Donnerstag, 29. Dezember 2005

Mozart in Hessen

Dass Mozart kein Hesse war, ist allgemein bekannt. Dennoch lassen es sich die Kulturschaffenden im Lande nicht nehmen, dem Salzburger Wunderknaben im kommenden Jahr zum 250. Geburtstag zu gratulieren. Wolfgang Amadeus ist das gesamte Jahr über allgegenwärtig und treibt die Kreativen zu künstlerischen Höhenflügen. Immerhin hat Hessen mit Frankfurt und Offenbach zwei Städte zu bieten, die Mitglied im Verein „Europäische Mozart-Wege“ sind. In diesem Zusammenschluss finden sich Städte und Regionen wieder, die einen authentischen Mozart-Bezug aufzuweisen haben.

Tatsächlich hat Mozart Frankfurt zwei Mal besucht. Im August 1763 logierte die Familie auf der Reise nach London und Paris am Main, wo der geschäftstüchtige Vater spontan vier umjubelte Konzerte mit dem berühmten Siebenjährigen organisierte. Im September 1790 besuchte Wolfgang Amadeus Mozart die Stadt anlässlich der Kaiserkrönung Leopolds ein weiteres Mal. Die Frankfurter Bürgerstiftung Holzhausenschlösschen hat zum Mozartjahr eigens die Internetseite www.mozart-in-frankfurt.de geschaltet, um die dortigen Veranstaltungen zentral zu sammeln. Sie hat auch einen „Mozart-Stadtführer“ herausgegeben, der alle wichtigen Mozart-Orte in Frankfurt in historischen und aktuellen Ansichten, versehen mit ausführlichen Beschreibungen, präsentiert.

Offenbach verdankt seinen Mozart-Bezug dem Notenstecher und Musiker Johann Anton André, der 1799 Mozarts kompletten künstlerischen Nachlass von dessen Witwe Constanze kaufte und damit die Voraussetzung für das „Köchelverzeichnis“ schaffte. Die Ausstellung „Johann Anton André und der Mozart-Nachlass - ein Notenschatz in Offenbach am Main" im Haus der Stadtgeschichte bildet deshalb den Mittelpunkt des Offenbacher Beitrags zum Jubiläumsjahr. Dort sind neben originalen Mozart-Handschriften auch seltene Erstdrucke zu sehen. Die Eröffnung durch den Schirmherrn und ehemaligen Oberbürgermeister Gerhard Grandke findet am 29. Januar statt, die Ausstellung ist bis zum 28. Mai zu sehen.

Der wichtigste Tag im Jahr liegt bereits zu Anfang des Jahres: am 27. Januar erblickte Mozart das Licht der Welt. Die Frankfurter Oper schenkt dem Komponisten zu diesem Anlass eine Christof-Loy-Inszenierung von „La Clemenza di Tito“ (Die Milde des Titus) – der Oper, die Mozart in seinem letzten Lebensjahr geschrieben hat. Generalmusikdirektor Paolo Carignani hält die musikalische Leitung in seinen Händen. Dieser Neuinszenierung folgt am 22. Juni im Bockenheimer Depot mit „La finta semplice“ (Die Einfältige aus Klugheit) ein weiteres Werk des Komponisten, das er im zarten Alter von 12 Jahren geschrieben hat. Die musikalische Leitung hat die Britin Julia Jones, Regie führt wieder Christof Loy. Daneben stehen mit der „Zauberflöte“ und „Don Giovanni“ weitere Mozart-Opern auf dem Spielplan.

Auch an anderen Theaterhäusern des Landes wird gratuliert: Am Kasseler Staatstheater ist Benedikt Borrmanns Inszenierung der „Hochzeit des Figaro“ zu sehen, das Orchester feiert am 26. und 29. Januar unter der Leitung von Andreas Wolf ein „Fest für Amadeus“. Das Rüsselsheimer Stadttheater hat neben zahlreichen kammermusikalischen Veranstaltungen für den 27. Januar die Prager Kammeroper mit der „Zauberflöte“ (Inszenierung: Jan Stych) eingeladen. Am gleichen Tag ist am Wiesbadener Staatstheater eine „Zauberflöte“ eigens für Kinder angesetzt. Das Darmstädter Staatstheater zeigt seit Oktober Philipp Kochheims Inszenierung der „Entführung aus dem Serail“, die musikalische Leitung hat Timor Oliver Chadik. Und auch die Bad Hersfelder Festspiele entziehen sich dem Jubiläum nicht und führen zwischen dem 8. und 22. August mit „Don Giovanni“ eine der populärsten Opern überhaupt in der malerischen Stiftsruine auf.

Auch die kleineren Gemeinden in Hessen haben sich gerüstet. Am Geburtstag begibt sich die Gemeinde Butzbach auf die Reise nach Prag mit Texten von Eduard Mörike und Musik natürlich von Mozart in der Alten Turnhalle. Der Schauspieler Christian Herrmann übernimmt die Rezitationen und wird begleitet von einem Bläseroktett der Frankfurter Musikhochschule. Im nordhessischen Melsungen wagt sich die Melsunger Musikantengilde gemeinsam mit der Rotenburger Kammerphilharmonie an Mozarts effektreiches Requiem.

Wer sich Mozart lieber in die eigenen vier Wände holt, wird gut bedient. Der Hessische Rundfunk widmet Mozart am 27. Januar einen kompletten Programmtag in seinem zweiten Radioprogramm. So beginnt um 10.05 eine Mozart-Matinee mit dem Pianisten Alexander Lonquich, abends um sieben überträgt der Sender die Aufführung der Oper „„Idomeneo, re di Creta“ aus dem Theater an der Wien unter der musikalischen Leitung von Seiji Ozawa.

Bereits eine Woche vor Mozarts Geburtstag präsentiert das hr-Sinfonieorchester zusammen mit Herbert Feuerstein ein Konzert, das hohen Unterhaltungswert verspricht. Der Satiriker und Entertainer hat selbst in Salzburg Musik studiert und tourt seit einiger Zeit mit seiner „Mordnacht Mozart“ durchs Land. Das Konzert vom 20. Januar im Sendesaal des Hessischen Rundfunks wird am 26. und 29. Januar im Hessenfernsehen gezeigt.

Und auch das darf im Internet-Zeitalter nicht fehlen: Der aus Bruchköbel stammende IT-Experte Alfred Schilken hat auf www.dein-name-ist-musik.de ein kostenloses Programm zu Verfügung gestellt, mit dem jeder Nutzer lediglich durch Eingabe seines Namens und Geburtsdatums ein individuelles Menuett aus originalen Mozart-Takten „komponieren“ kann.

Weitere Infos:

Europäische Mozartwege: www.mozartways.com

Mozart in Frankfurt: www.mozart-in-frankfurt.de

Mozart in Offenbach: www.offenbach.de/themen

Oper Frankfurt: www.oper-frankfurt.de

Staatstheater Kassel: www.staatstheater-kassel.de

Staatstheater Wiesbaden: www.staatstheater-wiesbaden.de

Staatstheater Darmstadt: www.staatstheater-darmstadt.de

Theater Rüsselsheim: www.theater-ruesselsheim.de

Opernfestspiele Bad Hersfeld: www.oper-hersfeld.de

Hessischer Rundfunk: www.hr-online.de

Gemeinde Butzbach: www.butzbach.de

Stadt Melsungen: www.melsungen.de

Internet-Projekt: www.dein-name-ist-musik.de

Wolfgang Amadeus Mozart wurde am 27. Januar 1756 in Salzburg geboren und starb am 5. Dezember 1791 in Wien. Er schrieb über 50 Sinfonien, 27 Klavierkonzerte, 21 Opern, 19 Messen und zahlreiche weitere kammer- und kirchenmusikalische Werke. Gemeinsam mit seiner Frau Constanze hatte er zwei Söhne: Carl Thomas (1784-1858) und Franz Xaver (1791-1844).


Erstellt für den Hessendienst der Nachrichtenagentur ddp.
Erschienen unter anderem in der Freien Presse Chemnitz und in der Mittelbayerischen Zeitung

Samstag, 17. Dezember 2005

Jules Massenets "Werther" in der Frankfurter Oper

Wer vor der eigenen Hochzeit mit einem Unbekannten auf einen Ball geht sollte sich nicht wundern, wenn der Gefühlshaushalt durcheinander gerüttelt wird. Schon dumm, wenn man sich ausgerechnet an diesem Tag zum ersten Mal so richtig verliebt. Charlotte geht es so. In Jules Massenets Oper „Werther“ nach dem Roman von Johann Wolfgang von Goethe trifft sie zum absolut falschen Zeitpunkt auf ihren Traummann.

Willy Deckers knapp zehn Jahre alte Inszenierung wurde nun an der Frankfurter Oper aufgeführt und hat nichts an ihrer fesselnden und klaren Bildersprache eingebüßt. Die eigentliche Premiere fand 1996 an der Nederlandse Opera Amsterdam statt. Auf den blauen und grünen Schrägen der großräumigen und angenehm aufgeräumten Bühne spielt sich das Drama mit oft schon bedrückender Direktheit ab

Dass Charlotte (Kristine Jepson) sich beständig windet, ihren anfänglich noch nur erahnten doch bald schon sicheren Gefühlen für den jungen Werther (Piotr Beczala) nachzugehen, nimmt immer groteskere Züge an. Nach dem Tod der Mutter hat sie ihr Leben ihren jüngeren Geschwister und ihrem Vater gewidmet. Das hat sie am Sterbebett geschworen. Etwas anderes auch, nämlich Albert (Nathaniel Webster) zu heiraten. Kein übler Kerl, aber doch recht langweilig. Mit Werther hingegen kann sie sich nicht nur auf besagtem Ball vergnügen, sondern auch die Köpfe „ganz nah“ über Bücher stecken. Die unvermeidbare Hochzeit treibt Werther nach langem Leiden in den Selbstmord und erst jetzt begreift Charlotte: „Anstatt meine Pflicht zu vergessen zog Dein Leiden ich vor.“

Die von Johannes Erath für Frankfurt neu szenisch einstudierte Produktion besticht durch ihre kühlen und schroffen Szenen, durch die das kuriose Bruderpaar Johann und Schmidt (Simon Bailey, Michael McCown) mit oft sinnstiftenden und handlungswendenden Eingriffen führt. So tauchen sie als Charlottes Gewisen auf oder reichen Werther schon im zweiten Akt die Pistole für den späteren Selbstmord. Die relative Gleichgültigkeit, die Werther ansonsten entgegenschlägt wird in den wenigen Momenten mit der Familie besonders deutlich.

Sängerisch brillierte insbesondere der polnische Tenor Piotr Beczala. Der derzeit viel gefragte Sänger gab seine Rolle nicht nur szenisch absolut authentisch sondern bestach auch mit einer Stimme, die sich nie zu verausgaben schien. Selten lässt sich eine Leistung auf derartigem Niveau über eine solche Dauer halten. Die Mezzosopranistin Kristine Jepson gefiel mit souveränen Leistungen, Britta Stallmeister als kleine Schwester Sophie konnte adrett und mit mädchenhaftem Charme überzeugen. Unter der Leitung von Carlo Franci warf das Museumsorchester mit üppiger Klangpracht um sich, konnte darüber hinaus aber auch stimmungsfördernde Differenzierungen klar von reiner Illustration abgrenzen.

Veröffentlicht im Main-Echo aus Aschaffenburg

Montag, 12. Dezember 2005

Der Pianist Denys Proshayev in Mainz

Eigentlich sollte es sich doch herumgesprochen haben, dass die Reihe für Qualität bürgt. Wenn der Südwestrundfunk die „Stars von morgen“ ankündigt, mag das populistisch klingen, doch der Sender hat einfach recht damit. Dennoch blieben beim Klavierabend mit Denys Proshayev im Frankfurter Hof so manche Reihen leer.

Diejenige, die gekommen waren, haben aber nun einiges zu erzählen. Sie können ihren daheim gebliebenen Bekannten von einem jungen russischen Künstler berichten, dem es gelungen ist, sie auf unprätentiöse Art zu fesseln. Sie dürften von einer Persönlichkeit schwärmen, die weniger durch ihr Auftreten als mit einer außergewöhnlichen Musikalität bestechen konnte. Denn so unspektakulär und sperrig das Programm auf den ersten Blick wirkte, so beflügelnd gerieten die Ausdeutungen von Deny Proshayev.

Mit ganz nebensächlich dahingeblinzelten Trillern, die mit akkurater Präzision gesetzt wurden, belebte er die Suite e-Moll von Jean-Philippe Rameau, dem französischen Zeitgenossen von Johann Sebastian Bach. Proshayev atmete durch die Stimmen hindurch und modellierte sachte die Läufe. Mit der Linken tupfte er sanfte Bässe und ließ während dessen mit der Rechten feine Melodien in klarer Brillanz erklingen. Selten ist eine so differenzierte und gleichzeitig wohlausgewogene Interpretation zu hören, die dabei ohne Attitüde auskommt. Ähnliches konnte man bei Bachs Französischen Suite Nr. 2 c-Moll erleben. Besonders auffällig, wie er der Courante eine natürliche Schärfe verlieh und ihre klaren Konturen nachzeichnete.

Wer glaubte, dass die Fähigkeiten Proshayevs vor allem in der strukturellen Zerlegung und sinnlichen Vermittlung barocker Werke bestehen, wurde mit der Sonatine von Maurice Ravel angenehm enttäuscht. Er goss das nervöse Werk mit nachfühlbarer Freude in eine aufregende Einheit. Gerade hier gelang ihm etwas, das einen großen Interpreten auszeichnet und das ihm immerwährende Aufgabe sein sollte: Mit scheinbar wenigen Zutaten eröffnete Denys Proshayev seinen Zuhörern eine faszinierende musikalische Welt und seinen ganz persönlichen Blick darauf. Ausreichend Gelegenheit dafür bot ihm schließlich Sergej Prokofjews Sonate Nr. 8 in B-Dur. Da türmte er mondäne Klangmomente auf, um sie rasch darauf wieder abzutragen und Augenblicke lang in bescheidener Nachdenklichkeit zu verharren. Mit großer Sorgfalt und einem sicheren Sinn für den legitimen Effekt sowie dessen Grenzen hinterließ der 27-jährige Künstler einen bleibenden Eindruck.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Donnerstag, 8. Dezember 2005

"Saint Nicolas" von Benjamin Britten im Stadttheater Heidelberg

Klar, am 6. Dezember kommt der Nikolaus. Das wissen vor allem die Kinder, denn dann werden die Stiefel gefüllt. Was aber immer mehr in den Hintergrund rückt, ist die Geschichte, die dieser Brauch in der Vorweihnachtszeit hat. Kunststück - immerhin ist der Heilige Nikolaus, so wie er in Europa etwa seit dem achten Jahrhundert verehrt wird, auch eine Kunstfigur aus zwei historisch belegten Personen: dem Bischof Nikolaus von Myra im kleinasiatischen Lykien, der wahrscheinlich im 4. Jahrhundert gelebt hat, und dem Abt von Sion, der Bischof von Pinora war und 564 in Lykien starb.

Benjamin Britten sammelte sich für die einaktige Kirchenoper „St. Nicolas“ das beste von beiden zusammen und setzte den Stoff musikalisch sehr volksnah um. So wird auch die Gemeinde zwei mal zum Singen der Choräle mit eingebunden. In Deutschland hört man diese Kantaten allerdings so gut wie gar nicht. Das Heidelberger Stadttheater hat nun damit begonnen, alle fünf Britten-Werke dieser Art in verschiedenen Kirchen der Stadt aufzuführen. Für „Saint Nicolas“ war die Friedenskirche im Stadtteil Handschuhsheim ausgewählt worden, deren Kantorei und Kinderchor (Leitung: Michael Braatz) auch gleich mit in die halbszenische Einrichung von Solvejg Franke integriert wurde.

Neben den beiden Chören und einem kleinen Ensemble des Theaterorchesters hatte Tenor Winfrid Mikus die Hauptlast des Abends zu tragen. Als einziger Solist und meist im Mittelpunkt des Geschehens gönnt ihm das Werk keinen Moment Pause. Dennoch gelang es ihm, die zahlreichen Stationen des Heiligen in ihren unterschiedlichen Farben plastisch darzustellen. Mit wandelbarer Stimme konnte er sich dabei stilsicher und musikalisch überlegt präsentieren.

Besondere Leistungen hatten die Chöre zu vollbringen, die – ungewohnt für eine Kantorei – oft genug auch in die Handlung mit eingebunden wurden. Dabei stellten sich die Sängerinnen und Sänger auch als ausgesprochen lebhafte Darsteller heraus, deren szenische Aktivitäten nie auf Kosten des Gesangs gingen. Dazu kam ein Instrumentalensemble, das unter der Leitung von Noam Zur eine solide Grundlage bot und zwischen lautmalerischem Gerumpel und fein gezeichneter Linienführung wesentlich zum atmosphärischen Gelingen des Abends beitrug.

Dass es Solvejg Franke mit ihrem Bühnenbildner Klaus Teepe und Frank Bloching (Kostüme), vor allem aber auch einer ideenreichen Technik-Abteilung gelungen ist, den Kirchenraum effektvoll zu einem nichtsakralen Handlungsort umzufunktionieren, ohne ihm dabei Gewalt anzutun, sollte dem Theater ebenso Mut zur Fortsetzung seiner Britten-Pläne machen wie der stürmische Applaus zur Premiere.

Nur eine weitere Aufführung am Samstag, 10.12. um 20 Uhr.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Mittwoch, 30. November 2005

"Elektra" von Richard Strauss an der Staatsoper Stuttgart

Beim Hereinkommen wird der Zuschauer mit einer heimelig-idyllischen Szene in Sicherheit gewogen. Ein junger Mann, es ist der siegreich heimgekehrte Agamemnon, spielt in einer wuchtigen Badewanne mit seinen drei Kindern. Elektra, Chrysothemis und Orest sind klein und arglos, bis zu dem Moment, in dem Aegisth, der Geliebte der Klytämnestra, Agamemnons Frau, sich von hinten anschleicht und den alten Herrscher vor ihren Augen mit der Axt erschlägt. Mit grandiosem Fortissimo setzt das Orchester ein, das Stück beginnt.

An der Stuttgarter Staatsoper gab es nun „Elektra“ von Richard Strauss in einer Koproduktion mit dem Königlichen Theater Kopenhagen, wo bereits im Februar Premiere gefeiert wurde. Die Inszenierung von Peter Konwitschny, dessen „Cosi fan tutte“ derzeit an der Komischen Oper zum einen stürmisch gefeiert und zum anderen heftig kritisiert wird, arbeitete sich konsequent vom Kindheitstrauma bis hin zum Muttermord vor, ohne sich eine übertrieben psychologisierende Deutung anzutun. Und doch gab es so manche Schocker-Momente, die immer wieder klar zeigten, welch bestürzende Dramatik in dem antiken Stoff liegt, den Hugo von Hoffmannsthal 1903 zum Schauspiel, Strauss 1909 zur Oper werden ließ.

Während der kompletten Handlung ist der Tote omnipräsent. In der Badewanne, in der er erschlagen wurde, wird er permanent herumgeschoben. Elektra, von Susan Bullok in Jeans und Shirt in mondäner Geisterhaftigkeit vermittelt, trachtet im Angesicht des Toten Zeit ihres Lebens auf Rache, reißt die Schwester (Eva-Maria Westbroek) mit in ihre Racheglüste hinein. Und im Hintergrund zählt auf einer sich stetig ändernden Himmelslandschaft eine Digitaluhr den Countdown bis zum Mord an der eigenen Mutter.

Hierfür kommt Orest (Matthew Best) aus der Verbannung zurück. Nun zeigt Konwitschny, was sonst in derart brutaler Direktheit selten zu sehen ist. Die neue Ordnung, die Orest als künftiger Herrscher aufbaut, ist ebenso wie die seiner Vorgänger auf Blut gebaut. Nicht nur auf dem des erschlagenen Herrschers – denn mit der Mutter wird auch Aegisth getötet – sondern ebenso auf dem aller, die das System gestützt hatten. Besonders perfide ist, dass dabei nun auch alte Weggefährten bis hin zu den eigenen Schwestern zu Opfern der neuen Gerechtigkeit werden.

Wer sich an dieses monströse Werk heran wagt, muss sicher sein, dass es musikalisch von der ersten bis zur letzten Note mitgetragen wird. Denn die Klangsprache von Richard Strauss ist mehr als bloße Illustration der Geschehnisse, sie ist Verdoppelung und Verdreifachung der Emotionen und des Grauens. Lothar Zagrosek, der in der kommenden Saison das Berliner Sinfonieorchester übernehmen wird, forderte das glänzend mitarbeitende Orchester und sein Ensemble aufs Äußerste. Dank den überragenden Leistungen von Susan Bullok, Eva-Maria Westbroek und Renée Morloc in der Rolle der Klytämnestra geriet die Aufführung zu einem fulminanten Sängerfest.

Weitere Vorstellungen am 30. November, am 4., 7., 15. und 21. Dezember sowie am 7. Januar.

Veröffentlicht im Neuen Deutschland

Freitag, 25. November 2005

"Die Tochter des Piraten" von Michael Oberer als Weihnachtsmärchen im Staatstheater Mainz

Kapitänin klingt genau so sperrig wie Kanzlerin. Doch an beides werden wir uns gewöhnen müssen. Was der neuen Bundesregierung recht ist, war dem Mainzer Staatstheater bei seinem Weihnachtsmärchen nur billig.

Nach „Kalif Storch“, der „Chinesischen Nachtigall“ und der „Kleinen Meerjungfrau“ war „Die Tochter des Piraten“ bereits das vierte Weihnachtsstück, mit dem der Schweizer Autor und Regisseur Michael Oberer beauftragt wurde. Dieses Mal ist ihm ein fantasievolles Stück gelungen, mit dem sowohl die kleinen als auch die großen Zuschauer der Premiere offensichtlich einiges anzufangen wussten. Immerhin gab es immer wieder reichlich Zwischenapplaus.

Rau geht es zu auf See – und Michael Oberer will da nichts beschönigen. Es wird kräftig gemordet, geflucht und gespuckt, auch Todes- und Prügelstrafe werden mit dem Einzug des Matriarchats in der Piraterie nicht schlagartig abgeschafft. Doch von Anfang an: Nachdem der Freibeuter Pat O’Connor (Patrick Braun) auf der Jagd nach seinem betrügerischen Bruder Schwarzbart von eben diesem (ebenfalls Patrick Braun) getötet wird, übernimmt seine Tochter Caitleen (Kathrin Molsberger) das Ruder, um den Tod ihres Vaters zu rächen. Als sie ihn endlich stellt, erfährt sie, dass sie eine Schwester Sinead (Maria Weber) hat, die bislang mit Schwarzbart gemeinsame Sache machte und nun entsetzt von ihm ablässt. Dazwischen gibt es noch zwei Liebesgeschichten und eine Spionage-Affäre, weil nämlich die „American Sea Company“ hinter Schwarzbarts Wunderwaffe – der „Dicken Dora“ – her ist.

Das temporeiche Stück lebt zu einem guten Teil von der liebevoll und bis ins Detail durchdachten Bühne und die bunten Kostüme von Christoph Wagenknecht. Da findet sich Caitleen in einem gruseligen Verlies mit knochenübersätem Boden und zwischen verwesenden Leichen wieder. Zwischendrin machen die Piraten auf ihrer Verfolgungsjagd immer wieder Station in exotischen Spelunken und sogar in einem kleinen Theater. Allein das Schiff und auch die wuchtige Kanone (eben die „Dicke Dora“) gehören zu den immer wieder kehrenden Blickfängen der Inszenierung.

Darstellerisch ist vor allem Teamarbeit angesagt. Die wunderbar vielseitig und charakterlich wendig agierende Kathrin Molsberger liefert sich packende Kampfszenen mit Patrick Braun, der in seiner Doppelrolle den Spagat zwischen dem eher aristokratisch auftretenden Pat und dessen drogen- und menschenhandelnden Bruder Schwarzbart glaubwürdig meistert. Felix Pielmeier gibt den schusseligen Spion Skunky, Bruno Lehan plappert sich als „Haifischmaxe“ quer durch die Dialekte der Republik und Lovis Dengler legt eine Bilderbuchkarriere vom Dreckschrubber über den Smutje und den Ersten Leutnant bis zum Bräutigam der Piratenbraut hin. Mit der von Michael Frei ausgesuchten Bühnenmusik erhält die Produktion zusätzliches Tempo.

So sollte ein Weihnachtsstück wohl sein. Viele kurze Szenen, die derart stimmig und abgeschlossen ineinander übergreifen, dass auch die parallele Mini-Handlung mit dem Spionageversuch gestemmt werden kann. Witzig, dabei nie zu überdreht, ist Michael Oberer und dem Ensemble eine schillernde Seeräuberfantasie für Kinder ab sechs Jahren gelungen.

Spieldauer: 2 Stunden mit einer Pause

Karten unter 06131-2851222

Weitere Aufführungen: täglich vom 28.11. bis 8.12., vom 11. bis 13.12., vom 16. bis 21.12. und am 27.12.

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Donnerstag, 24. November 2005

Patricia von Blumröder mit Cage, Gompper und Thewes im Frankfurter Hof (Mainz)

Glücklicher hätte das vorläufige Finale der „Reihe Avance“ kaum ausfallen können. Viel zu selten sind die Sonatas and Interludes für präpariertes Klavier von John Cage zu hören. Einfach auch, weil es oft an Werken fehlt, die wenn nicht gleichbedeutend, dann doch wenigstens illustrierend, kommentierend oder ein wenig vergleichend daneben gestellt werden könnten.

Im Frankfurter Hof ist es dem Organisationsteam um Achim Heidenreich nun gelungen, nicht nur dieses Kunststück zuwege zu bringen, sondern auch mit der kalifornischen Pianistin Patricia von Blumröder eine ausgewiesene Expertin für die Klassiker der zeitgenössischen Musik zu verpflichten. Zwei Uraufführungen unterbrachen die „Sonatas and Interludes“ und vermittelten damit auch unterschiedliche Möglichkeiten, mit der von Cage vorgegebenen Präparierung umzugehen.

Die Schrauben, Gummi- und Plastikteile, die an und zwischen den Saiten des Instruments angebracht sind, erschließen eine Reihe von klanglichen Neuorientierungen. Neben dem perkussiven Effekt wird dabei auch en passant die wohltemperierte Stimmung überwunden. Heraus kommen neue Klangfarben, die das Werk deutlich bereichern.

Sowohl David Gomppers „Inside Cage“ als auch das „Ricochet“ von Bernd Thewes, beides Auftragskompositionen für diesen Abend, arbeiten behutsam mit den zahlreichen Möglichkeiten, „neue“ Klänge zu schaffen. Dabei verlassen sie erstaunlicherweise kaum eingefahrene harmonische Konventionen, man könnte sogar von eher rückwärtsgewandten Formen sprechen. Der progressive Effekt entsteht aber gerade durch dieses seltsame Zusammenwirken. Das Instrument ist schließlich der Star des Abends und das, was Komponisten und Interpretin herausholen, ordnet sich ganz der „Deformation“ der Saitenklänge unter, wie es Thewes auch formuliert. Dass man sich an de Klang überraschend schnell gewöhnen kann, ist ein weiterer Nebeneffekt dieser Behandlung.

Patricia von Blumräder dosierte ihre dynamische Verteilung und ihre Anschlagstechnik sehr wohlproportioniert und überlegt, passte sie an die Gegebenheiten jeder einzelnen Saite an, ohne dabei den Fluss aufzuhalten. Markig wuchtige Säulen ließen das Scheppern und Klirren besonders herausplatzen, dazwischen entstanden gedämpfte Akkordbrechungen, die an Glocken- oder Xylophon-Schläge erinnerten. Wenn sich der Zuhörer am Ende des Cage-Werkes eine geraume Zeit in einer plätschernden Endlos-Schleife wähnt, ist das nur ein Abklingen wieder entdeckter Hörmomente, aus der uns Patricia von Blumröder ganz unauffällig herausgleiten lässt.

Die Reihe Avance wird am 24. Januar um 20 Uhr fortgesetzt. Das Ensemble Avantgarde aus Leipzig spielt dann im Frankfurter Hof unter anderem Werke von Steffen Schleiermacher, Daniel Smutny und Friedrich Schenker.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz und im Wiesbadener Kurier/Wiesbadener Tagblatt




Mittwoch, 23. November 2005

Mozart wird auch in Mainz gefeiert

Bei einem Pressegespräch stellten der Mainzer Kulturdezernent Peter Krawietz (CDU) und der ehrenamtliche Koordinator Volker Müller die Konzerte in der Stadt zum Mozartjahr 2006 vor.


Mainz lässt sich ja mit einer ganzen Menge verbinden. Mit Gutenberg natürlich, mit Mainz nicht erst seit zwei Jahren und auch mit der Fassenacht. Aber Mozart – ist das nicht doch ein bisschen weit hergeholt? Und sogar „Mozart in Mainz“? Nein, ist es gar nicht. Denn tatsächlich hat sich der österreichische Wunderknabe zwei Mal in der heutigen Landeshauptstadt blicken lassen. Einmal im August und September 1763. Da musste zwar die Audienz beim kunstsinnigen Kurfürsten Emmerich Joseph von Breidbach-Bürresheim wegen dessen Erkrankung ausfallen, doch der Siebenjährige spielte unter anderem im Gasthof „Zum Römischen König“, dem heutigen Erbacher Hof. Vater Leopold notierte zu einem der Konzerte in seinem Tagebuch: „Alles gerieth in Erstaunen! Gott gibt uns die Gnade, daß wir, Gott Lob, gesund sind, und aller Orten bewundert werden." Dann kam Mozart noch einmal im Oktober 1790, spielte Orgel in der Augustinerkirche und gab im Schloss ein Konzert vor Kurfürst Carl Joseph von Erthal. (Die ganze Geschichte erzählt Karl Böhmer am Sonntag, 19. März um 17 Uhr im Rathaus.)

Grund genug also, auch in Mainz das kommende Mozartjahr zum 250. Geburtstag ein wenig mit zu feiern. Unter der Regie des Kulturdezernats haben sich die vielen Mainzer Musikschaffenden zusammengetan, um bereits in der ersten Jahreshälfte 18 unterschiedliche Veranstaltungen anzubieten. Unter der Leitung des langjährigen Musikreferenten Volker Müller, der sich mittlerweile ehrenamtlich in Sachen Kultur für die Stadt engagiert, kann die Szene vor Ort mit einer ganzen Reihe interessanter Höhepunkte aufwarten. Neben dem Peter-Cornelius-Konservatorium, dem Staatstheater, der Musikhochschule, der Villa Musica, dem Mainzer Kammerorchester und zahlreichen Chören beteiligt sich auch das Cine Mayence mit einem „Director’s cut“ des Milos-Forman-Films „Amadeus“ aus dem Jahr 1984. (Freitag, 3. Februar, 20 Uhr im Frankfurter Hof)

Kulturdezernent Peter Krawietz betonte, dass die Aufgabe seines Hauses vor allem darin bestehe, „zu befördern und zu motivieren, aber nicht alles selbst zu machen.“ Die Kräfte zu bündeln und die Zusammenarbeit zu initiieren, sei auch in diesem Fall wieder das große Ziel der Stadt. Gelungen ist das auf alle Fälle, angesichts eines vielseitigen Programms vom Jazzbeitrag über Orgel- und Chorkonzerte bis hin zu drei Opernproduktionen. Die Programmhefte sind bei allen beteiligten Institutionen und im Rathaus erhältlich.


Ausgewählte Veranstaltungen:

Samstag, 21.1., 19.00 Uhr, Villa Musica: Bläserwerke von Wolfgang Amadeus Mozart mit Ulf Rodenhäuser (Klarinette) und Stipendiaten

Freitag, 27.1., 18.30 Uhr, Landesmuseum: Mainzer Kammerorchester mit frühen Klavierwerken, darunter das KV 1, das Mozart im Alter von fünf Jahren schrieb.

Sonntag, 12.2., 19.30 Uhr, KUZ: „Mozart: Changes & Styles“ mit der Jazzabteilung der Musikhochschule

Sonntag, 5. März, 18.00 Uhr, St. Stephan (Gonsenheim): „Krönungsmesse“ und „Exultate jubilate“ mit der Mainzer Singakademie, cantare mainz, voces cantantes und dem Mainzer Oratorienorchester

Donnerstag, 9. März, 20.00 Uhr, Phönixhalle: „Happy Birthday Mozart“ Philharmonisches Staatsorchester Mainz „mit den absoluten Highlights“

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Dienstag, 22. November 2005

Sebastian Weigle ist neuer Generalmusikdirektor in Frankfurt

Kurz und schmerzlos war's - bei einer Pressekonferenz in der Frankfurter Oper stellten Intendant Bernd Loebe und Oberbürgermeisterin Petra Roth den neuen GMD vor.


Ob die Opernkritiker in Barcelona ahnten, dass sie ihren Chefdirigenten nach Frankfurt verlieren könnten? Im Oktober noch wählten sie den aus Berlin stammenden Sebastian Weigle zum „besten musikalischen Leiter“ der vergangenen Spielzeit. Und das, obwohl er erst seit gut einem Jahr im Gran Teatre de Liceu am Pult steht. Aber vielleicht wussten sie ja schon mehr. Nämlich, dass die Städtischen Bühnen in Frankfurt bald reges Interesse entwickeln würden, den gerade mal 44-jährigen Dirigenten zum Nachfolger von Paolo Carignani an der Spitze des Museumsorchesters zu küren. Passen würde es. Carignani wollte seinen Vertrag, der noch bis zur Spielzeit 2007/2008 läuft, nicht mehr verlängern, Weigle hat sich bis 2008 in der katalonischen Metropole verpflichtet. In Frankfurt ist er spätestens vor drei Jahren aufgefallen, als er an der Oper die „Frau ohne Schatten“ in der Inszenierung von Christoph Nel dirigierte und damit bei Publikum und Fachpresse bleibenden Eindruck hinterließ.

Der Barenboim-Schüler Weigle kann auf einen international hervorragenden Ruf verweisen. Nach der künstlerischen Ausbildung an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin und war er neben seiner Tätigkeit als Solohornist an der Berliner Staatsoper „Unter den Linden“ zunächst künstlerischer Leiter des Neuen Berliner Kammerorchesters, gründete den Kammerchor Berlin und legte damit den Grundstein für hochdotierte Herausforderungen, die bald folgen sollten. Er stand vor fast allen wichtigen Berliner Klangkörpern, dirigierte das Rundfunkorchester des Bayerischen Rundfunks und das Bergen Philharmonic Orchestra. Mitte der 90er Jahre leitete er als Mittdreißiger die Geschicke des Landes-Jugendsinfonieorchesters in Brandenburg und erarbeitete sich zwischen 1997 und 2002 als Kapellmeister an der Berliner Staatsoper ein breites Bühnenrepertoire, das ihm wiederum Einladungen nach Dresden, Mannheim, Wien, New York und Sydney einbrachte. Vorläufiger Höhepunkt schien die Verpflichtung nach Barcelona – übrigens nachdem ihm sein Frankfurter Gastspiel den Titel „Dirigent des Jahres“ bei der Kritikerumfrage im Fachmagazin „Opernwelt“ eingebracht hatte.

„Weigle wäre eine hervorragende Wahl. Jedes Haus könnte sich glücklich schätzen, einen solchen Mann für sich zu gewinnen.", bemerkte der Frankfurter Opernintendant Bernd Loebe recht flott nach der Premiere von Tschaikowskys „Pique Dame“ Anfang des Monats, als sich Weigle wieder fulminant in Erinnerung gebracht hatte. Und ein Wunschkandidat des Orchesters sei er auch, wusste Loebe.

Nun bestätigte sich, was eigentlich schon alles wussten. Bei einer Pressekonferenz im Holzfoyer der Oper stellten Loebe und Oberbürgermeisterin Petra Roth in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsratsvorsitzende der Städtischen Bühnen GmbH den GMD in spe vor. Er wird in seiner ersten Spielzeit 2008/2009 mit Rücksicht auf seine Verpflichtungen in Barcelona noch mit „nur“ 25 Vorstellungen und den Museumskonzerten starten, ab der darauffolgenden Saison dann aber zur vollen Verfügung stehen. Als erste eigene Produktion steht Aribert Reimanns „Lear“ an.

Der Kantoren-Sohn Weigle betonte, dass er sich auf die neue Aufgabe sehr freue und auch plane, ab 2008 seinen festen Wohnsitz in Frankfurt zu nehmen. Viel Lob hatte er für Orchester („neugierig und aufmerksam“) sowie für den Chor und das Ensemble („wunderbares Einvernehmen“) übrig, das ihm prompt von Seiten der zukünftigen Kollegen zurückschlug, die sich bei der Pressekonferenz zahlreich eingefunden hatten. Orchestervorstand und Kontrabassist Matthias Kuckuck formulierte es für alle: „Ich freue mich auf 2008 und auf Sebastian Weigle“.

Eerschienen in NEWS Frankfurt und im Main-Echo aus Aschaffenburg

Grieg, Vivaldi und Schubert in Regensburg

So - war am Montag in Regensburg und habe dort zum ersten Mal das dortige Philharmonische Orchester konzertant erlebt. War positiv erstaunt! Doch lest selbst....:


Aus Richard Strauss und Henry Purcell können flugs einmal Grieg und Vivaldi werden, wenn ein neuer Generalmusikdirektor auftaucht. Das war dann aber auch schon der einzige gravierende Wermutstropfen, den das Publikum beim zweiten Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters Regensburg im Neuhaussaal hinnehmen musste.Denn schon die mit viel feinsinniger Akuratesse eingerichtete Grieg-Suite im alten Stil "Aus Holbergs Zeit" zeigte, dass sich Raoul Grüneis ohne Weiteres mit seinem Orchester angefreundet hat. Mit bloßer Hand führte er seine Musiker und bescherte den Zuhörern einen enorm feinnervigen Einstieg in das Präludium, das von den hohen Streichern prickelnd angesetzt wurde. Elegant hauchten sie dieLegati ausrumpelnde Kontrabässe wiesen die Kontraste auf. Später wuchs das Streichorchester zu voluminöser Wucht heran und fand zu einem harmonischen samtigen Klang, der in der Sarabande emphatisch auf die Spitze getrieben wurde. Die populär tänzerische Gavotte gelang beschwingt und mit aparten Phrasierungen bestückt, auch wenn so manche Bindung etwas schummrig umgesetzt wurde. Den flüssigen Themenübergaben durch die Stimmen hindurch tat das jedoch keinerlei Abbruch. Ein wenig rauh ließ Konzertmeister Johannes Plewa seinen Solopart erklingen, was dem abschließenden Rigaudon allerdings eine interessante herbe Note verlieh.
Ein guter Einstieg insgesamt also in ein Konzert, das noch einiges zu bieten hatte. Und das mit einem Werk, das schon in seinem Entstehungsjahr 1884 anachronistisch erscheinen musste. Hatte Grieg seine Suite doch zum 200. Geburtstag des Dichters Ludvig Holberg, dem Schöpfer der damals neueren dänisch-norwegischen Literatur geschrieben. Eine Suite in diesem Stil war Ende des 19. Jahrhunderts völlig aus der Mode gekommen, Grieg umspielte diese Situation mit einer üppigen Polyphonie, die er durch die mehrfache Teilung nahezu aller Stimmen erzeugte.
Dennoch war er später alles andere als erfreut, dass ausgerechnet dieses aus seiner Sicht eher schlichtes Auftragswerk sich so vehement in den Konzertsälen festsetzte.

Vivaldis "Stabat mater" folgte auf die Tänze - ein etwas gewagter Nicht-Übergang, aber warum nicht. Mit Diana Schmid stellte sich in Regensburg eine junge Mezzosopranistin vor, die nach ihrer ersten Gesangsausbildung nun in der Klasse von Claudia Eder an der Mainzer Musikhochschule ihr Konzertexamen anstrebt und bereits bei einigen Aufführungen im Rhein-Main-Gebiet und bei internationalen Wettbewerben gezeigt hat, dass mit ihr zu rechnen ist. Jetzt präsentierte sie sich mit warmem, etwas dunkel gefärbtem Timbre in der Altpartie, das dem Werk ausgezeichnet steht. Kultiviert und doch tragend aussingend nahm sie Anteil an den Leiden der Schmerzensreichen, ohne zu gefühlig zu werden. Mit feinem Gespür für die notwendigen dynamischen und gestalterischen Nuancen agierte sie ausgesprochen beweglich und mit klarer Linienführung. Im Orchester könnte noch etwas mehr Sinn dafür entwickelt werden, sich bewusster und beherzter auf einen Solisten einzulassen.

Nach der Pause dann Schubert. Seine "tragische" vierte Sinfonie, die er bereits im Alter von 19 Jahren geschrieben hatte -als vorläufigen Höhepunkt seines sinfonischen Schaffens. Nun hatte Grüneis zum Stab gegriffen, um sich im großen Klanggetümmel auch detailierter um die Feinheiten kümmern zu können. Hier fielen von Anfang an die präzise und umsichtig spielenden Holzbläser auf, die im ersten Satz mit punktgenauen Ostinati, im Andante mit souveräner Sensibilität und im Menuett mit leicht federnden Kommentaren und rustikalem Charme agierten. Ausgerechnet an den harmonisch so durchsichtigen Passagen des zweiten Satzes mussten einige intonatorische Patzer bei den Geigen hingenommen werden, gleich im Anschluss war auch kaum ein sauberer Einsatz der Hörner zu vernehmen. Doch der ausnehmend lebhafte Schluss-Satz entschädigte dafür allemal. Grüneis holte hier zwischen wuchtiger Größe, ländlich angelehntem Charme und sanftem schwelgen eine ungemeine Farbigkeit heraus. Ein spannendes Konzertereignis mit ausreichend Höhepunkten, das auf die kommenden Auftritte neugierig macht.

Erschienen in der Telezeitung und dem Ostbayerischen Mediendienst

Donnerstag, 17. November 2005

Dieter Schnebels "MOMA" im Mannheimer Nationaltheater

Wie hören sich wohl die Meister der modernen Kunst an? Nein, nicht die Komponisten, die Maler. Diese Frage stellte sich wohl Dieter Schnebel, als er seine Collage „für bewegliche Stimmen und Instrumente“ schuf und ihr den Titel „MOMA“ gab. Als Auftragswerk für den Westdeutschen Rundfunk geschrieben hatte es seine Uraufführung vor genau zehn Jahren im Kölner Museum Ludwig. Nun stand die Premiere im Mannheimer Nationaltheater an. Matthias Rebstock hatte sowohl die Inszenierung als auch die musikalische Leitung übernommen und präsentierte seinem Publikum eine Veranstaltung, die zur Schärfung der Sinne einlud. Der 1970 geborene Künstler kennt sich aus mit Schnebel, immerhin hatte er bei den Donaueschinger Musiktagen vor vier Jahren dessen „N.N.“ uraufgeführt.

In Mannheim ließ er nun jedem Zuschauer ein kleines Büchlein in die Hand drücken, in dem 45 Bilder „moderner“ Meister von Jawlensky über Dali und Segal bis hin zu Rebecca Horn und Anselm Kiefer versammelt waren. All jene also, die Dieter Schnebel in Musik gesetzt hatte. Klar gab’s da eine Menge Lautmalerisches zu hören. Da musste das Ensemble beim Meister der Nägel, Günther Uecker, auch Nägel in Klötze hämmern, zu Frida Kahlos „Columna Rota“, der geschundenen Frau, gab’s Kettenrasseln und monoton gedrückten Frauenchor.

Doch die Aufführung blieb nicht bei einer illustrierenden Werkschau stehen. Ausgehend vom Foyer führten die jeweils acht Sänger und Instrumentalisten ihr Publikum um den Schauspielturm herum, verharrten an den verschiedenen Stationen und brachte immer wieder neue Zusammenhänger zum Vorschein. Einzeln oder in Gruppen, miteinander und unabhängig voneinander wurden hier Beziehungen hergestellt, die ständig im Auge des Betrachters und aus den unterschiedlichen Perspektiven heraus ihre Entwicklungen durchlebten.

Dabei stolperten oder stießen die Akteure gerne mal an laut scheppernde Metallbehälter, stoben hektisch auseinander und ließen sich gemächlich treiben. Fest stand hier kaum etwas, selbst die leblosen Gegenstände wurden am Ende unter lautem Gebrabbel und politphilosophischem Krakeelen in die Mitte des Foyers geschleppt. Die Situation, der Moment und der Prozess dazwischen – das waren die Hauptaugenmerke des Abends, die sich sehr eindrucksvoll miterleben ließen. Zwischen Erstaunen, Erschrecken, Erkennen und Verwunderung waren die Wege dabei oft kurz. Ein spannender Moment jagte den nächsten, die Wechsel zwischen den Bildern ließen immer wieder Raum zum Innehalten. Ein beschauliches Experiment, das von der großen Ernsthaftigkeit seiner Protagonisten lebte.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Montag, 14. November 2005

Beethovens Missa solemnis mit der EuropaChorAkademie und dem Philharmonischen Orchester Luxemburg unter Michael Gielen in Mainz

Nur wenige sakrale Werke besitzen diese musikalische Anziehungskraft wie Beethovens Missa solemnis. Deren stets auf’s Neue tief empfindsame und bei aller Gegensätzlichkeit emotional wie inhaltlich schlüssige musikalische Großtat kann daher nicht nur in der Kirche ihre volle Wirkung entfalten. In der Mainzer Rheingoldhalle bewiesen das die Europa Chor Akademie und das Philharmonische Orchester Luxemburg unter der Leitung des 78-jährigen Dirigenten Michael Gielen.

Zwei sehr unterschiedlich strukturierte Klangkörper fanden hier unter der überblickenden Stabführung eines Mannes zusammen, der in seinen sanften Schlägen oft unerreichte Klangvorstellungen realisierte. So ließ er den Chor im Gloria zwar mächtig anschwellen, ohne aber jemals einen gewalttätigen Eindruck zu vermitteln. Die von Joshard Daus einstudierte Europa Chor Akademie bewahrte sich auch in den mächtigen Momenten volle Flexibilität, konnte sich schlagartig zurücknehmen. Im weiteren Verlauf des Glorias wurden die einzelnen Stimmen präzise herausgearbeitet und bauten passgenau aufeinander auf. Hauchfein und doch enorm tragfähig setzte der Tenor im „Et incarnatus est“ beim Credo ein, fast wispernd fiel der Chor ein und vollzog nach und nach eine effektvolle und behutsam ausbalancierte Steigerung.

Trotz der enormen Anstrengungen, die das Werk von den Choristen fordert, ließen die jungen Sängerinnen und Sänger keine Ermattungserscheinungen zu. Intonation und Spannkraft blieben bis zur letzten Note erhalten. Eindrucksvoll blühte der Chor noch einmal im „Dona nobis paem“ des Agnus Dei auf. Das Philharmonische Orchester Luxemburg hatte für diese Aufführung einen geschmeidigen und unaufgeregten Tonfall gefunden, der sich immer wieder mit kernigem Biss und präziser Artikulation verband. Feinsinnige Bläsersoli und ein konturenreiches Streichertutti sorgten für eine beziehungsreiche Interpretation, Konzertmeister Hao-Xing Liang überzeugte mit einem empfindsamen Violinsolo im Sanctus.

Den Gesangs-Solisten gelang es gerade im Quartett nicht immer, die Stimmung adäquat zu treffen. So gaben sie sich bereits im Kyrie über die Maßen üppig und präsent, im Gloria ergaben sich immer wieder Unstimmigkeiten bei der Tempovorstellung. Im Sanctus hingegen überraschten sie mit beachtlicher Zurückhaltung, die einen hohen Grad an Spannung erzeugte. Einzeln wussten sie in der Regel zu überzeugen. Luba Orgonásová (Sopran) konnte ihre große Stimme auch an sensibleren Stellen zur Geltung kommen lassen, Birgit Remmert stattete die Altpartie mit warmer Fülle aus, Tenor Christian Elsner gewann mit eleganter Strahlkraft. Lediglich Bjarni Thor Kristinsson (Bass) verfehlte hörbar den Zugang. Flach und unausgewogen gerieten einige seiner Einsätze zur gefährlichen Zitterpartie, die er mit sehr viel Kraft auszubalancieren suchte.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Donnerstag, 10. November 2005

Sebastian Weigle wird 2007 GMD in Frankfurt

Ob die Opernkritiker in Barcelona ahnten, dass sie ihren Chefdirigenten nach Frankfurt verlieren könnten? Im Oktober noch wählten sie den aus Berlin stammenden Sebastian Weigle zum „besten musikalischen Leiter“ der vergangenen Spielzeit. Und das, obwohl er erst seit gut einem Jahr im Gran Teatre de Liceu am Pult steht. Aber vielleicht wussten sie ja schon mehr. Nämlich, dass die Städtischen Bühnen in Frankfurt bald reges Interesse entwickeln würden, den gerade mal 44-jährigen Dirigenten zum Nachfolger von Paolo Carignani an der Spitze des Museumsorchesters zu küren. Passen würde es. Carignani wollte seinen Vertrag, der noch bis zur Spielzeit 2007/2008 läuft, nicht mehr verlängern, Weigle hat sich bis 2008 in der katalonischen Metropole verpflichtet. In Frankfurt ist er spätestens vor drei Jahren aufgefallen, als er an der Oper die „Frau ohne Schatten“ in der Inszenierung von Christoph Nel dirigierte und damit bei Publikum und Fachpresse bleibenden Eindruck hinterließ.

Der Barenboim-Schüler Weigle kann auf einen international hervorragenden Ruf verweisen. Nach der künstlerischen Ausbildung an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin und war er neben seiner Tätigkeit als Solohornist an der Berliner Staatsoper „Unter den Linden“ zunächst künstlerischer Leiter des Neuen Berliner Kammerorchesters, gründete den Kammerchor Berlin und legte damit den Grundstein für hochdotierte Herausforderungen, die bald folgen sollten. Er stand vor fast allen wichtigen Berliner Klangkörpern, dirigierte das Rundfunkorchester des Bayerischen Rundfunks und das Bergen Philharmonic Orchestra. Mitte der 90er Jahre leitete er als Mittdreißiger die Geschicke des Landes-Jugendsinfonieorchesters in Brandenburg und erarbeitete sich zwischen 1997 und 2002 als Kapellmeister an der Berliner Staatsoper ein breites Bühnenrepertoire, das ihm wiederum Einladungen nach Dresden, Mannheim, Wien, New York und Sydney einbrachte. Vorläufiger Höhepunkt schien die Verpflichtung nach Barcelona – übrigens nachdem ihm sein Frankfurter Gastspiel den Titel „Dirigent des Jahres“ bei der Kritikerumfrage im Fachmagazin „Opernwelt“ eingebracht hatte.

„Weigle wäre eine hervorragende Wahl. Jedes Haus könnte sich glücklich schätzen, einen solchen Mann für sich zu gewinnen.", bemerkte der Frankfurter Opernintendant Bernd Loebe recht flott nach der Premiere von Tschaikowskys „Pique Dame“ Anfang des Monats, als sich Weigle wieder fulminant in Erinnerung gebracht hatte. Und ein Wunschkandidat des Orchesters sei er auch, wusste Loebe.

Nun bestätigte sich, was eigentlich schon alles wussten. Bei einer Pressekonferenz im Holzfoyer der Oper stellten Loebe und Oberbürgermeisterin Petra Roth in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsratsvorsitzende der Städtischen Bühnen GmbH den GMD in spe vor. Er wird in seiner ersten Spielzeit 2008/2009 mit Rücksicht auf seine Verpflichtungen in Barcelona noch mit „nur“ 25 Vorstellungen und den Museumskonzerten starten, ab der darauffolgenden Saison dann aber zur vollen Verfügung stehen. Als erste eigene Produktion steht Aribert Reimanns „Lear“ an.

Der Kantoren-Sohn Weigle betonte, dass er sich auf die neue Aufgabe sehr freue und auch plane, ab 2008 seinen festen Wohnsitz in Frankfurt zu nehmen. Viel Lob hatte er für Orchester („neugierig und aufmerksam“) sowie für den Chor und das Ensemble („wunderbares Einvernehmen“) übrig, das ihm prompt von Seiten der zukünftigen Kollegen zurückschlug, die sich bei der Pressekonferenz zahlreich eingefunden hatten. Orchestervorstand und Kontrabassist Matthias Kuckuck formulierte es für alle: „Ich freue mich auf 2008 und auf Sebastian Weigle“.

Veröffentlicht in NEWS Frankfurt

Montag, 7. November 2005

Tschaikowskys Oper "Pique Dame" an der Oper Frankfurt (Main)

Hermann ist hin- und hergerissen. Eigentlich müsste er sich nicht entscheiden zwischen der Liebe und dem großen Geld durch Glücksspiel. Beides würde den sozialen Aufstieg bedeuten. Doch dieser Gedanke kommt dem deutschen Ingenieur-Offizier in Tschaikowskys Oper „Pique Dame“ nicht. Die russische Gräfin Lisa würde ihn ja nehmen. Obwohl sie eigentlich mit dem Fürsten Jeletzki verlobt ist. Der wiederum ist sogar davon zu überzeugen, dass er von einer Gattin nichts hätte, die ihn nicht liebt. Dennoch: Hermann ist bereits ohnmächtig von dem Gedanken, mit Hilfe eines düsteren Geheimwissens um drei Karten, die immer stechen, sein Heil im Spiel zu finden. Aus der Benommenheit wird ein Wahn, dem er erst die Geliebte und schließlich sich selbst opfert.

In Frankfurt am Main hatte Peter I. Tschaikowskys 1890 nach einer Erzählung von Alexander Puschkin verfasste Oper nun Premiere. Für die Regie zeichnete der Münchner Christian Pade verantwortlich, der im vergangenen Jahr mit Henzes „Elegie für junge Liebende“ an der Staatsoper Unter den Linden debütierte und als einer der führenden Grenzgänger zwischen Schauspiel und Musiktheater gilt. An der Frankfurter Oper war er in der vergangenen Spielzeit insbesondere mit Mussorgskis aufwendig eingerichteter „Chowantschtschina“ aufgefallen.

Hier nun setzt Pade auf kühle Formen und eine mondäne Schlichtheit. Die von Alexander Lindl zwischen riesige Säulen gesetzte Szene wird in einer Art Rückbesinnung auf die literarische Vorlage in eine psychiatrische Anstalt verlegt. Dorthin also, wo Puschkins Hermann nach all seinen Fehlgriffen und Lisas Selbstmord landet. Die Kumpane spielen russisches Roulette, Graf Tomski, der Hermann den Floh mit den geheimen Karten ins Ohr setzt, scheint einer der Ärzte zu sein. Inmitten dieser Kälte hat Lintl einige seiner Figuren – vor allem den Chor – in prunkvolle Kostüme gesteckt, die einen wohlig-kitschigen Blickfang bilden. Insgesamt kommt damit eine merkwürdige Unwucht in die Sache.

Immer lenkt irgend etwas ab. Die Handlung lässt sich nicht konsequent verfolgen, die Interpretation bleibt im Nebel stecken. Und auch so beziehungsreiche Momente zwischen dem bürgerlichen Offizier unterster Rangordnung und der jungen Aristokration, wie sie in den beiden zentralen Begegnungen der beiden gezeichnet werden könnten, bleiben eher unwirklich. Viel von der emotionalen Kälte, in der Hermann agieren muss, kann vermittelt werden, aber wenig von der Aufgewühltheit, der geradezu psychotischen Besessenheit, in die er sich hineinsteigert. Nur zweimal kommt diese gruselige Spannung auf. Die Szene, in der Hermann versucht, der alten Gräfin ihr Geheimnis zu entlocken, das sie – wohl wissend um das Schicksal des Trägers – nicht preisgeben möchte, geht unter die Haut. Und dann der Moment, in dem sie ihm wieder als Geist erscheint und ihm den falschen Tipp gibt.

Gerettet wird der Opernabend vor allem durch eine durchweg herausragende Solistenriege und ein feinnervig agierendes Museumsorchester unter Sebastian Weigle, der zurzeit als Generalmusikdirektor in der Nachfolge von Paolo Garignani gehandelt wird. Immer gelingt es den Musikern im Graben, die momentane Stimmung zuzuspitzen. Johannes Martin Kränzle besticht in der Rolle des „Arztes“ Tomski. Seine Ballade im ersten Akt interpretiert er mit gleichermaßen kernigem wie einfühlsamem Bariton. Elzbieta Ardam gestaltet die alte Gräfin mit herber Spannung, die Sopranistin Danielle Halbwachs brilliert großformatig in einer glänzend gestalteten Partie der Gräfin Lisa, Rodion Pogossov (Fürst Jeletzki) ist als kultivierter Sänger zu erleben. Mikhail Davidoff schließlich erweckt den schwierig zu fassenden Hermann mit einem unendlich scheinenden stimmlichen Reservoir, mit klaren Linien und höchst differenziert aussingend zum Leben.

Veröffentlicht im Neuen Deutschland und NEWS Frankfurt (vom Autor gekürzte Fassung)


Dienstag, 4. Oktober 2005

Berios "Passagio" und "Tre Donne" als Uraufführung am Nationaltheater Mannheim

Was macht ein Theater, wenn es sich neu positioniert? Es setzt auf altgediente Erneuerer. Zumindest in Mannheim scheint das am Nationaltheater ein wenig so zu sein. Regula Gerber ist seit dieser Spielzeit neue Generalintendantin, auch der Generalmusikdirektor Frédéric Chaslin und Operndirektor Klaus-Peter Kehr machen sich hier neu ans Werk. Chaslin kennt die großen Bühnen der Welt, steht in den Staatsopern Wien und München regelmäßig am Pult, war Chef des Jerusalem Symphony Orchestra, dirigiert in Paris und New York, ist auch der Deutschen Oper Berlin seit Jahren verbunden.


In Mannheim steht er nun vor einem geschrumpften Ensemble aus einer Handvoll Streicher und Bläser, dafür fünf Perkussionisten und muss eine einzelne Sängerin und zwei (meist deklamierende) Chöre in Schach halten. „Passagio“ von Luciano Berio steht auf dem Programm. Eine Nicht-Oper, in der ein Chor zwischen den Premierengästen verstreut sitzt und sich Wortfetzen zuschreit, ein anderer brav im Orchestergraben agiert. Ach, und die Frau auf der Bühne sehr unzusammenhängend aber sehr expressiv stammelt, schreit, singt. 1963 war das ein Skandal an der Mailänder Piccola Scala. In Mannheim halten es nur zwei Besucher nicht aus und gehen. Vor 40 Jahren schrie das Publikum irgendwann herum, hier machte sich jemand einen Scherz daraus, manchmal die Gesten des Chores nachzuahmen. So ändert sich das eben. Die Frau auf der Bühne übrigens beschreibt einen modernen Kreuzweg. Sie leidet unter verschiedenartiger Gewalt, wird verhaftet, gefoltert und verkauft. Während aus dem „Publikum“ die fiktiven oder vom Opfer selbst erzählten Misshandlungen gutgeheißen und legitimiert werden („Denn in uns ist die Ordnung“), ergreift der Chor im Graben Partei für sie oder übernimmt den Erzählpart. Sie werden gemeinsam mit der namenlosen „Sie“ ein gemeinsames Ich.

Die eigentlich lyrische Sopranistin Deborah Lynn Cole nimmt sich ihrer Rolle in gewinnbringender Art an. Dass sie sich nicht der Verlockung hingibt, in großen Übertreibungen zu leiden, ist ihr und ist dem Regisseur dieser deutschen Erstaufführung, Joachim Schlöner hoch anzurechnen. Es sind ihre ganz klaren, präzisen mimischen und gestischen Ausformungen, die sie authentisch wirken lassen. Die schwarze Bühne von Jens Kilian wird von Andreas Grüther mit kaltem Neonlicht ausgeleuchtet, ein Effekt, den Regula Gerber später als Gegensatz zur musikalischen Farbigkeit Berios deutet. Von ihr stammt auch das Wort von der „zeitgenössischen Musik als Genuss“. Und sie hat Recht damit. Unterhaltsam war das.

Kein Skandal. Hübsch arrangiert später auch die drei Sequenzen von Berio, die Joachim Schlömer szenisch zusammengeführt und somit zur Uraufführung geadelt hat. „Tre Donne“ nennt er das und es tauchen, klar, drei Frauen auf, die kaum in Interaktion treten. Erst im letzten Bild, der „Sequenza III für weibliche Stimme“, die auf „Sequenza IV für Klavier“ und Sequenza VII für Oboe“ folgt, finden sich Tänzerin (Marie Pires), Stumme (Deborah Lynn Cole) und Sängerin (Sarah Maria Sun) in einem Boxring zwischen den Zuschauerplätzen wieder. Anfangs noch beobachtet ein zur Untätigkeit verdammter Chor, krawallend aber (auch akustisch) abgeschottet in einem Glaskasten, die Szenerie. Das Individuum siegt, steht irgendwo im Programmheft. Auch hier wieder gute Unterhaltung. Schöne Bilder, gelungene Darstellungen. Aber der Anspruch einer Botschaft, der wortreich vorangetragen wurde, verliert sich in harmloser Ästhetik. Technisch brilliant: Florian Hölscher (Klavier) und Oboist Jean-Jaques Goumez.

Veröffentlicht im Neuen Deutschland und in der Allgemeinen Zeitung Mainz (vom Autor gekürzt)

Samstag, 18. Juni 2005

Die Oper "Nacht" von Georg Friedrich Haas im Bockenheimer Depot Franfurt

Nein, eine Hölderlin-Biografie ist das nicht, eher eine Hommage in Fragmenten. Der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas hat sich in seiner Oper „Nacht“, die 1998 ihre szenische Uraufführung in Bregenz erlebte und für die er mit dem Ernst-Krenek-Preis der Stadt Wien ausgezeichnet wurde, mit möglichen Phantasien und wahnhaften Ahnungen des alten Friedrich Hölderlin befasst. Im Bockenheimer Depot gelang dem Ensemble der Oper Frankfurt unter der zupackenden Regie von Friederike Rinne-Wolf nun eine filigran aushorchende wie bilderstarke Aufführung.

Als inhaltliche Achse steht die hoffnungslose Liebe des frühromantischen Dichters zu der Frankfurter Bankiersgattin Susette Gontard, in deren Haus der Dichter eine Hofmeisterstelle angenommen hat. Doch auch sein immer labiler werdender geistiger Zustand zieht sich durch die Kammeroper.

Der Dichter trifft auf seine eigenen Helden, muss sich zwangsläufig mit ihnen und ihren Entscheidungen auseinandersetzen. Haas benutzt in seinem selbst verfassten Libretto Zitate aus Hölderlins Briefroman „Hyperion“ und aus dem Dramenfragment „Der Tod des Empedokles“. Dazu kommen Briefe von Susette Gontard und Übersetzungen aus dem „Ödipus“ von Sophokles.

Oft sind es hastige Dialoge, die über mal ostinaten, mal prall zuckenden musikalischen Rauschzuständen des engagiert und zielstrebig agierenden Ensemble Modern unter der Leitung von Roland Böer herumgeworfen werden. Ein andermal ziehen sich die Protagonisten auf der Bühne ganz in sich zurück. Ständig verwandeln sich die Figuren, eine Gewöhnung kann nie eintreten. Nicht nur den Gegensätzen, auch in der jeweils neuen momentanen Auskostung der aktuellen Empfindsamkeiten liegt der besondere Reiz dieser erfrischend kurzen Oper. In knapper Zeit wird viel vermittelt.

Dazu hat Rosalie eine Bühne geschaffen, deren blau geradezu erschlägt. Zwei Wendeltreppen (ebenfalls blau) ragen aus dem Boden empor, der in einem Bogen zur Rückwand wird. Hierauf verschieben sich auch schnell einmal die Handlungs- und Wahrnehmungsebenen.

Auch der Zuschauerraum wird mit in die Handlung eingebunden. So postieren sich Mitglieder des Ensemble Modern immer wieder in kleinen Käfigen am Rand der Metalltribüne. Zwischen Susette Gontard (Annette Stricker), die hinter die Zuschauer verbannt wird und Hölderlin (Johannes Martin Kränzle), der sich auf der Bühne immer weiter von ihr entfernt, entsteht zwischendrin eine Art Monolog für zwei Personen, die in dem Seufzer, „Es ist, als hätte mein Leben alle Bedeutung verloren“, gipfelt.

Den Solisten wird musikalisch wie szenisch eine Menge abverlangt, doch es gelingt ihnen, einen spannungsvollen Ablauf zu garantieren – in 24 oft nur lose aufeinander bezogenen Bildern keine leichte Aufgabe.

Veröffentlicht im Darmstädter Echo und in NEWS Frankfurt

Donnerstag, 9. Juni 2005

Verdis "Macbeth" an der Oper Frankfurt

Sex und Big Business auf Frankfurts Opernbühne. Man könnte meinen, die Welt der Seifenopern und Werbeslogans sei wirklich so spannend, dass sie auch noch abends und freiwillig und für keineswegs günstiges Geld auf den nach bunten Bildern gierenden Zuschauer einprasseln müssen. „Macbeth“ ist eine Oper von Verdi. Auf den städtischen Bühnen der Mainmetropole ist sie ein gigantischer Medienzirkus voller Anleihen aus der wirklichen und der virtuellen Welt. Kein Zweifel: Regisseur Calixto Bieito hat keine Lust, sein Publikum zu verzaubern oder in fremde Sphären zu entführen. Vorhang auf, die Welt dreht sich weiter! „Wir bauen Ihre Zukunft, kein Zuhause“ flammt es dem Opernfan entgegen, überall Werbesprüche aus der Welt des schönen Scheins, die gerade eben doch noch im Nachmittagsfernsehen liefen. Irgendwie so. Ein wenig ironisch oder zynisch gebrochen, ja doch.

Die ehrgeizige Lady Macbeth mutiert zur Protagonistin einer Welt, in der die Karriereleiter zum Fetisch geraten ist. Hexen werden als Sekretärinnen über die Bühne verteilt, dazwischen wird gegrapscht und gesoffen was das Zeug hält. Von Bildschirmen grunzen mal Schweine, blöken mal Schafe. Einfacher Symbolismus aus dem Lehrbuch. Natürlich benehmen sich alle ganz grässlich und cool und überhaupt unglaublich realistisch. So, wie man es eben macht, wenn man nur sich, seine eigenen Bedürfnisse und Ziele vor Augen hat. Ob das nun Kritik an einer kalten Welt ist oder einfach nur die etwas beliebig zusammen gewürfelten Versatzstücke aus der etwas leer gewordenen Trick-Kiste von Calixto Bieito bleibt offen. Konsequent ist es jedenfalls genauso wenig wie originell. Eher schon arg peinlich.

Was bleibt, ist die Musik, die Generalmusikdirektor Paolo Carignani in seiner scheinbaren Verzweiflung schon fast museal wiedergeben lässt. Aber das ist nur der erste Eindruck und eine pure Kurzschluss-Reaktion des Gehirns auf das, was es zu sehen gibt. Auf jeden Fall gelingt es Carignani trotz aller Schwierigkeiten, Hör- und Sehsinn übereinander zu bringen, eine werkgetreue und dennoch quietschlebendige Interpretation aufzubieten.

Željko Lučić als Macbeth agiert mit großer stimmlicher Lust, Caroline Whisnants führt ihre Lady markant und selbstbewusst, Mathias Zachariassen ist als Macduff mit sinnlich geführtem Tenor zu erleben.

Veröffentlicht in NEWS Frankfurt


Samstag, 30. April 2005

Schostakowitschs "Lady Macbeth von Mzensk" am Wiesbadener Staatstheater

Sex und Gewalt beherrschen die Bühne. Und Josef Stalin mochte das 1936 einfach nicht dulden. Obwohl Dimitri Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ zwei Jahre lang bereits internationale Erfolge feierte, verbot er seinerzeit die weitere Aufführung. Sie passte nicht ins Bild des damals als „sozialistischer Realismus“ ausgegebenen Leitlinie. Doch noch war dem Diktator aufgefallen. Text und Musik sind voller Möglichkeiten für aktuelle Gesellschaftskritik. Da werden starre Hierarchien ebenso wie staatliche Willkür, verlogene Autoritäten und die Deformation des Einzelnen durch gesellschaftlichen Druck angeprangert. Erst nach Stalins Tod wird Schostakowitsch rehabilitiert, die Oper nach einigen Änderungen 1964 wieder aufgeführt. Nach weiteren 15 Jahren wird die Urfassung wieder gespielt.

Dass das Wiesbadener Staatstheater gerade dieses Werk ausgewählt hat, um die Internationalen Maifestspiele mit einer Eigenproduktion zu eröffnen, scheint gewagt. Drei Stunden lang gibt es kaum etwas schönes. Sperriger Gesang, wuchtige Klangspielereien eines gigantischen Orchesterapparats, fratzenhafte Gestalten.

Gutsherrin Katerina Ismailowa (Milana Butaeva) langweilt sich mit ihrem dümmlichen, aber wohlhabenden Gatten Sinowi (Johann Valdimarsson) und nutzt die Gelegenheit seiner Abwesenheit für einen Quickie mit dem neuen Arbeiter Sergej (Dan Chamandy). In der Zwischenzeit sinniert Schwiegervater Boris (Hannu Niemelä) über seine verlorene Jugend und darüber, dass er der kinderlosen Schwiegertochter zu seiner Zeit schon zu einem Erben verholfen hätte. Dabei ertappt er das heimliche Paar und lässt Sergej öffentlich auspeitschen. Katerina vergiftet daraufhin den verhassten Peiniger, später wird der heimkehrende Boris, der ebenfalls in ein Tête-à-tête platzt, brutal erwürgt. Nun wird geheiratet. Während der Feier wird die im Kelle verwesende Leiche des ehemaligen Hausherrn entdeckt, das Mörderpaar ins sibirische Straflager verbannt. Dort verliert Sergej sein Interesse an der nun mittellosen Katerina und vergnügt sich mit einer Zwangsarbeiterin. Die Abgeschobene stürzt sich in die Fluten eines Flusses und reißt die Nebenbuhlerin mit sich.

Für Milana Butaeva ist der Abend eine enorme Tortur, die sie bravourös absolviert. Bizarr ihre überreizte Totenklage im vierten Bild oder die wahnhaften Liebesbezeugungen. Neben ihr vermittelt Dan Chamandy mit klarer, aussagekräftiger Stimme und großer Spielfreude den Inbegriff eines schmierigen Taugenichts.

Intendant Manfred Beilharz setzt die Oper ohne falschen Pomp in Szene. Die martialische Kargheit der Bühne von Bernd Holzapfel lässt ihm auch genug Raum. Immer neue Konfliktlinien werden nachgezeichnet, beeindruckend ist die endlos scheinende Kolonne der Zwangsarbeiter im letzten Bild. Chor und Orchester laufen unter der Leitung von Fabrizio Ventura zu Höchstform auf und runden damit ein faszinierendes Opernspektakel ab.

Veröffentlicht in NEWS Frankfurt