Freitag, 26. September 2008

Das hr-Sinfonieorchester beim „Jungen Konzert“ in der Alten Oper unter Leitung von Paavo Järvi mit Werken von Haydn, Brahms und Eduard Tubin

Das Programm ist lang und fordert von seinen Zuhörern unbedingte Aufmerksamkeit. Vom nicht zu unterbindenden Applaus zwischen den Sätzen abgesehen, zeigte sich Frankfurts Jugend an diesem Abend fast vorbildlich. Und das, obwohl die reine Spielzeit fast zwei Stunden betrug. In Joseph Haydns Sinfonie Nr. 82 „Der Bär“ gefiel das Orchester mit einem luftig, angenehm federleichten Kopfsatz, dem es zudem nie an Bodenhaftung fehlte. Im finalen Vivace standen aufschreiende hohe Streicher neben aufgeregt plapperndem Holz und den bordun-gemütlichen Celli und Kontrabässen in farbig markiertem Kontrast. Nicholas Angelich bewies im zweiten Klavierkonzert von Johannes Brahms seine Formulierungskünste, ließ aus scheinbar gefälligem Parlando im zweiten Satz eine unerwartete Tiefe erwachsen. Souverän durchpflügte er das dichte Material und nutzte seine technische Überlegenheit um die Vielfalt des Stückes großzügig heraus zu arbeiten. Schließlich überraschte die 1946 entstandene fünfte Sinfonie des hier gänzlich unbekannten estnischen Komponisten Eduard Tubin durch seine rauschhafte Klangsprache. Mit seiner undiplomatischen Opulenz und einer pulsierenden Rastlosigkeit ist es eine bislang noch unentdeckte Bereicherung des Repertoires.  

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Dienstag, 23. September 2008

Heinz Rudolf Kunze und Purple Schulz machen "gemeinsame Sache"

Ob da zusammen gewachsen ist, was zusammen gehört, bleibt sicherlich Geschmacksache. Auf jeden Fall boten die vier Jungs auf der Bühne des Rüsselsheimer Stadttheaters gute Unterhaltung. „Gemeinsame Sache“ heißt das Projekt, mit dem Heinz Rudolf Kunze und Purple Schulz durch die Lande reisen. Und weil's im Duo auf Dauer zu einsam wäre, kommen mit Wolfgang Stute und Josef Piek zwei mindestens genauso profilierte, wenn auch weitaus weniger bekannte Musiker dazu. Vielleicht dienen sie auch ein wenig als Pufferzone für die beiden Primadonnen, die sich auf der Bühne gerne einmal den einen oder anderen verbalen Knuff verabreichen.

Der geradlinige Deutschrocker Kunze und der eher im Schlagergrenzbereich fischende Popmusiker Purple Schulz scheinen auf den ersten Blick nur wenige Schnittmengen zu besitzen. Doch so brav nebeneinander aufgereiht wie auf der Rüsselsheimer Bühne machen sie gute Miene zum offensichtlich dann doch gemeinsam gewollten Spiel. Dass der eine des anderen Statisten sein muss, damit kommt Heinz Rudolf Kunze deutlich besser zurecht. Während dem Kollegen die Aufmerksamkeit gebührt, hält er sich zuverlässig klampfend zurück. Purple Schulz hingegen versucht, ähnlich wie ein vernachlässigter Schuljunge, die Blicke der Zuschauer mit allerlei Mätzchen hinter seinem Keyboard auf sich zu ziehen.

Musikalisch nimmt sich das Ganze wie ein bunter Strauß aus dem Kräutergarten der beiden altgedienten Deutschmusiker aus. Mit dem Titel „Über 30“, den Schulz 1997 auf Platte gepresst hat, blickt der bald 52-Jährige kokett auf die Zeit zurück, in der er „die Welt verändern“ wollte. Kerzengeradeaus rockig gibt das Quartett den 1990er-Hit „Du hast mir gerade noch gefehlt“ zum Besten, aus seiner Anfangszeit gibt’s „Kleine Seen“ im Duett mit Heinz Rudolf Kunze zu hören. Die tatsächlich sich einstellende verträumte Atmosphäre zerstören sich die beiden allerdings selbst durch ein paar ungeschickt platzierte Albernheiten.

Die raue Lässigkeit von Heinz Rudolf Kunze wirkt komplett unverfälscht. Sowohl sein kernig-lässiges Kinks-Cover „Lola“ aus dem Jahr 1984 als auch der zwei Jahre später veröffentlichte Kult-Hit „Finden Sie Mabel“ funktionieren einwandfrei. Auch bei etwas unbekannteren Titeln, in denen er von „eigenen Wegen“ singt oder sich bundesweit „steckbrieflich gesucht“ fühlt – ein ganz normaler Verfolgungswahn, wenn man 200 Tage im Jahr auf Tour ist –, trifft er mit seiner rauen Geradlinigkeit genau den Nerv seiner Fans. Selbst dann, wenn er in einer Referenz an Johnny Cash glaubt, es ginge zu Ende mit ihm. Was natürlich nicht stimmt, dazu hat er noch viel zu viel Energie und musikalische wie textliche Einfälle en masse sowieso.

Der „gemütliche Herrenabend“, wie ihn Kunze nennt, ist zu einem lockeren Familientreffen geworden, zu dem sich vier durchaus unterschiedliche, aber zeitweise durchaus kompatible Musiker zusammen gefunden haben, um eine Weile, jeder auf seine Art, Spaß miteinander zu haben und daran das Publikum teilhaben zu lassen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.


Veröffentlicht in der Main-Spitze

Sonntag, 21. September 2008

Patricia Kopatchinskaja setzt mit Bartoks Violinkonzert Nr. 2 in Mainz Maßstäbe

Wer die Interpretationen von Patricia Kopatchinskaja kennt, dem wird es zukünftig schwer, sich mit anderen Annäherungen zufrieden zu geben. Im vergangenen Jahr war es Schumanns Violinkonzert, mit dem sie im Mainzer Staatstheater Maßstäbe gesetzt hat, ihre Beethoven-Interpretation vor zwei Jahren in Frankfurt ist jedem unvergessen, der sie gehört hat. Nun eröffnete sie gemeinsam mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz die Saison der Meisterkonzerte in der Rheingoldhalle. Dafür hatte sie sich das Violinkonzert Nr. 2 Sz 112 von Béla Bartók ausgesucht, wahrlich kein Werk, das den Ohren schmeichelt.

Gerade hier aber gelingt es der Fachfrau für Gegenwarts-Musik, die Spannungen eines Werkes zu erspüren, das vor 70 Jahren an der Grenze zwischen den Stilen einen ganz eigenen Weg einschlug. Den Kopfsatz nimmt sie mit rasendem Eifer, das man Angst bekommt, sie könne die Bremse nicht rechtzeitig finden. Doch bei allem Enthusiasmus und aller Leidenschaft weiß sie ganz genau, was sie sich und dem Stück zutrauen kann. Mit einer geradezu urwüchsigen Musikalität, die durch eine ungeheure Disziplin veredelt wird, widmet sie sich einer Interpretation, der ein Höchstmaß an Impulsivität inne wohnt. Die wenige Gelegenheiten, die sich zum sinnlichen Schwelgen anbieten, nutzt sie weidlich aus, daneben stehen im Blindflug durchfegte Doppelgriff-Passagen.

Fahl und unwirklich steigt sie in den langsamen Satz ein, gibt ihm zunehmend Substanz. Klanglich scheint sie keinerlei Grenzen zu kennen. Im finalen Allegro molto macht sie sich die Sprache Bartóks endgültig zu eigen und demonstriert, wie sehr sie sie bis ins Detail beherrscht. Dieses Selbstbewusstsein am rechten Platz wirkt in keiner Sekunden aufgesetzt, denn vor allem steht Patricia Kopatchinskajas Natürlichkeit, mit der sie keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit ihres musikalischen Anliegens lässt. 

Die Staatsphilharmonie unter der Leitung von Ari Rasilainen ließ sich dabei nie in den undankbaren Part eines Stichwortgebers zurück drängen, in der folgenden dritten Sinfonie von Anton Bruckner in der zweiten Fassung von 1876/77 war der Klangkörper in seinem ganzen Format wahrnehmbar. Sehr differenziert und wohlproportioniert hat Rasilainen ein sehr tief gehendes Verständnis für das Werk vermittelt. Klare Strukturen und pointiert ausformulierte Themensetzung ließen die Sinfonie transparent und dennoch dramatisch wirken. 


Zum Interpretenporträt von Yakov Kreizberg kamen nun die Geigerin Julia Fischer und der Cellist Daniel Müller-Schott hinzu.

Man merkt es den drei Künstlern an, dass ihre Kooperation mehr als eine Zweckgemeinschaft darstellt. Julia Fischer, Daniel Müller-Schott und Yakov Kreizberg sprechen eine gemeinsame Sprache und tauschen sich darin mit großer Begeisterung aus. Der erfahrene Pianist und Dirigent Kreizberg nimmt seine jungen Partner in jedem Moment nicht nur ernst, sondern scheint auch von der gemeinsamen Arbeit zu profitieren. Im Mozartsaal der Alten Oper steigen sie überaus entspannt mit Joseph Haydns „Zigeunertrio“ ein. Dafür hat das Trio ein vornehmes Understatement vereinbart, gerade der Kopfsatz erklingt angenehm unaufdringlich und ohne interpretatorische Überladung. Im langsamen Satz wachsen die drei Musiker organisch zu einer Einheit ohne Bruchstellen zusammen, im rustikalen Finale stellen sie die verspielt-verschmitzte Kleinteiligkeit originell in den Mittelpunkt. Bei Ludwig van Beethovens „Geistertrio“ geht es zunächst vergleichsweise ruppig zu, bevor das Largo eine unwirkliche und schemenhafte Atmosphäre annimmt. Ein erleichtertes Aufatmen begleitet das musikalische Gliederstrecken im abschließenden Presto. Dmitri Schostakowitschs Klaviertrio Nr. 2 e-Moll, das der Komponist dem Andenken seines Freundes Iwan Iwanowitsch Sollertinskij gewidmet hatte, nimmt das Trio zum Anlass, besonders empfindsam durch die emotionsgeladenen Untiefen bis hin zum schmerzerfüllten Trauermarsch vorzudringen.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Montag, 15. September 2008

Sandra Leupold inszeniert Richard Wagners Oper „Parsifal“ als Bühnenprobe im Mainzer Staatstheater

Wer wagt, gewinnt. Das abgegriffene Sprichwort hat sich Sandra Leupold zu Herzen genommen und gewinnt durch das Wagnis zunehmend die Anerkennung und Begeisterung von Publikum, Künstlern und Kritik. Was die Regisseurin in die Hand nimmt, wird auf sein Sekelett hin reduziert und all seiner Überladenheit entrissen. So ist ihr nun am Staatstheater Mainz ein „Parsifal“ gelungen, wie ihn sich Richard Wagner, dem vor allem „Kostüm- und Schminke-Wesen" graute, nicht reiner hätte vorstellen können. Für ihre Deutung braucht Sandra Leupold weder eine zugestellte Bühne (Tom Musch) noch üppige Kostüme (Marie-Luise Strand). Sie holt das Bühnenweihfestspiel schlichtweg in die kargen Realitäten einer Bühnenprobe. 

Dort lässt sie die Darsteller kurz vor ihrem Auftritt die zweite Haut überstreifen, ansonsten aber mal gebannt auf das Geschehen starrend, mal unbeteiligt im Hintergrund umherstreichen. Zu Beginn sind alle auf der Bühne, die jemals hier etwas zu suchen haben, erst allmählich lichtet sich das Feld. Das, was da geprobt wird, scheint dafür umso plakativer inszeniert zu werden, als das, was sich Leupold vorgenommen hat. Da modert der alte Titurel schon im Leichensack vor sich hin, der Gral ist ganz gegenständlich ein mickriges rotes Deko-Gefäß und Parsifal wirft seinen Schwan samt Pfeil vor sich her, bevor er ihm an der Liane hinterher springt.

Die Darsteller dürfen hier zeigen, wie fertig sie sind, welchen Aufwand sie betreiben müssen, um durchzuhalten. Am Ende schlurft Gurnemanz ohne Kutte umher, Kundry zieht sich immer öfter von der Szene zurück, um sich am Bühnenrand zu erholen. Sandra Leupold bricht die bedeutungsaufgeladen Stimmungen und Symbole gnadenlos herunter und dennoch entsteht eine unglaublich flimmernde Spannung. Das Spiel im Spiel wirkt umso konzentrierter, der Zuschauer will unbedingt wissen, wie es weiter geht. 

Das Ensemble ist darstellerisch wie musikalisch bestens auf seine großen Aufgaben vorbereitet. Hans-Otto Weiß leistet schier Unmenschliches in der Dauerbelastung des Gurnemanz, Ruth Maria Nicolay verleiht der Kundry eine beeindruckend vielschichtige Persönlichkeit zwischen heiliger Hure und knorrigem Waldmensch, kann stimmlich glaubhaft zwischen schnarrig und empfindsam umschalten. Alexander Speemann gibt den Parsifal mit größtmöglicher Ambivalenz zwischen mitleidigem Toren und strahlendem Helden, auch Dietrich Greve (Amfortas) und Peter Felix Bauer (Klingsor) stehen ihren Bühnenpartnern in nichts nach. Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt sortiert Wagners Musik unbeirrbar präzise und ohne der Verlockung zu verfallen, in pathetische Extreme zu verfallen.

Weitere Aufführungen am 28.9., 3. und 12.10.
Karten unter 06131/2851-222 oder www.staatstheater-mainz.de

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Sonntag, 14. September 2008

Gespräche mit dem Tod

Früher wurde hier schmutzige Wäsche gewaschen, heute wird der frühere Waschsalon vom Quartierskuratorium Inneres Westend für Kunstprojekte genutzt. Eine echte Lebenskünstlerin war nun per Filmbotschaft zu Gast in dem breiten Korridor, an dem noch in die Jahre gekommene Trockenmaschinen an seine frühere Nutzung erinnern. Das Thema hieß „Mit dem Tod im Gespräch“ und versprach alles andere als erquicklichen Kunstgenuss. Und so war es auch nicht gedacht. Sonja Töpfer hat sich einen Tabubruch zugetraut. Einen der letzten, die es noch gibt, und hat ihre Gespräche mit Inge T. zu einer Videocollage zusammen geschnitten.

Über den Tod spricht man heute kaum, schon gar nicht über den nahen oder gar eigenen. Inge T. ist eine noch lebende Ausnahme. Sie liegt am Abschluss eines langen Krebsleidens im Hospiz Advena und hat sich noch lange nicht aufgegeben. Dass sie in Kürze sterben wird, das weiß sie genau. Die über 70-jährige Dame liegt mit wachen Augen in ihrem Bett und beginnt zu strahlen, als ein großer schwarzer Hund an ihr Bett kommt. Sie hat Appetit auf Bratwurst und Lust auf das Leben, das ihr noch zur Verfügung steht. Durch die Schmerzmittel geht es ihr relativ gut, aber aufstehen kann sie nicht mehr, weil der Krebs ihre Wirbelsäule zerfressen hat.

„Ich war halt krank und musste damit fertig werden“, sagt sie druckreif und doch natürlich in die Kamera. Sie erzählt, dass sie voller Zorn gewesen sei. „Du kriegst mich nicht“, hat sie ihrer Krankheit eingebläut. Doch während der Chemotherapie hätte sie sich umbringen können. Sie erlebte das „volle Programm“ mit Trombose und Lungen-Embolie, erlitt furchtbare Schmerzen, als ihre Schleimhäute angegriffen wurden, ihre Zunge plötzlich ein richtiges Loch bekam. Sie ist „voller Verständnis“ für Menschen, die in solch einer Situation nicht mehr weiter wissen und sich das Leben nehmen. „Aber ich hatte keine Möglichkeit“, sagt sie ernst. Das Zimmer lag nicht hoch genug und die Messer waren zu stumpf.

Als sie im Koma lag, hat sie sich in einem schmalen Gang gewähnt, war froh, dass vieles, was sie im Leben belastet hat, nun vorbei war. „Ich war erleichtert und dann so furchtbar enttäuscht, als ich wieder aufgewacht bin“, erinnert sie sich. „Irgendetwas hatte ich noch zu tun“, dachte sie damals und war gespannt, was das wohl sein würde. Sie geht ihren Tod sehr offensiv an, möchte anderen Menschen Mut machen, sich damit freier auseinander zu setzen. Sie mag keine Menschen mehr sehen, die sie bemitleiden. Aber das echte Verständnis im Hospitz tut ihr gut.

Sonja Töpfer war es ein Anliegen, „Sterben in die Öffentlichkeit zu tragen“. Bei der Auseinandersetzung ist ihr bewusst geworden, wie oft Menschen versäumen, Dinge zu tun, die sie eigentlich tun wollen. Oder sie verschieben. Beim Besuch sterbender Schwestern der Ordensgemeinschaft „Zum guten Hirten“ erlebte sie auch eine andere Seite von Tod. Hier lagen Frauen, die kaum mehr ihre Sinne beherrschen konnten. „Da habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, in den richtigen Händen zu liegen“, sagt sie. „Da habe ich zum ersten Mal Tod gefühlt“, setzt sie nachdenklich hinzu.


Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier und Wiesbadener Tagblatt
Foto: Ausschnitt aus dem Video von Sonja Töpfer

Donnerstag, 11. September 2008

Möbel und Interviews erzählen Geschichten von einst

Wenn man sich mit Raul Gschrey trifft, kann es schon mal vorkommen, dass er sein Wohnzimmer mitbringt. Das hängt damit zusammen, dass er sich aktuell mit den Möbeln fremder Leute beschäftigt, die damit nichts mehr anfangen können, weil sie tot sind. Der Künstler, der zudem Anglistik und Kunstpädagogik an der Frankfurter Goethe-Universität studiert, wurde nun eingeladen, zusammen mit von ihm ausgewählten Kolleginnen und Kollegen eine Ausstellung während des Palliativ-Kongresses vom 25. bis 27. September in den Rhein-Main-Hallen zu organisieren. Das Thema: „Begegnungen und Abschiede“. Der auf Entwicklung gemünzte Titel passt zum Motto des Kongresses „Identitäten im Wandel“.

„Was bleibt übrig, wenn alte Menschen sterben?“, hat sich der 27-jährige Künstler überlegt. Mit Hilfe einer Frankfurter Spedition, die sich auf Haushaltsauflösungen spezialisiert hat, ging er seiner Frage auf den Grund. Von dem Unternehmen bekommt er nun immer wieder Möbel ins Haus geliefert, aus denen er sich dann geeignete Objekte für seine Arbeit aussucht. Darunter auch ganz persönliche Dinge wie Fotoalben oder Filme. Aber eben auch Stühle, Tische und Schränke, die auf den ersten Blick wenig über die früheren Besitzer aussagen. Doch wenn man sich damit näher auseinander setzt, fallen doch Bezüge auf.

