Mittwoch, 4. November 2009

Offenbachs Operette "Blaubart" kommt nach Mainz

„Die gesellschaftlichen Verquickungen“ findet Regiseeur Soren Schumacher bei Jacques Offenbach grundsätzlich interessant. Zudem kommt nach seiner Auffassung bei der Operette „Blaubart“ der Aspekt einer „menschlich humorvollen Satire mit politischem Stachel“ hinzu. Er freut sich über die Arbeit an einem Stück voller Spaß, Verwicklungen und auch Tiefsinn, wie er meint. Am Großen Haus des Staatstheaters ist er in dieser Spielzeit zum ersten Mal als Gastregisseur tätig und bringt am kommenden Samstag die dreiaktige „Opéra bouffe“ zur Premiere. Dirigent ist Thomas Dorsch, der noch kürzlich als Kapellmeister hier wirkte und seit dieser Spielzeit am Oldenburgischen Staatstheater als Musikalischer Oberleiter tätig ist.

Schumacher hat das Werk in die 1920er Jahre in ein Gangster-Milieu verlegt- irgendwo zwischen Al Capone und dem Paten. „Wir hatten schon bei den Proben viel zu Lachen“, gewährt er einen Einblick in die herrschende Atmosphäre. Und obwohl „Blaubart“ alles andere als eine Tanzoper ist, werden die Tänze der 20er wie etwa der Charleston eine Rolle spielen. Und es gibt ein Maschinenpistolen-Ballett, zu dem aber noch nichts Näheres verraten wird.

Im Mainzer Ensemble hat Schumacher eine „wahnsinnige Spiellust“ ausgemacht, was gerade bei diesem Stück ein absoluter Vorteil ist. Schon im Konzeptionsgespräch hätten sich die Darsteller sofort in das Konzept hinein finden können. Auf der Bühne schließlich sei es allen gelungen, sich in die zum Teil ungewohnten Rollen hinein zu arbeiten. Auch auf Leitungsebene stimmt die Chemie. Regisseur und Dirigent verbindet bei dieser Arbeit eine „gegenseitige große Offenheit und Kreativität“, wie es Schumacher ausdrückt.

Man darf also gespannt sein auf das, was die Mainzer Produktion aus dem 1866 uraufgeführten Werk gemacht hat. Schon die Vorlage ist bizarr genug, geht es doch um jenen Ritter Blaubart, der gerade seine fünfte Gattin auf unsauberem Weg loswerden möchte und gleichzeitig nach der Nächsten Ausschau hält. Doch als er diese in Boulotte zu finden glaubt, befreit sie die tot geglaubten Ex-Frauen und konfrontiert den Ritter mit ihnen.

  • Für die Premiere am 7. November um 19.30 Uhr gibt es noch Restkarten
  • Weitere Vorstellungen finden am 1., 18. und 31. November sowie am 17. Dezember statt. Weitere folgen in 2010.
  • Karten sind unter 06131/2851-222 erhältlich.
  • Weitere Informationen und Online-Buchung: www.staatstheater-mainz.de


Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Schlüssiger Liederabend mit Michael Nagy und Gerold Huber an der Oper Frankfurt

Seit seinem Einstieg in das Ensemble der Oper Frankfurt hat sich der charismatische Bariton Michael Nagy rasch zu einem Publikumsliebling entwickelt. Das bewies auch das für einen Liederabend außergewöhnlich gut besuchte Opernhaus. Die Begeisterung für den Sänger zieht sich quer durch alle Altersgruppen, was vielleicht auch einen positiven Einfluss auf die Rezeption der Gattung Kunstlied haben kann. Natürlich wäre dieser Effekt dahin, würde Nagy den Auftritt bloß als Pflichtübung neben den großen Rollen ansehen. Davon ist er weit entfernt. Allein die schlüssige Programmzusammenstellung macht deutlich, mit welcher Ernsthaftigkeit und Sorgfalt der Sänger an diesen Abend heran gegangen ist.

Die zwölf Lieder nach Gedichten von Justinus Kerner op. 35 sind, ähnlich wie der deutlich bekanntere Schumann-Zyklus „Dichterliebe“, eng miteinander verwoben und werden auf der Bühne doch kaum geschlossen aufgeführt. Im zweiten Teil sind Eichendorff-Texte in Vertonungen von Othma Schoeck, Robert Schumann und Erich Wolfgang Korngold zu hören. Nagy, der bei renommierten Liedwettbewerben erfolgreich war, hat sich trotz intensiver Opernpräsenz einen ausgesprochen feinen Sinn für das musikalische Kleinod und dessen Dramatik auf engstem Raum bewahrt. Mit klaren Artikulationen und scharf ausgebildetem Sinn für klangliche Feinheiten kann er sowohl Schumanns Romantik als auch Korngolds Unmittelbarkeit dem Zuhörer authentisch nahe bringen. Am Klavier steht ihm niemand Geringeres als Gerold Huber, einer der gefragtesten Liedbegleiter mit untrüglichem Gespür und unbedingter Dialogbreitschaft zur Seite.

  • Der nächste Liederabend in der Oper Frankfurt findet am 17. November 2009 statt. Die Mezzosopranistin Michaela Schuster und der Pianist Markus Schlemmer interpretieren Lieder von Mozart, Brahms, Wolf, Duparc, Mendelssohn, Strauss und Obradors.
  • Karten unter 069-1340400 oder online
  • Informationen hier

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Elektronisches Ohrenkino im Wiesbadener Staatstheater

Um folgende Erkenntnis gibt es leider keinen Umweg: Elektronische Musik ist, soweit nicht tanzbar, kein Publikumsmagnet. Die kleine Gemeinschaft eingeschworener Kenner und Neugieriger ist im Foyer des Staatstheaters unter sich. Eingeladen hat die musik-theater-werkstatt des Hauses, die unter der Leitung von Ernst-August Klötzke steht und glücklicherweise mit der notwendigen Unterstützung der Gesellschaft der Freunde des Staatstheaters rechnen kann. Vier Veranstaltungen stehen in dieser Spielzeit im Programm, die erste winkt gar mit einem besucherfreundlichen Titel. „Ohrenkino“ klingt freundlich und entgegen kommend. Nach geschlossenen Augen und Bildern, die im Kopf entstehen können. Was also könnte also gegen einen Besuch sprechen?

Der elektronischen Musik haftet das Etikett „unverdaulich“ oder zumindest „schwer verträglich“ an. Nur selten kann man den Interpreten im Konzert zuschauen, was zumindest einen wichtigen Faktor für eine musikalisch gestaltete Abendplanung ausschließt. Doch gerade bei diesem Konzert wird es dem Zuhörer leicht gemacht. Die Werke, die aus den Lautsprechern neben den Stuhlreihen schallen, könnten auch die Soundtracks zu Filmen oder die Hintergrundgeräusche für Hörspiele liefern. Teilweise zumindest und in stark konzentrierter Form. Auf jeden Fall hat sich der Weg für all diejenigen gelohnt, denen es mit Fantasie und Aufgeschlossenheit gelingt, sich auf ein klug konzipiertes Angebot einzulassen.

Das Publikum wird selbst gefordert, muss den „fehlenden“ Teil durch eigene Vorstellungskraft ersetzen oder das Gebotene einfach als reines Programm auf sich wirken lassen. Allein der nach vorne gerichtete Blick auf den Gold verzierten Theater-Auf- und Eingang bietet jedenfalls keine zusätzliche Erkenntnis. Höhepunkt des Abends ist sicherlich die Uraufführung von Bernd Leukert, der eigens dazu auch angereist war. Sein Titel „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“ stammt nicht von ihm, sondern von Erfinder Philipp Reis, der den Satz in sein gerade erfundenes Telefon sprach, um es erstmals zu testen.

Gerade diese Uraufführung beweist die spannenden Hörerlebnis-Möglichkeiten dieses Genres, die gleichzeitig unterhaltend und anregend sein können. Da mischen sich Zugdurchsagen mit Glockenläuten, da zerreißt ein Blitz krachend die Szene, Orchester-Tuttistellen alternieren mit exotischen und synthetisch erzeugten Musikfetzen. Das Werk ist eine Produktion dessen Wirksamkeit auf einem besonderen Rhythmus-Ansatz und einer Musikalität, die nicht zwingend auf Tönen basieren muss, resultiert. Spannend wie ein Krimi kommt die 1996 veröffentlichte Komposition „La grande valleé“ von Lionel Marchetti daher, und auch Alain de Filippis „Ton Dieu nes'appell-ti-il pas ego?“ aus dem Jahr 1993 und Jérome Noetingers „Gloire à...“ von 1991 legen eine vielsagende Dramaturgie offen.

  • Die nächste Veranstaltung der musik-theater-werkstatt findet am 9. November 2009 um 19.30 Uhr im Foyer des Staatstheaters statt. Das Ensemble Chronophonie spielt Werke von Mauricio Kagel und Vinko Globokar.
  • Karten: 0611-132325 oder vorverkauf@staatstheater-wiesbaden.de
  • Weitere Informationen
Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier

Freitag, 9. Oktober 2009

Purcells "Dido and Aeneas" überzeugt in Mainz unter Leitung von Michael Schneider und unter der Regie von Arila Siegert

Wer einmal erleben möchte, wie man eine dreihundert Jahre alte Oper absolut frisch und ungezwungen auf die Bühne bringt, ohne dem Zuschauer auch nur einen Moment der Langeweile zu ermöglichen, dem sei die jüngste Musiktheater-Produktion am Mainzer Staatstheater ganz dringend ans Herz gelegt. Zugegeben, „Dido and Aeneas“ von Henry Purcell dauert ohnehin nur eine Stunde und ist auch samt der eingebauten Zugaben, die der Alte-Musik-Experte Michael Schneider und Regisseurin Arila Siegert eingebaut haben, nicht länger als ein Fernsehspiel. Doch könnte gerade die kompakte Form ja durchaus dazu verleiten, die Gestaltung auf die leichte Schulter zu nehmen.

Nicht so in Mainz. Arila Siegert gelingt ein ungemein lebendiges Beispiel für geschickte, spannungsvolle Personenführung und beziehungsreiche Interaktionen. Die Geschichte an sich ist schnell erzählt und bietet doch zahlreiche Möglichkeiten zur Dramatisierung, die von der Regisseurin nahezu ausnahmslos genutzt worden sind. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Produktion hat keinen aktionistischen Anstrich. Im Gegenteil: Jede der Szene wird genau beleuchtet, Arila Siegert gönnt sogar jedem Abschnitt sein eigenes Tempo, so dass an diesem Abend ein intensives Eintauchen ebenso stattfindet, wie ein rasantes Drüberfegen in Action-Manier. Passgenau darauf abgestellt sind die klar definierten Kostüme von Susanne Maier-Staufen. Die gleiche Schwarz-weiß-Konsequenz setzt Hans Dieter Schaal in einem Bühnenbild, das mit wenigen, aber effektvollen Elementen auskommt fort. Zehn Boote können sich bei Bedarf problemlos und effektvoll in einen Hexenwald und wieder zurück wandeln.

Purcells „Masque“ in drei Akten geht auf eine Episode aus dem vierten Buch von Vergils „Aeneis“ zurück. Das Textbuch hat der englische Dichter Nahum Tate geliefert. Dido, Königin von Karthago, hat sich in den trojanischen Kriegsherrn Aeneas verliebt. Da sie aber ihrem Gatten auf dem Sterbebett versprochen hat, sich nicht mehr zu vermählen, sondern nur noch um das Wohl der Stadt zu kümmern, entsteht für sie der innere Konflikt. Durch eine List wird Aeneas wieder auf See geschickt, Dido fühlt sich betrogen und stirbt sozusagen an gebrochenem Herzen.

In Mainz wird zu Beginn Claudio Monteverdis „Lamento d'Arianna“ als warnendes Beispiel für Dido eingeblendet. Regina Pätzer vom „Jungen Ensemble“ ist eine empathische wie gehaltvolle Erzählerin, die der Szene eine sehr intime Wirkung mitgibt. In der Rolle der Dido überzeugt Tatjana Charalgina von Anbeginn mit gleichermaßen fein ausgesungenen Piano-Stellen wie mit der Steigerung hin zu enormer leidenschaftlicher Strahlkraft. In Patrick Popeschin steht ihr ein kerniger, beweglich und vielseitig auftretender Dido zur Seite. Scharf konturiert und mit brillanter Stimmgebung gibt der Altus Dmitry Egorov (Junges Ensemble) eine durch und durch dämonische Hexengestalt ab. Anne Ganzenmüller wirkt als Belinda mitunter etwas zurückhaltend. Ebenfalls Mitglied des „Jungen Ensembles“ kann sie aber sicher ihr angenehme Timbre und darstellerisches Talent künftig noch selbstbewusster ausbauen. Ihre Kollegin Aurora Perry indes zeigt eine prickelnde Bühnenpräsenz, ist stimmlich enorm präsent und bereichert die Szenen, an denen sie beteiligt ist, in ganz außerordentlicher Weise.

Vor allem der Chor aus Studierenden der Musikhochschule Mainz bringt immer wieder zusätzlichen Schwung ins Geschehen. Klanglich stets sehr präzise und differenziert kommentiert das neunköpfige Ensemble das Geschehen, füllt vital die Szenen. Der Auswahl des Staatsorchesters, das für seine glasklare Interpretation großen Applaus erhält, ist ein großes Kompliment für die engagierte Erfüllung dieser außergewöhnlichen Aufgabe auszusprechen.

In unterschiedlichen Fassungen erschienen, u.a. in der Frankfurter Neuen Presse

Mittwoch, 30. September 2009

Henry Purcells "Dido & Aeneas" kommt auf die Bühne des Mainzer Staatstheaters

Obwohl gerade einmal 60 Minuten lang gilt „Dido and Aeneas“ als die einzige vollgültige Oper von Henry Purcell. Im Grunde genommen reiht sich das dreiaktige Stück dennoch stark in die Tradition der englischen, von mythologischen Szenen inspirierten „Masque“ ein. Zu kurz allerdings, um heute einen abendfüllenden Abend zu garantieren. Also haben Dirigent Michael Schneider und Regisseurin Arila Siegert für ihre Mainzer Produktion weitere kürzere musikalische Werke von Purcell, dessen Lehrer Matthew Locke und des knapp 100 Jahre älteren italienischen Komponisten-Kollegen Claudio Monteverdi hinzu gefügt. Damit werden einzelne Szenen zusätzlich emotional intensiviert. Besonders bekannt ist darunter Monteverdis monodische „Lamento d'arianna“.

Die Vorlage zu der Oper stammt aus Vergils „Aeneis“ und wurde von dem seinerzeit bekannten Dichter Nahum Tate erstellt. Die Uraufführung fand in einem Pensionat für Edelfräulein in Chelsea statt, in dessen Auftrag das Werk vermutlich auch entstanden ist. Karthagos Königin Dido hat sich in den trojanischen Helden Aeneas verliebt, aber sie hat ihrem verstorbenen Gatten versprochen, nie mehr zu heiraten. Dennoch kommen sich die beiden näher, ihr Glück wird jedoch rasch von einer Zauberin durch List im Keim erstickt.

Für Regisseurin Arila Siegert geht es hier um die schicksalhaften Auswirkungen, die eintreten, wenn man sich auf eine Liebe einlässt. „Dabei wird die Verinnerlichung von Liebe und Leid erzählt“, erläutert sie. Das Gefühl des Verlassen-seins tritt später ins Zentrum. „Liebesschmerz ist ewig“, findet sie, daher lässt sich die Handlung auch zeitlos interpretieren. „So selten, wie heute das Glück ist, so war es damals auch“, so ihre Ansicht.

Michael Schneider, renommierter Experte für historische Aufführungspraxis, findet es besonders spannend, die antike Tragödie, wie sie in den Anfängen der Oper vermittelt wurde, wieder zu beleben. Eine musikalische Herausforderung sei die „extrem polyphone Musik“ Purcells, deren Komplexität und Dichte. Die Inszenierung von Arila Siegert, die in Mainz zuletzt Mozarts „Le nozze di Figaro“ inszeniert hat, setzt auf das Fokussieren einzelner Szenen. „Es soll wirken, als sei die Zeit angehalten worden und man kann in den jeweiligen Zustand eintauchen“, macht sie auf die Umsetzung neugierig.

Eine bedeutende optische Rolle spielen zehn einhundert Kilo schwere Boote von Bühnenbildner Hans Dieter Schaal und „zurückhaltende Kostüme von Susanne Maier-Staufen, die vor allem die Dualität zwischen hell und dunkel wieder spiegeln“, so die Regisseurin.

  • Die Premiere am 3. Oktober im Kleinen Haus ist bereits ausverkauft, eventuell gibt es noch Restkarten an der Abendkasse.
  • Weitere Aufführungen unter anderem am 12., 22 und 29 Oktober, jeweils um 19.30 Uhr.
  • Karten unter 06131/2851-222
  • Weitere Informationen: www.staatstheater-mainz.de


Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Sonntag, 20. September 2009

Mendelssohns "Elias" mit Konservatoriums-Chor in Mainz aufgeführt

Für Ronald R. Pelger wurde an diesem Abend ein erklärter Herzenswunsch wahr – und gelungener hätte diese Erfüllung nicht stattfinden können. In der voll besetzten Christuskirche hat der Chorleiter des Peter-Cornelius-Konservatoriums mit über 200 Beteiligten, insbesondere Jugendlichen und jungen Erwachsenen, das Oratorium „Elias“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy aufgeführt. Eine Veranstaltung, die ganz offensichtlich nur Gewinner kannte. Vor allem für die jungen Choristen des Konservatoriums wird dieser Abend ein prägendes, in einzelnen Fällen vermutlich sogar Weg weisendes musikalisches Schlüssel-Erlebnis gewesen sein, von dem sie noch Jahre später zehren können. Denn es ist mehr als außergewöhnlich, bereits in jungen Jahren ein solches Werk auf einem Niveau aufführen zu können, das ohne weiteres mit dem der erfahrenen Oratorien-Chöre der Region vergleichbar ist.

Schon in den ersten Takten wird klar, dass das wagemutige Experiment Pelgers geglückt ist. Klare Artikulation und präzise Abnahme seines Dirigats sind die Grundfesten, auf denen der Chor agiert, hinzu kommt eine ungemein saubere Intonation durch alle Stimmen hindurch. Im Umgang mit den Solisten zeigt sich der Chor als ungezwungen und dialogfähig, in den Massen-Szenen sind die jungen Sängerinnen und Sänger kraftvoll und enthusiastisch, überspringen aber nie die Grenze zum unkontrollierbaren Überschwang. Sehr beweglich, mitunter geheimnisvoll wird in den unterschiedlichen dynamischen Abstufungen gearbeitet, im Vordergrund bleibt bei alledem ein erstaunlich stringent durchgehaltenes homogenes Klangbild, das mit erfrischender Strahlkraft gewürzt ist.

Konservatoriums-Direktor Gerhard Scholz hatte von Eltern berichtet bekommen, dass ihre Sprößlinge zu Hause immer wieder Bruchteile aus dem „Elias“ vor sich hin trällern. 200 Jahre nach Geburt des Komponisten wohl ein nicht von der Hand zu weisender Nachweis für die Generationen übergreifende Eindringlichkeit dieser Musik, die Moden und Trends überdauert. Ein Glücksfall für die Aufführung ist die Rheinische Orchesterakademie Mainz, die Chor und Solisten aufmerksam und jederzeit zuverlässig mitgestaltend begleitet. Daniel Sans übernimmt erfahren und mit brillanter Tongebung die Tenor-Partie, Birgit Schmickler (Mezzosopran) gefällt mit markigem, klarem Timbre, während Thomas Peter mit erdigen Bass die Elias-Rolle übernimmt und Sabine Goetz ihren hellen, ungetrübt strahlenden Sopran beisteuert.

Erstellt für die Mainzer Allgemeine Zeitung

Dienstag, 15. September 2009

Am Wiesbadener Staatstheater startet die Spielzeit mit Giuseppe Verdis Oper „Il trovatore“ in der Regie von Cesare Lievi.

In den Straßen herrscht Krieg. Manrico, der „Troubadour“ zieht, gestützt von einer Schicht Ausgestoßener und Unterweltler. mit seiner Stadt-Guerilla umher, An den industriell wirkenden Bühnenwänden von Csaba Antal prangen Graffiti, die Staatsmacht rüstet sich zum Kampf. Die Regie von Cesare Lievi beschränkt sich auf Andeutungen der tiefen Rivalität, die hier herrscht und die weit über politische Auseinandersetzungen hinaus geht.

Es geht um Rache, die sowohl die Zigeunerin Azucena als auch den Grafen di Luna bis zum Äußersten treibt. Er will seinen Bruder rächen, den die Verdammte vor Jahrzehnten ins Feuer warf. Sie wiederum sinnt auf Vergeltung für ihre Mutter, die der Vater des Grafen auf den Scheiterhaufen brachte. Das Perfide daran ist, dass sie ihre Genugtuung erst im Schmerz des jungen Grafen bekommt. Der ahnt nicht, dass der Aufständische Manrico, den Azucena wie einen Sohn aufgezogen hat, jener Bruder ist, von dem er glaubt, dass er seinerzeit in den Flammen starb. Es war ein fataler Irrtum der Zigeunerin,die ihr eigenes Kind auf diese grausame Weise getötet hatte. Erst als der Graf den Revolutionsführer hinrichten lässt, offenbart sie ihm den gerade vollzogenen Brudermord.

Die wirkungsvolle Umsetzung der Oper verdankt Lievi seinen Sängern. Allen voran nimmt Jeniece Golbourne das Wiesbadener Publikum im Sturm. Als Azucena wirkt sie mit langen verfilzten Haaren, in gebückter Haltung und mit unsteter Gestik bei ihrem Europa-Debüt ungeheuer dämonisch. Stimmgewaltig und ausdrucksstark ist sie ein großer Gewinn für die Alte Welt. Wie nur wenige Sängerinnen gelingt ihr die absolut authentische Darstellung, die nie auf Kosten der sängerischen Leistung geht, sondern mit ihr passgenau einhergeht.

Tatjana Plotnikova schwärmt als Leonora mit großer Leichtigkeit für ihren Geliebten und bietet später emotional dicht formulierte Spitzentöne, dazu gehaltvolle Piano-Stellen. Luis Chapa ist als solider Manrico zu erleben, Tito You legt viel Druck in die musikalische Interpretation des Grafen, als Ferrando gibt Bernd Hofmann eine durchweg überzeugende Figur ab. Abgerundet wird die gelungene Premiere von einem aufmerksamen, mitunter furios auftrumpfenden Orchester unter der effektvollen Leitung des argentinischen Gastdirigenten Mario de Rose. Eindrucksvolle Massenszenen steuert der Chor bei.

Weitere Aufführungen unter anderem am 17., 20., 24. und 27. September jeweils um 19.30 Uhr
Karten: 0611-132325 oder www.staatstheater-wiesbaden.de

Veröffentlicht unter anderem in der Frankfurter Neuen Presse

Montag, 14. September 2009

Charme und Tempo bestimmen die Eröffnung der Spielzeit am Staatstheater Mainz bei Peer Boysens Inszenierung der Oper „Carmen“

Wenn die Augen im Schein der Fackeln glänzen und die Gänsehaut rauf und runter läuft, kann man sich sicher sein, dass die Inszenierung ein Publikumserfolg wird. So ergeht es nun George Bizets Dauerbrenner „Carmen“, bei der Peer Boysen am Staatstheater Mainz Regie führt. Er hat dafür kein opulentes Bühnenbild gezaubert, sondern lässt den Zuschauer ungehindert in den Schnürboden blicken, aus dem herab die umschwärmte Carmen stolziert. Durchaus eine industriell geprägte Atmosphäre, die etwas kalt und starr wirkt, ähnlich wie die Aufstellung der Chöre mitunter recht unterkühlt scheint. Seltsam unbeteiligt breiten sie sich zunächst auf der Bühne aus, bleiben bei ihrer Auseinandersetzung um Carmens kleine Schlägerei letzten Endes doch uninteressiert.

Doch das kratzt wenig an der Faszination dieser Oper, die auch in Mainz mit großer Leidenschaft und mit einem gewissen Schuss Pathos auf der einen Seite und mit charmanter, gewiss tragisch endender Leichtigkeit auf der anderen Seite über die Bühne geht. Boysen, der bereits zum vierten Mal in Mainz arbeitet, bezeichnet die Oper gleichermaßen als „großes spanisches Menschendrama“ und „französische Unterhaltung“. Zwischen dem Schweren und dem Leichten liege die Spannung, sagt er vor der Premiere. Opernhafte Schwere wird dem liebesleidenden Sergeanten Don José zum Verhängnis, während die flotte Carmen sich in koketten Plänkeleien übt.

Genau diese Kontraste gelingen Peer Boysen mit Hilfe eines pointiert agierenden Ensembles und einem bestens eingestimmten Orchester unter der Leitung von Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt scheinbar mühelos. Michael Wade Lee singt den Don José mit sehr viel Kraft aber ohne Gewalt und gibt sehr gut nachvollziehbar den armen Tölpel, der zu stark schon vom Zauber seiner vermeintlichen Liebe zu der verführerischen Fabrikarbeiterin eingenommen ist, um noch Rückgrat beweisen zu können.

Besonders herausragend ist die Leistung von Tara Venditti, die eine enorm sinnliche und oft verruchte Carmen abgibt. Auch ihre Stimme stellt eine einzige Verführung dar, die sie mit gekonnter Finesse und Geschmeidigkeit einsetzt. Sie ist sich in der Rolle ihrer geradezu magischen Kräfte bewusst, mit denen sie Männer, insbesondere den einen, über die Grenze seiner Willenskraft hinaus ihre Pläne aufzwingen kann. Dietrich Greve gibt einen testosterongestopften Stierkämpfer ab, gegen den Don José geradezu jämmerlich wirken muss. Susanne Gebs Micaela gerät weich und angenehm. Originelle Show-Effekte wie die originale Flamenco-Gruppe oder die Varieté-Einlage der Schmuggler ergänzen eine griffige Inszenierung mit Charme und Tempo, sorgen dafür, dass die Schwere nicht die Überhand behält.

Tickets unter 2851222 oder www.staatstheater-mainz.de
Weitere Aufführungen am 20. und 25 September sowie bis April 2010

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Samstag, 12. September 2009

Simone Kermes hat Arien aus dem Neapel des 18. Jahrhunderts aufgenommen

Neapel gehörte im 18. Jahrhundert nicht nur zu den bedeutendsten Handels-Städte Europas, sondern war auch in Sachen Kunst wegweisend. Von dort aus machten sich große Komponisten auf zu den Bühnen der Welt, um zu großem Ansehen zu gelangen. Nur wenige sind uns mit ihrem Werk heute noch in größerem Umfang bekannt. Einer der bekanntesten aber ist bis in die Gegenwart der Librettist und „Poeta Cesaro“ am Wiener Hof, Pietro Metastasio. Er schrieb die Texte für große Opern von Giovanni Pergolesi, Alessandro Scarlatti und anderen bedeutenden Komponisten.

Die Sopranistin Simone Kermes hat nun unter dem beziehungsreichen Titel „Lava“ Opernarien aus dieser Zeit zusammen gestellt, darunter einige, die erstmals überhaupt auf CD eingespielt wurden. Die klingenden Ströme aus der Stadt am Fuße des Vesuv werden zu einem ungemein unterhaltsamen wie musikalisch aufregend interpretierten Eindruck verbunden. Sie stammen aus Opern, die heute so gut wie nicht mehr auf der Bühne aufgeführt werden. Doch mit diesen Ausschnitten macht die Sängerin gemeinsam mit den pointiert und oft mitreißend aufspielenden „Le musiche nove“ unter der Leitung von Claudio Osele durchaus neugierig.

Aus Leonardo Leos „Il demetrio“ (1735) vermittelt sie die Arie „Manca sollecita“ in einem überaus atmosphärischen und spannungsvollen Piano, so dass man das Schütteln nach dem Lufthauch, von dem sie hier singt, förmlich zu spüren vermag. Leicht angetupfte Vokale, sinnlich umspielte Melodien und ein kurzer aufschreckender Ausbruch bringen dem Zuhörer das Stück enorm nahe. Mitunter folgen auf brillant gesungene, ausladende und weit in die Höhe schießende Koloraturen unvermittelt fast gesprochen wirkende raue Marksteine in den tiefen Regionen. Die stellen etwa bei der Siface-Arie „Come nave in mezzo all'onde“ aus Johann Adolf Hasses „Viriate“ (1739) lebhafte Gegensätze dar – eben wie sie auf einem Schiff zu erwarten sind, das auf stürmischer See fährt. So jedenfalls das Bild, das besungen wird. In der Arbace-Arie „Vo solcando un mar crudele“ aus Leonardo Vincis „Artaserse“ (1730) schraubt sie sich mit brillanter Virtuosität in die inniglich vorgetragene Elends-Tragödie seines Daseins.

Die CD ist 2009 bei „Deutsche Harmonia Mundi“ erschienen. Weitere Informationen: www.lava-music.ch


Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier

Samstag, 22. August 2009

Musik als Muttersprache - Trio Jean Paul beim Rheingau Musik Festival

Schneller, höher, weiter, das sind derzeit die Maßstäbe, nach denen in Berlin die Leichtathleten um die Wette laufen, werfen oder springen. Im Musikbetrieb ist es oft ganz ähnlich. Je virtuoser, je überlegener in der Technik, desto höher ist die Aussicht auf volle Konzertsäle und lukrative Plattenverträge. Dabei gerät mitunter der musikalische Inhalt in den Hintergrund, gefordert und geliefert werden Leistung bis in die Extreme. Selten erlebt man da ein derart aufrichtig musizierendes Ensemble wie das Trio Jean Paul, das nun nicht zum ersten Mal beim Rheingau Musik Festival auf Schloss Johannisberg auftrat.

Manchen Menschen merkt man es ja an, dass sie den Konzertbesuch einem Bekannten oder Vorgesetzten zuliebe absolvieren, entsprechend fallen die Kommentare zwischen den Stücken aus. Wenn sich dann aber die Härchen auf ihren Armen aufrichten, weil eine Passage ganz besonders unter die Haut geht, ist das doch ein Zeichen für die direkte Ansprache, die den drei Musikern gelungen ist. Der Geiger Ulf Schneider, der Cellist Martin Löhr und der Pianist Eckart Heiligers haben einen Weg gefunden, die Musik zu ihrer Muttersprache zu erklären. Weit entfernt vom bloßen Abspielen der Noten sind sie mit Blicken und Körperhaltung ganz nah an den Klängen, werden eins mit der Komposition.

Es ist eine unaufgeregte Virtuosität, die zum Tragen kommt, hier erklingt Musik um ihrer selbst Willen. Das gelingt bei den noblen Ausführungen in den Klaviertrios A-Dur (Hob. XV:18) und d-Moll (Hob. XV:23) von Joseph Haydn genau so plastisch und unmittelbar wie in den atmosphärisch dichten Passagen der Klaviertrios Nr. 1 d-Moll op. 49 und Nr. 2 c-Moll op. 66 von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Die Werke der Jubilare, der eine vor 200 geboren, der andere im gleichen Jahr gestorben, wehen an diesem Abend nicht über die Köpfe der Zuhörer hinweg sondern werden beinahe körperlich erlebbar gemacht, dringen intensiv ein.

Die Luftigkeit des Spiels lässt die Hitze im Saal vergessen. Charmante Formulierungen, kokette Verzögerungen und ein kultivierter Tonfall ziehen beständig in Bann. Fröhliche Juchzer in einem flotten Haydn-Satz stehen in ansprechendem Gegensatz zu federleichter Bewegung bei höchster klanglicher Substanz in einem Andante. Das Trio Jean Paul liefert mühelos die ungemeine Präzision im Zusammenspiel, die Mendelssohn-Bartholdys satte Partituren fordern, mit beherzten Phrasierungen geheen die Musiker auf freudiges Drängen ein. Wenn man dies Form der gestalterischen Begeisterung erlebt, mag man kaum glauben, dass das Ensemble bereits seit 18 Jahren konzertiert und sich dabei jedes Mal aufs Neue einer so individuellen Interpretation widmet.

Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt

Freitag, 10. Juli 2009

Buchvorstellung: Kästrich - ein unabhängiges Forum für Kunst

Oft hinterlassen künstlerische Initiativen und Einrichtungen nur mehr Spuren in der Erinnerung derer, die daran Anteil hatten. Gerade auf lokaler Ebene ist die Nachhaltigkeit von gelebter Kunst nur schwer zu schaffen, auch dann, wenn sie internationale Protagonisten gelockt hat. Harald Kubiczak tritt dem nun im Falle des „Kästrich“ entegegen. Über zehn Jahre hat er das 1990 ins Leben gerufene unabhängige Forum für Kunst geleitet und geprägt, mit seinen Ideen und Netzwerker-Fähigkeiten zu einem vitalen Zentrum des künstlerischen Lebens der Landeshauptstadt entwickelt. Nun hat er zudem ein Buch vorgelegt, das diese zehn Jahre mit einem Abstand von erneut einer Dekade betrachtet. In der Publikation „Kästrich – ein unabhängiges Forum für Kunst“, dessen erstes Exemplar er nun Kulturdezernent Peter Krawietz überreichte, dokumentiert er mit etwa 350 Abbildungen und Texten die dort erfolgten Ausstellungen, Installationen, Performances und Konzerte mit über 70 Künstlerinnen und Künstlern aus dem In- und Ausland.

Gemeinsam mit Daniela Kieß übernahm der Künstler zunächst einen leer stehenden Tabak- und Zeitschriftenladen im Kästrich. Der Zufall hatte seine Finger dabei im Spiel, denn Kubiczak, der in Mainz aufgewachsen ist und studiert hat, parkte eines Tages dort sein Auto. Als der Verkauf ein Jahr später anstand, zog der „Kästrich“ um, ebenfalls in einen Tabakladen in der Breidenbacher Straße. Das erste Domizil brachte einige Überraschungen mit sich, unter anderem zahlreiche Bücher und andere Artikel aus dem früheren Laden, die den Grundstock für die erste Ausstellung liefern sollten.

Krawietz würdigt das Kunstprojekt als „eines der wenigen Foren für zeitgenössische Kunst“ in seiner Zeit. Gerade die freie Kulturszene habe sich in Mainz immer zahlreiche Verdienste erworben. Im „Kästrich“ sei insbesondere die Kunst gezeigt worden, die lange keinen Eingang in öffentlich geförderte Einrichtungen gefunden habe. Durch die Vermittlung eines privaten Sponsors, der ungenannt bleiben möchte, hat er Kubiczak nun die Publikation im eigens dafür gegründeten Verlag „Circuit Art“ ermöglichen können.

Harald Kubiczak hat den „Kästrich“ immer als einen Ort ohne Schranken gesehen, dort, wo auch „ganz normales Publikum“ hinkommen konnte. Dort gab es ein „Nachdenken über Leben, Realität und Kunst sowie das Verhältnis dazu“. Damals ist es gelungen, im Stadtviertel neben den anderen Läden ganz selbstverständlich akzeptiert zu werden. Nachbarn kamen rein, besuchten die neuen Ausstellungen oder Installationen, auch viele Kinder seien immer wieder neugierig herein gekommen. Für Kubiczak war das „viel interessanter als ein Raum, in den sich keiner reintraut“. Viele Impulse kamen von dem niederländischen Künstler Paul Panhuysen, der in Amsterdam das „Apollohuis“ betrieben hat. Aber auch viele andere Künstler fanden sich ein. Von Oktober 1992 bis September 1993 produzierten sie einige von ihnen gemeinsam eine kleine Zeitschrift unter dem Titel „Observation“, in denen sie sich unter einander austauschten.

Das im Taschenbuch veröffentlichte Buch sollte bewusst keinen Katalog-Charakter annehmen, sondern nach Kubiczaks Vorstellungen immer wieder dazu anregen, es zur Hand zu nehmen. Das ist dank der Vielfalt seines Inhalts und der ansprechenden Präsentation der Arbeiten durchaus gelungen.

Das Buch ist zum Preis von 14 Euro über www.circuit-art.org zu beziehen.


Gekürzt veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Mittwoch, 8. Juli 2009

Der Bariton Christian Gerhaher und der Pianist Gerold Huber hinterlassen beim Rheingau Musik Festival auf Schloss Johannesberg bleibende Spuren

Gerhaher und Huber pflegen eine der tiefsten musikalischen Männerfreundschaften der Gegenwart. Seit sie vo 21 Jahren Schumanns „Dichterliebe“ gemeinsam erarbeitet haben, sind sie zur Einheit verschmolzen. „Das hat etwas mit Treue zu tun – ähnlich wie in einer Ehe“, hat Gerhaher einmal gesagt. Und während jährlich bis zu 200.000 Ehen geschieden werden, haben sich Gerhaher und Huber wahnsinnig viel zu sagen. Nun haben sie mit Franz Schuberts selten im Kontext aufgeführten „Schwanengesängen“ bleibenden Eindruck hinterlassen. Gerhaher deckt das gesamte emotionale Spektrum ab und wirkt in jedem Lied so authentisch, als habe er sich nur auf diese Zeilen vorbereitet. Über die technischen Fähigkeiten der Musiker braucht kein Wort mehr verloren werden. Was sie ausmacht, ist die Aufrichtigkeit und Begeisterung für die Liedgestaltung als hohe Kunst. Mit großer Ernsthaftigkeit erspüren sie die Essenz der Musik und der Texte und setzen dafür ihr Innerstes ein. Persönlicher kann man diese Lieder kaum vermitteln. Wenn Gerhaher die ersten Zeilen in „Die Stadt“ mehr spricht als singt, oder das Herzenselend in „Der Atlas“ mit Macht aus ihm heraus bricht, wenn Huber die wunderschöne lyrische Begleitung in „Das Fischermädchen“ licht und freundlich gestaltet oder die unendliche Traurigkeit aus „Ihr Bild“ transportiert, bekommt man Schubert in seinem Todesjahr ganz nah gebracht.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse
Fotoquelle: http://ionarts.blogspot.com/2007_12_01_archive.html

Sonntag, 28. Juni 2009

Rheingau Musik Festival eröffnet mit Mahlers Neunter in Kloster Eberbach

Das Zahlenwerk ist mittlerweile Gewohnheit und doch beeindruckend. Innerhalb von zwei Monaten finden im Rheingau 141 Konzerte an 38 Spielstätten statt, wofür 115.000 Eintrittskarten verkauft werden. Aus einer winzigen Folge von vier Veranstaltungen hat Michael Herrmann mit seinem Team mit dem Rheingau Musik Festival eines der führenden Klassikfeste in Europa geschaffen. Mittlerweile sind gehobene Jazz- und Unterhaltungstermine dazu gekommen. All das mit einem Minimum an öffentlicher Finanzierung, wenn man die Unterstützung durch öffentlich rechtlichen Rundfunk und staatlich kontrollierte Unternehmen einmal herausrechnet. Zur Eröffnung des 22. Festivals platzte Kloster Eberbach aus allen Nähten, als Hessens Ministerpräsident und Festival-Schirmherr Roland Koch die Mega-Reihe eröffnete. Der freute sich über die Ausstrahlung der Konzerte über Hessen hinaus und lobte die „unternehmerische Idee“ sowie die persönliche Leistung Herrmanns.

Es ist Tradition, dass der Hessische Rundfunk das erste Konzert der Saison in seinem Kultursender live ausstrahlt, diesmal konnten auch die Bewohner Katalaniens am Lautsprecher die Klänge aus dem Rheingau miterleben. Ein monumentales Werk in nicht weniger beeindruckender Kulisse aber muss man vor Ort erleben, um es so richtig auf sich wirken lassen zu können. Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 9 in D-Dur, die letzte von ihm vollendete, stand auf den Pulten der Musiker des HR-Sinfonieorchesters, das von seinem Chefdirigenten Paavo Järvi dirigiert wurde. Järvi gehört längst zu den ganz Großen seiner Zunft, hat gerade seinen Frankfurter Vertrag bis 2013 verlängert und übernimmt im kommenden Jahr zusätzlich das Orchestre de Paris, das natürlich auch schon beim Festival gespielt hat.

Es ist genau die Sorte Musik, die ein Festival dieser Größenordnung zum Auftakt verträgt. Da werden mächtige Klänge aus der Tiefe des Orchesters heraus gezerrt, während zuvor noch ein extremes Pianissimo jeden Ton einzeln erlebbar machte. Es ist das faszinierende Zusammenspiel von Einzelnen und Gruppen, das in der Komposition so meisterhaft zelebriert und vom HR-Sinfonieorchester mit bestechender Akribie und großer musikalischer Begeisterungsfähigkeit vermittelt wird. Der morbide Charme der Neunten, der sich immer wieder mit Macht seine Bahn bricht, trägt seinen Teil zur Überwältigung bei. Dem Orchester gelingt einmal mehr die packende Interpretation krasser klanglicher Gegensätze, die musikalische Urgewalten mit scheuer Zurückhaltung bewusst nicht verbindet. Niklas Sommer

Weitere Konzerte unter www.rheingau-musik-festival.de

Montag, 22. Juni 2009

Interaktiver "Faust" endet in der Gaskammer

Dr. Heinrich Faust hat keine Lust zu feiern. Ohnehin ist der Vielgelehrte ein Misanthrop, der kein Interesse an gesellschaftlichen Ereignissen zeigt. Das kümmert seinen „Famulus“ Fritz Otto Wagner, wenig. Er ist fest entschlossen, seinem Meister ein Fest zum 60. Geburtstag auszurichten und wenn alles klappt, ihm auch noch eine Ehefrau zu verschaffen. Wir schreiben das Jahr 1929, befinden uns in der Oberen Webergasse 43 und treffen auf eine illustre Gesellschaft aus Bürgerlichen und deren Personal. Heinrich Faust, der Name ist nicht zufällig gewählt, gefällt sich in der Rolle des entrückten Mann des Geistes, der sich scheinbar von nichts Weltlichem so recht begeistern lässt. Sein diensteifriger Gehilfe wittert im aufkeimenden Nationalsozialismus seine Chance, endlich die Anerkennung zu finden, die ihm das Leben bislang versagt hat.

Wieder einmal ist dem Team vom „Künstlerhaus 43“ eine besondere Form des interaktiven Theaters gelungen, in dem Goethe-Texte vom „Faust 1“ mit zeitgenössischen Anleihen verwoben werden. Da erscheint ein schottischer Offizier mit jüdischen Wurzeln, der der britischen Besatzungsmacht angehört, aber bloß „ein wenig aufpassen“ möchte. Bald wird er zum Opfer der bereits jetzt faschistisch umhauchten Festgemeinde, ebenso wie seine Schwester Margarete, die später wie aus dem Nichts erscheint und den Faust für sich gewinnt. Der ersticht mit Mephistos Hilfe den eifersüchtigen Bruder, Margarete wird wegen „Blutschande“ eingelocht. Gemeinsam mit Faust verendet sie in ihrer Kammer, umfangen von hellem Rauch. Augenblicklich wird klar, was damit angedeutet wird. Zuvor aber wird bürgerlich-heiter mit leicht dekandenten Noten gefeiert. Dafür sorgt Sophie Eisenhof, eine Schauspielerin, die sich in eine teuflische Verführerin verwandelt und Fausts Weg in den Untergang bestimmt.

Das Publikum bleibt nicht unbeweglicher Zeuge, sondern nimmt unmittelbar als Gästeschar teil, wird verköstigt und nimmt am Tanz teil, wird von den Akteuren angesprochen und integriert. Möglich ist das nur mit einem ausgesprochen präsenten Ensemble, das weit mehr zu leisten hat, als in einer vorgegebenen Rolle zu bleiben. Gottfried Herbe, langjähriges Mitglied des Wiesbadener Staatstheaters, verleiht dem Faust eine würdevolle Note, gleichsam gelingt es ihm, dessen mehrfache Wandlung plastisch und erlebnisreich zu vermitteln. Ariane Klüpfel ist seine gefährlich sinnliche Verführerin, deren Charme wohl nicht nur er erliegt und die mit grausigem Knurren mögliche Widersacherinnen wegbeißt. Wolfgang Vielsack gibt mit hündischer Untertänigkeit den Fritz Otto Wagner, dessen Stunde gekommen ist, als er Judensterne verteilen darf. Mario Krichbaum beweist Vielseitigkeit, muss nicht nur mit schottischem Akzent sprechen, sondern sich später bellend Gehör verschaffen, weil ihn der Geist, der stets verneint, kurzfristig unschädlich gemacht hat. Thordis Howe schließlich ist eine zerbrechliche Margarete, wie sie im Buche steht.

Weitere Aufführungen: am 25., 26., 27., 28. Juni sowie 4., 10. und 11. Juni, jeweils 19 Uhr
Karten kosten 33, ermäßigt 28 Euro
Tickets unter www.kuenstlerhaus43.de oder bei der Tourist Info Wiesbaden

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt
Fotos: Susanne Müller

Montag, 8. Juni 2009

Faust - ein Klassiker zum erleben

„Dr. Heinrich Faust“ ist nach dem Erfolgsstück Romeo & Julia eine neue große Produktion des kuenstlerhaus43 in Wiesbaden. In der Titelrolle spielt diesmal der allseits bekannte und beliebte Schauspieler Gottfried Herbe einen in die Jahre gekommen Kurarzt, in der von Engländern besetzten ehemaligen Weltkurstadt. 1929 feiert er seinen 60. Geburtstag, und da er nicht gerne in der Öffentlichkeit steht, lädt sein bester Freund der Famulus Wagner zu einer Überraschungsfeier ein.

Die Zuschauer des Theaters sind die Gäste dieses Festes und erleben so ganz nebenbei Goethes bekanntestes Schauspiel. Mit dabei wieder die Hofköche aus Wiesbaden, die passend zu einem kleinen Wirtschaftskrisenmahl einladen. Dank des jungen Ensembles des kuenstlerhaus43, bestehend aus 9 Schauspielern und Musikern, erlebt ein alter bedeutsamer Klassiker in ungewohnter Kulisse eine spannende Wiedergeburt.

Premiere: Freitag, 19. Juni 19 Uhr

Weitere Termine: 25. / 26. / 27. / 28. Juni, 4. / 10./ 11./ Juli, jeweils 19 Uhr

Eintritt: 33/Ermäßigt 28 € zuzüglich Vorverkaufsgebühr (inkl. Begrüßungsgetränk & kleinem Wirtschaftskrisenmahl von den Wiesbadener Hofköchen)

Vorverkauf: Tourist Info Wiesbaden 0611 - 172 99 30 oder online unter www.kuenstlerhaus43.de

Mittwoch, 3. Juni 2009

Vorfreude nicht nur auf Bach - Daniel Hope spielt für St. Johannis in Mainz

Drei Geiger werden sich am 7. Juni um 20 Uhr musikalisch in der Kirche St. Johannis begegnen und mit ihrem Konzert dazu beitragen, dass die dringend notwendige Restaurierung der Kirche eine weitere finanzielle Unterstützung erhält. Die Mainzer Geigerin Caroline Adomeit, der Sohn von Pfarrerin Dr. Bettina Opitz-Chen, Ikki Opitz, der an der Deutschen Oper Berlin engagiert ist, sowie der international renommierte Daniel Hope haben dafür ein spannendes Programm zusammen gestellt. Wir sprachen mit Daniel Hope über das Konzert.


Wie ist dieser Kontakt eigentlich zustande gekommen?

Ich bin mit Ikki schon sehr lange befreundet. Er ist einer meiner ältesten Freunde, denn ich war mit ihm gemeinsam auf der Yehudi-Menuhin-Schule. Er ist ein hervorragender Geiger und uns verbindet eine lange Freundschaft, er ist für mich eine wichtige Person. Die Familie kenne ich bereits, seitdem ich ein kleiner Junge war. Als ich mit Ikkis Mutter gesprochen habe und sie mir gesagt hat, dass die Kirche dringend Hilfe braucht, habe ich sofort zugesagt, mich zu engagieren. Zum Glück war ich in diesem Zeitraum frei und konnte problemlos mitmachen.

Was ist das besondere an dieser Freundschaft, dass sie so lange hält?

Wir wurden geprägt durch zwei sehr intensive an der Schule. Ich war zu der Zeit acht, er war neun und für mich persönlich war es sehr hart. Ich hatte in dem Internat viel Heimweh und Ikki hat mich damals sehr unterstützt und mir diese Zeit erträglich gemacht. Daher habe ich sehr schöne Erinnerungen daran. Wir haben uns seitdem nicht regelmäßig gesehen, aber es gab immer wieder Begegnungen und es scheint uns dann, als sei in diesen 20 Jahren gar keine Zeit vergangen.


Als Künstler bekommen Sie immer wieder Benefiz-Anfragen. Wie wählen Sie da aus?

Sie haben Recht, ich werde sehr oft gefragt. Einige sage ich zu, ich kann aber natürlich nicht alles machen. Es muss für mich einen persönlichen Zugang geben. Etwa bei Amnesty International, weil ich diese fantastische Arbeit wichtig finde. Hier nun war der Zugang über die Opitz-Familie gegeben. Aber auch durch die Person von Frau Opitz-Chen, die sich sehr stark für die Restaurierung einsetzt. Das ist sehr ehrenhaft und finde es toll, wenn ich dazu beitragen kann.

Wie haben Sie die Stücke ausgewählt?

Haben uns telefonisch und per E-Mail abgesprochen. Jeder hat seine Wunschliste eingebracht und so haben wir es unter ein Dach gebracht. Wichtig war, dass es auch ein schönes Konzert für das Publikum werden sollte. Das Doppelkonzert d-Moll von Johann Sebastian Bach habe ich mit Ikki als Kind immer mal wieder gespielt und wir wollten es später einmal in einem Konzert aufführen. Wir sind nie dazu gekommen und ich freue mich riesig, dass wir nun die Chance dazu haben. Dann fanden wir es interessant, die „Vier Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi unter uns aufzuteilen, auch um die unterschiedlichen Charaktere der Sätze herauszustellen.

Sie werden von Mitgliedern des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz begleitet, die sie nicht kennen. Ist das ein Risiko?

Nein, ich habe volles Vertrauen in die Musiker dieses Abends. Wir sind alle da, um die Kirche zu unterstützen, das wird uns sicherlich auch gelingen und ich hoffe, dass das Publikum zahlreich kommen wird.

Karten kosten 20 Euro und sind im Vorverkauf bei der Kunsthandlung Jäger, Schöfferstraße 6 oder an der Abendkasse erhältlich. Weitere Informationen: www.johannis-mainz.de


Foto: Felix Broede/ Deutsche Grammophon

Dienstag, 2. Juni 2009

8. Sinfoniekonzert des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz

Es war kein leichter Konzertabend, den das Philharmonische Staatsorchester Mainz seinen Zuhörern im Großen Haus da angerichtet hatte. Die üppige Sinfonie Nr. 1 in D-Dur von Gustav Mahler, der „Titan“, an dem der Komponist vier Jahre laborierte und den er sieben Jahre nach seiner Uraufführung schließlich im Jahr 1906 noch einmal überarbeitete, füllte den gesamten zweiten Teil aus. Mit seiner Fülle an klanglichen Eindrücken hatte Mahler schon das zeitgenössische Publikum enorm gefordert, Theodor W. Adorno sprach davon, dass die Komposition ihr Programm „verschluckt“ habe. Auch in der Mainzer Interpretation war von inhaltlicher Programmatik kaum etwas zu erkennen, im Gegenteil: Der enorme Kraftakt geriet hier zu einem faszinierenden Beispiel fast absolut musikalischer Gestaltungskraft der Musikerinnen und Musikern, die unter der Leitung von Peter Hirsch einen erstaunlich geschlossenen Eindruck abgaben.

Schon zuvor hatten sich die Instrumentalisten ihren gestalterischen Spürsinn mit zwei ungewöhnlichen Werken des 20. Jahrhunderts bewiesen. Die Anfang der 1950er Jahre entstandenen „Variazioni per Orchestra“ von Luici Dallapiccola bestehen aus elf espressiven Miniaturen, die mal sanft dahingepustet wirken, mal mit allem Zorn heraus geschleudert werden. Das Orchester formulierte die Stücke immer sehr klar verständlich und vermittelte die Musik ohne Umschweife. In seiner Vielseitigkeit wirkt das Werk gleichermaßen überaus unterhaltsam, man folgt ihm ähnlich gebannt wie einer Folge akrobatischer Zirkus-Nummern – immer in der Erwartung einer neuen überraschenden Wendung, die stets auch mit planbarer Sicherheit eintritt. Das Orchester stellte sich dabei jedenfalls bereitwillig und mit seiner gesamten klanglichen Kompetenz für diese Präsentation zur Verfügung.

Luigi Nonos Hommage an den 1943 von den Nazis ermordeten kommunistischen Autoren Julius Fucik (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Blasmusik-Komponisten) aus Tschechien hingegen gerät erwartungsgemäß zerrissen und verstörend. Ein Jahr nach der Komposition im Jahr 1951 trat Nono übrigens selbst der kommunistischen Partei in Italien bei. Die bedrückende Verhör-Situation, die Nono eingefangen hat, gerät zu einer einzigen Anklage aus einzelnen, verloren wirkenden Bläser-Phrasen zu monotonen, lange liegenden Streichertönen. Dazu kommt ein kurzer Dialog, in Mainz von Gregor Trakis und Stefan Walz leider etwas schematisch vorgetragen.

Gekürzt veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Jubiläumskonzert in der Wiesbadener Begkirche

Als die Bergkirche vor 130 Jahren eingeweiht wurde, traf sie in unmittelbarer Nähe, etwa 100 Meter entfernt, auf eine rege Nachbargemeinde. Gerade zehn Jahre davor wurde die Synagoge am Michelsberg eröffnet, köännte heute also 140 jähriges Bestehen feiern, wäre sie nicht am Morgen des 10. November 1938 von den Nationalsozialisten und ihren willfährigen Gefolgsleuten zerstört und ein halbes Jahr später, vor siebzig Jahren also, vollständig abgerissen worden. Ganz bewusst erinnerte Bergkirchen-Kantor Christian Pfeifer beim Jubiläumskonzert auch an diesen Teil der Wiesbadener Kirchengeschichte.

Mit der Kantorei der Bergkirche verfügt die Gemeinde über einen ausgesprochen leistungsfähigen Chor, der unter Pfeifers Leitung zu Großem aufbricht und sich dabei dauerhaft als einer der vielseitigsten vokalen Klangkörper der Stadt erweist. Schon mit der Brahms-Motette „Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen“ stellten die gut 50 Sängerinnen und Sänger ihr klangliches Spektrum unter Beweis. Sanfte Homogenität im Gesamteindruck und hohe Sensibilität in der Umsetzung der Partitur zeichnen die Kantorei ebenso aus wie die enormen dynamischen Feinheiten, die sie als gestalterisches Element einsetzen.

Auch in anderen Werken, etwa den Ausschnitten aus Joseph Gabriel Rheinbergers Messe Es-Dur fiel eine äußerst klare Stimmführung auf, durch die sich die einzelnen Stimmgruppen klar von einander absetzten und dennoch ein tiefes, nachvollziehbares Verständnis für den musikalischen Kontext bewiesen. Beeindruckend auch die gehaltvollen Momenten im extremen Pianissimo.

Andreas Karthäuser hatte zu Beginn die nur selten gespielte Orgelsonate Nr. 1 von Christian Fink vorgestellt, die zeitgleich mit der Einweihung der Bergkirche beim „Wiesbadener Tonkünstlerfest“ aufgeführt worden war. Das Werk ist sehr üppig angelegt und steckt
voller farblicher Spielereien, die Karthäuser geschickt heraus gearbeitet hatte und resolut umsetzte. Gemeinsam mit dem Solo-Cellisten des Wiesbadener Staatsorchester, Stephan Breith,
interpretierte er am Harmonium unter anderem das „Kol Nidrei Adagio“ von Max Bruch. Die beiden Musiker vermittelten die ausdrucksstarken Melodien gefühlvoll und doch ohne zu viel Pathos.

Gekürzt veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt / Wiesbadener Kurier

Freitag, 29. Mai 2009

An den Internationalen Maifestspielen beteiligt sich Wiesbaden mit der Mozart-Oper „Don Giovanni“ in Carlos Wagners Inszenierung

Es gehört zur guten Tradition, dass sich der Gastgeber des Festivals nicht nur zu Beginn mit einer Neuproduktion beteiligt, sondern auch ein laufendes Stück in besonderer Besetzung beisteuert. In diesem Jahr ist es Mozarts „Don Giovanni“ in der Inszenierung von Carlos Wagner, der damit im September vergangenen Jahres die Spielzeit eingeläutet hatte. (Rezension vom 8.9.09) Als Gäste waren der Bariton Thomas J. Mayer für die Titelrolle, Erwin Schrott als dessen Gefolgsmann Leporello und der Schweizer Tenor Nernard Richter gewonnen worden, die sich nahtlos in das Wiesbadener Ensemble einfügten.

Einmal mehr konnten die Opernbesucher erleben, wie die kluge Personenführung von Carlos Wagner in jeder Szene einwandfrei funktionierte. Jeder Moment hat seine eigene Spannung, die Szenen gehen mühelos ineinander über, ohne Handlungslücken zuzulassen. Mit Hilfe von Rifail Ajdarpasic und Ariane Isabell Unfried, die sich für ein eher klassisches Bühnenbild entschieden haben und den meist dezenten Kostüme von Christof Cremer hat Wagner eine zeitlose Inszenierung geschaffen, die sich nicht aufdrängt. Dennoch umgeht sie keinen Konflikt. Weder den des Giovanni, dessen übermäßiges Ego keine Selbstzweifel zulässt, noch den des Aufpralls der gesellschaftlichen Welten des prekariösen Paars Zerlina und Masetto auf die der Oberschicht der Dons und Donnas.

Erwin Schrott kann als markiger Leporello mit einer Menge Spielwitz für sich einnehmen, Thomas J. Meyer gibt einen kraftvoll überzeugenden Don Giovanni. Bernard Richters klar fokussierter Don Ottavio zeichnet sich durch eine durchaus herbe Gestaltung aus. Empfindsam füllt Tatiana Plotnikova die Donna Anna mit Leben. Mitreißend und mit makelloser, farblich brillanter Höhe begeistert Aga Mikolaj als Donna Elvira. Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Marc Piollet spielt das Staatsorchester schlank und durchsichtig auf, erweist sich als ungemein beweglich und sichert der Vorstellung ein unerschütterliches klangliches Fundament.


Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Vergleiche auch: Wiederaufnahme der Inszenierung von Peter Mussbach in Frankfurt (8.3.09)

Mittwoch, 27. Mai 2009

Konzertanter Opernabend mit der Barockoper „Die schöne und getreue Ariadne“ von Johann Georg Conradi bei den Internationalen Maifestspielen.

Fast 300 Jahre lang schlummerte sie unentdeckt vor sich hin. Die Oper „Die schöne und getreue Ariadne“ wurde 1691 für die Hamburger Bürgeroper am Gänsmarkt verfasst und erst 1972 wieder entdeckt. 1722 hatte übrigens der ungleich berühmteren Komponist Reinhard Keiser das Werk auf ein Libretto von Christian Heinrich Postel noch einmal neu bearbeitet. Aber auch Johann Georg Conradi erfreute sich Zeit seines Lebens einer gewissen Beliebtheit, war unter anderem einige Jahre als Kapellmeister in Hamburg angestellt, nachdem er zuvor in Ansbach und Oettingen gewirkt hatte.

In Wiesbaden hatte sich nun das „Ensemble Mattiacis“ unter der künstlerischen Gesamtleitung von Thomas de Vries dieser weitest gehend unbekannten Oper angenommen, freilich nur in konzertanter Fassung im prunkvollen Foyer des Staatstheaters, das eine durchaus adäquate Bühne für das barocke Werk darstellt. Dem Verlauf der Handlung jedoch wurde man dadurch nicht gerecht, was angesichts der sicherlich spannenden Vorlage noch nachzuholen wäre. Die Schwestern Ariadne und Phaedra buhlen um Theseus, den Prinzen von Athen. Scheinbar hat der sich für Ariadne entschieden, lässt sie aber auf Naxos zurück, um zu deren Schwester zurück zu kehren.

Das „Ensemble Mattiacis“ vermochte unter der sparsamen Leitung von Yvon Répérant, der vom Cembalo aus nur wenige Impulse zu setzen schien, die Farbigkeit des Werkes nur in Maßen zu vermitteln. Zu oft standen intonatorische Probleme im Weg, zu sehr zogen sich die Instrumentalisten in wenig inspirierter Routine zurück. Sängerisch hingegen konnten das Ensemble zum Großteil überzeugen. Emma Pearson gab mit sehr klaren Formulierungen, direkter Ansprache und einer agilen Schärfe eine ausdrucksstarke Phaedra, Sharon Kempton konnte gehaltvoll die emotionale Spanne zwischen Liebe und Zorn beleben. Thomas de Vries' Minos geriet mächtig, dabei sehr beweglich, der Theseus von Gustavo Quaresma hingegen etwas schematisch.


Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Montag, 18. Mai 2009

Ein Abend ohne aber für Joni Mitchell

Hinter der Bühne ist ein farbenfrohes Bild zu sehen, das zwar nicht direkt Kreise darstellt, aber durchaus mit runden Formen aufwartet, die einen zyklischen Gedanken nahe legen. Die Arbeit von Sabine Gustke ziert auch das Cover der noch rechtzeitig vor dem vergangenen Wochenende ausgelieferten CD von Annette Marquard, Kate Nelson und Tilmann Höhn. Die beiden Sängerinnen und der Gitarrist haben sich gemeinsam auf eine retrospektive Reise von Joni Mitchell begeben und dabei an ganz unterschiedlichen Stellen ihres musikalischen und privaten Lebens Station gemacht. Im intimen Rahmen des Spiegelsaals des Walhalla-Theaters wurden nun ganz verschiedene Stimmungen wieder gegeben, in die sich das zahlreich erschienene Publikum gerne mitnehmen ließ.

Mit ihrem warmen, kraftvollen Timbre hatte es Annette Marquard übernommen, das Titelstück zu interpretieren. Musikalisch tiefsinnig lotete sie die Feinheiten der Musik einfühlsam aus. Mit „River“ stellte Kate Nelson erstmals an diesem Abend ihre helle und unaufdringlich brillante Stimme mit der gleichen Empathie vor, die auch im späteren Verlauf in so einem spannungsvollen Kontrast zu der Stimmfarbe ihrer Kollegin stehen sollte. „Little Green“, so erfährt das Publikum, hat Joni Mitchell im Alter von 19 Jahren geschrieben, als sie ihr Tochter zur Adoption freigegeben hat. Kate Nelson brachte dieses ganz besondere Wiegenlied mit sanfter, leicht samtiger Färbung ganz nah an die Ohren des Publikums heran.

Mit „Night ride home“ gelang Annette Marquard schnell wieder der gebändigt rockige Ausstieg aus der voraus gegangenen Melancholie, nicht zuletzt dank Tilmann Höhns pointierter rhythmischer Gestaltung am Sechssaiter. Ohnehin erwies sich der Gitarrist an diesem Abend immer wieder als herausragender Instrumentalist, dessen Fingerfertigkeit mit einem hohen Maß an musikalischem Einfallsreichtum korrespondierte. Mit „Map of Canada“ konnte er auch solistisch überzeugen, verband technische Höchstleistungen mit eng verwobenen Klangflächen.

Dass sich die Stimmen der beiden Sängerinnen gegenseitig einiges zu sagen haben, fiel ganz besonders in „Chinese Coffee“ auf. Über den erdigen Ton von Annette Marquard legte sich Kate Nelsons geschmeidig hell-raue Note ohne jede unangenehme Reibung. Zudem gelang es den beiden Musikerinnen immer wieder während des Stückes die Rollen zu tauschen. Später zeigte sich, dass Annette Marquard durchaus zu einem sehr kernigen Klang kommen kann während Kate Nelson eine angenehm ins Metallische changierende Note einführte.

Schade, dass es nur einige der an diesem Abend aufgeführten Stücke auf die CD geschafft haben. Die Herangehensweise an die Titel aber beweist ein hohes Maß an musikalischer Eigenständigkeit der Interpreten. Die machen zwar aus ihrem hohen Respekt vor Joni Mitchell keinen Hehl, lassen sich dadurch aber nicht von ihrer persönlichen Deutung und Gestaltung abhalten.

Die CD „Circle Games“ kann derzeit zum Preis von 15 Euro über www.annettemarquard.de oder www.tilmannhoehn.de bestellt werden.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt
Foto: wita/Uwe Stotz

Das Staatstheater Mainz zeigt die Szenische Erstaufführung von Rolf Riehms „Die schrecklich-gewaltigen Kinder“ in der Inszenierung von Gisbert Jäkel.

Es ist nicht so ganz klar, was das Verstörende dieser Aufführung eigentlich ausmacht. Ist es die Dichtung des antiken Griechen Hesiod, seine „Theogonie“, die von Uranos handelt, der seine Kinder in Gefangenschaft hielt und deshalb von seinem Sohn Kronos brutal entmannt wurde? Oder die plakative, mitunter aufreibende und auf jeden Fall scheinbar passgenau auf das Geschehen abgemessene Musik von Rolf Riehm, die vor sechs Jahren entstanden ist? Schließlich bleibt noch die mitunter bizarre, aber immer direkt ansprechende Inszenierung von Gisbert Jäkel am Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters.

Riehm selbst ist davon überzeugt, dass der Text zu seinem Werk „Die Schrecklich-gewaltigen Kinder“ trotz seines Alters „keinen Staub angesetzt hat“, die Botschaft sei: „Nur mit Gewalt sind zwischenmenschliche Beziehungen zu ändern“. Damit schlägt er den Bogen von Hesoid bis zum ehemaligen Präsidenten George Bush in seiner Vorbereitung auf den Irak-Krieg. Eigentlich war das Werk nicht zur szenischen Aufführung gedacht, Riehm sah es als „Film ohne Bilder“ an. Die Anfrage der Mainzer aber habe ihn geradezu begeistert und Jäkel ist gar davon überzeugt, dass die Musik seine Bilder und Vorgänger geradezu provoziere.

