Dienstag, 15. Januar 2008

Puccinis "Il trittico" an der Oper Frankfurt

Die Rätselraten darüber, ob Giacomo Puccini seine drei Einakter „Il trittico“ als Ganzes oder eben als drei ganz wesensunterschiedliche Werke geschaffen hat, wird nicht erst seit diesem Wochenende und nicht nur in Frankfurt betrieben. Regisseur Claus Guth jedoch hat die Frage an der Frankfurter Oper derart schlüssig beantwortet, dass danach kaum mehr Fragen offen bleiben.

Drei mal verhandelt Puccini den Tod. In „Il tabarro“ (Der Mantel), ist er gleich doppelt präsent. Der Tod ihres Kindes hat die Ehe von Giorgetta und Michele erkalten lassen, Liebhaber Luigi muss die immerhin ja berechtigte Eifersucht des Gatten mit dem Tod bezahlen. Auch „Suor Angelica“ (Schwester Angelica) beweint den Tod ihres Jungen. Doch erst sieben Jahre, nachdem sie ihn unehelich auf die Welt gebracht hat, seinerzeit dafür ins Kloster ging und seitdem keinen Kontakt mehr zu ihm hatte. Schließlich lacht sich der verstorbene Buoso in „Gianni Schicchi“ vermutlich ordentlich ins Fäustchen, während er aus dem Jenseits verfolgt, wie sich die Lebenden um sein Erbe balgen.

Der Tod also als Bindeglied? Guth bejaht diese Frage ganz eindeutig. Seine inhaltliche wie optisch präsente Klammer ist das Schiff (Bühnenbild: Christian Schmidt). Jenes Transportmittel, das in den Mythen der Antike die Toten vom Reich der Lebenden in das der Toten befördert.

An der Schiffsbar treffen sich die Werktätigen und spülen ihren Alltagsstress hinunter. Elza van den Heever gibt die umsorgende Bartenderin, die so ihren eigenen Kummer vor sich herträgt, mit unwahrscheinlich vielseitiger spielerischer wie sängerischer Kraft. Zeljko Lucic in der Rolle des verzweifelten Michele, der nicht mehr weiß, wie er an sie rankommen soll, brilliert gewohnt stimmgewaltig. Auch Hans-Jürgen Lazar kann als Liebhaber mehr als nur überzeugen. Schon hier fahren die Toten auf dem Oberdeck mit. Später stößt Schwester Angelica hinzu, die von Angelina Ruzzafante unmittelbar und ergreifend umgesetzt wird. Ihr Hilferuf an die Jungfrau Maria wird in diesem Fall erst nach dem Freitod erhört. Die herbe Strenge ihrer Tante, wird von Julia Juon entwaffnend präsent verkörpert.

ZeljkoLucic erscheint erneut, nun als Gianni Schicci, der gewitzte Rechtsverdreher. Gemeinsam mit dem fantastisch aufspielenden Ensemble bringt er den Dreiteiler furios und temporeich zu Ende. Das Museumsorchester unter Leitung von Nicola Luisotti spielt sich von einem Höhepunkt zum nächsten, ist zwischenzeitlich ein ausgeglichener Partner der Bühnenprotagonisten. Eine Inszenierung, an der man sich weder satt hören noch sehen mag.

Samstag, 12. Januar 2008

"Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" von Brecht / Weill am Staatstheater Mainz

Als die Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ am 9. März 1930 am Neuen Theater zu Leipzig uraufgeführt wurde, waren in Deutschland 3,2 Millionen Menschen ohne Arbeit. In der fragilen Weimarer Republik ein weiteres Pulverfass, das drei Jahre später mit zur Machtübernahme der Nationalsozialisten führte. Inmitten dieser unruhigen Epoche hatten Kurt Weill und Bertolt Brecht ein Stück geschrieben, in dem es um gesellschaftliche Utopien, grenzenlose Freiheit und den Zusammenbruch eines Traums an seinen eigenen Widersprüchlichkeiten geht.

In diesem Werk befasste sich Matthias Fontheim, Intendant des Mainzer Staatstheaters, nun zum zweiten Mal am eigenen Haus mit einer Oper. Und auch mit Brecht/Weill beschäftigte er sich damit zum zweiten Mal, nachdem er vor 16 Jahren mit der „Dreigroschenoper“ das Niedersächsischen Staatstheater Hannover wieder eingeweiht hatte. Erzählt wird die Geschichte der „Netze-Stadt“, die von drei Verbrechern gegründet wird, um die Männer anzuziehen, die in der Umgebung durch Goldfunde reich geworden sind. Die Stadt gerät rasch in den Ruf, dass hier alles erlaubt sei. Nach einer ersten Euphorie droht ein Hurrikan die Stadt zu zerstören. Nachdem er die Stadt verschont, geht es in Mahagonny weiter wie bisher. Fress- und Sauforgien, Prügeleien und Prostitution feiern Hochkonjunktur. Wer zahlen kann, ist im Recht, wem es an dieser Stelle fehlt, wird schließlich hingerichtet. All das geschieht hier in einem riesigen Auge, der Einheitsbühne von Susanne Maier-Staufen.

Die Mahagonny-Gründer sind in Mainz drei stilisierte Alt-Nazis, die sich einen neuen Staat erschaffen. Rasch sind die eindeutigen Mäntel wie eine zweite Haut abgestreift, die neue Identität ist geschaffen. Im Hintergrund werden Szenen aus den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen gezeigt. Fontheim zieht in seiner Deutung eine Parallele zur deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Hurrikan ist die atomare Bedrohung durch die Hegemonialkräfte der geteilten Welt, das politische Tauwetter und die deutsche Einheit retten die Gesellschaft zumindest einstweilen vor der Katastrophe. Doch nun beginnt erst recht eine ungebremste Zügellosigkeit mit einer nicht enden wollenden Konsumwelle. Ihr Opfer: Jim Mahoney (Kor Jan Dusseljee für den erkrankten Alexander Speemann). Er kann seine Zeche nicht zahlen und wird vom Mob erschossen.

Fontheims gefährliche Parabel geht erstaunlich flüssig auf und wird auch vom Publikum zum überwiegenden Teil freundlich aufgenommen. Textlich und musikalisch wird nicht eingegriffen. Vor allem das in Salon-Besetzung aufgelaufene Philharmonische Staatsorchester Mainz überzeugt an diesem Abend. Unter der Leitung ihrer Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt bringen die Musiker die Handlung in Schwung, leuchten auch die hintergründig verwobenen Zwischentöne des Werks effektvoll aus. Auf der Bühne ist insbesondere Kor Jan Dusseljee mit einem faszinierend klaren Rollenverständnis zu erleben. Edith Fuhr übernimmt als Leokadja Bebick ihre letzte große Rolle in Mainz und beschert sich und dem Publikum damit einen würdigen Abschied. Abbie Furmansky kann in der Rolle der Jenny Hill mit unverstellter Spielfreude überzeugen.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse