Sonntag, 30. Juni 2002

Festival Strings Lucerne bei den Ludwigsburger Festspielen

Als einen „Streifzug durch die Musikgeschichte“ kündigte das Programmheft das Konzert mit den Festival Strings Lucerne bei den Ludwigsburger Festspielen an. Tatsächlich brachten die Gäste aus der Schweiz im Forum am Schlosspark markante Eckpunkte der Musik mit. Unerwartet süffig ließ Achim Fiedler seine Streicher in Bachs Brandenburgischem Konzert Nr. 3 aufspielen, woraus im Schlusssatz eine ganz spannende Zugkraft entstand. Behände und ohne Reibungsverlust flossen die Motive ineinander über. Lediglich in den Bratschen konnte man sich manchmal nicht auf eine gemeinsame Intonation einigen. Noch mal Bach absolvierte Kolja Blacher mit dem Violinkonzert a-Moll (BWV 1041). Feurige Triolen im Allegro assai und sanft gestreichelte Töne im Andante stellte er sorgfältig nebeneinander.


In Haydns Violinkonzert C-Dur (Hob. VIIa:1) brillierte er über einem auf ein Minimum gedrosselten Orchester. Vor allem im Finale, Presto ging er markig an die Grenzen dessen, was man bei Haydn auftrumpfen nennen kann. Zwischen den Bach-Tönen des ersten Teils gab es die deutsche Erstaufführung von Steve Reichs „Triple Quartet“ in der Fassung für Streichorchester zu hören. Die wenigen Bewegungen umrahmte das Festival Strings mit scharf gezeichnetem Rhythmus, so dass die institutionalisierte Eintönigkeit manchmal einen schon grotesk anmutenden Schwung bekam. Im zweiten Programmteil kam die Aufrüttler-Funktiopn dem „Spiel mit Musik“ von Alfred Schnittke mit dem Titel „Moz-Art à la Haydn“ zu. Ein bizarrer, mitunter martialisch ausgetragener Wettstreit zwischen zwei kleinen Orchestern entwickelte sich zwischen Zitatfetzen und avantgardistischen Parodie-Häppchen zu einem unterhaltsamen, freudig dargebotenen Musiktheater. Mozarts F-Dur-Divertimento (KV 138) geriet dann noch zum angenehm dahinplätschernden Abspann.



Veröffentlicht in der Stuttgarter Zeitung

Samstag, 25. Mai 2002

Händels "Jephta" unter Helmuth Rilling

Georg Friedrich Händels 1751 geschaffenes Oratorium „Jephta“ hat eigentlich alles, was eine richtige Oper, mit etwas Phantasie auch einen Fernsehkrimi ausmacht. Da wird der junge Krieger Jephta von seinen Brüdern verbannt, weil er außerehelich gezeugt wurde. In der Not holen sie ihn aber wieder zurück, um sie gegen übermächtige Angreifer anzuführen. Er willigt ein und verspricht Gott als Dankopfer das erste, was ihm nach dem Sieg begegnet. Natürlich ist das seine einzige Tochter Iphis, die aber – und nun weicht der Librettist Thomas Morell von der biblischen Vorlage, dem Buch der Richter, ab – dank der Intervention eines Engels nun lediglich in ewiger Jungfernschaft verbleiben soll und Gott zu dienen hat. Was selbstloserweise auch ihrem Verlobten Hamor lieber ist.

Unter der Leitung von Helmuth Rilling gelang der Gächinger Kantorei und dem Stuttgarter Bach-Collegium im Beethovensaal der Liederhalle eine lebendige, wie tiefgründige Aufführung des Dreiakters. Dabei wurden sie unterstützt von einem Solisten-Team in ungetrübter Hochform. Sibylla Rubens (Sopran) lieferte schon sehr früh in der Rolle der Iphis sanfte und biegsam gehaltene Interpretationen, die den Charakter der Figur treffend umrissen. Mit heller Färbung und fein ausgesungenen Koloraturen, die nie ausfallend wurden, gestaltete sie ihre Arie „Take the heart“ im ersten Akt und begab sich in zarten Dialog mit Altus Gunter Schmid (Hamor). Auch die Besetzung des Titelhelden mit James Taylor erwies sich als glücklich. Der Tenor agierte mit heldenhafter Attitüde genauso glaubwürdig wie in der verzweifelten Zerrissenheit, die er mit „Horror! confusion!“ im zweiten Akt an den Tag legte, als ihm klar wird, dass er nun die eigene Tochter opfern muss. Als Jephtas Halbbruter Zebul konnte Eric Owens (Bass) vor allem mit der genüsslich phrasierten Arie „Freedom now“ im zweiten Akt glänzen.

All diese greifbaren Charaktere wurden deshalb möglich, weil das Bach-Collegium unter Rilling eine sensible Begleitung bot, in der jede Nuance deutlich herausgearbeitet wurde und so zur jeweiligen Atmosphäre beitrug. Dazu kam die Gächinger Kantorei mit ihren präzisen Einsätzen. Zugespitzte Punktierungen und dynamische Genauigkeit ließen etwa den Chorus „When his loud voice“ pulsieren, ein gezielt ausgerichteter Lobgesang im zweiten Akt rundete das Bild eines sehr bewusst eingesetzten Chores ab. Im Schlussakt stieg er mit „How dark, O Lord“ stufenlos aus dem Nichts heraus, blieb bis zur letzten Möglichkeit im piano, um jede minimale Steigerung auszukosten. So wirkte die abschließend vielfach bekräftigte Erkenntnis „Was uns geschieht, ist recht“ umso effektvoller.

Den langen Abschied ließ das Duo Rubens / Taylor nie rührselig werden. Bis zu dem Moment, in dem Alexandra Gouton (Sopran) als weißgewandeter Engel von der Empore aus und stimmungsvoll von Streichquartett und Cembalo begleitet die Erlösung verkünden konnte, hatten beide in ihren Arien viel Sinn für die hauchdünne Grenze zwischen kitschiger Überinterpretation und ehrlich formuliertem Schmelz bewiesen. Ohnehin bleibt festzustellen, dass hier das große Wagnis gelungen ist, ein so einmaliges Werk zwar würdig aufzuführen, es dabei aber nicht vor lauter Ehrfurcht und falsch verstandenem Respekt verstauben zu lassen.

Veröffentlicht in der Stuttgarter Zeitung