Dienstag, 22. Mai 2007

"Faust" von Charles Gounod am Staatstheater Darmstadt

Philipp Kochheims dritte Inszenierung dieser Spielzeit verhandelt Charles Gounods „Faust“ am Staatstheater Darmstadt in einer Hotel-Lobby.

Derzeit lässt sich auf den Opernbühnen des erweiterten Rhein-Main-Gebietes einiges vergleichen. D’Alberts „Tiefland“, Verdis „Motezuma“ und nun Gounods „Faust“. Vor- und Nachteil eines Ballungsraumes mit vier gut aufgestellten Staats- oder Stadttheatern im Kern und einigen beachtenswerten Häusern an der Peripherie. Jede dieser Dopplungen bringt zumindest Vielseitigkeit in der Interpretation mit sich. Absprachen, da kann sich der Zuschauer sicher sein, wird es im knallharten Konkurrenzkampf um Subventionen und Abonnenten kaum geben. Und so ist auch Charles Gounods Oper „Faust“, die nun sechs Wochen nach Wiesbaden auch in Darmstadt Premiere hatte, eine absolut eigenständige Inszenierung, die in keinem Moment den Verdacht nahe legt, sich am Nachbarn zu orientieren – sei es durch zwanghafte Abgrenzung oder schnödes Abkupfern.

Darmstadts Oberspielleiter Philipp Kochheim bekam zum dritten Mal in dieser Spielzeit die Bühne anvertraut. Und in gewisser Weise ist er sich treu geblieben. Nach einer „Tosca“ in Chile und einem „Trovatore“ im Orientexpress verhandelt er nun das Schicksal von Faust und Gretchen zwischen mondäner Hotel-Lobby und niedlichem Jungmädchen-Zimmerchen. Manchmal wird man das Gefühl nicht los, dass sich hier ein passionierter Comic-Fan selbst verwirklicht, denn alles auf der Bühne wirkt irgendwie gezeichnet. Dazu tragen das fantasievolle Bühnenbild von Thomas Gruber und die kontrastreichen Kostüme von Bernhard Hülfenhaus ihren Teil bei.

Die wundersame Verwandlung vom greisen Faust in den jugendlich aufgebretzelten Liebhaber auf eher etwas beliebig vor sich hinstolpernden Freiersfüßen endet in den Armen der Nächstbesten. Einem Zimmermädchen in besagtem Hotel, das einen seltsam biederen Abklatsch kleinbürgerlicher Dekadenz-Vorstellungen bietet. Die Herrenrunde ergötzt sich an kuriosen Frauengestalten hinter Glas und gruselt sich ein wenig über die Taschenspielertricks Mephistos. Marguerites Entwicklung vom relativ unbeschwerten Girlie, dessen mädchenhafte Sorge dem Bruder im Auslandseinsatz gilt, vollzieht sich etwas brüchig. Plötzlich ist sie Geliebte, verzweifelte Mutter, Kindsmörderin und dem Wahn Verfallene. Das ist bilderreich, lässt sich gut beobachten und hat auch manchen tiefen Moment. Etwa wenn sie schon früh daran scheitert, eine Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen. Da hat sich Kochheim im psychologischen Gestaltungsrepertoie sorgfältig umgesehen.

Musikalisch leidet die Inszenierung etwas unter dem energiearmen Klang aus dem Orchestergraben. Martin Lukas Meister gelingt es nur selten, seinem Orchester den nötigen Biss zu verleihen, auch intonatorisch gibt es viele Einbußen hinzunehmen. Auf der Bühne ist Anja Vincken als Marguerite durchaus ihrer Rolle gewachsen, auch Mark Adler stemmt den Faust ohne größere Probleme. Stimmlich ragt Dimitry Ivashchenko merklich aus dem guten Durchschnitt heraus, gibt mit kraftvollem und doch beweglichem Bass einen beeindruckenden Méphistophélès. Restlos überzeugen kann Countertenor Robert Crowe als Marguerites kindlicher Liebhaber Siébel, der in Sachen Klangreinheit Maßstäbe setzt.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Freitag, 18. Mai 2007

Uraufführung von Bernhard Langs Musiktheater "Der Alte von Berge" bei den Schwetzinger Festspielen

Bernhard Langs Musiktheater „Der Alte vom Berge“ wurde nun mit großem Einsatz aller Beteiligten bei den Schwetzinger Festspielen uraufgeführt.

Uraufführungen von Opern sind oft auch eine Bestandsaufnahme. Für die musikalische Entwicklung im Allgemeinen und natürlich kommt auch ein Komponist bei der Arbeit an so einem umfangreichen Werk gerne einmal in Versuchung, viele seiner bislang unverwirklichten Ideen gleich in einem Aufwasch abzuhandeln. Bernhard Lang hat so eine Idee lange Zeit mit sich herum getragen und sie nun dank des Kompositionsauftrags der Schwetzinger Festspiele umsetzen können. Herausgekommen ist „Der Alte vom Berge“, ein Stück Musiktheater, das Lang auf den Text „The Last Words of Hasan-i Sabbah“ von William S. Burroughs zurückführt. Darin wird weniger eine Geschichte erzählt, als eine Agglomeration von Atmosphären beschrieben.

