Sonntag, 29. Juni 2008

Biebricher Schloss in Flammen

Der Titel ist Programm, auch wenn das Schloss am Ende natürlich nicht in Schutt und Asche lag. „Schloss in Flammen“ ist ein Konzept, das an verschiedenen Orten der Republik greift und immer von der Mischung aus Musik und Feuerwerk lebt. Eine wichtige Rolle kommt dabei der Kulisse zu. In Wiesbaden wurde nun zum vierten Mal in Folge das Biebricher Schloss zum Schauplatz einer effektreichen Inszenierung, die wieder an die 5.000 Gäste auf den Rasen lockte. Neben den bestuhlten Plätzen gag es als weitere Besonderheit die Möglichkeit, sich im hinteren Bereich ein Picknick-Areal einzurichten. Hier war die Stimmung besonders unverkrampft. Niemand drehte sich ärgerlich zischend um, wenn sich der Nachbar vermeintlich zu laut unterhielt oder wenn ein Kind seine Mutter wissbegierig mit Fragen löcherte.


Klassische Musik als unterhaltende Szenerie ist gar nicht so revolutionär, wie man sich das angesichts des heutigen bürgerlichen Konzertrituals denken könnte. Oper gehörte einst zum Freizeitvergnügen und war Anlass zu Konversation und angeregtem Austausch. So konnten sich die Picknicker dieser Nacht mit mitgebrachten Weinflaschen und Lunchpaketen in einer guten Tradition aufbewahrt fühlen.


Musikalisch waren sie im übrigen auch besser dran, denn in den vorderen Reihen klang das Staatsorchester Rheinische Philharmonie unter der Leitung von Frank Cramer doch arg blechern. Das lag weniger an den Musikern oder ihren Instrumenten als vielmehr an einer Technik, die scheinbar für eine andere Art der Musikübertragung gedacht ist oder zumindest unzureichend eingestellt war. Je weiter man davon entfernt war, desto natürlicher wurde der Klang.


Wie es schien, hatte das auch die ausführenden Künstler anfangs irritiert. Das Vorspiel zu Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“, die übrigens teilweise hier entstanden ist, geriet streckenweise uneinheitlich, geradezu flatterhaft. Auch der Bariton Craig Smith hatte Mühe, sich bei der Wolfram-Arie „O du mein holder Abendstern“ aus dem „Tannhäuser“ zu positionieren. Allerdings gelang ihm das auch im weiteren Verlauf nicht. Die Sopranistin Thora Einarsdottir, scheidendes Ensemble-Mitglied am Wiesbadener Staatstheater, hingegen fand rasch in ihre Rollen. Engagiert und intonationssicher riss sie in der Arie „Je veux vivre“ aus Charles Gounods „Roméo et Juliette“ auch das Orchester mit sich.


Souverän gestaltend und kraftvoll aussingend überzeugte der Tenor Michael Spyres etwa in der stimmungsvollen Calaf-Arie „Nessun dorma“ aus Giacomo Puccinis Oper „Turandot“. Karine Ohanyan (Mezzosopran) komplettierte das Solisten-Quartett und steuerte mit enormer Strahlkraft unter anderem die Arie des Niklaus „Vois sur l'archet frémissant“ aus Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ bei. Das abschließende Synchron-Feuerwerk von Andreas Klein zu Georg Friedrich Händels „Feuerwerksmusik“ bildete den eindrucksvollen Höhepunkt. Von Land und Wasser aus ließ er den Himmel in zahllosen Farben erstrahlen und malte fantasievolle Muster in die Luft. Damit rundete er eine insgesamt gelungene Veranstaltung ab, die den Grat zwischen den Ansprüchen der Musik und des Marktes durchaus erfolgreich gemeistert hat.

Veröffentlicht u.a. im Wiesbadener Tagblatt / Wiesbadener Kurier

Montag, 9. Juni 2008

Mit der Oper „Nabucco“ von Giuseppe Verdi eröffnet das Stadttheater Trier die Antikenfestspiele im römischen Amphitheater Trier

„Wir sind halt nicht Verona“, stellte eine ältere Dame fest, als Generalmusikdirektor István Dénes den Stab sinken ließ und schulterzuckend nach oben zeigte. Doch dem Schreck folgte die Erleichterung. Nach nur zwanzig Minuten Regenpause konnte die Premiere fortgesetzt werden. Es wäre auch zu schade gewesen, auf die noch folgenden, überaus eindrucksvollen Bilder verzichtet haben zu müssen.


Die Bühne kam mit vergleichsweise geringem zusätzlichen Aufwand aus. Zu verdanken hat das Intendant Gerhard Weber, der hier auch Regie führte, der raumgreifenden Installation von HA Schult. 100 seiner „Trash-People“, aus Müll gefertigte lebensgroße menschliche Figuren, standen in Reih und Glied und dienten als Unterschlupf für den Gefangenenchor, als Verdopplung der babylonischen Hundertschaften oder als Refugium für die flüchtenden Fenena.


Ansonsten lebte die Inszenierung im wesentlich von der Lichtarbeit der Beleuchtungsmeister Hans Ortheil und Jürgen Leinen. Sie gaben der Szene mal den Anschein einer düsteren Drohkulisse oder unterbrachen Effektvoll mit Blitz und Donner. Auch die prächtigen Kostüme von Carola Vollath trugen ihren Teil zum Gelingen bei.


Musikalisch gab es hingegen Abstriche hinzunehmen. Trotz auswendigem Dirigat hatte István Dénes das Geschehen nicht immer im Griff. Oft genug entwischte ihm das Orchester, immer wieder schleppte der Chor und brauchte mehrere Takte, um sich anzupassen. Allerdings waren die großen Dimensionen ohne technische Unterstützung auch kaum ideal zu bewältigen. Das musste auch das hoch engagierte Sänger-Ensemble erleben, das es vom Regisseur nicht leicht gemacht bekam. So wäre es nicht nötig gewesen, die Sänger zum Teil mit dem Rücken zum Publikum singen zu lassen.


Besonders überzeugen konnte in diesem Umfeld die Sopranistin Vera Wenkert (Abigaille), die mit einem beachtlichen Stimmvolumen beeindruckte, ohne den klanglichen Eindruck dabei zu schmälern. Eva Maria Günschmann zeigte sich als Fenena eher sanft, Gor Arsenian gab den Ismaele mit besonderer Emotionalität und Dichte, Mikolaj Zalasinski wurde den vielseitigen Anforderungen an die Figur des Nabucco weitestgehend gerecht.


Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse

Sonntag, 1. Juni 2008

Bad in lauwarwem Pop-Wasser mit Joshua Kadison

Schade, dass das Wetter auf Joshua Kadison nicht gut zu sprechen war. Der Mann mit der samtigen Stimme und den Klavier-Akkorden, die keinem weh tun können, hätte wunderbar zu einem lauen Sommerabend in entspannter Parkatmosphäre gepasst. Das Glas Sekt in der Hand und den Ohrwurmproduzenten dezent dahinplätschernd, hätte das eine rundum gelungene Wohlfühl-Veranstaltung für noch mehr oder verliebte Pärchen geben können. So aber bekam das Konzert, verlegt vom Kupferberg-Park in den Frankfurter Hof, etwas seltsam profanes – zumindest für die wenigen Besucher, die nicht jedes Wort der Stücke mitsingen konnten. Doch derer gab's genug, darum war die Sache ein Erfolg. Besonders gefreut haben dürfte sich das gute Dutzend Fans, das es sich sogar auf der Bühne rund um den Sänger bequem machen durfte und somit aus allererster Hand versorgt wurde.


Lieder wie „Jessie“ oder „Picture Postcard from L.A.“ sind wohl noch in vielen Köpfen abgespeichert und auf Knopfdruck wieder abspulbar, doch damit hat es sich dann meist auch bei Joshua Kadison. Besonders erfolgreich ist er vor allem als Radioversorger, weniger als Plattenverkäufer gewesen, was zunächst mal keine Schande ist. Allerdings, so fällt nach dem dritten, spätestens vierten Stück auf, hat der Mann auch einfach nur ganz wenige musikalische Ideen. Die versetzt er mit den Standard-Floskeln der Popmusik aus Liebe, Sehnsucht, Geborgenheit und ein wenig Prinzessinnen-Romantik und schon liegt ihm sein Klientel zu Füßen. Wem's nicht gefällt, bekommt keine einzige Brücke gebaut. Der Sänger kann nur Balladen.


Joshua Kadison hat in etwa die Stimme eines jungen Elton John und hat sich das Klavierspielen vermutlich ebenso von diesem wie von Billy Joel abgeschaut. Sentimentale Melodien und Texte erschaffen eine Welt, die irgendwie fern und irgendwie nah, aber keinesfalls da ist. Da gibt’s ein Stückchen vom Vögelchen im goldenen Käfig und den Blick eines Verliebten, in dessen Augen die Angebetete immer schön sein wird. Ersteres ist ein elend oft benutztes Bild, das durch Wiederholung nicht gewinnt, letzteres eine stille Hoffnung, die wohl in den meisten Zuhörern tief schlummert und deshalb gut ansprechbar ist.


Fazit: Wem ein Bad in lauwarmem Pop-Wasser behagt, ist hier gut aufgehoben gewesen und hat einen wunderschönen Abend erlebt. Alle anderen werden in Gedanken ins Freie zu dem Gläschen im Park geflohen sein.

Das Teatro Regio Torino beschert den Internationalen Maifestspielen mit Verdis "Rigoletto" wohltemperierten Genuss für Auge und Ohr.

Das Fest zu Beginn ist eine formvollendete Orgie mit kopulierenden Paaren und onanierenden Jünglingen. Etwas verschämt ist die Szene hinter rauchigem Glas versteckt und damit vor dem allzu voyeuristischen Einblick geschützt. Auf Skandal ist dieses Detail jedoch nicht gemünzt, zur rauschenden Party des Herzogs von Mantua passt das schon gut. Der Herr hat schließlich kaum etwas anbrennen lassen. Regisseur Giancarlo Cobelli ist es gelungen, diesen Moment derart beiläufig einzubinden, dass er stimmig wirkt und kein bisschen provoziert. Ansonsten bekam das Publikum bei den Internationalen Maifestspielen in Wiesbaden einen üppig dekorierten „Rigoletto“ zu sehen, ein Ensemble bestens aufgelegter Sänger machte die Verdi-Oper zum Sängerfest.


Man kann der Inszenierung sicherlich vorwerfen, kaum eigene Ideen, Themen oder besonders originelle Personenführungen untergebracht zu haben. Dennoch kommt sie alles andere als blutleer daher. Auch verharrt sie nicht in einer verstaubt-musealen Aufführungs-Ästhetik, die aus reiner Gedankenlosigkeit entstanden wäre. Im Gegenteil: Auf alt getrimmt wirkt dieses Spiel so frisch wie nur selten ein ambitioniertes Regietheater.


Das liegt vor allem an den Beteiligten auf den Brettern und im Orchestergraben. Dort ist ein vor Kraft strotzender Männerchor zu erleben und ein ausnehmend lebendig und differenziert agierenes Orchester, das unter Leitung von Gianandrea Noseda alle Facetten der atmosphärischen Bandbreite beherrscht. Hinzu kommen eine permanente Interaktion zwischen allen Beteiligten und pointierte Lichteffekte von Luca Ferioli.


Stimmlich führt Roberto Frontali (Rigoletto)das Ensemble wandlungsfähig und stimmgewaltig an. Mit klaren, souverän angesteuerten Spitzentönen erfreut Inva Mula als seine Tochter Gulda. Ansonsten ist sie als sehr kultiviert und warm timbriert zu erleben, dazu kommt immer das genau richtige Maß Sentiment. Riccardo Ferrari versieht den Räuber Sparafucile mit einem knarrig-bissigen Bass, der kurzfristig eingesprungene Salvatore Cordella gibt den Herzog souverän und mit durchaus charmantem Witz.


Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse