelingt es einem Orchester, eine derart gelungene Mischung aus Spielfreude und Perfektion zu vermitteln. Aus einem kleinen Projekt in den 1980er Jahren ist mittlerweile einer der am energischsten musizierenden Klangkörper auf dem Markt geworden, der mühelos in der Spitzengruppe mitspielt. Im Wiesbadener Kurhaus brauchten die ungarischen Gäste kein spektakuläres Programm, um ihr Publikum zu begeistern. Die Erste Walzerfolge aus der Richard-Strauss-Oper „Der Rosenkavalier“ ist nichts anderes als eine lockere Aufwärmübung, bei der sich schon einmal Biss und Tatendrang des Orchesters erahnen lassen.


Bei Antonin Dvoraks Violinkonzert a-Moll begeben sie sich in einen permanent pulsierenden Dialog mit dem Geiger Leonidas Kavakos. Dessen Virtuosiät ist unaufdringlich und absolut organisch, dabei spielt er mit einer faszinierenden Ruhe und Intensität. Die Musiker des Orchesters sind ihm stets ebenbürtige Partner. Wenn er das Tempo anzieht, bleiben sie ihm dicht auf den Fersen, wenn er sich für einen Moment zurück zieht, übernehmen sie die Führung und fordern ihn heraus. Reibungen werden spürbar gemacht, ebenso wie das harmonische Miteinander.


Mit Ludwig van Beethovens vierter Sinfonie hat sich Chefdirigent Iván Fischer eher ein Mauerblümchen aus dem Schaffen des Komponisten ausgesucht. Doch gerade in der Entwicklung des Besonderen im vermeintlich Bekannten liegen seine Stärken. Er muss seine Musiker dabei nicht zu Höchstleistungen anspornen, weil sich diese bereits von selbst enorm ins Zeug legen. Und dennoch wühlt er mit Macht und Lust in den Harmonien, und ringt sekündlich um die Realisierung seiner Klangvorstellung. Das Ergebnis spricht für sich – hier leistet niemand bloß seinen Dienst ab.


Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse. Foto: www.bfz.hu

Donnerstag, 3. Juli 2008

Harfenistin Isabelle Moretti mit dem Quatuor Ebene beim Rheingau-Musik-Festival

Die Harfe gehört nicht zu den Instrumenten, die sich aufdrängen. Nur selten tritt sie im Orchester in Erscheinung, meist dann, wenn besonders mystische oder zauberhafte Momente unterstrichen werden sollen. Doch das Instrument, das zu den ältesten der Menschheit gezählt werden kann, ist deutlich vielseitiger und als Kammermusik-Partner durchaus ernst zu nehmen. Allerdings gibt es nur wenige Interpreten auf hohem Niveau, denen es gelungen ist, international Anerkennung zu gewinnen Führend auf diesem Gebiet ist wohl die französische Harfenistin Isabelle Moretti. Schon früh hat sie die ungewöhnliche Neigung zur Profession ausgebaut, 1983 gar der gestrengen Jury des renommierte ARD-Wettbewerbs als Einzige eine Auszeichnung abgerungen. Auch kommerziell ist sie wohl eine viel versprechende Künstlerin, immerhin nahm die Plattenfirma Harmonia mundi sie schon 1987 unter Vertrag.

So bekam das Publikum auf Schloss Johannisberg nun alles andere als eine Nischenspezialistin zu hören, sondern eine selbstbewusste Vertreterin einer Künstlergattung, die sich die ihr zustehende Aufmerksamkeit erspielen kann. Auch die Auswahl der Stücke passen zu diesem Selbstverständnis, die in Lyon geborene Musikerin brachte Musik aus ihrem Heimatland mit. Beide Werke stammen zudem aus dem 20. Jahrhundert. Präzise und dennoch voller Temperament und Leidenschaft gelangen ihr die beiden Tänze „sacrée“ und „profane“ für Harfe und Streichquartett von Claude Debussy. Die charakteristischen Arpeggien wirkten besonders im direkten Dialog mit dem Quartett, das sich im Gegensatz dazu bewusst sparsam verhielt. Luftig schwebten die tänzelnden Charaktere in unterschiedlichen Abstufungen durch das direkt ansprechende Werk.

Diese verspielte Harmlosigkeit stand in frappierendem Kontrast zu „La masque de la mort rouge“ von André Caplet, der sich dafür die gleichnamige Erzählung von Edgar Allan Poe zum Vorbild genommen hat. Nur oberflächlich entspannt wirkende Ball-Amtosphäre stößt unmittelbar auf das alles zerschneidende Signal der zwölften Stunde, das Dunkelheit, Verfall und den „Roten Tod“ ankündigt. Die Musiker konnten durch eng verwobenes Zusammenspiel die Situationen plastisch vor Augen führen und vermittelten dadurch eine unbeschreibliche Dramatik.


Zuvor hatte das Streichquartett mit Werken von Maurice Ravel und Claude Debussy überzeugt. Beherzte Pizzicati standen im Adagio von Ravels Quartett F-Dur neben vollem Klang auch im Pianissimo. Den langsamen Satz nutzten die vier Musiker geschickt, um für kurze Zeit die Gesetze der Zeit auszuhebeln und ein unruhiges Pulsieren, das sich immer wieder bemerkbar machte, knapp unter der Oberfläche zu halten. In Debussys Quartett g-Moll op. 10 hinterließ insbesondere der nach innen gerichtete, empfindsam gespielte dritte Satz bleibenden Eindruck. Das gesamte Konzert hindurch fielen die Musiker durch ihren klar formulierten Gestaltungswillen auf.


Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt und in veränderter Form in der Frankfurter Neuen Presse

Mittwoch, 2. Juli 2008

Virtuosi Saxoniae beim Rheingau-Musik-Festival

Plötzlich ist das Stück zu Ende. Einfach so, ohne irgendeine Vorwarnung hören die Musiker auf, zu spielen. Auch eine besondere Schluss-Dramatik war vorher nicht zu erkennen, so dass der abrupte Schluss eine gewisse Ratlosigkeit hinterlässt. Johann David Heinichens Sinfonia für zwei Hörner, zwei Querflöten, drei Oboen, Streicher und Basso continuo in F-Dur gehört nicht gerade zu den Standards des Konzertrepertoires. Gerade deshalb hätte eine klare Stukturierung und musikalische Führung schon gut getan. Die Virtuosi Saxoniae, Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle Dresden haben sich unter der Leitung von Ludwig Güttler zusammen getan, um sich „in Fragen der Aufführungspraxis historischen Kriterien anzunähern“, wie sie es selbst beschreiben. Dies jedoch auf modernen Instrumenten.


Daher kann man Intonationssicherheit bei den Bläsern voraussetzen, was jedoch nicht immer geboten wurde. Auch rhythmisch gab es immer wieder Unklarheiten, die das Zuhören arg erschwerten. Frisch und zupackend war noch der Einstieg in ein Concerto D-Dur (RV 564a) von Antonio Vivaldi gelungen. Auch das Adagio wurde als verständliches ruhiges Gegenkonzept zu der Aufregung des Kopfsatzes transportiert. Im abschließenden Allegro jedoch drängten einzelne Musiker mitunter derart eilig vorwärts, dass ein insgesamt regelrecht zappeliger Eindruck entstand. Dass Güttler dabei eher intuitiv als zupackend dirigierte, bestätigte diese Empfindung noch zusätzlich. Auch in der Sinfonie Nr. 31 D-Dur (Hob. I:31) von Joseph Haydn ließ sich durch unterschiedliche Tempovorstellungen der Beteiligen kein einheitliches Bild erkennen.


Von ähnlichen Unebenheiten war Johann Sebastian Bachs Concerto D-Dur (nach BWV 249a) durchzogen. Hier gelang zunächst ein beeindruckend festlicher Kopfsatz, auch das Oboen-Motiv im Adagio wurde von den Streichern sanft getragen. Ähnlich wie bei Heinichen aber gelang es hier nicht, das Stück als Gesamtpaket zu verkaufen. Unklar blieb der Übergang zwischen drittem und viertem Satz, hier fand weder eine erkennbare Zäsur statt, noch ließ sich ein attaca deutlich erkennen. Auch hier schien die Gestaltung vor allem dem Zufall überlassen. Im Divertimento Nr. 3 für Streicher F-Dur (KV 138) von Wolfgang Amadeus Mozart verloren sich Struktur und Spannung der Satzteile schließlich komplett.


Zumeist lassen sich diese Unklarheiten auf das verschwommene Dirigat von Ludwig Güttler zurück führen, der zwar fantasievolle Figuren in die Luft zeichnete, jedoch weder Einsätze noch sonstige klare Anweisungen gab. Als Interpret konnte der Trompeter indessen restlos überzeugen. Bei seinen Auftritten fiel nach wie vor ein schlakenfreies, brillant wie einfühlsam ausgestaltetes Spiel auf.


Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt, in verkürzter Version in der Frankfurter Neuen Presse