Dem trägt schon das Libretto Rechnung, das sich Lang aus dem Internet zusammen gesucht hat. Auch hier geht es nicht darum, einen Erzählstrang zu verfolgen. Getreu dem Kernsatz: „Nothing is true, everything is permitted” (Nichts ist wahr, alles ist erlaubt). Das soll der Wahlspruch von Hassan III. gewesen sein. Dieser steht im letzten Drittel einer Dynastie von Sektenführern. Die Assassinen, wie sie sich nannten, beherrschten zwischen 1090 und 1265 einen Teil des heutigen Iran.

Lang packt diese Zeit in eine teilweise rauschhafte und mit symbolhaften Andeutungen angereicherte Synthese, die im zweiten Teil in einer Drogen- und Sexorgie kulminiert. Die Protagonisten, die zunächst als bizarre Bande zwielichtiger Halbwelter in Erscheinung treten, ergeben sich im Haschisch-Rausch ihrer Paradiesvorstellung. Hintergrund: Um diesen Zustand erneut und endgültig zu erreichen, müssen sie sich ganz in die Hände des Herrschers begeben, unter anderem bedingungslos töten. Auch Osama bin Ladin beruft sich auf Hasan-i Sabbah.

Dem jungen Solisten-Ensemble wird bei der Umsetzung darstellerisch wie sängerisch einiges abverlangt, die musikalischen Anforderungen reichen von stakkatohafter Dauer-Extase bis zu dissonanter Klangschichtung. Ruth Weber (Sopran), Raminta Babickaité (Mezzosopran), Daniel Gloger, Tim Severloh (beide Countertenor), Ekkehard Abele und Assaf Levitin (beide Bassbariton) bewältigen diese Aufgabe mit bewundernswertem Einsatz und effektvoller Präsenz.

Bernhard Lang ist ein mitunter etwas überladenes, durchaus aber immer wieder packendes Spektakel gelungen, das mit elektrischen und akustischen Instrumenten sowie Mehrkanalzuspielungen seine Wirkung nicht verfehlt. Vor allem Rolf Guptas ausgesprochen konzentrierter und klar strukturierenden musikalischen Leitung ist ein gewichtiger Anteil am Erfolg der Uraufführung zuzuschreiben. An den Pulten: Musiker des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Donnerstag, 17. Mai 2007

Vivaldi-Oper "Motezuma bei den Wiesbadener Maifestspielen

Bei den Internationalen Maifestspielen In Wiesbaden stell sich die Regie bei Vivaldis Oper „Motezuma“ ganz in den Dienst der Musik

Es hat etwas gedauert, bis die musikwissenschaftliche Sensation ihren Weg auf die Bühne gefunden hat. 2002 wurde die Oper „Motezuma“ von Antonio Vivaldi im gerade aus Kiew zurück gekehrten Archiv der Berliner Singakademie entdeckt, worauf sich zunächst ein kleingeistiger Streit um die Aufführungsrechte entspannte. Erst im Sommer vergangenen Jahres wurde das Werk von Gerichts wegen frei gegeben und beim Düsseldorfer Altstadtherbst szenisch wiederaufgeführt. Alan Curtis hat das Werk mit dem Originalklang-Ensemble „Il Complesso Barocco“ und ausgezeichneten Solisten eingespielt. Dass es gelungen ist, die komplette Besetzung zu den Maifestspielen nach Wiesbaden zu holen, ist eine weitere, wenn sicherlich auch historisch gesehen durchaus kleinere Sensation.

Die Inszenierung von Stefano Viczioli hält sich bewusst zurück. Sie stellt sich erstaunlich konservativ ganz in den Dienst der Musik. In Wiesbaden ist alles echt. Die Uniformen der spanischen Eroberer, der bunte Federschmuck der Eingeborenen, die um ihr Überleben kämpfen. Genau genommen wird hier jedoch Geschichtsverklärung betrieben. Kaiser Motezuma unterliegt spanischen Eroberer Fernando, dessen Bruder Ramiro mit Motezumas Tochter Teutile eine heimliche Liaison eingegangen ist. Am Ende darf Motezuma als Vasall des spanischen Königs Mexiko weiter regieren, unter der Bedingung dass das junge Paar heiraten kann. So glimpflich ging das seinerzeit nicht aus.

Absolut schlüssig ist das musikalische Konzept. Mary-Ellen Nesi als majestätische Kaiserin Mitrene begeistert mit sinnlich warmem Timbre, Maite Beaumont meistert brillant den Fernando Cortés zwischen Ehrenmann und machtbewusstem Eroberer. Vito Priante ist in der Titelpartie kraftstrotzend und doch immer kultiviert zu erleben. Alan Curtis leitet die Aufführung pointiert und mit klar ausgerichtetem Blick auf klangliche Effekte.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse