Mittwoch, 30. November 2005

"Elektra" von Richard Strauss an der Staatsoper Stuttgart

Beim Hereinkommen wird der Zuschauer mit einer heimelig-idyllischen Szene in Sicherheit gewogen. Ein junger Mann, es ist der siegreich heimgekehrte Agamemnon, spielt in einer wuchtigen Badewanne mit seinen drei Kindern. Elektra, Chrysothemis und Orest sind klein und arglos, bis zu dem Moment, in dem Aegisth, der Geliebte der Klytämnestra, Agamemnons Frau, sich von hinten anschleicht und den alten Herrscher vor ihren Augen mit der Axt erschlägt. Mit grandiosem Fortissimo setzt das Orchester ein, das Stück beginnt.

An der Stuttgarter Staatsoper gab es nun „Elektra“ von Richard Strauss in einer Koproduktion mit dem Königlichen Theater Kopenhagen, wo bereits im Februar Premiere gefeiert wurde. Die Inszenierung von Peter Konwitschny, dessen „Cosi fan tutte“ derzeit an der Komischen Oper zum einen stürmisch gefeiert und zum anderen heftig kritisiert wird, arbeitete sich konsequent vom Kindheitstrauma bis hin zum Muttermord vor, ohne sich eine übertrieben psychologisierende Deutung anzutun. Und doch gab es so manche Schocker-Momente, die immer wieder klar zeigten, welch bestürzende Dramatik in dem antiken Stoff liegt, den Hugo von Hoffmannsthal 1903 zum Schauspiel, Strauss 1909 zur Oper werden ließ.

Während der kompletten Handlung ist der Tote omnipräsent. In der Badewanne, in der er erschlagen wurde, wird er permanent herumgeschoben. Elektra, von Susan Bullok in Jeans und Shirt in mondäner Geisterhaftigkeit vermittelt, trachtet im Angesicht des Toten Zeit ihres Lebens auf Rache, reißt die Schwester (Eva-Maria Westbroek) mit in ihre Racheglüste hinein. Und im Hintergrund zählt auf einer sich stetig ändernden Himmelslandschaft eine Digitaluhr den Countdown bis zum Mord an der eigenen Mutter.

Hierfür kommt Orest (Matthew Best) aus der Verbannung zurück. Nun zeigt Konwitschny, was sonst in derart brutaler Direktheit selten zu sehen ist. Die neue Ordnung, die Orest als künftiger Herrscher aufbaut, ist ebenso wie die seiner Vorgänger auf Blut gebaut. Nicht nur auf dem des erschlagenen Herrschers – denn mit der Mutter wird auch Aegisth getötet – sondern ebenso auf dem aller, die das System gestützt hatten. Besonders perfide ist, dass dabei nun auch alte Weggefährten bis hin zu den eigenen Schwestern zu Opfern der neuen Gerechtigkeit werden.

Wer sich an dieses monströse Werk heran wagt, muss sicher sein, dass es musikalisch von der ersten bis zur letzten Note mitgetragen wird. Denn die Klangsprache von Richard Strauss ist mehr als bloße Illustration der Geschehnisse, sie ist Verdoppelung und Verdreifachung der Emotionen und des Grauens. Lothar Zagrosek, der in der kommenden Saison das Berliner Sinfonieorchester übernehmen wird, forderte das glänzend mitarbeitende Orchester und sein Ensemble aufs Äußerste. Dank den überragenden Leistungen von Susan Bullok, Eva-Maria Westbroek und Renée Morloc in der Rolle der Klytämnestra geriet die Aufführung zu einem fulminanten Sängerfest.

Weitere Vorstellungen am 30. November, am 4., 7., 15. und 21. Dezember sowie am 7. Januar.

Veröffentlicht im Neuen Deutschland

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