Gisbert Jäkel, der für diese Arbeit zum ersten Mal ans Mainzer Staatstheater gekommen ist, zeichnet auch für das Bühnenbild verantwortlich, das von einer raumgreifenden Betonwand geprägt ist, in die zuvor ein riesiges Loch gerissen wurde. Vermutlich durch eine Explosion wird der Einblick in das Familienleben des alten Göttergeschlechts nun möglich. Musikalisch zerlegt Riehm das Geschehen permanent in seine Einzelteile, hinterfragt gekonnt und erstellt musikalische Gegenkonstrukte. Die permamente Spannung zwischen Musik und Handlung wird dadurch innerhalb der kurzen Stunde immer wieder enorm gegenwärtig.

Die Rollen sind klar verteilt, während die überwältigende Sopranistin Ana Durlovski mit vokaler Strahlkraft und der offenkundigen Fähigkeit zur künstlerischen Reibung durch die Handlung führt, ist der Tänzer Rogério Cruz ein flammend entzürnter Kronos, der dem plumpen, zuletzt nur noch armselig dahinvegetierenden Uranos (Wilfried Günther) die lange erhoffte Rache zuteil werden lässt. Clemens Heil und das Ensemble des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz loten die musikalischen Besonderheiten der herausfordernden Partitur in all ihren Tiefen und Furchen aus und belassen ihr damit die Hauptrolle in einem Musikwerk mit eindringlicher szenischer Illustration. Einmal nicht anders herum, was allein den Abend schon bemerkenswert macht.

Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse

Freitag, 15. Mai 2009

Götz Alsmann ist in der Frankfurter Alten Oper weder Engel noch Teufel, sondern einmal mehr ein brillanter Unterhalter auf höchstem Niveau.

Eigentlich will er doch gar nicht wissen, ob er eher Engel oder doch mehr ein Teufel ist. Aber da er an verschiedene Höllen für unterschiedliche Berufsgruppen glaubt, ist Götz Alsmann die Hölle
wahrlich nicht zu wünschen. In der teuflischen Abteilung für Jazzmusiker nämlich dürfte er zwar mit allen Größen seiner Zunft gemeinsam spielen und bekäme von niemandem Geringerem als Count Basie die Noten gebracht. Doch zu spielen hätte er dann „Schnappi, das kleine Krokodil“. Mit „Engel oder Teufel“ ist Alsmann mit neuem Programm zurück in Frankfurt und hat seine drei Weggefährten Rhythmus, Text und Melodie im Gepäck.

Seine nach wie vor allerfeinste Stärke liegt in den vielseitigen Arrangements, die nicht bloß
Begleitgeräusche für den Star im Mittelpunkt darstellen. Drei Schlagwerker hat er um sich geschart, ein jeder ein absoluter Individualist mit dem Hang zum Besonderen im Team. Altfried Maria Sicking wirbelt vierklöppelig zwischen Vibra- und Xylophon umher und spitzt zudem die Lippen für gedämpfte Trompetensoli, Rudi Marhold zieht sich am Schlagzeug vermutlich so manche Sehnenscheidenentzündung zu und Markus Paßlick entdeckt immer wieder neues exotisches Perkussions-Spielzeug um jedem Titel einen ganz eigenen Atmosphäre-Tupfer beizufügen. Michael Ottomar Müller steuert schließlich den roten Bassfaden bei.

Alsmann selbst ist ein Meister der Mimik und der Tastenkombinationen. Während er lässig Akkorde antippt, schweift sein Blick suchend umher, manchmal verzieht er das Gesicht zur bübischen Grimasse oder zieht die Augenbrauen einen halben Millimeter hoch. Musikalisch gibt es zwischen Gute-Laune-Tänzen bis zu melancholisch schönen Liebes-Seufzern das gesamte
Alsmann-Schlager-Jazz-Repertoire. Gänsehautverdächtig ist sein „Geisterreiter“, gar nicht deutschtümelnd sein Liebeslied an alle germanischen Frauennamen, die man in einem Lied unterbringen kann.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Sonntag, 10. Mai 2009

Die australische „Co-Opera“ spielt an ungewöhnlichen Orten und gastiert mit Mozarts "Zauberflöte" bei den Internationalen Maifestspielen

Mit 18.000 Kilometern hält die „Co-Opera – Opera on the move“ wohl den ewigen Streckenrekord. So weit ist bislang kein Ensemble gereist, um an den Maifestspielen teilzunehmen. Doch das Konzept der „Outback-Oper“ besteht gerade in dieser Unstetigkeit. 15.000 Kilometer legt sie pro Spielzeit zurück, um in die hintersten Winkel Australiens vorzudringen. Mit drei Kleinbussen und einem Lastwagen zieht sie durch die unwirtlichsten Gegenden, um vor Farmern, Rinderzüchtern, Glücksrittern und Bergleuten aufzutreten.

Im Gepäck haben diese Musik-Pioniere nichts weniger als traditionelle Oper in behutsam zeitgenössischem Gewand. Da unterbricht die Handlung mal kurz für einen Popsong, mitunter mischen sich die Akteure auch unter ihr Publikum. Doch die eigentliche Oper wird dieser volkstümlichen Vermittlungsweise niemals geopfert. Durch die guten Kontakte zwischen dem Staatstheater und der australischen Opernszene, die bereits hervorragende Künstler nach Wiesbaden gebracht hat, konnte das hiesige Publikum jetzt eine Kostprobe dieses ungewöhnlichen Ensembles erhalten.

Selbstverständlich kann ein derart extravaganter Gast nicht ins Große Haus eingeladen werden, so wurde Mozarts „Zauberflöte“ im Kultur- und Kommunikationszentrum Schlachthof positioniert. Auch hierher waren neben den üblichen Opern-Fans zahlreiche Neugierige gekommen, die erleben wollten, wie der Ort, der ansonsten für Rock-Konzerte und Partys genutzt wird, zur Opernbühne wird.

Und das Experiment ging auf. Mit ungeheurer Spielfreude sind die Sänger auf der spartanisch mit einem Metallgerüst ausgestatteten Bühne zugange. Die Regisseurin Tessa Bremner verleget die Handlung in die Konkurrenzwelt des Gaststättengewerbes, wo man sie durchaus problemlos unterbringen kann. Es ist ganz allein den Sängern überlassen, das Konzept zu tragen, denn außer ein paar Lichteffekten gibt es keinerlei Unterstützung. Doch mehr brauchen sie auch nicht, denn ihre nie abnehmende Präsenz sorgt für ausreichend Spannung.

Auch musikalisch kommt einiges rüber. Jeremy Tatchell ist ein flotter Papageno, der hier seinen Unterhalt nicht mit lebendigen Vögel, sondern mit Grillhühnchen bestreitet. Sara Lambert verleiht mit brillantem Timbre der Pamina einen gelungen mädchenhaften Charme, Eleanor Blythman ist eine überragende, koloratursichere Königin der Nacht, Andrea Carcassi ein wohltönender Sarastro und Vincent Fusco gibt sich als schmieriger Koch Monostatos standesgemäß fies und eklig. Nur Ernst Ens scheint mit der Rolle des Tamino streckenweise stimmlich etwas überfordert.

Ein echter Glücksfall ist der Besuch der Australier für fünf Studierende der Wiesbadener Musikakademie. Manuel Wüst (Flöte), Leonie Dessauer (Oboe), Christian Claus (Klarinette), Jörg Hahn (Fagott) und Lincon Dias (Horn) nutzen die Chance, eine komplette Oper mitgestalten zu können, mit großem Engagement und einer erstaunlichen Raffinesse, die zu der kammermusikalischen Besetzung unter der Leitung von Brian Chatterton perfekt passt.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Gerd Knebel in Wiesbaden

Eine Turnhalle ist keine Kleinkunst-Bühne. Deshalb würden sich wohl nur wenige Vertreter jener Zunft dorthin wagen. Für Gerd Knebel aber ist das kein Problem. Als solistische Hälfte von „Badesalz“ geht ihm ein Ruf voraus, der die Dotzheimer Turnhalle zur Eröffnung der Kulturtage des Vereinsrings nahezu komplett füllt. Knebel hat sein Publikum von Anfang an im Griff. Mit dieser seltenen Mischung aus Brachialhumor und Subversivität lässt er sich immer nur momentweise in eine Schublade stecken, aus der er überraschend schnell stets wieder heraus krabbelt.

In den ersten Minuten gefällt er sich als Rüpel. Da weiß er, wie das geht, muss kein Neuland betreten, so kennen und lieben ihn die Fans. Da macht es auch nichts, wenn er Peter Gauweiler für einen CDU-Politiker hält und ihn zum Erbauer von Aids-Konzentrationslagern dämonisiert. Wie ist er darauf gekommen? Klar, durch die Verhaftung der „Sängerin“ Nadja Benaissa („No Angels“), die angeblich wissentlich einen Mann mit dem HI-Virus angesteckt haben soll. Warum interessiert ihn das? Weil er gerne auch mal von der Bühne weg verhaftet werden möchte. Auf diese verschlungenen Pfade durch seine Hirnwindungen lädt Knebel unverzagt ein und erntet von seinen Verfolgern hemmungslose Begeisterung.

Auch seine Mario-Barth-Parodie kommt an und seine Publikumsbeschimpfung ebenso: „Ihr seid freundlich, nicht zu kritisch und ungebildet“. Aber es ist nett gemeint, Schlaumeier findet er nämlich blöd. Dann freut er sich über „Medien, die einen vor der Wahrheit verschonen“ und erklärt Metaphern. Urplötzlich wird er so etwas wie politisch. Dann, wenn er über sein schlechtes Gewissen sinniert, dass ihn beschleicht, wenn er von der Startbahn West, gegen die er mit seiner Band „Flatsch!“ seinerzeit protestiert hat, in Urlaub fliegt. Seine bizarre Fantasie von einem Startbahn-West-Modell im Bord-Magazin sollte er dringend ausbauen, die hat surrealistisches
Potenzial.

Auch was er über schwäbische Waffen zu sagen hat, die, von der Bader-Meinhof-Gruppe getestet, nun in Georgien eingesetzt würden, birgt echte Kabarett-Qualitäten: „Den Waffen ist's egal, wer der Herr ist, Hauptsache sie dürfen Gassi gehen.“ Wenn er Liebesbriefe an Adolf
Hitler vorliest, dann nur, um zu veranschaulichen: „Wenn Du ein guter Mörder bist, bekommst Du alle!“, was er noch mit Gestalten wie Milosevic oder Pinochet illustriert. Auch im zweiten Teil gibt es solche Töne, wie etwa die über die „Angst-Flatrate“, den Preis der Freiheit in einer Demokratie.

In geschicktem Wechsel schiebt er dazwischen andauernd die beherzten Griffe unter die Gürtellinie und punktet mit dem passenden Vokabular in breit schlappender südhessischer Mundart. Ihm gelingen diese Rollenwechsel mühelos und authentisch, er hat weder das Belehrende und Angestrengte mancher Kabarett-Kollegen, gründelt aber gleichzeitig nie ausschließlich in den sumpfigen Themen-Niederungen der meisten Comedians. Gerd Knebel gibt weder den Intellektuellen noch den Verbal-Vandalen. Er stoppelt sich sein eigenes Patchwork zusammen.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt
Foto: Paul Müller

Dienstag, 5. Mai 2009

Konstanze Lauterbach inszeniert Alban Bergs Oper „Lulu“ zur Eröffnung der Wiesbadener Maifestspiele als packendes Psychodrama.

Die Geschichte taugt zum Krimi. Lulu kommt von ganz unten, steigt durch kluge Heiratspolitik eines wohlhabenden Gönners gesellschaftlich auf, verführt ihren Förderer und richtet ihn psychisch wie physisch zu Grunde. Als Mörderin entlarvt landet sie nach einem kurzen Ausflug in die dekadent zugespitzte Welt der Börsenspekulanten dort, wo sie hergekommen ist: in der Gosse. Alban Berg hat seine zweite und letzte Oper aus Frank Wedekinds Tragödien „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ gezogen, allerdings nie vollendet. Der Torso wurde 1937, eineinhalb Jahre nach Bergs Tod, in Zürich uraufgeführt. 1979 kam das komplette Werk, das dann von Friedrich Cerha ergänzt worden war, in Paris zur Uraufführung.

Konstanze Lauterbach hatte nun die Inszenierung zur Eröffnung der Internationalen Maifestspiele in Wiesbaden übernommen. Für das Wiesbadener Publikum ist sie freilich keine Unbekannte. Hier hat sie neben einigen Schauspielen gerade vor einem halben Jahr Jules Massenets Oper „Werther“ inszeniert. Mit „Lulu“ gelingt ihr jetzt eine enorm eindringliche Fallstudie. Ihrer körperlichen Reize voll bewusst, mauschelt sich Lulu von einer Affäre zur nächsten, hinterlässt buchstäblich Leichen, wo immer sie sich nieder gelassen hat. Zu diesem Psychothriller hat Andreas Jander ein farbenprächtiges, kraftvolles Bühnenbild modelliert, in dem die mitunter tragischen Zusammenhänge umso kontrastreicher wirken. Das blühende Leben ist nach und nach dem Verfall preisgegeben, was sich auch deutlich auf der Bühne widerspiegelt.

Lulus unschuldige Aspekte finden gleichermaßen ihren Ausdruck. Ein Plüschtiger und ein Schaukelpferd stehen dem erotischen Gemälde gegenüber, das der Maler, der sich ihretwegen selbst getötet hat, einmal geschaffen hat und damit kurzzeitig zu Reichtum gekommen ist. Eine geradezu übermenschliche Leistung vollbringt an diesem Abend die überragende Emma Pearson in der Titelpartie. Mit großem Applaus wird schließlich ihr nie einbrechender Einsatz gewürdigt. Stimmlich ist sie souverän und pointiert, als Schauspielerin in einer authentischen Art wandelbar, wie sie deutlicher kaum darstellbar sein dürfte. Ute Döring ist ihr in der Rolle der Gräfin Geschwitz bemitleidenswert hörig, Erin Caves stellt den tragisch fallenden Alwa emotional packend dar. Dr. Schön, der leidende Förderer des Gossenkindes, findet in Claudio Otelli einen bitter konsequent auftretenden Darsteller.

Insbesondere das Orchester kann unter der Leitung von Generalmusikdirektor Marc Piollet einmal mehr mit Raffinesse und zielgerichteter klanglicher Ausgestaltung überzeugen. Das für das menschliche Ohr nicht immer leicht nachvollziehbare 12-Ton-Geflecht erlebt in seiner Interpretation eine effektvolle wie klug durchschaute Deutung und Vermittlung. Das Drama wird dadurch erst begreiflich.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Freitag, 24. April 2009

Spielzeit 2009/10 im Hessischen Staatstheater Wiesbaden

„Ich freue mich über den Zuspruch, den das Hessische Staatstheater Wiesbaden auch in dieser Spielzeit hatte. Dem Vertrauen der Besucher unseres Hauses möchte ich mit einem hochwertigen und abwechslungsreichen Programm gerecht werden“, erklärte Intendant Dr. Manfred Beilharz anlässlich der Vorstellung der Spielplans für die Saison 2009/2010. Er bedankte sich für den großen Einsatz aller Mitarbeiter in der noch bis zum 10. Juli dauernden Saison.

Die kommende Spielzeit wird offiziell am Samstag, den 5. September 2009 mit einem großen Theaterfest eröffnet, das ab 14.00 Uhr bis tief in die Nacht auf allen Bühnen des Hauses stattfindet und in einer Vorstellung im Großen Haus mündet, bei der alle Sparten des Staatstheaters einen Einblick in die neue Spielzeit geben. Die neue Spielzeit wartet neben einer Besonderheit im Schumann-Jahr im Musiktheater mit vier Uraufführungen und einer Deutschsprachigen Erstaufführung im Schauspiel auf und endet im Juni 2010 mit der Theaterbiennale NEUE STÜCKE AUS EUROPA.

Zum Schumann-Jahr 2010 bietet das Staatstheater Wiesbaden eine Seltenheit: das Lyrische Drama Das Paradies und die Peri, inszeniert von David Mouchtar-Samorai. Den Auftakt der Opernsaison bildet Il Trovatore (Der Troubadour), Giuseppe Verdis Meisterwerk des romantischen Musiktheaters. Es inszeniert der international tätige italienische Regisseur und Autor Cesare Lievi, die musikalische Leitung hat Wolfgang Ott. Weiter geht es mit Cole Porters Musical Kiss Me, Kate in einer Inszenierung von Iris Gerath-Prein, die auch das Musical „My Fair Lady“ realisierte, das seit vergangenem November die Zuschauer begeistert. Mit Falstaff (Musikalische Leitung: Marc Piollet) von Giuseppe Verdi debütiert der Choreograf Christian Spuck als Opernregisseur am Staatstheater Wiesbaden. Spuck stellte sich den Wiesbadenern bei den Maifestspielen 2008 mit dem hochdramatischen Handlungsballett „Lulu“ vom Staatstheater Stuttgart vor. Nach Maillot (Faust) und Pinto/Pollak (Armide) ist Christian Spuck der dritte Choreograf, den Intendant Manfred Beilharz zu einer Opernregie in Wiesbaden einlädt. Marc Piollet und Carlos Wagner setzen ihre gemeinsame erfolgreiche Arbeit mit dem Doppelabend Gianni Schicchi von Giacomo Puccini und L’Heure espagnole (Die spanische Stunde) von Maurice Ravel fort. Die Internationalen Maifestspiele 2010 werden schließlich mit Elektra von Richard Strauss eröffnet.

Ballettdirektor Stephan Thoss wird in drei Choreografien ganz unterschiedliche Themenkreise und ästhetische Ansätze präsentieren: Ab Oktober steht der dreiteilige Ballettabend Labyrinth mit zwei Uraufführungen nach Musiken von Mozart, Verdi, Bizet und anderen auf dem Programm. Im Februar 2010 choreografiert Stephan Thoss Es war einmal... Grimms Märchen für Eilige, eine Ballettkomödie für die ganze Familie (hier wird er choreografisch unterstützt von seinen Ensemblemitgliedern Yuki Mori und Mirko Guido) zum 150. Todestag von Wilhelm Grimm. Als dritte Arbeit der kommenden Spielzeit zeigt Thoss Dornröschen als Neuinterpretation des weltbekannten Handlungsballetts mit der Musik von Peter I. Tschaikowsky als Fortsetzung seiner Beschäftigung mit dem „Schwanensee“.

Das Schauspiel zeigt in der Spielzeit 2009/10 insgesamt 13 Neuinszenierungen, davon eine im Großen Haus, sieben im Kleinen Haus und fünf in der Wartburg. Das Publikum darf sich auf vier Uraufführungen und eine Deutschsprachige Erstaufführungen freuen.

Die Schauspielsaison eröffnet Intendant Manfred Beilharz im Kleinen Haus mit Ödon von Horváths Glaube Liebe Hoffnung. Im Großen Haus inszeniert Tilman Gersch eine der berühmtesten Liebesgeschichten überhaupt: Shakespeares Romeo und Julia. Gerschs zweite Regiearbeit wird die Deutschsprachige Erstaufführung des Schauspiels Kunstschwimmer von David Drábek sein. Die tschechische Uraufführung von „Kunstschwimmer“ war 2006 zu Gast bei der Theaterbiennale NEUE STÜCKE AUS EUROPA. Slobodan Unkovski, der in der Spielzeit 2006/07 „Heuschrecken“ von Biljana Srbljanović auf die Bühne brachte, inszeniert Marius von Mayenburgs Der Stein. Der bekannte Schauspieler, Regisseur und Medienkünstler Herbert Fritsch, der in der vergangenen Spielzeit mit seinem Stück „Spielbank“ in der Wartburg erstmals in Wiesbaden inszenierte, nimmt sich Ben Jonsons 1606 geschriebener Komödie Volpone an, und Konstanze Lauterbach zeigt in einer Wiesbadener Fassung die Novelle Michael Kohlhaas von Heinrich von Kleist. Nach „Der Gott des Gemetzels“ und „Die Räuber“ wird sich Ricarda Beilharz einem Klassiker der Weltliteratur widmen: Gotthold Ephraim Lessings Tragödie Emilia Galotti. Als Abschluss der Schauspielpremieren steht die Uraufführung der Komödie Meeresfrüchte nach dem Film von Olivier Ducastel und Jacques Martineau auf dem Spielplan. Der französische Film „Meeresfrüchte“ kam 2005 in die Kinos und wird im Kleinen Haus zu sehen sein. Es inszeniert der junge Berliner Regisseur André Rößler, der auch für die am heutigen Abend stattfindende Uraufführung „Jailhouse Blues“ verantwortlich zeichnet.

In der Wartburg zeigen junge Regisseurinnen und Regisseure ihre Sicht auf die Welt: Caroline Stolz inszeniert Das große Fressen nach dem Film von Marco Ferreri sowie Shopping Queens (UA), die musikalische Antwort auf „Männerhort“. Tobias Materna zeigt Dario Fos und Franca Rames Offene Zweierbeziehung, die türkische Autorin und Regisseurin Yeşim Özsoy Gülan wird in der Auftragsarbeit Türkiye – Almanya 0:0 (UA) in türkischer und deutscher Sprache mit Schauspielern beider Nationalitäten arbeiten. In Kooperation mit der Hessischen Theaterakademie realisiert Stephan Seidel die Uraufführung des Schauspiels Das Gähnen der Leere.

Das Junge Staatstheater präsentiert – in der letzten Spielzeit unter der Leitung von Matthias Faltz – fünf Produktionen für Kinder und Jugendliche, darunter das große Stück zur Weihnachtszeit – in diesem Jahr Ronja Räubertochter.

Die acht Sinfonie-, Kammer- und Jungen Konzerte des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden sowie der vier Produktionen der musik-theater-werkstatt und die Musicalaufführungen des jugend-club-theaters (Crazy for you von Gershwin im Kleinen Haus und in der Wartburg Der kleine Horrorladen von Alan Menken und Howard Ashmann) runden das Programm ab.

Das Jugendreferat wird in der kommenden Spielzeit wieder eine große Fülle von Angeboten für junge und junggebliebene Teilnehmer bereit halten. Das Großprojekt Gilgamesch – Eine Stadt macht Musiktheater wird sich unter der Leitung von Priska Janssens über zwei Spielzeiten erstrecken, Künstler des Staatstheaters werden gemeinsam mit Wiesbadenern jeden Alters eine Oper kreieren und zur Aufführung bringen.

Vom 17. - 27. Juni 2010 präsentiert das Hessische Staatstheater Wiesbaden zum vierten Mal die Theaterbiennale NEUE STÜCKE AUS EUROPA, das weltweit größte Festival für europäische Gegenwartsdramatik.

(Quelle: Hessisches Staatstheater Wiesbaden)

Donnerstag, 23. April 2009

Oper Frankfurt stellt Spielzeit 2009/2010 vor

Auf dem Spielplan 2009/10 stehen 13 Premieren mit 85 Vorstellungen. Sicherlich steht diese kommende Saison zum einen im Zeichen von Richard Wagners Ring des Nibelungen, den Vera Nemirova mit dem Rheingold am 2. Mai 2010 zu schmieden beginnt. Am Pult des Frankfurter Museums- und Opernorchesters steht Generalmusikdirektor Sebastian Weigle. Die Walküre folgt am 31. Oktober 2010, Siegfried am 30. Oktober 2011 und Götterdämmerung am 29. Januar 2012. Für Juni 2012 sind zwei vollständige Ring-Zyklen geplant.

Aber auch das übrige Programm der Oper Frankfurt verspricht eine Menge an spannenden Neuproduktionen: den Beginn macht Karl Amadeus Hartmanns Simplicius Simplicissimus am 6. September 2009. Der Frankfurt fest verbundene Christof Nel hat seine Inszenierung bereits in Stuttgart und München gezeigt. Bei den Frankfurter Aufführungen steht Kapellmeister Erik Nielsen am Pult. Franco Leonis L’oracolo ist eine Frankfurter Erstaufführung und wird in Kombination mit Giacomo Puccinis Le Villi von Sandra Leupold als Opern-Doppel inszeniert. Bei der Premiere am 4. Oktober 2009 führt Stefan Solyom den Taktstock.

Gaetano Donizettis Anna Bolena führt am 23. Oktober 2009 die Reihe konzertant dargebotener Werke in der Alten Oper Frankfurt fort. Es dirigiert Giuliano Carella. Am 6. März 2010 folgt im Haus des Koproduzenten dieser Reihe Puccinis La Rondine unter der musikalischen Leitung von Marc Soustrot. Den Chor der Oper Frankfurt studiert Chordirektor Matthias Köhler ein.

Weiter geht es im Opernhaus am 22. November 2009 mit Erich Wolfgang Korngolds Die tote Stadt in der Sicht von Anselm Weber und mit Sebastian Weigle am Pult. Zeitgenössisches Musiktheater folgt am 10. Januar 2010 mit Thomas Adès The Tempest in Deutscher Erstaufführung. Keith Warner inszeniert das nach Shakespeare entstandene Werk, Johannes Debus dirigiert.

Die erste Produktion der Spielzeit 2009/10 im Bockenheimer Depot am 24. Januar 2010 ist eine Frankfurter Erstaufführung: Owen Wingrave von Benjamin Britten, Regie führt Walter Sutcliffe, die musikalische Leitung hat Kapellmeister Yuval Zorn. Die zweite Depot-Produktion ist die Szenische Erstaufführung von Francisco António de Almeidas La Giuditta am 12. Juni 2010 in der Sicht von Guillaume Bernardi, am Pult steht Studienleiter Felice Venanzoni. Als letzte Produktion in Bockenheim präsentiert das Ensemble Modern einen Doppel-Abend mit Kurt Weills Mahagonny-Songspiel und Helmut Oehrings Die WUNDE Heine am 27. Juni 2010. Diese Frankfurter Erstaufführung wird dirigiert von Kapellmeister Hartmut Keil, die Inszenierung besorgen Stefanie Wördemann und Helmut Oehring.

Zurück in der Zeit und zurück ins Opernhaus: Dort steht am 14. Februar 2009 Vivaldis Orlando furioso als Frankfurter Erstaufführung auf dem Programm. Schauspielregisseur David Bösch legt damit seine zweite Inszenierung für das Musiktheater vor, es dirigiert Barock-Experte Andrea Marcon. Am 28. März 2010 feiert Daphne von Richard Strauss in einer Neuproduktion von Claus Guth Premiere, der aus diesem Anlass erstmals mit GMD Sebastian Weigle zusammenarbeitet.

Den Abschluss der Saison im Opernhaus bildet Hector Berlioz’ Fausts Verdammnis am 13. Juni 2010. Regie führt Altmeister Harry Kupfer, Julia Jones kehrt dafür ans Pult des Frankfurter Museums- und Opernorchesters zurück. Berlioz wird dann auch das Begleitprogramm unter dem Titel Oper Finale gewidmet sein.

15 Wiederaufnahmen mit 93 Vorstellungen sind im Opernhaus terminiert. Zahlreiche Erfolgsproduktionen der Oper Frankfurt aus der letzten Saison werden wieder in den Spielplan aufgenommen, darunter Christof Loys Inszenierungen von Arabella (11. September 2009), La clemenza di Tito (10. Oktober 2009), Così fan tutte (19. Februar 2010) und Simon Boccanegra (9. April 2010) sowie Die Frau ohne Schatten (18. Oktober 2009) und Parsifal (7. März 2010) von Christof Nel. Zudem gibt es auch ein Wiedersehen mit Richard Jones’ Billy Budd (9. Mai 2010) und David McVicars Don Carlo (21. Mai 2010).

Auch in der Saison 2009/10 bieten 8 Liederabende im Opernhaus eine außergewöhnliche Mischung aus etablierten Klassikstars und vielversprechenden „Newcomern“: David Daniels, Countertenor (29. September 2009); Michael Nagy; Bariton (20. Oktober 2009); Michaela Schuster, Mezzosopran (17. November 2009); Krassimira Stoyanova, Sopran (19. Januar 2010); Pavol Breslik, Tenor (2. März 2010); Sophie Karthäuser, Sopran (23. März 2010); Bernarda Fink, Mezzosopran (25. Mai 2010); Michael Schade, Tenor (8. Juni 2010).

Erneut sind mehr als 100 Sonderveranstaltungen geplant, wobei es hier zwei neue Programmpunkte geben wird: der erste ist die fünfteilige Reihe Quast spielt Offenbach, die Michael Quast ab 1. Dezember 2009 im Opernhaus präsentiert. Der ganze Offenbach aus einer Kehle, in Koproduktion mit der „Fliegenden Volksbühne Frankfurt“. Michael Quast singt, tanzt und spielt die großen Operetten von Jacques Offenbach in neuer Übersetzung von Michael Quast und Rainer Dachselt, am Flügel begleitet von Rhodri Britton und Theodore Ganger. Als zweite Neuerung bietet die Dramaturgie der Oper Frankfurt den Vorlesungszyklus Wagner verstehen an, pünktlich zum Auftakt des Frankfurter Rings.

Selbstverständlich bereichern auch die bereits bekannten Sonderveranstaltungen weiterhin das Programm der Oper Frankfurt, darunter die Einführungen zu den Premieren der Saison (Oper extra). Unter dem Motto Oper für alle werden erneut Vorstellungen zu 15,- bzw. 10,- € auf allen Plätzen angeboten. Auch wird es wieder ein breitgefächertes Kinder-Programm geben, darunter Veranstaltungen wie Oper für Kinder (ehemals Werkstatt für Kinder), Konzerte für Kinder, Oper unterwegs sowie Opernprojekte für Schüler und deren Lehrer. Wieder angesetzt ist auch die Reihe Oper für Familien, in deren Rahmen ein voll zahlender Erwachsener drei Freikarten für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren erhält, sowie Nachmittagsvorstellungen mit kostenloser Kinderbetreuung. Zudem lädt Steffen Seibert erneut ein zu den Foyergesprächen der Reihe Oper lieben. Veranstaltungen wie Happy New Ears (Werkstattkonzerte mit dem Ensemble Modern), Kammermusik im Foyer sowie die Museumskonzerte in der Alten Oper runden das Angebot ab. Einführungsvorträge vor jeder Opernaufführung werden weiterhin jeweils eine halbe Stunde vor Beginn im Opernhaus angeboten.

(Quelle: Oper Frankfurt)

Dienstag, 21. April 2009

Mit einem reinen Mozart-Programm überzeugt „Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen“ unter der Leitung von Herbert Blomstedt in der Alten Oper

Vor wenigen Tagen ist der Vater von Arabella Steinbacher gestorben und wohl niemand im Saal der Alten Oper hätte es ihr verübelt, wenn sie ihren Auftritt abgesagt hätte. Doch sie wollte das Violinkonzert Nr. 3 in G-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart ganz bewusst ihm zu Ehren aufführen. Als Achtjährige, so teilte der neue „Pro Arte“-Geschäftsführer Michael Herrmann mit, habe sie das Werk gemeinsam mit ihrem Vater einstudiert. Ihre Interpretation des populären Stückes fiel enorm sinnlich aus. Sie überzeugte mit sattem, warmem Klang, der sich oft auch ins Brillante wandelte, dabei erzeugte sie einen unmittelbar wirksamen Ton. Gleichzeitig gelingen ihr wie organisch fließende musikalische Zusammenhänge, dennoch wirkt sie ausgesprochen zupackend. Es scheint eine stille Leidenschaft zu sein, aus der sie allein den Facettenreichtum des Kopfsatzes aushorcht und zur Geltung bringt. Mit überraschend herber Burschikosität stattet sie hingegen das abschließende Andante aus. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen bewies unter der Leitung von Herbert Blomstedt, der mehr als ein halbes Jahrhundert an Erfahrung mit offensichtlicher Begeisterung in die Waagschale wirft, eine große interpretatorische Klugheit. Ein voller Klang, der auch im verhaltenen Pianissimo trägt, umfasste das Publikum in erstaunlicher Direktheit. Das steht sowohl der kleinen Sinfonie Nr. 34 als auch ihrer großen C-Dur-Schwester, der „Jupiter-Sinfonie“ Nr. 41 aufs Beste. Intensive dynamische Entwicklungen und eine ungebremste Neugier auf die Fortschreibung der musikalischen Einfälle des Komponisten vereinen sich in diesem Ensemble wie in nur wenigen anderen Orchester.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Samstag, 11. April 2009

Der Mainzer Dom-Chor probt - ein Blick hinter die Kulissen

Selten bekommt man nach einer Probe Applaus gespendet. Doch die Gäste, die auf Einladung der AZ an der Generalprobe des Dom-Chores passiv teilnehmen durften, applaudieren spontan, gern und reichlich.

Draußen scheint die Sonne und verbreitet in der Mainzer Altstadt ein Flair, das man aus der Toskana kennt. Doch für rund 80 Jungs und junge Männer müssen Eiscreme und Laissez-faire noch einen Moment warten. Sie sitzen hoch konzentriert im Halbrund des Chorhauses am Dom und warten auf die Einsätze von Domkapellmeister Mathias Breitschaft. Mit kurzen Hosen, wippenden Füßen und hellwachem Blick sitzen sie da und singen lateinische Texte mit einer Begeisterung, als ginge es um ein entscheidendes Fußballspiel.

„Ein bisschen geheimnisvoller“, fordert Breitschaft seine Mannschaft auf. Er spart weder mit Lob noch mit Tadel. „Was ich toll fand, war die Fuge“, freut er sich. „Ihr seht: Proben lohnt sich“, fügt er mit einem bübischen Grinsen hinzu. „Aber morgen kommen die Dom-Akustik und die große Entfernung dazu“, warnt er vor allzu großer Genügsamkeit. Dann sorgt der Chor nämlich für die musikalische Umrahmung des Ostersonntags-Gottesdienstes.

Geprobt werden die „Nelson-Messe“ von Joseph Haydn und das „Terra tremuit“ von Johann Ernst Eberlin, einem Zeitgenossen seines heute deutlich berühmteren Kollegen. Das Offertium wurde eigens für die festliche Liturgie des Ostersonntags am Salzburger Dom geschrieben. Das Werk ist zwar im Vergleich zu der Messe relativ schlicht, wirkt aber durch seine klangmalerischen Momente, die ein Erdbeben darstellen, sehr plastisch. Außerdem wird der Dom-Chor das populäre „Halleluja“ aus Georg Friedrich Händels „Messias“ singen. Auf deutsch wohlgemerkt und nicht in der Originalsprache Englisch. Breitschaft betont in der Probe, dass der Chor schließlich kein Konzert singe, sondern den Gottesdienst begleite. Und da soll der Zuhörer so viel wie möglich vom Text mitbekommen.

Für die Zuhörer der Probe hat es sich gelohnt ins Chorhaus zu kommen. Karin Achenbach etwa fand es besonders interessant, derart junge Menschen beim Proben zu beobachten. „Spannend auch, wie es dem Leiter gelingt, sie zu manövrieren“, sagt sie. Birgit Nagel findet besonders die Leichtigkeit der jungen Stimmen faszinierend. „Das fehlt bei Erwachsenen-Chören manchmal“, meint sie. Ebenso wie Karin Achenbach verfügt sie über eigene Erfahrungen als Chorsängerin. Voll des Lobes ist sie auch für Breitschafts Art und Weise, die Probe zu leiten. „Er macht das sehr locker und humorvoll und dennoch herrscht eine große Disziplin“, sagt sie beeindruckt.

Der Domkapellmeister hat die gesamt Probe lang beide Augen und Ohren gleichzeitig bei seinem Chor, dem Orchester und den vier Solisten. Nur selten muss er eingreifen, wenn es in einer Ecke allzu unruhig wird. Die Strenge in der Sache hat auch etwas mit dem Respekt vor der Musik zu tun, den er ebenfalls vermittelt. „Tut mir leid – was ihr da singt, ist nicht von Haydn. Da steht piano“, bricht er etwa mitten im Takt ab, um die Stelle noch einmal und nun deutlich leiser zu wiederholen. Ein andermal möchte er die Musik „mit mehr Schmackes“ hören. Beides liefern ihm seine Sänger prompt und gestalten damit einen Klang, der dem Anlass mehr als entspricht.

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Donnerstag, 9. April 2009

Mainzer Dom-Chor nimmt 22 Volkslieder auf

Was hat der Mainzer Domchor denn mit Volksliedern zu tun? Eigentlich nichts, möchte man meinen. Mit der CD „...die Lieder klingen“ hat der traditionsreiche Knabenchor nun bewiesen, dass ihm auch das weltliche Repertoire gelingt.

„Volkslieder zu singen weckt den Sinn für Vergangenes“, schreibt Domkapellmeister Mathias Breitschaft in seinem Vorwort zu der Scheibe. Er weist auf zahlreiche Naturschilderungen ebenso hin wie auf die emotionale Bandbreite von Schmerz, Freude oder Wehmut. „Das Singen der alten Weisen weckt aber auch die Freude an Melodie, an Harmonie, am Nachsingen, am Leben“, stellt Breitschaft fest.

Die Sammlung von 22 alten Weisen gehört nicht zum Alltag eines kirchlich geprägten Chores. Hauptaufgabe ist die Mitgestaltung der Domliturgie an Sonn- und Feiertagen, die Aufführung geistlicher Werke im Dom und darüber hinaus. Große Oratorien wie Bachs Weihnachtsoratorium und seine Passionen, Haydns „Schöpfun“, Mozarts Messen und Vespern und Mendelssohns „Elias“ nennt Breitschaft beispielhaft für die großen Meisterwerke, die in der Vergangenheit auf den Programmen des Mainzer Domchores standen.

Der Mainzer Domchor hat sich unter Breitschafts Leitung an die Klassiker der Gesangvereins-Literatur heran gewagt. Das hat einiges mit Mut zu tun. Denn das „Ännchen von Tharau und die „Loreley“ werden nahezu täglich und in sehr unterschiedlicher Qualität landauf, landab von Chören aller Art skandiert, was nicht immer mit den angenehmsten Erfahrungen verbunden ist. Mit diesen Liedern verbindet man mitunter eine gewisse Altbackenheit, die sie im übrigen nicht verdient haben.

Was den Knaben und jungen Männern des Chores nun gelingt, ist deshalb nicht hoch genug einzuschätzen. Mit kultivierten, gut ausgebildeten Stimmen interpretieren sie etwa „Kein schöner Land in dieser Zeit“ zwar nicht neu, aber in einer ansprechenden klanglichen Reinheit, die dem Lied einen geradezu unbekümmerten Charakter verliehen. Auch Männerhor-Klassiker wie „Aus der Traube in die Tonne“ kann man hier transparent und gleichzeitig überaus lebendig vorgetragen hören. Sehr ausdrucksstark gelingt das „Heidenröslein“, ohne falsche Süßlichkeit der „Lindenbaum“. Hinzu kommen Ersteinspielungen von Männerchor-Liedern von Michael Haydn. Die Auswahl vereint die bekanntesten Volkslieder und führt den Zuhörer durch alle Jahreszeiten, so dass die CD unabhängig von Frühling, Sommer, Herbst und Winter eingelegt werden kann.
  • Die CD kostet 15 Euro und ist erhältlich bei der Dominformation (Markt 10), im Infoladen des Bistums (Heiliggrabgasse 8), bei der Kunsthandlung Jaeger (Schöfferstraße 6) und bei der Dombuchhandlung (Markt 24).
  • Weitere Informationen: www.mainzer-domchor.de
Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz