Mittwoch, 30. November 2005

"Elektra" von Richard Strauss an der Staatsoper Stuttgart

Beim Hereinkommen wird der Zuschauer mit einer heimelig-idyllischen Szene in Sicherheit gewogen. Ein junger Mann, es ist der siegreich heimgekehrte Agamemnon, spielt in einer wuchtigen Badewanne mit seinen drei Kindern. Elektra, Chrysothemis und Orest sind klein und arglos, bis zu dem Moment, in dem Aegisth, der Geliebte der Klytämnestra, Agamemnons Frau, sich von hinten anschleicht und den alten Herrscher vor ihren Augen mit der Axt erschlägt. Mit grandiosem Fortissimo setzt das Orchester ein, das Stück beginnt.

An der Stuttgarter Staatsoper gab es nun „Elektra“ von Richard Strauss in einer Koproduktion mit dem Königlichen Theater Kopenhagen, wo bereits im Februar Premiere gefeiert wurde. Die Inszenierung von Peter Konwitschny, dessen „Cosi fan tutte“ derzeit an der Komischen Oper zum einen stürmisch gefeiert und zum anderen heftig kritisiert wird, arbeitete sich konsequent vom Kindheitstrauma bis hin zum Muttermord vor, ohne sich eine übertrieben psychologisierende Deutung anzutun. Und doch gab es so manche Schocker-Momente, die immer wieder klar zeigten, welch bestürzende Dramatik in dem antiken Stoff liegt, den Hugo von Hoffmannsthal 1903 zum Schauspiel, Strauss 1909 zur Oper werden ließ.

Während der kompletten Handlung ist der Tote omnipräsent. In der Badewanne, in der er erschlagen wurde, wird er permanent herumgeschoben. Elektra, von Susan Bullok in Jeans und Shirt in mondäner Geisterhaftigkeit vermittelt, trachtet im Angesicht des Toten Zeit ihres Lebens auf Rache, reißt die Schwester (Eva-Maria Westbroek) mit in ihre Racheglüste hinein. Und im Hintergrund zählt auf einer sich stetig ändernden Himmelslandschaft eine Digitaluhr den Countdown bis zum Mord an der eigenen Mutter.

Hierfür kommt Orest (Matthew Best) aus der Verbannung zurück. Nun zeigt Konwitschny, was sonst in derart brutaler Direktheit selten zu sehen ist. Die neue Ordnung, die Orest als künftiger Herrscher aufbaut, ist ebenso wie die seiner Vorgänger auf Blut gebaut. Nicht nur auf dem des erschlagenen Herrschers – denn mit der Mutter wird auch Aegisth getötet – sondern ebenso auf dem aller, die das System gestützt hatten. Besonders perfide ist, dass dabei nun auch alte Weggefährten bis hin zu den eigenen Schwestern zu Opfern der neuen Gerechtigkeit werden.

Wer sich an dieses monströse Werk heran wagt, muss sicher sein, dass es musikalisch von der ersten bis zur letzten Note mitgetragen wird. Denn die Klangsprache von Richard Strauss ist mehr als bloße Illustration der Geschehnisse, sie ist Verdoppelung und Verdreifachung der Emotionen und des Grauens. Lothar Zagrosek, der in der kommenden Saison das Berliner Sinfonieorchester übernehmen wird, forderte das glänzend mitarbeitende Orchester und sein Ensemble aufs Äußerste. Dank den überragenden Leistungen von Susan Bullok, Eva-Maria Westbroek und Renée Morloc in der Rolle der Klytämnestra geriet die Aufführung zu einem fulminanten Sängerfest.

Weitere Vorstellungen am 30. November, am 4., 7., 15. und 21. Dezember sowie am 7. Januar.

Veröffentlicht im Neuen Deutschland

Freitag, 25. November 2005

"Die Tochter des Piraten" von Michael Oberer als Weihnachtsmärchen im Staatstheater Mainz

Kapitänin klingt genau so sperrig wie Kanzlerin. Doch an beides werden wir uns gewöhnen müssen. Was der neuen Bundesregierung recht ist, war dem Mainzer Staatstheater bei seinem Weihnachtsmärchen nur billig.

Nach „Kalif Storch“, der „Chinesischen Nachtigall“ und der „Kleinen Meerjungfrau“ war „Die Tochter des Piraten“ bereits das vierte Weihnachtsstück, mit dem der Schweizer Autor und Regisseur Michael Oberer beauftragt wurde. Dieses Mal ist ihm ein fantasievolles Stück gelungen, mit dem sowohl die kleinen als auch die großen Zuschauer der Premiere offensichtlich einiges anzufangen wussten. Immerhin gab es immer wieder reichlich Zwischenapplaus.

Rau geht es zu auf See – und Michael Oberer will da nichts beschönigen. Es wird kräftig gemordet, geflucht und gespuckt, auch Todes- und Prügelstrafe werden mit dem Einzug des Matriarchats in der Piraterie nicht schlagartig abgeschafft. Doch von Anfang an: Nachdem der Freibeuter Pat O’Connor (Patrick Braun) auf der Jagd nach seinem betrügerischen Bruder Schwarzbart von eben diesem (ebenfalls Patrick Braun) getötet wird, übernimmt seine Tochter Caitleen (Kathrin Molsberger) das Ruder, um den Tod ihres Vaters zu rächen. Als sie ihn endlich stellt, erfährt sie, dass sie eine Schwester Sinead (Maria Weber) hat, die bislang mit Schwarzbart gemeinsame Sache machte und nun entsetzt von ihm ablässt. Dazwischen gibt es noch zwei Liebesgeschichten und eine Spionage-Affäre, weil nämlich die „American Sea Company“ hinter Schwarzbarts Wunderwaffe – der „Dicken Dora“ – her ist.

Das temporeiche Stück lebt zu einem guten Teil von der liebevoll und bis ins Detail durchdachten Bühne und die bunten Kostüme von Christoph Wagenknecht. Da findet sich Caitleen in einem gruseligen Verlies mit knochenübersätem Boden und zwischen verwesenden Leichen wieder. Zwischendrin machen die Piraten auf ihrer Verfolgungsjagd immer wieder Station in exotischen Spelunken und sogar in einem kleinen Theater. Allein das Schiff und auch die wuchtige Kanone (eben die „Dicke Dora“) gehören zu den immer wieder kehrenden Blickfängen der Inszenierung.

Darstellerisch ist vor allem Teamarbeit angesagt. Die wunderbar vielseitig und charakterlich wendig agierende Kathrin Molsberger liefert sich packende Kampfszenen mit Patrick Braun, der in seiner Doppelrolle den Spagat zwischen dem eher aristokratisch auftretenden Pat und dessen drogen- und menschenhandelnden Bruder Schwarzbart glaubwürdig meistert. Felix Pielmeier gibt den schusseligen Spion Skunky, Bruno Lehan plappert sich als „Haifischmaxe“ quer durch die Dialekte der Republik und Lovis Dengler legt eine Bilderbuchkarriere vom Dreckschrubber über den Smutje und den Ersten Leutnant bis zum Bräutigam der Piratenbraut hin. Mit der von Michael Frei ausgesuchten Bühnenmusik erhält die Produktion zusätzliches Tempo.

So sollte ein Weihnachtsstück wohl sein. Viele kurze Szenen, die derart stimmig und abgeschlossen ineinander übergreifen, dass auch die parallele Mini-Handlung mit dem Spionageversuch gestemmt werden kann. Witzig, dabei nie zu überdreht, ist Michael Oberer und dem Ensemble eine schillernde Seeräuberfantasie für Kinder ab sechs Jahren gelungen.

Spieldauer: 2 Stunden mit einer Pause

Karten unter 06131-2851222

Weitere Aufführungen: täglich vom 28.11. bis 8.12., vom 11. bis 13.12., vom 16. bis 21.12. und am 27.12.

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Donnerstag, 24. November 2005

Patricia von Blumröder mit Cage, Gompper und Thewes im Frankfurter Hof (Mainz)

Glücklicher hätte das vorläufige Finale der „Reihe Avance“ kaum ausfallen können. Viel zu selten sind die Sonatas and Interludes für präpariertes Klavier von John Cage zu hören. Einfach auch, weil es oft an Werken fehlt, die wenn nicht gleichbedeutend, dann doch wenigstens illustrierend, kommentierend oder ein wenig vergleichend daneben gestellt werden könnten.

Im Frankfurter Hof ist es dem Organisationsteam um Achim Heidenreich nun gelungen, nicht nur dieses Kunststück zuwege zu bringen, sondern auch mit der kalifornischen Pianistin Patricia von Blumröder eine ausgewiesene Expertin für die Klassiker der zeitgenössischen Musik zu verpflichten. Zwei Uraufführungen unterbrachen die „Sonatas and Interludes“ und vermittelten damit auch unterschiedliche Möglichkeiten, mit der von Cage vorgegebenen Präparierung umzugehen.

Die Schrauben, Gummi- und Plastikteile, die an und zwischen den Saiten des Instruments angebracht sind, erschließen eine Reihe von klanglichen Neuorientierungen. Neben dem perkussiven Effekt wird dabei auch en passant die wohltemperierte Stimmung überwunden. Heraus kommen neue Klangfarben, die das Werk deutlich bereichern.

Sowohl David Gomppers „Inside Cage“ als auch das „Ricochet“ von Bernd Thewes, beides Auftragskompositionen für diesen Abend, arbeiten behutsam mit den zahlreichen Möglichkeiten, „neue“ Klänge zu schaffen. Dabei verlassen sie erstaunlicherweise kaum eingefahrene harmonische Konventionen, man könnte sogar von eher rückwärtsgewandten Formen sprechen. Der progressive Effekt entsteht aber gerade durch dieses seltsame Zusammenwirken. Das Instrument ist schließlich der Star des Abends und das, was Komponisten und Interpretin herausholen, ordnet sich ganz der „Deformation“ der Saitenklänge unter, wie es Thewes auch formuliert. Dass man sich an de Klang überraschend schnell gewöhnen kann, ist ein weiterer Nebeneffekt dieser Behandlung.

Patricia von Blumräder dosierte ihre dynamische Verteilung und ihre Anschlagstechnik sehr wohlproportioniert und überlegt, passte sie an die Gegebenheiten jeder einzelnen Saite an, ohne dabei den Fluss aufzuhalten. Markig wuchtige Säulen ließen das Scheppern und Klirren besonders herausplatzen, dazwischen entstanden gedämpfte Akkordbrechungen, die an Glocken- oder Xylophon-Schläge erinnerten. Wenn sich der Zuhörer am Ende des Cage-Werkes eine geraume Zeit in einer plätschernden Endlos-Schleife wähnt, ist das nur ein Abklingen wieder entdeckter Hörmomente, aus der uns Patricia von Blumröder ganz unauffällig herausgleiten lässt.

Die Reihe Avance wird am 24. Januar um 20 Uhr fortgesetzt. Das Ensemble Avantgarde aus Leipzig spielt dann im Frankfurter Hof unter anderem Werke von Steffen Schleiermacher, Daniel Smutny und Friedrich Schenker.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz und im Wiesbadener Kurier/Wiesbadener Tagblatt




Mittwoch, 23. November 2005

Mozart wird auch in Mainz gefeiert

Bei einem Pressegespräch stellten der Mainzer Kulturdezernent Peter Krawietz (CDU) und der ehrenamtliche Koordinator Volker Müller die Konzerte in der Stadt zum Mozartjahr 2006 vor.


Mainz lässt sich ja mit einer ganzen Menge verbinden. Mit Gutenberg natürlich, mit Mainz nicht erst seit zwei Jahren und auch mit der Fassenacht. Aber Mozart – ist das nicht doch ein bisschen weit hergeholt? Und sogar „Mozart in Mainz“? Nein, ist es gar nicht. Denn tatsächlich hat sich der österreichische Wunderknabe zwei Mal in der heutigen Landeshauptstadt blicken lassen. Einmal im August und September 1763. Da musste zwar die Audienz beim kunstsinnigen Kurfürsten Emmerich Joseph von Breidbach-Bürresheim wegen dessen Erkrankung ausfallen, doch der Siebenjährige spielte unter anderem im Gasthof „Zum Römischen König“, dem heutigen Erbacher Hof. Vater Leopold notierte zu einem der Konzerte in seinem Tagebuch: „Alles gerieth in Erstaunen! Gott gibt uns die Gnade, daß wir, Gott Lob, gesund sind, und aller Orten bewundert werden." Dann kam Mozart noch einmal im Oktober 1790, spielte Orgel in der Augustinerkirche und gab im Schloss ein Konzert vor Kurfürst Carl Joseph von Erthal. (Die ganze Geschichte erzählt Karl Böhmer am Sonntag, 19. März um 17 Uhr im Rathaus.)

Grund genug also, auch in Mainz das kommende Mozartjahr zum 250. Geburtstag ein wenig mit zu feiern. Unter der Regie des Kulturdezernats haben sich die vielen Mainzer Musikschaffenden zusammengetan, um bereits in der ersten Jahreshälfte 18 unterschiedliche Veranstaltungen anzubieten. Unter der Leitung des langjährigen Musikreferenten Volker Müller, der sich mittlerweile ehrenamtlich in Sachen Kultur für die Stadt engagiert, kann die Szene vor Ort mit einer ganzen Reihe interessanter Höhepunkte aufwarten. Neben dem Peter-Cornelius-Konservatorium, dem Staatstheater, der Musikhochschule, der Villa Musica, dem Mainzer Kammerorchester und zahlreichen Chören beteiligt sich auch das Cine Mayence mit einem „Director’s cut“ des Milos-Forman-Films „Amadeus“ aus dem Jahr 1984. (Freitag, 3. Februar, 20 Uhr im Frankfurter Hof)

Kulturdezernent Peter Krawietz betonte, dass die Aufgabe seines Hauses vor allem darin bestehe, „zu befördern und zu motivieren, aber nicht alles selbst zu machen.“ Die Kräfte zu bündeln und die Zusammenarbeit zu initiieren, sei auch in diesem Fall wieder das große Ziel der Stadt. Gelungen ist das auf alle Fälle, angesichts eines vielseitigen Programms vom Jazzbeitrag über Orgel- und Chorkonzerte bis hin zu drei Opernproduktionen. Die Programmhefte sind bei allen beteiligten Institutionen und im Rathaus erhältlich.


Ausgewählte Veranstaltungen:

Samstag, 21.1., 19.00 Uhr, Villa Musica: Bläserwerke von Wolfgang Amadeus Mozart mit Ulf Rodenhäuser (Klarinette) und Stipendiaten

Freitag, 27.1., 18.30 Uhr, Landesmuseum: Mainzer Kammerorchester mit frühen Klavierwerken, darunter das KV 1, das Mozart im Alter von fünf Jahren schrieb.

Sonntag, 12.2., 19.30 Uhr, KUZ: „Mozart: Changes & Styles“ mit der Jazzabteilung der Musikhochschule

Sonntag, 5. März, 18.00 Uhr, St. Stephan (Gonsenheim): „Krönungsmesse“ und „Exultate jubilate“ mit der Mainzer Singakademie, cantare mainz, voces cantantes und dem Mainzer Oratorienorchester

Donnerstag, 9. März, 20.00 Uhr, Phönixhalle: „Happy Birthday Mozart“ Philharmonisches Staatsorchester Mainz „mit den absoluten Highlights“

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Dienstag, 22. November 2005

Sebastian Weigle ist neuer Generalmusikdirektor in Frankfurt

Kurz und schmerzlos war's - bei einer Pressekonferenz in der Frankfurter Oper stellten Intendant Bernd Loebe und Oberbürgermeisterin Petra Roth den neuen GMD vor.


Ob die Opernkritiker in Barcelona ahnten, dass sie ihren Chefdirigenten nach Frankfurt verlieren könnten? Im Oktober noch wählten sie den aus Berlin stammenden Sebastian Weigle zum „besten musikalischen Leiter“ der vergangenen Spielzeit. Und das, obwohl er erst seit gut einem Jahr im Gran Teatre de Liceu am Pult steht. Aber vielleicht wussten sie ja schon mehr. Nämlich, dass die Städtischen Bühnen in Frankfurt bald reges Interesse entwickeln würden, den gerade mal 44-jährigen Dirigenten zum Nachfolger von Paolo Carignani an der Spitze des Museumsorchesters zu küren. Passen würde es. Carignani wollte seinen Vertrag, der noch bis zur Spielzeit 2007/2008 läuft, nicht mehr verlängern, Weigle hat sich bis 2008 in der katalonischen Metropole verpflichtet. In Frankfurt ist er spätestens vor drei Jahren aufgefallen, als er an der Oper die „Frau ohne Schatten“ in der Inszenierung von Christoph Nel dirigierte und damit bei Publikum und Fachpresse bleibenden Eindruck hinterließ.

Der Barenboim-Schüler Weigle kann auf einen international hervorragenden Ruf verweisen. Nach der künstlerischen Ausbildung an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin und war er neben seiner Tätigkeit als Solohornist an der Berliner Staatsoper „Unter den Linden“ zunächst künstlerischer Leiter des Neuen Berliner Kammerorchesters, gründete den Kammerchor Berlin und legte damit den Grundstein für hochdotierte Herausforderungen, die bald folgen sollten. Er stand vor fast allen wichtigen Berliner Klangkörpern, dirigierte das Rundfunkorchester des Bayerischen Rundfunks und das Bergen Philharmonic Orchestra. Mitte der 90er Jahre leitete er als Mittdreißiger die Geschicke des Landes-Jugendsinfonieorchesters in Brandenburg und erarbeitete sich zwischen 1997 und 2002 als Kapellmeister an der Berliner Staatsoper ein breites Bühnenrepertoire, das ihm wiederum Einladungen nach Dresden, Mannheim, Wien, New York und Sydney einbrachte. Vorläufiger Höhepunkt schien die Verpflichtung nach Barcelona – übrigens nachdem ihm sein Frankfurter Gastspiel den Titel „Dirigent des Jahres“ bei der Kritikerumfrage im Fachmagazin „Opernwelt“ eingebracht hatte.

„Weigle wäre eine hervorragende Wahl. Jedes Haus könnte sich glücklich schätzen, einen solchen Mann für sich zu gewinnen.", bemerkte der Frankfurter Opernintendant Bernd Loebe recht flott nach der Premiere von Tschaikowskys „Pique Dame“ Anfang des Monats, als sich Weigle wieder fulminant in Erinnerung gebracht hatte. Und ein Wunschkandidat des Orchesters sei er auch, wusste Loebe.

Nun bestätigte sich, was eigentlich schon alles wussten. Bei einer Pressekonferenz im Holzfoyer der Oper stellten Loebe und Oberbürgermeisterin Petra Roth in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsratsvorsitzende der Städtischen Bühnen GmbH den GMD in spe vor. Er wird in seiner ersten Spielzeit 2008/2009 mit Rücksicht auf seine Verpflichtungen in Barcelona noch mit „nur“ 25 Vorstellungen und den Museumskonzerten starten, ab der darauffolgenden Saison dann aber zur vollen Verfügung stehen. Als erste eigene Produktion steht Aribert Reimanns „Lear“ an.

Der Kantoren-Sohn Weigle betonte, dass er sich auf die neue Aufgabe sehr freue und auch plane, ab 2008 seinen festen Wohnsitz in Frankfurt zu nehmen. Viel Lob hatte er für Orchester („neugierig und aufmerksam“) sowie für den Chor und das Ensemble („wunderbares Einvernehmen“) übrig, das ihm prompt von Seiten der zukünftigen Kollegen zurückschlug, die sich bei der Pressekonferenz zahlreich eingefunden hatten. Orchestervorstand und Kontrabassist Matthias Kuckuck formulierte es für alle: „Ich freue mich auf 2008 und auf Sebastian Weigle“.

Eerschienen in NEWS Frankfurt und im Main-Echo aus Aschaffenburg

Grieg, Vivaldi und Schubert in Regensburg

So - war am Montag in Regensburg und habe dort zum ersten Mal das dortige Philharmonische Orchester konzertant erlebt. War positiv erstaunt! Doch lest selbst....:


Aus Richard Strauss und Henry Purcell können flugs einmal Grieg und Vivaldi werden, wenn ein neuer Generalmusikdirektor auftaucht. Das war dann aber auch schon der einzige gravierende Wermutstropfen, den das Publikum beim zweiten Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters Regensburg im Neuhaussaal hinnehmen musste.Denn schon die mit viel feinsinniger Akuratesse eingerichtete Grieg-Suite im alten Stil "Aus Holbergs Zeit" zeigte, dass sich Raoul Grüneis ohne Weiteres mit seinem Orchester angefreundet hat. Mit bloßer Hand führte er seine Musiker und bescherte den Zuhörern einen enorm feinnervigen Einstieg in das Präludium, das von den hohen Streichern prickelnd angesetzt wurde. Elegant hauchten sie dieLegati ausrumpelnde Kontrabässe wiesen die Kontraste auf. Später wuchs das Streichorchester zu voluminöser Wucht heran und fand zu einem harmonischen samtigen Klang, der in der Sarabande emphatisch auf die Spitze getrieben wurde. Die populär tänzerische Gavotte gelang beschwingt und mit aparten Phrasierungen bestückt, auch wenn so manche Bindung etwas schummrig umgesetzt wurde. Den flüssigen Themenübergaben durch die Stimmen hindurch tat das jedoch keinerlei Abbruch. Ein wenig rauh ließ Konzertmeister Johannes Plewa seinen Solopart erklingen, was dem abschließenden Rigaudon allerdings eine interessante herbe Note verlieh.
Ein guter Einstieg insgesamt also in ein Konzert, das noch einiges zu bieten hatte. Und das mit einem Werk, das schon in seinem Entstehungsjahr 1884 anachronistisch erscheinen musste. Hatte Grieg seine Suite doch zum 200. Geburtstag des Dichters Ludvig Holberg, dem Schöpfer der damals neueren dänisch-norwegischen Literatur geschrieben. Eine Suite in diesem Stil war Ende des 19. Jahrhunderts völlig aus der Mode gekommen, Grieg umspielte diese Situation mit einer üppigen Polyphonie, die er durch die mehrfache Teilung nahezu aller Stimmen erzeugte.
Dennoch war er später alles andere als erfreut, dass ausgerechnet dieses aus seiner Sicht eher schlichtes Auftragswerk sich so vehement in den Konzertsälen festsetzte.

Vivaldis "Stabat mater" folgte auf die Tänze - ein etwas gewagter Nicht-Übergang, aber warum nicht. Mit Diana Schmid stellte sich in Regensburg eine junge Mezzosopranistin vor, die nach ihrer ersten Gesangsausbildung nun in der Klasse von Claudia Eder an der Mainzer Musikhochschule ihr Konzertexamen anstrebt und bereits bei einigen Aufführungen im Rhein-Main-Gebiet und bei internationalen Wettbewerben gezeigt hat, dass mit ihr zu rechnen ist. Jetzt präsentierte sie sich mit warmem, etwas dunkel gefärbtem Timbre in der Altpartie, das dem Werk ausgezeichnet steht. Kultiviert und doch tragend aussingend nahm sie Anteil an den Leiden der Schmerzensreichen, ohne zu gefühlig zu werden. Mit feinem Gespür für die notwendigen dynamischen und gestalterischen Nuancen agierte sie ausgesprochen beweglich und mit klarer Linienführung. Im Orchester könnte noch etwas mehr Sinn dafür entwickelt werden, sich bewusster und beherzter auf einen Solisten einzulassen.

Nach der Pause dann Schubert. Seine "tragische" vierte Sinfonie, die er bereits im Alter von 19 Jahren geschrieben hatte -als vorläufigen Höhepunkt seines sinfonischen Schaffens. Nun hatte Grüneis zum Stab gegriffen, um sich im großen Klanggetümmel auch detailierter um die Feinheiten kümmern zu können. Hier fielen von Anfang an die präzise und umsichtig spielenden Holzbläser auf, die im ersten Satz mit punktgenauen Ostinati, im Andante mit souveräner Sensibilität und im Menuett mit leicht federnden Kommentaren und rustikalem Charme agierten. Ausgerechnet an den harmonisch so durchsichtigen Passagen des zweiten Satzes mussten einige intonatorische Patzer bei den Geigen hingenommen werden, gleich im Anschluss war auch kaum ein sauberer Einsatz der Hörner zu vernehmen. Doch der ausnehmend lebhafte Schluss-Satz entschädigte dafür allemal. Grüneis holte hier zwischen wuchtiger Größe, ländlich angelehntem Charme und sanftem schwelgen eine ungemeine Farbigkeit heraus. Ein spannendes Konzertereignis mit ausreichend Höhepunkten, das auf die kommenden Auftritte neugierig macht.

Erschienen in der Telezeitung und dem Ostbayerischen Mediendienst

Donnerstag, 17. November 2005

Dieter Schnebels "MOMA" im Mannheimer Nationaltheater

Wie hören sich wohl die Meister der modernen Kunst an? Nein, nicht die Komponisten, die Maler. Diese Frage stellte sich wohl Dieter Schnebel, als er seine Collage „für bewegliche Stimmen und Instrumente“ schuf und ihr den Titel „MOMA“ gab. Als Auftragswerk für den Westdeutschen Rundfunk geschrieben hatte es seine Uraufführung vor genau zehn Jahren im Kölner Museum Ludwig. Nun stand die Premiere im Mannheimer Nationaltheater an. Matthias Rebstock hatte sowohl die Inszenierung als auch die musikalische Leitung übernommen und präsentierte seinem Publikum eine Veranstaltung, die zur Schärfung der Sinne einlud. Der 1970 geborene Künstler kennt sich aus mit Schnebel, immerhin hatte er bei den Donaueschinger Musiktagen vor vier Jahren dessen „N.N.“ uraufgeführt.

In Mannheim ließ er nun jedem Zuschauer ein kleines Büchlein in die Hand drücken, in dem 45 Bilder „moderner“ Meister von Jawlensky über Dali und Segal bis hin zu Rebecca Horn und Anselm Kiefer versammelt waren. All jene also, die Dieter Schnebel in Musik gesetzt hatte. Klar gab’s da eine Menge Lautmalerisches zu hören. Da musste das Ensemble beim Meister der Nägel, Günther Uecker, auch Nägel in Klötze hämmern, zu Frida Kahlos „Columna Rota“, der geschundenen Frau, gab’s Kettenrasseln und monoton gedrückten Frauenchor.

Doch die Aufführung blieb nicht bei einer illustrierenden Werkschau stehen. Ausgehend vom Foyer führten die jeweils acht Sänger und Instrumentalisten ihr Publikum um den Schauspielturm herum, verharrten an den verschiedenen Stationen und brachte immer wieder neue Zusammenhänger zum Vorschein. Einzeln oder in Gruppen, miteinander und unabhängig voneinander wurden hier Beziehungen hergestellt, die ständig im Auge des Betrachters und aus den unterschiedlichen Perspektiven heraus ihre Entwicklungen durchlebten.

Dabei stolperten oder stießen die Akteure gerne mal an laut scheppernde Metallbehälter, stoben hektisch auseinander und ließen sich gemächlich treiben. Fest stand hier kaum etwas, selbst die leblosen Gegenstände wurden am Ende unter lautem Gebrabbel und politphilosophischem Krakeelen in die Mitte des Foyers geschleppt. Die Situation, der Moment und der Prozess dazwischen – das waren die Hauptaugenmerke des Abends, die sich sehr eindrucksvoll miterleben ließen. Zwischen Erstaunen, Erschrecken, Erkennen und Verwunderung waren die Wege dabei oft kurz. Ein spannender Moment jagte den nächsten, die Wechsel zwischen den Bildern ließen immer wieder Raum zum Innehalten. Ein beschauliches Experiment, das von der großen Ernsthaftigkeit seiner Protagonisten lebte.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Montag, 14. November 2005

Beethovens Missa solemnis mit der EuropaChorAkademie und dem Philharmonischen Orchester Luxemburg unter Michael Gielen in Mainz

Nur wenige sakrale Werke besitzen diese musikalische Anziehungskraft wie Beethovens Missa solemnis. Deren stets auf’s Neue tief empfindsame und bei aller Gegensätzlichkeit emotional wie inhaltlich schlüssige musikalische Großtat kann daher nicht nur in der Kirche ihre volle Wirkung entfalten. In der Mainzer Rheingoldhalle bewiesen das die Europa Chor Akademie und das Philharmonische Orchester Luxemburg unter der Leitung des 78-jährigen Dirigenten Michael Gielen.

Zwei sehr unterschiedlich strukturierte Klangkörper fanden hier unter der überblickenden Stabführung eines Mannes zusammen, der in seinen sanften Schlägen oft unerreichte Klangvorstellungen realisierte. So ließ er den Chor im Gloria zwar mächtig anschwellen, ohne aber jemals einen gewalttätigen Eindruck zu vermitteln. Die von Joshard Daus einstudierte Europa Chor Akademie bewahrte sich auch in den mächtigen Momenten volle Flexibilität, konnte sich schlagartig zurücknehmen. Im weiteren Verlauf des Glorias wurden die einzelnen Stimmen präzise herausgearbeitet und bauten passgenau aufeinander auf. Hauchfein und doch enorm tragfähig setzte der Tenor im „Et incarnatus est“ beim Credo ein, fast wispernd fiel der Chor ein und vollzog nach und nach eine effektvolle und behutsam ausbalancierte Steigerung.

Trotz der enormen Anstrengungen, die das Werk von den Choristen fordert, ließen die jungen Sängerinnen und Sänger keine Ermattungserscheinungen zu. Intonation und Spannkraft blieben bis zur letzten Note erhalten. Eindrucksvoll blühte der Chor noch einmal im „Dona nobis paem“ des Agnus Dei auf. Das Philharmonische Orchester Luxemburg hatte für diese Aufführung einen geschmeidigen und unaufgeregten Tonfall gefunden, der sich immer wieder mit kernigem Biss und präziser Artikulation verband. Feinsinnige Bläsersoli und ein konturenreiches Streichertutti sorgten für eine beziehungsreiche Interpretation, Konzertmeister Hao-Xing Liang überzeugte mit einem empfindsamen Violinsolo im Sanctus.

Den Gesangs-Solisten gelang es gerade im Quartett nicht immer, die Stimmung adäquat zu treffen. So gaben sie sich bereits im Kyrie über die Maßen üppig und präsent, im Gloria ergaben sich immer wieder Unstimmigkeiten bei der Tempovorstellung. Im Sanctus hingegen überraschten sie mit beachtlicher Zurückhaltung, die einen hohen Grad an Spannung erzeugte. Einzeln wussten sie in der Regel zu überzeugen. Luba Orgonásová (Sopran) konnte ihre große Stimme auch an sensibleren Stellen zur Geltung kommen lassen, Birgit Remmert stattete die Altpartie mit warmer Fülle aus, Tenor Christian Elsner gewann mit eleganter Strahlkraft. Lediglich Bjarni Thor Kristinsson (Bass) verfehlte hörbar den Zugang. Flach und unausgewogen gerieten einige seiner Einsätze zur gefährlichen Zitterpartie, die er mit sehr viel Kraft auszubalancieren suchte.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Donnerstag, 10. November 2005

Sebastian Weigle wird 2007 GMD in Frankfurt

Ob die Opernkritiker in Barcelona ahnten, dass sie ihren Chefdirigenten nach Frankfurt verlieren könnten? Im Oktober noch wählten sie den aus Berlin stammenden Sebastian Weigle zum „besten musikalischen Leiter“ der vergangenen Spielzeit. Und das, obwohl er erst seit gut einem Jahr im Gran Teatre de Liceu am Pult steht. Aber vielleicht wussten sie ja schon mehr. Nämlich, dass die Städtischen Bühnen in Frankfurt bald reges Interesse entwickeln würden, den gerade mal 44-jährigen Dirigenten zum Nachfolger von Paolo Carignani an der Spitze des Museumsorchesters zu küren. Passen würde es. Carignani wollte seinen Vertrag, der noch bis zur Spielzeit 2007/2008 läuft, nicht mehr verlängern, Weigle hat sich bis 2008 in der katalonischen Metropole verpflichtet. In Frankfurt ist er spätestens vor drei Jahren aufgefallen, als er an der Oper die „Frau ohne Schatten“ in der Inszenierung von Christoph Nel dirigierte und damit bei Publikum und Fachpresse bleibenden Eindruck hinterließ.

Der Barenboim-Schüler Weigle kann auf einen international hervorragenden Ruf verweisen. Nach der künstlerischen Ausbildung an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin und war er neben seiner Tätigkeit als Solohornist an der Berliner Staatsoper „Unter den Linden“ zunächst künstlerischer Leiter des Neuen Berliner Kammerorchesters, gründete den Kammerchor Berlin und legte damit den Grundstein für hochdotierte Herausforderungen, die bald folgen sollten. Er stand vor fast allen wichtigen Berliner Klangkörpern, dirigierte das Rundfunkorchester des Bayerischen Rundfunks und das Bergen Philharmonic Orchestra. Mitte der 90er Jahre leitete er als Mittdreißiger die Geschicke des Landes-Jugendsinfonieorchesters in Brandenburg und erarbeitete sich zwischen 1997 und 2002 als Kapellmeister an der Berliner Staatsoper ein breites Bühnenrepertoire, das ihm wiederum Einladungen nach Dresden, Mannheim, Wien, New York und Sydney einbrachte. Vorläufiger Höhepunkt schien die Verpflichtung nach Barcelona – übrigens nachdem ihm sein Frankfurter Gastspiel den Titel „Dirigent des Jahres“ bei der Kritikerumfrage im Fachmagazin „Opernwelt“ eingebracht hatte.

„Weigle wäre eine hervorragende Wahl. Jedes Haus könnte sich glücklich schätzen, einen solchen Mann für sich zu gewinnen.", bemerkte der Frankfurter Opernintendant Bernd Loebe recht flott nach der Premiere von Tschaikowskys „Pique Dame“ Anfang des Monats, als sich Weigle wieder fulminant in Erinnerung gebracht hatte. Und ein Wunschkandidat des Orchesters sei er auch, wusste Loebe.

Nun bestätigte sich, was eigentlich schon alles wussten. Bei einer Pressekonferenz im Holzfoyer der Oper stellten Loebe und Oberbürgermeisterin Petra Roth in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsratsvorsitzende der Städtischen Bühnen GmbH den GMD in spe vor. Er wird in seiner ersten Spielzeit 2008/2009 mit Rücksicht auf seine Verpflichtungen in Barcelona noch mit „nur“ 25 Vorstellungen und den Museumskonzerten starten, ab der darauffolgenden Saison dann aber zur vollen Verfügung stehen. Als erste eigene Produktion steht Aribert Reimanns „Lear“ an.

Der Kantoren-Sohn Weigle betonte, dass er sich auf die neue Aufgabe sehr freue und auch plane, ab 2008 seinen festen Wohnsitz in Frankfurt zu nehmen. Viel Lob hatte er für Orchester („neugierig und aufmerksam“) sowie für den Chor und das Ensemble („wunderbares Einvernehmen“) übrig, das ihm prompt von Seiten der zukünftigen Kollegen zurückschlug, die sich bei der Pressekonferenz zahlreich eingefunden hatten. Orchestervorstand und Kontrabassist Matthias Kuckuck formulierte es für alle: „Ich freue mich auf 2008 und auf Sebastian Weigle“.

Veröffentlicht in NEWS Frankfurt

Montag, 7. November 2005

Tschaikowskys Oper "Pique Dame" an der Oper Frankfurt (Main)

Hermann ist hin- und hergerissen. Eigentlich müsste er sich nicht entscheiden zwischen der Liebe und dem großen Geld durch Glücksspiel. Beides würde den sozialen Aufstieg bedeuten. Doch dieser Gedanke kommt dem deutschen Ingenieur-Offizier in Tschaikowskys Oper „Pique Dame“ nicht. Die russische Gräfin Lisa würde ihn ja nehmen. Obwohl sie eigentlich mit dem Fürsten Jeletzki verlobt ist. Der wiederum ist sogar davon zu überzeugen, dass er von einer Gattin nichts hätte, die ihn nicht liebt. Dennoch: Hermann ist bereits ohnmächtig von dem Gedanken, mit Hilfe eines düsteren Geheimwissens um drei Karten, die immer stechen, sein Heil im Spiel zu finden. Aus der Benommenheit wird ein Wahn, dem er erst die Geliebte und schließlich sich selbst opfert.

In Frankfurt am Main hatte Peter I. Tschaikowskys 1890 nach einer Erzählung von Alexander Puschkin verfasste Oper nun Premiere. Für die Regie zeichnete der Münchner Christian Pade verantwortlich, der im vergangenen Jahr mit Henzes „Elegie für junge Liebende“ an der Staatsoper Unter den Linden debütierte und als einer der führenden Grenzgänger zwischen Schauspiel und Musiktheater gilt. An der Frankfurter Oper war er in der vergangenen Spielzeit insbesondere mit Mussorgskis aufwendig eingerichteter „Chowantschtschina“ aufgefallen.

Hier nun setzt Pade auf kühle Formen und eine mondäne Schlichtheit. Die von Alexander Lindl zwischen riesige Säulen gesetzte Szene wird in einer Art Rückbesinnung auf die literarische Vorlage in eine psychiatrische Anstalt verlegt. Dorthin also, wo Puschkins Hermann nach all seinen Fehlgriffen und Lisas Selbstmord landet. Die Kumpane spielen russisches Roulette, Graf Tomski, der Hermann den Floh mit den geheimen Karten ins Ohr setzt, scheint einer der Ärzte zu sein. Inmitten dieser Kälte hat Lintl einige seiner Figuren – vor allem den Chor – in prunkvolle Kostüme gesteckt, die einen wohlig-kitschigen Blickfang bilden. Insgesamt kommt damit eine merkwürdige Unwucht in die Sache.

Immer lenkt irgend etwas ab. Die Handlung lässt sich nicht konsequent verfolgen, die Interpretation bleibt im Nebel stecken. Und auch so beziehungsreiche Momente zwischen dem bürgerlichen Offizier unterster Rangordnung und der jungen Aristokration, wie sie in den beiden zentralen Begegnungen der beiden gezeichnet werden könnten, bleiben eher unwirklich. Viel von der emotionalen Kälte, in der Hermann agieren muss, kann vermittelt werden, aber wenig von der Aufgewühltheit, der geradezu psychotischen Besessenheit, in die er sich hineinsteigert. Nur zweimal kommt diese gruselige Spannung auf. Die Szene, in der Hermann versucht, der alten Gräfin ihr Geheimnis zu entlocken, das sie – wohl wissend um das Schicksal des Trägers – nicht preisgeben möchte, geht unter die Haut. Und dann der Moment, in dem sie ihm wieder als Geist erscheint und ihm den falschen Tipp gibt.

Gerettet wird der Opernabend vor allem durch eine durchweg herausragende Solistenriege und ein feinnervig agierendes Museumsorchester unter Sebastian Weigle, der zurzeit als Generalmusikdirektor in der Nachfolge von Paolo Garignani gehandelt wird. Immer gelingt es den Musikern im Graben, die momentane Stimmung zuzuspitzen. Johannes Martin Kränzle besticht in der Rolle des „Arztes“ Tomski. Seine Ballade im ersten Akt interpretiert er mit gleichermaßen kernigem wie einfühlsamem Bariton. Elzbieta Ardam gestaltet die alte Gräfin mit herber Spannung, die Sopranistin Danielle Halbwachs brilliert großformatig in einer glänzend gestalteten Partie der Gräfin Lisa, Rodion Pogossov (Fürst Jeletzki) ist als kultivierter Sänger zu erleben. Mikhail Davidoff schließlich erweckt den schwierig zu fassenden Hermann mit einem unendlich scheinenden stimmlichen Reservoir, mit klaren Linien und höchst differenziert aussingend zum Leben.

Veröffentlicht im Neuen Deutschland und NEWS Frankfurt (vom Autor gekürzte Fassung)