Dienstag, 28. Oktober 2008

Tatjana Gürbaca kommt zum dritten Mal nach Mainz - diesmal mit der Massenet-Oper "Manon"

Zum dritten mal hintereinander kommt Regisseurin Tatjana Gürbaca mit einer Opernproduktion an das Mainzer Staatstheater. Nach Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ und dem „Werther“ von Jules Massenet, steht nun „Manon“ auf dem Spielplan.

Dass es wieder Massenet geworden ist, freut die Regisseurin besonders. Sie findet, dass die französischen Opern ganz anders funktionieren als die italienischen, Massenet-Werke hätten darüber hinaus viel mit dem Schauspiel zu tun. Das reizt sie. Auch der zeitliche Abstand zwischen dem Erscheinen des Romans von Abbé de Prévost d'Exiles im Jahr 1731 und der Vollendung der Oper 1884 birgt interessante Aspekte. Nun liegen wieder über 120 Jahre zwischen Entstehung und Aufführung in Mainz. Die barocken Anklänge der Musik interessieren Tatjana Gürbaca, auch dass das Werk nicht allzu oft aufgeführt wird und mitunter als etwas süßlich verpönt wird, kann ihr Interesse nicht verringern.

„Die Handlung ist eigentlich sehr bitter“, überlegt die Theaterfrau. Denn Manon, die recht leichtlebig wirkt, ist hin- und hergerissen zwischen einem materiell abgesicherten Leben oder der Liebe. „Es geht hier auch darum, wie man seine Haut zu Markte tragen muss“, sagt Tatjana Gürbaca. „Liebe ist ein Luxus, den man sich nicht leisten kann“, analysiert sie die Situation der Protagonistin und sieht an Manon den Aufstieg und Fall eines jungen Mädchens, das an seinen Gefühlen scheitert, exerziert. Dieses Problem sieht Gürbaca als absolut zeitlos ans. Hinzu kommen die klaren Hierarchien in der von de Prévost gezeichneten Gesellschaft. Die Frauen sind in diesem System klar ganz unten angesiedelt. Sie haben nach Ansicht der Regisseurin zwei Möglichkeiten: Als Nonne ins Kloster gehen oder sich auf die eine oder andere Weise zu prostituieren.

All das geschieht vor der Kulisse von Paris als einem „Sehnsuchtsort, an dem alles möglich ist und wo auch das Böse seinen Platz hat“. In sechs kontrastreichen Bildern wird die Mainzer Inszenierung relativ zeitfrei ausfallen, „eher heutig“, wie es Gürbaca bezeichnet. Und die Polarisierung zwischen der Geldwelt und der Suche nach der letztlich unerfüllten Liebe wird klar erkennbar sein. „So lange wir jung sind, sollen wir unsere Gaben für die Karriere nutzen“, so lautet eine der Erkenntnisse in dem Stück. Ein Eindruck, den die Regisseurin auch aus der Gegenwart kennt.

Über die Besetzung hat sie sich sehr gefreut. Die Manon wird von Ana Durlovski gespielt, die bereits in ihrer „Lucia“ die Hauptrolle übernommen hatte. Sergio Blazquez, der den Chevalier Des Grieux übernimmt, war in allen bisherigen Gürbaca-Produktionen in Mainz dabei. Nun haben sie die Möglichkeit, auf bisherigen Vereinbarungen aufzubauen.

Karten für die Premiere am 31. Oktober sind noch erhältlich.

Weitere Aufführungen am 3. und 21. November, 5. Dezember und in 2009

Vorverkauf: 06131/2851-222 oder www.staatstheater-mainz.de


Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Sonntag, 26. Oktober 2008

Karin Neuhäuser entdeckt die „Fledermaus“ von Johann Strauß im Schauspiel Frankfurt neu

Ein beschaulicher Operetten-Abend war das ganz und gar nicht. Doch als einen Kulturschock hat es wohl wohl kaum jemand aufgefasst, wie Karin Neuhäuser am Schauspiel Frankfurt mit der guten alten „Fledermaus“ von Johann Strauß umgegangen ist. Der experimentierfreudigen Regisseurin und ihrem überaus engagierten und lustvoll aufspielenden Ensemble ist es gelungen, mit einer Mischung aus Trash-Musical, Revue und Operetten-Persiflage sowie einer gehörigen Portion Nonsens zu begeistern.

Die Filmsequenz zu Beginn macht deutlich, welche Schmach Dr. Falke (Matthias Redlhammer) erlitten hat. Sein Freund Gabriel von Eisenstein (Martin Butzke) hat ihn nach einer durchzechten Nacht nicht nur volltrunken, sondern auch im Batman-Kostüm auf einer Parkbank zurück gelassen, wo er am nächsten Morgen zum Gespött von Touristen und Geschäftsleuten wurde. Nun ist sein Moment der Rache, die „Rache der Fledermaus“ gekommen. Eisenstein muss für acht Tage ins Gefängnis und Falke inszeniert ihm eine rauschende Ballnacht mit anschließendem Kater samt Ehedrama und Identitätskrise. Doch die Geschichte ist ja bekannt.

Für Karin Neuhäuser ist die Vorlage ein Skelett, das sie genüsslich mit Fleisch füllt. Dafür dreht sie an allen Hebeln des Klamauks und der bitterbös beißenden Groteske. Susanne Buchenberger mimt eine aufgesetzt gelangweilte Rosalinde, die ihren Gatte später unerkannt als amerikanisches Sanges-Starlett umgarnt. Sandra Bayrhamme ist eine erstaunliche Verwandlungskünstlerin und gibt sowohl das devot-weinerliche Kammermädchen Adele sowie deren Wiedergängerin Olga, die sich mit frech-frivoler Kleinmädchen-Masche den Aufstieg sichert. Martin Butzke verliert sich als Eisenstein immer mehr im Rausch seiner Gier. Unvergleichlich sein französisches Rededuell mit seinem späteren Gefängnisdirektor Frank (Victor Calero), der eine im Asterix-, der andere im Obelix-Kostüm, beide bar jeder Sprachkenntnis. Stefko Hanushevsky ist ein überzogen-dekadenter Prinz Orlovsky im schwarzen Ballett-Röckchen und mit tapferem Falsett.

Es gehört zu den Verdiensten dieser einfach nur glänzend unterhaltsamen Inszenierung, das Original in Teilen durchaus ernst zu nehmen. So manche Melodie wird gerettet, mitunter sogar nahe an der Vorlage. Doch gleich danach rockt das Haus zuverlässig in bester Rocky-Horror-Manie. Running Gags wie ein ab und an durch die Szene platschender Frosch mit Luftballons oder die alten Muppet-Männer, die aus luftiger Höhe Robert Gernhardt zitieren und sich darüber kaputt lachen, halten das Tempo an keiner Stelle auf. Musikalisch wird das Stück von einem Salon-Sextett unter der Leitung von Matthias Flake, das sowohl den Wiener Schmäh als auch rotzigen Hardrock kann, voran getrieben.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Montag, 20. Oktober 2008

Weltmusik-Wettbewerb in Wiesbaden

Für Rita Thies ist Wiesbaden die geeignete Stadt und der Schlachthof der richtige Ort für einen Weltmusikwettbewerb. Dem konnte sich nun auch der Trägerkreis des Wettbewerbs „Creole“ anschließen, für dessen hessische Ausgabe die „Landesarbeitsgemeinschaft der Kulturinitiativen und soziokulturellen Zentren“ (LAKS) zuständig ist. Die Veranstaltung, zu der in Wiesbaden neun Bands erwartet werden, findet bereits zum zweiten Mal statt, allerdings erstmals in der Landeshauptstadt. Die Kulturdezernentin könnte sich gut vorstellen, das hessische Finale hier regelmäßig auszurichten. „Kultur setzt auf die Stärken von Verschiedenheit“, findet sie, gerade Vorbilder könnten Integration voran bringen helfen.

Ähnlicher Ansicht ist Bernd Hesse vom Trägerkreis. Sie seien der Frage nachgegangen, welche Kultur in einem Einwanderungsland entstehen könne, wenn sich die mitgebrachten Bestandteile begegnen. Er betont, die LAKS arbeite im „kulturpolitischen Raum“ und sei daher nicht einfach nur ein Veranstalter. „Wer Weltmusik definieren will, ist zum Scheitern verurteilt, sagt er aber auch. Den Beweis tritt das Final-Programm an, das Bands aus ganz unterschiedlichen Traditionen und Stilen hinter einander auf die Schlachthof-Bühne bringt. Ohne Partner aber, so Hesse, sei die Veranstaltung nicht möglich. Zu ihnen zählt auch der Schlachthof, der von den Lesern des Musikmagazins „Intro“ immerhin einmal zum „Live-Club des Jahres“ gewählt wurden.

Carsten Schack (KuK Schlachthof) sieht das hessische Weltmusiker-Finale als zusätzliches Angebot und Bereicherung für das eigene Programm. „Wir wollen unserem Publikum bewusst auch Konzerte anbieten, bei denen es darum geht, Horizonte zu öffnen und eine gewisse Reichhaltigkeit zu erleben“, betont er. Er hofft auf Publikumszuspruch auch aus dem erweiterten Einzugsgebiet. Das Budget besteht aus schmalen 30.000 Euro, davon hat das Kulturamt 9.000 übernommen. Der Rest kommt unter anderem von der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst sowie der evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck. Die Schirmherrschaft hat auch in diesem Jahr wieder die deutsche Unesco-Kommission übernommen.

  • Am Donnerstag, 23. Oktober treten die Kollaboration „Gochan Projekt & Diego Jascalevich“ mit Anden-Jazz, die Perkussion-Voice-Formation mit Wiesbadener Beteiligung „La Ritma“, das Edgar Knecht & Valsanova Projekt“ unter dem Titel „Volkslied goes World“, die Ethno-Jazzer von „stimmig“ mit dem Wiesbadener Kontrabassisten Jörg Mühlhaus und der Mainzer Vokalistin Silvia Sauer, die Balkan-Folk-Band „Sunce Jarko“ und „Katjas kleiner Bazar“ an. Letztere ist das aktuelle Projekt der früheren „200-Sachen“-Sängerin Katja Aujesky, die ebenfalls aus Wiesbaden stammt.
  • Den Folgetag bestreiten „sYn.de“ mit italienisch-orientalischem Trecento, „flavor of the week“ mit kreolischem Walzer, kubanischem Bolero und armenisch klingenden Eigenkompositionen so wie die HipHop-Oriental-Latin-Formation „el caes“. Die Gruppe „Tibet Blues“ musste kurzfristig absagen. Der Hessen-Sieger nimmt im September 2009 am Bundeswettbewerb in Berlin mit Aussicht auf ein Preisgeld von 2.000 Euro teil.

Die Konzerte beginnen jeweils um 20 Uhr, ein Tagesticket kostet im Vorverkauf 11 Euro, ein Kombitickent 20 Euro, jeweils plus Gebühren. Weiter Informationen: www.creole-weltmusik.de

Freitag, 17. Oktober 2008

Glucks Oper "La Semiramide" wird in Mainz als Zirkusnummer aufgeführt

Mainz kümmert sich um „Gottes starke Töchter“. Die Operntrilogie hat im vergangenen Jahr begonnen und wird in dieser Spielzeit mit einer echten Wiederentdeckung fortgeführt. Die Arbeitsstelle „Gluck-Gesamtausgabe“ der Mainzer Akademie der Wissenschaften hat in der Wiener Nationalbibliothek Abschriften einer bislang nicht bekannten Oper von Christoph Willibald Gluck entdeckt. Das Werk war zum Geburtstag von Kaiserin Maria Theresia von Österreich im Jahr 1748 entstanden und damals 27 Mal hintereinander aufgeführt – anschließend verschwand sie ohne Wiederaufführung. Am Mainzer Staatstheater wurde „La Semiramide riconosciuta“ in Zusammenarbeit mit der Mainzer Musikhochschule und der internationalen Sommerschule „Singing Summer“ auf die Bühne des Kleinen Hauses gebracht.

Die Oper erzählt die Geschichte der babylonischen Königin Semiramis, die ihren Gatten ermordet hat und in Männerkleidern regiert. Um die Hand ihrer Tochter Tamiri bewerben sich die Prinzen Mirteo, Ircano und Scitale. Fast jede der handelnden Figuren ist durch ihre Vorgeschichte mit einer anderen mehr oder minder unheilvoll verknüpft. Mirteo ist Semiramides unerkannter Bruder. Scitale war einst unter anderem Namen ihr Geliebter, der sie in Folge einer Intrige ihres Vertrauten Sibari, der sie ebenfalls liebt, glaubt, sie ermordet zu haben. Lediglich Ircano hat mit all dem wenig zu tun – zum Ziel kommt er dennoch nicht.

Regisseur Peer Boysen, der auch für Bühne und Kostüme verantwortlich ist, hat einen bunten Zirkus gezaubert, in dem die Protagonisten in orientalisch anmutender Bekleidung muntere Vorstellungen geben oder proben. Mal bizarr überzogen, mal verblüffend filmrealistisch findet eine permanente Interaktion statt, die immer neu fesselt. Besonders spannend ist das ständige Auflösen tradierter Geschlechter-Rollen, die sich in dem Barock-Zirkus geradezu aufdrängen. Nicht nur Semiramide hat in dieser Betrachtung Einiges in Bezug auf ihr Innerstes aufzuklären.

Musikalisch ist die Oper optimal umgesetzt worden. Anne Catherine Wagner changiert in der Rolle der Semiramide geschickt zwischen mitfühlender, oft leidenschaftlicher Wärme und beherrschender Stärke. Prinzessin Tamiri kann Alexandra Samouilidou mit einer ansprechenden Mischung aus koketter Niedlichkeit und intensiv einprägsamer Stimmgebung überzeugen. Mirteo wird von Daniel Jenz sängerisch geradezu aristokratisch feingliedrig modelliert, Jasmin Etezadzadeh ist als hunnenartiger Skythen-Prinz Ircano kernig und souverän. Dmitry Egorov besticht in der Altus-Partie des Scitalce überaus wendig und enorm koloraturensicher. Almererija Delic übernimmt die Rolle des raubtierhaft wendigen Sibari mit großer spielerischer und klanglicher Plastizität. Unter Leitung von Michael Millar überzeugt das Orchester mit silbrig-fahlem Barock-Klang und einer behutsamen Rezitativ-Begleitung.

Weitere Aufführungen finden am 26. Oktober, 2. und 12 November sowie 10., 16., 23. und 30. Dezember statt.

Weitere Informationen: www.staatstheater-mainz.de, Karten unter 2851-222


Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse und im Main-Echo (Aschaffenburg)

Dienstag, 14. Oktober 2008

Gluck-Oper "La Semiramide" von Christoph Willibald Gluck wird nach 250 Jahren in Mainz wieder aufgeführt

Die Geschichte hat den Hintergrund einer „Tatort“-Folge. Semiramis hat ihren Mann Nino, König von Babylon ermordet und hat seine Stelle eingenommen. Sie hat sich so gut getarnt, dass alle Welt denkt, sie sei er. Unerkannt leitet sie die Brautwerbung um ihre Tochter, Prinzessin Tamiri ein und begutachtet drei Erfolg versprechende Bewerber. Mireto ist Semiramis' Bruder, Scitalce einer ihrer ehemaligen Geliebten, der sie im Gegensatz zum Bruder erkennt. Dritter im Bunde ist Ircano. Intrigenwirtschaft politischer wie höchst privater Natur ist vorprogrammiert.

Die Oper „La Semiramide“ von Christoph Willibald Gluck nach einem Libretto von Pietro Metastasio wurde vor 250 Jahren zur Eröffnung des Wiener Burgtheaters uraufgeführt und verschwand danach in der Versenkung. Vor einigen Jahren entdeckten Gluck-Forscher die Oper wieder und forcierten den Druck der Partitur. Nun stehen auch die Einzelstimmen zur Verfügung, so dass wieder an eine Aufführung gedacht werden kann. Am Mainzer Staatstheater kann dieses Ereignis dank einer Kooperation zwischen Bühne, Forschung und Lehre gefeiert werden. Die Arbeitsstelle „Gluck Gesamtausgabe“ an der Mainzer Akademie für Wissenschaft und Literatur, die für die Neuedition der Werke Glucks verantwortlich ist, lieferte das Fundament, die Mainzer Musikhochschule die Akteure, das Staatstheater Raum, Knowhow und professionelle Arbeitsbedingungen.

Außerdem hat mit Kapellmeister Michael Millard ein versierter Kenner der Epoche die musikalische Leitung übernommen. Als Regisseur wurde Peer Boysen gewonnen, der an renommierten Häusern, wie der Dresdner Semperoper, dem Gärtnerplatztheater in München oder dem Theater an der Wien tätig war. Außerdem inszenierte er für die Händel-Festspiele in Karlsruhe und die Ludwigsburger Schlossfestspiele. In Mainz waren zuletzt seine Inszenierungen von Verdis „Don Carlos“ und Webers „Freischütz“ zu sehen.

Der Regisseur kann sich geradezu verliebt über die musikalische Struktur und deren Untiefen äußern, mit denen er es bei Glucks Oper zu tun hat. Und er lobt die „Vitalität und das Direkte“ seiner Sänger. „Hier ist alles über Phantasie und Autosuggestion gegangen“, schwärmt er. Mit routinierten Bühnenprofis hätte das so nicht funktioniert, ist er überzeugt. Die Studierenden seien „offen, ernsthaft und vom Theater noch nicht korrumpiert“, findet er und Millard ergänzt aus musikalischer Sicht, dass die jungen Sänger „sehr formbar und voller Energie“ sind. So kann Boysen die verschiedenen Charaktere „aberwitzig aufeinanderprallen“ lassen. Auch von der Kooperation kann er nur Gutes berichten. „Ich finde, das müsste sich jedes Theater leisten können“, betont er.

Für die Premiere am 16. Oktober um 19.30 Uhr im Kleinen Haus sind noch Restkarten erhältlich.

Weitere Aufführungen finden am 26. Oktober, 2. und 12 November sowie 10., 16., 23. und 30. Dezember statt.

Weitere Informationen: www.staatstheater-mainz.de, Karten unter 2851-222

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung
Foto: http://www.hberlioz.com/Photos/Gluck1.jpg

Montag, 13. Oktober 2008

John Dew geht in seiner „Meistersinger“-Inszenierung am Staatstheater Darmstadt keine Risiken ein

Als der 22-jährige Richard Wagner im Sommer 1835 bei einem Verwandtenbesuch in Nürnberg eine nächtliche Straßenprügelei beobachtete, war das für ihn wie Musik. Zumindest so ähnlich. Immerhin nahm er die Begebenheit als Anregung für die Prügelszene im zweiten Akt seiner „Meistersinger von Nürnberg“ mit. Nach dem düsteren „Tannhäuser“ steht dieses Werk, das natürlich nur in epischer Breite verhandelt werden konnte, in krassem Gegensatz zu seinem Vorgänger. Wer in der bunten Geschichte nach den ansonsten bei Wagner um jede Ecke lugenden symbolträchtigen Monumente sucht, wird in der Regel enttäuscht. Auch John Dew verschwendete in seiner Inszenierung am Darmstädter Staatstheater keine Kraft an etwaige Deutungsversuche. Es läge natürlich Nahe, den unverstandenen Reformer Walther von Stolzing, der mit recht extravaganten Methoden versucht, bei den Meistern Eindruck zu schinden, als ein Alter ego des „Genius Wagner“ zu betrachten, doch das wäre müßige Spekulation.

Also findet in Darmstadt eine muntere Posse statt, in der einzelne Figuren als sanfte Karikaturen bürgerlicher Typen behandelt werden und selbst auch so agieren. Da ist Veit Pogner, der seine Tochter dem Sieger des Sängerwettstreits versprechen will, aber irgendwie schon reale Zweifel hegt, ob die junge Dame das überhaupt mitmachen möchte. Hans Sachs ist zunächst der besonnene Mahner, der auch ein Ohr für Neutönerisches hat, später aber wie alle noch seine eigenen Triebe bezwingen muss. Und Beckmesser gibt den Archetyp des Mittelmaßes, das sich in der Regel durchsetzt, weil es meist zur rechten Zeit am rechten Ort auftaucht. Der risikofreien Regie stellt Heinz Balthes ein ebenso problemloses Bühnenbild zur Seite. Zwischen autographen Partiturzeilen findet das Schauspiel inmitten gefälliger Dekoration seinen Gang, zum Schluss bekommt man noch die deutschen „Klassiker“ Goethe, Schiller und Beethoven plakativ unter die Nase gerieben.

Musikalisch aber findet hier ein kleiner Exzellenz-Marathon statt. Da ist zunächst das Orchester unter der Leitung von Constantin Trinks, das erst tapfer und später immer vitaler das dichte Wagner'sche Dickicht durchkämmt. Mit großem Vergnügen loten die Musiker heiteren Witz und beißenden Spott aus. Auch der Chor, einstudiert von André Weiss, wirkt gleichermaßen satt und agil, insbesondere das Dutzend Lehrbuben besticht durch seine flinken Einsätze. Den Veit Pogner gibt Andreas Daum mit kernig, edlem Grundton, Ralf Lukas (Hans Sachs) strahlt beständig überlegene Ruhe aus und überzeugt auch in nachdenklichen Momenten. Herbert Lippert gestaltet Walther von Stolzing jugendlich-hell und strahlend, Sixtus Beckmesser erhält von Gerd Vogel scharf gezeichnete Konturen verliehen. Anja Vincken kann sich in der Männeroper als Eva, um die sich eigentlich alles dreht, mühelos behaupten. Vor allem als anregende Erzählerin bleibt sie bestens in Erinnerung.

Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse

Dienstag, 7. Oktober 2008

Kein Bett im Kornfeld für Werther in Konstanze Lauterbachs Wiesbadener Deutung der gleichnamigen Oper von Jules Massenet

Auch das größte Leid hat irgendwann einmal ein Ende – und sei es, dass die Selbsttötung diesen Zustand verkürzt. Das Leiden des jungen Werther hat Generationen über Jahrhunderte hinweg beeindruckt, Goethes Briefroman hat nach Veröffentlichung sogar eine kleine Suizid-Welle provoziert. Jules Massenets Werther in der gleichnamigen Oper quält sich und seine angebetete Charlotte über bald drei Stunden hindurch mit seiner Obsession, bis er schließlich die Pistolen des Rivalen Albert in die Finger bekommt und sich erschießt. Zu spät – oder vielleicht auch unter dem Druck der Ereignisse – erkennt die Begehrte, dass sie mehr als nur Zuneigung für den Schwärmer empfindet.

Weil all das heute ein wenig überzeichnet wirkt, braucht es vielleicht umso buntere Bilder, um das Thema auf der Bühne zu transportieren. Diese hat Konstanze Lauterbach nun in Wiesbaden gefunden. Werther fällt in eine Familie ein, die trotz des frühen Todes der Mutter höchst intakt scheint und dem Träumer als vollkommenes Idyll erscheinen mag. Weltfern und entzückt bestaunt er das Treiben im Kornfeld (Bühne: Andreas Jander), in dem aber nie ein Bett für ihn stehen wird. Das ist schon nach wenigen Momenten klar, dennoch braucht es die Verbannung, zahlreiche schmachtende Briefe und eine Wiederkehr mit endgültigem emotionalem Absturz, um Werther die Situation begreiflich zu machen.

In Wiesbaden ist diese Entwicklung, die nie wirklich eine ist, mit viel Aufwand und großem persönlichen Einsatz der Sängerinnen und Sänger transportiert. Doch allein Ute Döring vermag als Charlotte in Gänze zu überzeugen. Empfindsam und warm zeichnet sie die Figur nach, die mal will und mal nicht kann. Die Künstlerin tritt weit hinter den Charakter und gibt sich ihrem Schmerz in einem enormen Ausmaß derart körperlich spürbar hin, dass man unwillkürlichen Zorn auf den Egomanen Werther verspürt. Der wird von Martin Homrich sehr intensiv gesungen, mitunter etwas hölzern dargestellt. Thomas de Vries ist sicher und geradlinig als Albert zu erleben, Axel Wagner gibt den bodenständigen Familienvater Le Bailli. 

Ein bereichernder Kunstgriff ist die Einführung der Natur in Gestalt der Tänzerin Nadja Kalenderyan, die zu einer Art Projektionsfläche für Werthers Träumereien dient und nach der letzten Trennung vor dem Tod auch tatsächlich Trauer trägt. Wolgang Ott leitet das Staatsorchester wendig und mit teilweise üppigem Überschwang, der bestens ins Konzept passt.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse
Foto: http://www.kerber-net.de/literatur/deutsch/drama/goethe/personen/kaulbach_werther.jpe

Montag, 6. Oktober 2008

Alex Harbs' „Fidelio“-Inszenierung an der Frankfurter Oper ist immer noch gelb und endet im trauten Familienglück

Am Ende ist alles gut und schön. Florestan und Leonore haben sich wieder, es lockt das traute Eigenheim, das sie wohl samt geliehenen Kindern und Eltern beziehen wollen. Das zumindest legen die Schlussminuten in Alex Harbs Inszenierung von Ludwig van Beethovens Oper „Fidelio“ nahe. Nur vier Monate nach der Premiere in der vergangenen Spielzeit wurde das Stück nun wieder aufgenommen. Beethovens einzige Oper lässt das heftige Bedauern aufflammen, dass er nur sie hinterlassen hat. Wie selten erlebt man hier das gelungene Zusammenspiel von Solisten, Ensemble, Chor und Orchester - die Skizzierung der Protagonisten und deren Zugehörigkeiten könnte kaum treffender vorgenommen werden. In der quietschgelben Kulisse des Regisseurs, der seinerzeit für die erkrankte Christine Paulhofer übernommen hatte, lässt sich der Kampf Leonores um ihren eingekerkerten Florestan unverbaut nachvollziehen. Gabriela Fontana legt die Rolle der Gattin im Kleid eines Mannes zunächst etwas herb an, um immer mehr auch im Anzug weichere Züge preis zu geben. Beeindruckend kraftvoll und kernig kommt Terje Stensvold als Bösewicht Don Pizarro daher, der gutmütige Kerkermeister Rocco wird von Gregory Frank robust und rustikal vermittelt. Richard Cox ist selbst offensichtlich mit seiner Leistung in der Rolle des Florestan unzufrieden, allzu oft entwischt er der Leitung des ansonsten stets souverän waltenden Generalmusikdirektors Sebastian Weigle. Besonders vielseitig präsentierte sich auch der Chor, der in diesem Stück einmal zeigen kann, was in ihm steckt. Atmosphärisch voran gebracht wird die Oper ganz wesentlich aus dem Orchestergraben heraus.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Sonntag, 5. Oktober 2008

Die „Wise Guy“ sind die Jungs von nebenan und begeistern wieder mal in der Frankfurter Alten Oper.

Eines unterscheidet die „Wise Guys“ deutlich von anderen Boybands. Es ist nicht nur so, dass sie mehrstimmig singen können, sie brauchen dazu nicht einmal Instrumente von anonymen Studiomusikern. Während man bei Casting-Shows der falsche Eindruck vermittelt bekommt, eine Band bestünde nur aus singenden Köpfen, zeigt das Kölner Quintett, dass das wirklich gehen kann. Es war der letzte Frankfurt-Besuch der Herrenrunde in dieser Besetzung, denn der Physiker Clemens Tewinkel will es nun mit seinem bürgerlichen Beruf versuchen. Auf der Bühne wird ihm daher entsprechend mehr Raum gewährt, die Fans feiern ihn mit ohrenbetäubender Begeisterung. Es ist die bewährte Mischung aus harmonischen Arrangements, durchsetzt von manch origineller Wendung und freundlichen Balladen. Die Texte sind innerhalb der vergangenen 13 Jahre zahmer geworden, die bissige Ironie der Anfangsjahre sind der Familienfreundlichkeit à la „Sonnenschein“ gewichen. Musikalisch genügen aber auch die Titel auf der aktuellen CD „Frei“ höchsten Ansprüchen. Mit dem „Seemann“ gibt’s „Walzerbeat“ auf die Ohren, bei „Alles in die Luft“ fetzen unbarmerzige Disko-Rhythmen durch die Halle, mit der „Deutschlehrerin“ knüpfen die „Wise Gusy“ dann doch ein wenig an frühere Bissigkeiten an. Ein klangliches und szenisches Meisterwerk ist ihnen mit der „Thriller“-Adaption von Michael Jackson gelungen. Hier schlagen die fünf Herren mit kaltschnäutziger Selbstverständlichkeit die Brücke von der „Bürgschaft“ zum „Moon Walk“. 

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse
Foto: http://www.wiseguys.de/images/galerie_images/2006-05-27-Tanzbrunnen/037.jpg