Sonntag, 11. März 2007

Alexander Puschikns "Mozart und Salieri" an der Oper Frankfurt

Die Idee ist lobenswert und lässt spannende Begegnungen zu. Unter dem Dach der Hessischen Theaterakademie treffen Studierende der Hochschulen des Landes auf professionelle Unterstützung aus den öffentlich geförderten Opernhäusern ihrer Nachbarschaft. Auch in Frankfurt stehen Oper und Musikhochschule nicht nur räumlich nahe beieinander und haben bereits einige erfolgreiche Kooperationen auf die Beine gestellt. Nun fand in diesem Zusammenhang eine Premiere in der Oper statt, die von Mitgliedern beider Häuser gemeinsam bestritten wurde.

Mit „Mozart und Salieri“ sind ein paar dramatische Szenen von Alexander Puschkin schlicht übertitelt. Darin skizziert er mit raschem Strich das angespannte Verhältnis zwischen dem biederen Hofkomponisten und dem umjubelten ewigen Wunderkind. Das Gerücht, Salieri habe den jüngeren Kollegen vergiftet, wird auch hier gerne genährt. Interessant nun die Idee, diesem kurzen Stück die Originalfragmente aus Mozarts Requiem beizumischen, um dem Ganzen eine gewisse Dramatik und Authentizität zu verleihen. Denn allein die zumeist rezitativisch gehaltenen Szenen hätten den Abend nicht gefüllt.

Die Inszenierung von Benjamin Schad bleibt jedoch merkwürdig zurückhaltend. Ein Gedanke, durch Constanze Walldorfs Kostüme einen plakativen Unterschied zwischen den beiden Protagonisten nebst zweier weiblicher Solistinnen und dem Chor zu etablieren, ist schnell durchschaut und gerne auch für gut befunden. Die vier im Rokoko-Kostüm, der Rest in mehr oder minder aktueller Straßenkleidung. Doch darüber hinaus entwickelt sich wenig Lebendigkeit auf der Bühne. Zwar sorgt der Chor ordentlich für Aktivitäten, doch die wirken arg herausgelöst aus dem Zusammenhang. Irgendwann fällt Mozart vom letzten Tisch. Den und andere hat er vorher mit Salieri zusammengestellt, später werden sie wieder fortgeschleppt.

Musikalisch überzeugt vor allem der Chor, der hier schlank mit Mitgliedern der Hochschule besetzt ist und sich wendig bis ins Detail zeigt. Das zumeist aus Studierenden besetzte Orchester unter Hartmut Keil, Solorepetitor des Opernhauses, gibt sich vorsichtig aber solide. Unter den Solisten ist vor allem der voluminöse Bass von Ensemble-Mitglied Bálint Szabó effektreich eingesetzt, auch die junge Altistin Katharina Magiera kann mit angenehm warmem Timbre überzeugen. Als Mozart ist der Tenor Peter Marsh (ebenfalls im Ensemble der Oper) zu hören, das Quartett wird von Tamara Weimerich (Sopran) komplettiert.

Veröffentlicht im Main-Echo

Sonntag, 4. März 2007

Rossinis Oper "La Cenerentola" am Staatstheater Wiesbaden

Dass das ganze Leben eine Bühnenshow ist, damit haben sich schon Generationen von Gelehrten, Philosophen und Entertainern auseinander gesetzt. Auch Alidoro, Ratgeber des Fürsten Don Magnifico kommt irgendwann zu der Erkenntnis: „Die Welt ist ein Theater, wir sind die Komödianten“. Thaddeus Strassberger hat das am Wiesbadener Staatstheater nun ganz wörtlich genommen und Gioacchino Rossinis Opera buffa „La Cenerentola“ abwechslungsreich und voller augenzwinkerndem Schalk als Bühnenwelt auf der Bühne inszeniert. Heraus gekommen ist eine kurzweilige Komödie, die in gewisser Weise tragisch endet, weil doch alle Bemühungen, das ungeliebte Aschenputtel von seinem Glück abzuhalten, dieses geradewegs in die Arme des begehrten Fürsten treiben.

Das gesamte Ensemble ist hier zu einem wahnsinnig hohen Tempo angehalten, Atempausen gibt es kaum. Schon zur Ouvertüre muss es komplett antreten und den „Barbier von Sevilla“ im Schnelldurchlauf exerzieren – die Oper hat Rossini wenige Monate vor seiner „Cenerentola“ uraufgeführt. Und auch als das eigentliche Stück beginnt, steht ein unmittelbares Spiel im Vordergrund. Jede einzelne Bewegung wird für den Zuschauer leicht ersichtlich, die Stränge sind konsequent und nachvollziehbar aufgezogen. Die Handlung findet auf und hinter der Bühne eines maroden Theaterbetriebs statt. Die bösen Schwestern sind provinzielle Diven, das Aschenputtel Angelina arbeitet als Mädchen für alles. Von Anfang an aber hat sie nichts unterwürfiges, sondern zeigt sich von den Schikanen ihrer Stieffamilie eher genervt als gedemütigt.

Eine wichtige Rolle spielt in dieser Inszenierung der Männerchor. Immer wieder tauchen die Herren in den unterschiedlichsten Kostümen auf, gerieren sich als Leibgarde des Fürsten, als dessen Weinkeller-Personal oder werden als Piloten im Autokorso auf der Suche nach der geheimnisvollen Fremden eingesetzt. Beherzt vermengt Strassberger, der auch das Bühnenbild verantwortet, zeitliche Anspielungen, hält sich mitsamt Kostümbildnerin Mattie Ullrich vor allem an seine eigene Fantasie. Das ganze wirkt bunt, aufgedreht aber niemals überdreht. Selbst das Finale in einer grotesken griechisch-römischen Orgie mit mittelalterlichen wie asiatischen Elementen und einer fliegenden Elfe passt da irgendwie hin. Es scheint, als hole die Inszenierung da all jene märchenhaften Momente auf einen Schlag wieder zurück, die der Komponist aus den Vorlagen herausgestrichen oder für seine Bühnenzwecke abgemildert hat.

Das Ensemble trägt all diese Ideen mit sichtbarer Begeisterung. Und auch sängerisch könnte die Umsetzung kaum gelungener sein. Inga Lampert ist von Anfang an eine resolute Angelina, die später zu schwindelerregenden Koloraturen ansetzt, Jud Perry verleiht dem jungen Fürsten tenoralen Glanz und ritterliches Auftreten in allen Lebenslagen. Sein Diener Dandini wird von Radoslaw Wielgus facettenreich angelegt, sein beweglicher Bariton kommt hier zu einem brillanten Dauereinsatz. Axel Wagner ist als knurriger Stiefvater zu erleben, Chrisoph Stephinger erhält für seine auch sanglich fundierten Kommentare als fürstlicher Ratgeber Alidoro warmen Sonderapplaus. In den Rollen der bösen Schwestern fallen Betsy Horne und Simone Brähler mit komödiantischem Talent auf hohem sängerischem Niveau auf. Wolfgang Ott leitet vom Hammerflügel nicht immer ganz fehlerlos ein weiterhin ausgezeichnet aufgestelltes Staatsorchester.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Freitag, 2. März 2007

Grigori Frids Mono-Oper "Das Tagebuch der Anne Frank" am Darmstädter Staatstheater

Anne ist ein ganz normales Mädchen. Sie schwätzt im Unterricht, weil das so eine weibliche Eigenschaft ist, wie sie herausgefunden hat. Außerdem ist das ein Erbteil der Mutter. Sie spielt munter auf der Straße, hat Kindereien im Kopf. Aber sie weiß schon da, dass sie sich irgendwann einmal verstecken muss. Denn Anne Frank ist Jüdin im Juni 1942. Keine gute Zeit für ein Kind, das verfolgt wird und zunächst nicht genau weiß, warum. Der russische Komponist hat aus ihrem Tagebuch Ende der 60er Jahre eine Mono-Oper geschrieben, die allerdings erst 1972 in Moskau uraufgeführt werden konnte. Am Staatstheater Darmstadt hatte sie nun unter der einfühlsamen Regie von Bettina Geyer Premiere.

Die junge Regisseurin zeichnet ganz bewusst die Entwicklung eines jungen Mädchens nach, das kaum Kindheit erlebt und rasch erwachsen wird. Sie macht alles im Schnelldurchlauf durch. Ängste, Wünsche und Unsicherheiten gleichermaßen. Die naive Liebelei mit Leidensgenossen Peter, die schrecklichen Träume und Ahnungen vom nahenden Konzentrationslager. Aber auch den grotesken Ehekrach der van Daans. Sopranistin Susanne Serfling, die seit vergangener Spielzeit am Haus engagiert ist, stellt ihre Darstellung ganz in den Dienst ihrer Rolle, die ständigen Veränderungen unterworfen ist. Sängerisch ist sie dieser herausfordernden Daueraufgabe mühelos gewachsen, sie hält die Spannung bis zum Schluss.

Die Inszenierung kommt ohne Kulisse aus, die schafft sich die Solistin hier selbst. Mit Kreide zeichnet sie Szenenbilder und emotionale Codes auf die Podestbühne, an Säulen und Wände. Dadurch entsteht nach und nach ein vielfältiges Psychogramm, das die musikalischen und darstellerischen Situationen unterstreicht. Aber auch die Kargheit und Tristesse, die Annes Kindheit am Ende prägen. Sie zeichnet sich ihr enges Zimmer, ihr Bett, auf das sie hier kaum passt. Am anderen Ende sind die Erinnerungen an bürgerliches Idyll aufgemalt. Präsent und doch unerreichbar.

Die 21 Sätze der Mono-Oper gehen fließend ineinander über, manchmal dreht Bettina Geyer die Perspektiven. Der Bericht vom Frontverlauf in Russland ertönt krächzend in Weltempfänger-Qualität aus dem Off, während Anne Zwiebeltürme an die Säule malt. Immer wieder wird auch die quälende Langeweile bedrückend in den Vordergrund gerückt. Anne zählt die ereignislosen Tage, deren Höhepunkte von der Furcht vor Entdeckung geprägt werden.

Die Produktion in den Kammerspielen gelingt intim und gleichzeitig mit der notwendigen Distanz. Die Regisseurin macht sich nicht zum Sprachrohr der berühmtesten Tagebuchschreiberin der Welt. Sie lässt, so wie es das Werk vorsieht, Anne für sich selbst sprechen. Am Klavier steckt der griechische Pianist Konstantinos Kalakonas mehr als nur den musikalischen Rahmen ab. Er vermittelt auf technisch hohem Niveau die oft sperrig wirkende Musik in einer unmittelbaren und immer direkt ansprechenden Art. Auch dank seiner musikalischen Leitung gelingt hier ein feinsinnig ausgearbeitetes Werk, das an keiner Stelle in wohlfeile Betroffenheitsgesten verfällt. Es erzählt die Geschichte eines individuellen Schicksals, wie es von den Nationalsozialisten millionenfach verursacht wurde.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse