Freitag, 18. Mai 2001

Melos Quartett und Enrique Santiago in der Stuttgarter Liderhalle

Was bleibt übrig, wenn die musikalischen Ideen fehlen? Die Frage drängte sich zumindest teilweise beim Konzert des Melos Quartetts, verstärkt durch den Bratschisten Enrique Santiago, im Mozartsaal der Liederhalle auf. Und dafür, dass Bruckners Streichquintett F-Dur so gänzlich konventionell und routiniert gespielt wurde, musste es diesmal auch noch als handwerklich eher unbefriedigend gelten. Der erste Satz erklang matt, emotionale Steigerungen, wenn sie mal kamen, wirkten steif und altväterlich. Im Scherzo gerieten die charakteristischen Ruf-Figuren von Wilhelm Melcher in der ersten Geige spitz und geradezu heiser, zudem stieg er intonatorisch arg nachlässig durch die Lagen. Insgesamt hätte der Satz durchaus leichter genommen werden können. Lediglich die auflockernden und trotzdem diszipliniert dargebotenen Pizzikato-Stellen trösteten etwas über die Langeweile hinweg. Und Ida Bieler (2. Violine) verlieh der einen oder anderen Passage noch die nötige Hintergründigkeit. Ein fahriges Bratschen-Solo von Hermann Voss ließ sich sicherlich nicht damit entschuldigen, dass ihm zwei Sätze vorher die Saite gerissen war. Allerdings konnte sich im Adagio eine gewisse geschlossene Harmonie durchsetzen, die schlüssig und warm vermittelt wurde. Leider zu früh gefreut: Im Schlusssatz patzte der Primgeiger ungeniert weiter, verschluckte die Spitzen und leitete damit auch das recht verworrene Finale ein.

Wie ausgewechselt schienen die fünf Musiker bei ihrer Rückkehr mit dem Streichquartett G-Dur von Johannes Brahms. Kam hier etwa die vergrämte und für eine dreiviertel Stunde zurückgehaltene Spielfreude wieder zum Vorschein? Lebendig verdichtete Zusammenhänge wurden in Form von eleganten Motiv-Wechseln und düster aufblitzenden Tremolo-Szenarien im Kopfsatz deutlich. Natürlich erzielte jetzt auch die Gegenüberstellung des pastoralen Adagios mit dem dezent gebremsten tänzelnden Charme des dritten Satzes „Un poco allegretto“ seine gewünschte Wirkung. Und mit der Volkstümlichkeit des Vivace gelang dem Melos Quartett ein schwungvoller Abgang. So blieb immerhin die aufgefrischte Erfahrung, dass auch 35 Jahre internationale Konzert-Tätigkeit kein verlässlicher Garant für automatische Qualität sind.

Veröffentlicht in der Stuttgarter Zeitung