„Wir werden kleine Inseln im Konferenz-Alltag installieren“, sagt Raul Gschrey. Seine Installationen etwa werden sich vielleicht nicht jedem als Kunst erschließen, sondern zunächst einmal zum Ausruhen einladen. Wer aber dann die Mappen vom Tisch nimmt und sich plötzlich mit den schwarz-weißen Urlaubsaufnahmen wildfremder Menschen konfrontiert sieht, wird ins Grübeln kommen. Auf die Idee, sich mit Tod und Vergänglichkeit intensiver zu befassen, kam er durch ein Negativ-Erlebnis. Auf einer Ausstellung mit dem Titel „Tod ohne Ende“ wurde er mit plakativen Stücken, wie etwa konserviertem Wasser aus einer Leichenwäsche konfrontiert. „Das hat mich geärgert und zunächst war da auch nur Ekel“, erinnert er sich. Damals hat er sich vorgenommen, sich selbst mit dem Thema auseinander zu setzen.

Neben den Möbel-Ensembles zeigt Raul Gschrey auch eine Dreikanal-Videoinstallation unter dem Titel „Augenblicke“. Dafür hat er sowohl seinen Großvater, seinen Vater als auch sich selbst nach ihren prägendsten Erfahrungen gefragt. Die Antworten waren erwartungsgemäß unterschiedlich. Während der Großvater von seiner Todesangst in Kriegsgefangenenschaft sprach, berichtete sein Vater über die Kindheit in einer konservativ-dörflichen Umgebung. Der Künstler selbst erinnert sich an die Zeit, in der er bei seinen Großeltern aufgewachsen ist, weil die Eltern gerade mit ihrer Arztpraxis so viel zu tun hatten.

Insgesamt werden bei dem Kongress zwölf Arbeiten von acht Jungen Künstlern aus der Region gezeigt, die sich auf ganz unterschiedliche Weise den „Begegnungen und Abschieden“ genähert haben.


Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier
Foto: http://www.pro-ton.net/begegnungen/bilder/gschrey01.jpg

Unterwelten-Ausstellung wird im Mainzer Ex-Knast eröffnet

„Betreten der Anlage auf eigene Gefahr“, steht vorsorglich am Übergang vom Landgericht zur ehemaligen Justizvollzugsanstalt. Hier fand die Eröffnung der Ausstellung „Mainzer Unterwelten“ statt, die nun bereits zum zweiten Mal in Mainz gezeigt wird.

Verunsicherung steht in manchen Gesichtern der Eröffnungsgäste geschrieben. Einige werden ganz still, als sie die schmalen Metalltreppen hinunter steigen. Andere machen schlechte Witze, lachen ein wenig künstlich über die ungewohnte Situation, durch die Gänge eines Gefängnisses zu laufen. Wer einen Blick in die Zellen riskiert, wird mit Knastprosa von der ganz direkten Sorte belohnt. Viele Sätze eigenen sich nicht zum Abdruck in einer Zeitung, sie sprechen von Hass, Gewalt und Demütigung. Ganz oft aber haben die früheren Insassen bloß ihren Namen verewigt. „Verräter“, prangt an anderer Stelle, daneben ein kompletter Name. „Gott schütze uns vor unseren Freunden“, schickt einer ein Stoßgebet heraus, ein anderer konstatiert: „Und wieder ein Tag verschenkt“.

„Willkommen im Knast“, ruft Willi Kestel den zahlreich gekommenen Gästen gut gelaunt zu. „Die Justiz hat zwangsläufig zur Unterwelt, zur ganz und gar von Menschen gemachten Unterwelt, ein besonderes Verhältnis“, sagt der Präsident des Landgerichts Mainz. Diesen Satz hat er auch in das Buch „Mainzer Unterwelten“ geschrieben, für das Bauingenieur Wolfgang Balzer und Fotograf Klaus Benz abgetaucht sind. „Der Menschen Unterwelt ist Teil der realen Welt, bisweilen ihr Spiegelbild“. Solcher Gedanke hat Mitherausgeber Rupert Krömer auf die Idee gebracht, eine Ausstellung der Bilder im direkten Zusammenhang mit der Justiz anzustrengen. Nun sind sie in den Fluren des Landgerichts zu sehen und stehen allen Besuchern zur freien Betrachtung zur Verfügung.

Justizminister Heinz Georg Bamberger macht sich auf die Suche nach dem Begriff „Unterwelt“ in Mythen und Sagen. Dort findet er eine „räumliche Vorstellung eines Ortes, der unter der normal zugänglichen Welt liegt“. Sie ist „dem Sonnenlicht entzogen“ und dort hört die „rational verlässliche Wahrnehmung“ meist auf. Auf jeden Fall findet Bamberger die ehemalige Justizvollzugsanstalt einen „wunderbaren Ort für die Eröffnung einer Ausstellung von Bildern, die sich mit den Mainzer Unterwelten befasst“. In Buch und Ausstellung werden zahlreiche Gewölbe unter der Stadt buchstäblich ans Tageslicht geholt. Vom Geldkeller der Bundesbank über diverse Wein-, Sekt- und Privatkeller bis hin zu Kirchenkellern von Altmünster oder dem Dom gewähren die Arbeiten einen Blick in die Untiefen von Mainz, wie sie nur selten zu sehen sind.

Krömer spricht dabei von „Achsen, die uns am Leben halten“, verortet im Erdreich Wurzelwerk, „das nach oben Früchte trägt“ und will „Brücken zwischen Schichtungen und Geschichte“ schlagen. Die werden zwischen Architektur, Wirtschaft, Kultur, Geschichte und Justiz gebaut und verbinden neben den verschiedenen Ansichten auch ganz unterschiedliche, mitunter gar gegensätzliche Welten.

Die Ausstellung im Landgericht (Eingang Diether-von-Isenburg-Straße“ ist bis zum 19. Dezember zu sehen.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz
Foto: hbz / Jörg Henkel

Dienstag, 9. September 2008

Premierenvorgespräch zu Sandra Leupolds "Parsifal"-Inszenierung in Mainz

Angst vor Wagner hat Sandra Leupold nicht. Auch nicht vor dessen Bühnenweihfestspiel „Parsifal“, der letzten Oper, die der Bayreuther Meister vollendet hat. Angst hat sie aber vor Kompromissen, die unmöglich machen könnten, was sie sich vorgenommen hat. „Ich möchte Oper glaubhaft machen“, sagt sie. Und das meint sie angesichts der Dauer des massiven Werks auch ganz ernst. „Ich möchte nicht, dass diese fünfeinhalb Stunden zu einer Zumutung werden“, betont sie. Es gibt, das hat sie von Anfang an erkannt, „große Sachverhalte zu verhandeln“. Parsifal ist die Gestalt, auf die Gralskönig Amfortas und die Gralsgemeinschaft alles setzen müssen. Der verstoßene Ritter Klingsor hat den heiligen Speer geraubt und den König verletzt, der nun an einer unerträglich schmerzhaften Wunde leidet.

Doch nicht nur dieser physische Schmerz ist es, der hier behandelt wird. „Es ist das Elend des Menschseins und die Utopie von einer entsündigten Welt“, interpretiert die Regisseurin das Werk. Auch Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt formuliert ihren Respekt vor dem Werk und bezeichnet es als „szenische Messe“. Sandra Leupold geht „ran an die Figuren“, wie sie betont. Dafür benötigt sie Platz für Mensch und Musik. Den schafft sie sich, indem sie die Bühne minimal möbliert und maximal nutzt. Den leeren Raum füllt sie dann nicht nur mit Geschichte und Mythos, sondern auch mit dem ganz pragmatischen Herangehen der Sänger an ihre Aufgabe. Denn in ihrem Parsifal wird der Zuschauer gleichzeitig auch Teilhaber an einem künstlerischen Prozess. Leupold zeigt sich fasziniert von den emotionalen Gegensätzen die aufeinander prallen und die will sie zeigen. „Nach dem wirklich großen Moment des Karfreitagszaubers wird die Tür zum Paradies sofort wieder zugemacht“, resümiert sie.

Sandra Leupold ist aber auch von einer „ultimativen schmerzlichen Musik“ begeistert. „Wie kann man all das vermitteln?“, dieser Frage hat sich Wagner nach Ansicht von Catherine Rückwardt erfolgreich gewidmet. Die wichtigen Themen seien ständig präsent. „Nur durch das Mitleid haben wir eine Chance“, empfindet sie der Musik nach. Für die Sängerinnen und Sänger war die Einstudierung vor allem in den Hauptpartien eine große Herausforderung. Die Generalmusikdirektorin vergleicht diese Arbeit ohne zu Zögern mit Leistungssport. Angesichts einer Dauer von fünfeinhalb Stunden liegt der Vergleich jedenfalls nahe.

Die Regisseurin Sandra Leupold hat 2007 bereits in ihrer Inszenierung von Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“ mit spartanischer Ausstattung eine dichte Erzählsprache gefunden. Deutschlandweites Aufsehen erlangte sie, als sie vor vielen Jahren in der Berliner Kulturbrauerei Mozarts „Don Giovanni“ mit lediglich sieben Stühlen inszenierte. Die Schülerin von Ruth Berghaus und Peter Konwitschny war unter anderem persönliche Mitarbeiterin von Hans Neuenfels und vereint damit die ganz großen Namen der Theater-Regie in ihrer Biografie. Die Bühne wird von Tom Misch eingerichtet, für die Kostüme zeichnet Marie-Luise Strandt verantwortlich.

Für die Premiere am 12. September um 17 Uhr sind noch Restkarten an der Abendkasse erhältlich.

Weitere Aufführungen finden unter anderem am 28. September, 3. und 12. Oktober, 23. November, 7. und 14. Dezember statt.

Karten unter 06131/2851-222 oder im Internet: www.staatstheater-mainz.de


Veröffentlicht u.a. in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

John Dew inszeniert Fromental Halévys Oper "La Juive" in Darmstadt wenig motiviert

Jacques Fromental Elie Halévy ist heute kaum mehr bekannt, im Frankreich des 19. Jahrhunderts sah das schon anders aus. Da war der Cherubini-Schützling einer der Großen und Dauerkonkurrent von Giacomo Meyerbeer. Zu seinen Schülern zählten George Bizet, Camille Saint-Saens und Charles Gounod. Die Oper „La Juive“ (Die Jüdin) schrieb der Sohn eines hebräischen Dichters im Jahr 1835. Sein Erstling wurde bis 1893 550 mal an der Opéra Paris gespielt. Nachdem John Dew die Oper 1989 in Bielefeld, fünf Jahre später in Nürnberg und 1995 in Dortmund auf die Bühne gebracht hat, war nun Darmstadt an der Reihe.

Das Stück spielt ursprünglich in Konstanz des Jahres 1414, wo der Sieg von Reichsfürst Léopold über die Hussiten gefeiert wird. Der jüdische Goldschmied Eléazar, und seine Tochter Rachel ziehen den Volkszorn auf sich und werden von einem Mann, der sich als Samuel ausgibt und eine Liaison mit Rachel eingegangen ist, gerettet. In Wirklichkeit ist er jener Reichsfürst Leopold, für den die Feier ausgerichtet wird. Als er sich seiner Geliebten zu erkennen gibt, zeigt die sich entsetzt, will ihn dennoch halten, selbst Eléazar lässt sich erweichen, dem Paar seinen Segen zu geben. Doch Leopold ist an Eudoxie, die Nichte des Kaisers gebunden. Während der öffentlichen Hochzeits-Zeremonie klagt Rachel ihn an, mit einer Jüdin verkehrt zu haben, worauf die Todesstrafe steht. Später widerruft sie auf Drängen Eudoxies und rettet ihm damit den Kopf. Sie und ihr Vater aber werden zum Tode verurteilt. Für Eléazar bildet dieser Tod seine verquere Rache an Kardinal Brogny, dessen Tochter er einst aus einem brennenden Haus gerettet und als seine Eigene aufgezogen hat. Als Rachel hingerichtet wird, eröffnet er dem Geistlichen das bittere Geheimnis.

Die klanglich ansprechend umspielte Geschichte lässt es an einigen Stellen an erzählerischer Konsequenz fehlen. Nicht immer werden die Handlungen klar verständlich vermittelt. Auch Dews zurückhaltende Inszenierung, die wenig Personenführung erkennen lässt, trägt nicht zur Aufklärung bei. Das Bühnenbild von Heinz Balthes wirkt zudem mit seiner Reduzierung auf zwei von der Decke herab hängende Dreiecke, die im ersten Akt einen Davidstern bilden, wenig motiviert. Musikalisch wird eine meist solide Aufführung abgeliefert. Zurab Zurabishvilli als Eléazar und Susanne Serfling als Rachel sind der Herausforderung stimmlich gewachsen, Thomas Mehnert gibt dem Kardinal mit knarrig-erdigem Bass eine würdige Statur. Mark Adler hat mit der Partie des Leopold mehrfach zu kämpfen, insbesondere die Höhen machen ihm zu schaffen. Martin Lukas Meister hat das präzise aufspielende Orchester und den flexibel agierenden Chor gut im Griff.

Weitere Aufführungen u.a. am 13. September

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Montag, 8. September 2008

Edith Peinemann und Makiko Takeda-Herms mit Brahms, Debussy und Beethoven in Wiesbaden

Dem rührigen Künstlerverbund „amici dell'arte“ gelingt es immer wieder aufs Neue, ganz besonders herausragende Künstlerinnen und Künstler für ihre Sonntags-Matineen im Hessischen Justizministerium zu gewinnen. Ihre Einladungsliste liest sich schon nach fünfzehn Jahren wie ein „Wer ist wer“ der deutschen Musiker- und Schauspieler-Elite.

Auch dieses Mal kam mit Edith Peinemann eine der profiliertesten Geigerinnen des 20. Jahrhunderts. Die aus Mainz stammende Künstlerin hatte bereits im Alter von 19 Jahren den ARD-Wettbewerb gewonnen und mit Dirigenten-Legenden wie Joseph Keilberth, Max Rudolf und George Szell zusammen gearbeitet, lernte als 18-Jährige den Komponisten Paul Hindemith kennen. Heute gehört sie selbst zu den Persönlichkeiten, die für Generationen ein Vorbild ist.

Gemeinsam mit der Wiesbadener Pianistin Makiko Takeda-Herms, Professorin an der Mainzer Musikhochschule und Mitbegründerin der „amici dell'arte“, gestaltete sie nun einen außergewöhnlichen Vormittag mit Werken von Brahms, Debussy und Beethoven. Ihrer Guarneri del Gesù-Violine aus dem Jahre 1732, baugleich mit Paganinis „Kanone“, entlockte sie dabei einen zumeist vollen, üppigen Ton, der zugleich einen ganz eigentümlich rauen Charme versprühte. Warm und herb sind bei ihr keine unvereinbaren Antipoden. Mit natürlicher Kraft und klar formulierender Interpretation nahm sie sich der Brahms-Sonate A-Dur op. 100 an, beeindruckte mit ihrer Virtuosität in Debussys Sonate pour violon et piano und begeisterte mit klanglicher Vielseitigkeit im Variationensatz von Beethovens Sonate A-Dur op. 47.

Zupackend hielt Makiko Takeda-Herms am Flügel die Musik stets im Fluss, lotete die die musikalischen Tiefen empfindsam aus und erspürte Motive und Zusammenhänge unbeirrt und mit großer Anteilnahme. In gemeinsam geführten Dialogen gestalteten die beiden Musikerinnen die oft gegensätzlich wirkenden Dichtegrade, bewiesen beide einen untrüglichen Sinn für gezielt eingesetzte und authentisch wirksame Effekte.

Das nächste Konzert findet am 19. Oktober um 11 Uhr statt. Der Pianist Pascal Devoyon spielt dann Mozarts Sonate B-Dur, Balladen von Fréderic Chopin und die „Kreisleriana“ von Robert Schumann. Karten unter www.amicidellarte.de

Mozarts "Don Giovanni" zur Spielzeit-Eröffnung am Staatstheater Wiesbaden

Carlos Wagner beginnt die Spielzeit am Wiesbadener Staatstheater mit einem klug inszenierten „Don Giovanni“.

Der Engel der Rache ist allgegenwärtig. Nur sehen kann ihn keiner. Dennoch steht Don Giovannis frevlerische Tat, die er zu Beginn von Wolfgang Amadeus Mozarts gleichnamiger Oper begeht, Unheil verkündend über allem, was später geschieht. Im Wiesbadener Staatstheater wurde die erste Premiere der Spielzeit von Regisseur Carlos Wagner klug und einfühlsam, verführerisch und unmittelbar über die Bühne gebracht. Von Anfang an wird klar, dass er mit der Geschichte und den Personen etwas anzufangen weiß. Es gibt keine müden Momente, keine ungewollten Brüche und vor allem keinen szenischen Leerlauf. Die Übergänge sind fließend und es funktioniert einwandfrei, wenn er Akteure noch eine Weile auf der Bühne belässt, auch wenn ihr Auftritt schon vorüber ist.

Der Regisseur lässt den reichen Schnösel auf eine Clique halbstarker Halbweltler treffen, aus denen er sich die scheinbar willige Zerlina heraus fischt und in Masetto einen prolligen, daher unwürdigen Gegner findet. Das rauschende Fest im ersten Akt wird zum schemenhaften Disco-Vergnügen, in das die gehobene Gesellschaft bewusst recht deplaziert arrangiert wird. Für die gesamte Oper haben Riafil Ajdarpasic und Ariane Isabell Unfried eine gefällige steinerne Einheitskulisse geschaffen.

Thomas J. Mayer strotzt in Don Giovannis Haut nur so vor Selbstbewusstsein und Egomanie. Für ihn ist alles ein großer Spaß, sein zur Schau getragener Verschleiß an Frauen gar eine Wohltat am weiblichen Geschlecht. Auf wessen Kosten seine Umtriebe gehen, schert ihn kaum, auch seinen Diener Leporello kann er schließlich, wenn es etwas schwieriger wird, mit Geld wieder für sich gewinnen. Mayer gelingt es während der kompletten Spieldauer auf gleichbleibend hohem Präsenz-Niveau zu agieren. Stimmlich kann er mühelos den hohen Anforderungen gerecht werden.

Tatiana Plotnikova wirkt als Donna Anna neben ihm eher sanft und legt auch in ihre Stimme viel Wärme, die mit zunehmender Verzweiflung aber auch scharfe Töne annehmen kann. Donna Elvira ist mit Aga Mikolaj sehr stark und hell timbriert besetzt. Dem ausgesprochen verschmitzt gezeichneten Leporello, der die eroberten Frauen seines Herrn auf dem Leib tätowiert spazieren führt, leiht Hye-Soo Sonn neben seinem Spielwitz auch eine angenehm offene Stimme. Jud Perry übernimmt Don Ottavio kultiviert, Brett Carter ist das zupackende Gegenstück Masetto, Emma Pearson überzeugt restlos als patente Zerlina.

Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Marc Piollet ist das Orchester einmal mehr nicht nur verlässlicher Partner des Ensembles sondern gewichtiger Akteur, ebenso eigenständig setzt der Chor gestalterische Akzente.

Aufführungen unter anderem am 10., 14., 18., 21. und 27. September.

Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse

Samstag, 6. September 2008

Faltsch Wagoni feiern Silberhochzeit

Das Plakat zur Show sieht nach Klamauk aus. Eine Frau mit Wischmop auf dem Kopf und ein Mann mit albern verzerrter Fratze laden zum „Best-of-Programm“. Wer nicht weiß, was auf ihn zukommt, denkt bei sich: Das kann ja heiter werden. Und das wird es in der Tat. Nur selten kommt man heute noch aus dem Kabarett und fühlt sich aufs Allerbeste unterhalten. Genau das gelingt „Faltsch Wagoni“, dem Münchner Duo aus Silvana Prosperi und Thomas Busse. Witz und Geist, Blödelei und Tiefsinn gehören also doch zusammen, atmet man nach dem Abend im Unterhaus erleichtert auf. Denn die klugen, spritzigen und in irrem Tempo vorgetragenen Dialoge sind gleichermaßen kunstvoll wie verblüffend banal. Doch Vorsicht: Der Witz liegt im Detail und das will herausgehört werden.

Die beiden Routiniers plaudern ohne Ermüdungserscheinungen aus ihrem Silberhochzeitsdasein. „Dein Schweigen auf meine stumme Frage - als du nichts sagtes, als ich dir meine Liebe verschwieg“. Wer zu lange braucht, um die mehrfache Verneinung zu entschlüsseln, hat Pech gehabt, es geht gleich weiter. Doch gerade solche zunächst nur auf die Pointe schielenden verdrehten Sätze entfalten eine ganz eigene Poesie. Anfangs gibt es Szenen, Bedürfnisse und Wünsche einer aufgebrauchten Ehe, ohne feurige Briefe, Brust-Toupets oder gemeinsames Zyankali-Schluken im Ernstfall. Doch sie sind bloß verhindert. Sie fiele ja eigentlich aus heiterem Himmel für ihn und er nähme 70 Pfund ab für sie, dann wäre sie nur halb so schwer. Das alles nimmt jedenfalls die Liebe in Kauf, gerade dann, wenn sie in einer derart gelungenen Mischung aus cooler Gelassenheit und gespielt übertriebener Empörung zelebriert wird.

Der unaufdringliche und herzliche Sarkasmus zweier Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten (Frau und Mann eben), bricht sich pausenlos Bahn. Das alles wird in lebendige Musik gepackt. Sie mit rauem Chansonetten-Timbre, er mit der ganz selbstverständlich von Reinhard Mey ausgeliehenen Stimme. Gespielt wird mit allem, was Keller und Küche zu bieten haben: Kiesbett, Topf und Deckel, Gymnastikball oder Steppschuh. Die musikalischen Multitalente versuchen sich mit beachtlichem Erfolg an Gitarren, Mini-Akkordeon, singender Säge und Mundharmonika. Dazwischen ist Platz für leise Momente wie: „Auf Dauer ist mir meine Gesellschaft zu wenig“. Doch die heilenden Kräfte des Jammerns siegen. Urkomisch der Gangsta-Rap, bei dem ein Lederrock die Base-Drum gibt. Als Zugabe müssen zwei alte Tanten nicht etwa Tango, sondern gleich Pogo tanzen, und das ist auch des Müllers Pflicht.

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung
Foto: Jan Roeder

Freitag, 5. September 2008

Neunte Wiederaufnahme der "Zauberflöte" an der Oper Frankfurt

Mozarts „Zauberflöte“ führt nach wie vor die Rangliste der beliebtesten Opern in Deutschland an. Auch in Frankfurt ist das Interesse ungebrochen, zum neunten Mal wird die Inszenierung von Alfred Kirchner in dieser Spielzeit wieder aufgenommen. Damit steht in wenigen Tagen, am 10. September, die 100. Vorstellung dieser Erfolgsproduktion an. Für den frisch ernannten Kapellmeister Erik Nielsen war die Leitung der Wiederaufnahme sicherlich keine Feuertaufe, kennt er die Musiker doch seit Jahren. Dennoch übertrug sich sein Ehrgeiz hörbar auf das Orchester, dem einmal mehr ein ausgesprochen dichter und vitaler Klang gelungen ist. Die vielen stimmungsvollen Kontraste und farbenfrohen Motive der „Zauberflöte“ sind in Nielsens Händen jedenfalls bestens aufgehoben. Neuerungen gibt es auch im Ensemble. Alfred Reiter zählt den Sarastro zu seinen Paraderollen und debütierte in Frankfurt mit beeindruckend erdiger Stimme und kantigem Spiel. Brenda Rae war erstmals als angenehm warm timbrierte und spannungsreich agierende Pamina zu erleben, während Victoria Joyce als Gast ausgerechnet die Spitzentöne der „Königin der Nacht“ nur sehr stumpf und angestrengt wider zu geben vermochte. Dem Tamino verlieh der finnische Tenor Jussi Myllys eine sehr agile Direktheit, stimmlich blieb er jedoch hinter seinen Möglichkeiten – er kann deutlich freier aussingen. Zu einem Dauer-Bonus tragen auch über die Jahre Bühnenbild und Kostüme von Michael Sowa und Vincent Callara bei. Allein an dem Wissenstempel aus gigantischen Bücherwänden kann man sich schwerlich satt sehen, die bizarren Sklaven und Riesen-Insekten haben längst Kultstatus.

Aufführungen unter anderem am 10., 12., 14. und 20. September

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Jochen Busse über sein neues Programm

Jochen Busse und Henning Venske haben sechs Programme lang an der Seite von Dieter Hildebrand bei der Münchner „Lach- und Schießgesellschaft“ gespielt. Nun treten sie wieder gemeinsam auf und sind zusammen mit dem Akkordeonisten Frank I. Grischek in der Brentanoscheune Oestrich-Winkel zu sehen. Wir sprachen mit Jochen Busse über sein Verhältnis zur Bühne und das aktuelle Programm „Legende trifft Urgestein“.

Was reizt Sie daran, wieder mehr direkt vor Menschen zu treten?

Das ist ja meine Kernkompetenz, außerdem habe ich schon vor und während meiner Fernsehtätigkeit Theater gespielt. Es gibt ja schon viele Mittel, jemanden durch ein Fernsehspiel oder eine Comedy zu bekommen. Ich sehe mich daher manchmal genötigt, meinem Publikum zu zeigen, dass auch darstellerische Qualitäten in mir stecken. Zum anderen mag ich die Unmittelbarkeit, die Herausforderung, so einen Abend zu stemmen. Das ist eines der besten Anti-Aging-Mittel.

Sind die Menschen, die Sie aus dem Fernsehen kennen, erstaunt, wenn Sie sie auf der Bühne erleben? Bedienen Sie die Erwartungen?

Einige sagen: „Endlich sind Sie wieder zurück.“ Was ich merkwürdig finde, weil ich all die Jahre doch auch Theater gespielt habe. Manche sagen: „Im Fernsehen sind sie ganz anders.“ Das ist ganz klar. Ich habe nach „Scheibenwischer“ und den Livesendungen der „Lach- und Schießgesellschaft“ in meiner ganzen Fernsehlaufbahn nichts anderes getan, als den etwas cholerischen, pingeligen Spießer zu spielen.

Hat Sie die Medienpräsenz verändert?

Eher privat. Man weiß genau, dass man eine Person öffentlichen Interesses ist. Da benimmt man sich entsprechend, eckt nicht an, schreit nicht über die Straße. Aber in meinem Spiel hat sich außer einer sehr starken Disziplin oder einer gewissen Arbeitsweise, Rollen zu verinnerlichen, nicht viel verändert. Im Fernsehen muss man aufpassen, dass man sich bei emotionalen Darstellungen mimisch nicht verliert. Das ist eine besondere Gesetzgebung. Die, die gar nichts machen, sind am Besten.

Was erwartet die Besucher im Rheingau?

Sie sehen zwei Herren, die schon einiges erlebt haben, eine gewisse politische Haltung haben und immer wieder davon abrücken. Kein Einzelleistungsmarathon, sondern ein ineinander greifender, dialoglastiger Abend, der zudem noch durch einen fantastischen Akkordeonspieler ergänzt wird.

Worum geht es?

Wir kümmern uns nicht so sehr um die Gegenwart, sondern bringen eine kurze Abrechnung darüber, was wir in unserem Leben bisher geleistet haben und dann sprechen wir über die Zukunft. Wir spekulieren.
Lernen wir die Akteure auf diese Weise auch persönlich kennen?

Diesmal nicht so sehr. Dazu waren wir zu lange auseinander. Dass ich bei RTL und Henning Gründungsmitglied der Grünen war, schwingt schon auch mit, doch das gegenseitige Aufziehen ist leider noch nicht dabei. Aber das haben wir auch noch vor, da steckt einiges an Potential drin.

  • Termine: 6.September, 20 Uhr und 7. September, 19 Uhr. Karten und Informationen: www.brentanoscheune.de oder 01805-743464

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt

Montag, 1. September 2008

Detlev Schönauer zu Gast in Massenheim

Der Mann, der da so zielstrebig den Altar-Raum betritt, hat keine Predigt vorbereitet. Und er trägt kein historisches Instrument bei sich, um gleich den Raum mit barocken Klängen zu füllen. Detlev Schönauer ist zwar ursprünglich in der Tat Kirchenmusiker, doch die „Massenheimer Kultur-Szene“ (MAKS) hat ihn für ein „musikalisch-satirisches Kirchenkabarett“ eingeladen. Die meisten Besucher in der bestens besuchten evangelischen Kirche kennen ihn offensichtlich, denn seine zahlreichen Anspielungen und Zwischenbemerkungen zünden treffsicher. Schönauer tritt regelmäßig als Bistro-Betreiber Jaques in der SWR-Sendung „Spaß aus Mainz“ auf und hat sich einen gewissen Kultstatus erworben.

Jaques ist vor vielen Jahren nach Deutschland, allerdings nicht besonders weit, sondern gerade einmal ins Saarland gekommen. Dort hat er sich niedergelassen, gleich neben einer Kirche ein Bistro eröffnet und seinen Gästen so manche Schrulle abgeschaut. Schönauer bleibt zwar nicht konsequent in seiner Rolle, doch seine Ausflüge vom radebrechenden Franzosen zum nicht gerade sprachbewanderteren Saarländer nimmt ihm keiner krumm. Auch dass er sich nicht streng an die Vorgabe eines „Kirchenkabaretts“ hält, spielt keine Rolle.

Seine Späße haben Stammtisch-Niveau, allerdings in durchaus wohlmeinendem Sinne. Er greift Themen auf, die überall verhandelt werden könnten. Warum also nicht auch in der Kirche. Mit dem Glauben an sich ist er auch ganz einverstanden. „Es ist praktisch, wenn man gläubig ist, dann hat man immer einen , der dran schuld ist“, freit er sich mit dem Publikum. Und er überrascht die Kirchgänger mit einem ganz eigenen Blick in die Bibel. „Weil Moses ein Mann war, haben die Israeliten 40 Jahre gebraucht“, ist er überzeugt. „Eine Frau hätte nach dem Weg gefragt und wäre in zwei Jahren angekommen“, grinst er bübisch. Die lästige Warterei auf Moses und die zehn Gebote vor dem Berg Sinai wäre in Zeiten von E-Mail-Kommunikation wohl auch entfallen, glaubt er.

Besonders die katholischen Bräuche haben es ihm angetan. „Der Beichtstuhl ist wie eine Dusche“, meint er. „Das ist richtig toll, danach kann ich wieder von vorne anfangen“, missversteht er das Ritual mit geradezu diebischer Freude. Seine Vision in Sachen Buße: Eine Art „Drive-in“ mit Sonderangeboten. Zwischendrin setzt er sich ans E-Piano oder mimt den Vorsitzenden eines Kirchenchores und beweist zweifellos Milieukenntnis. Seine Querschläge zu gefälligen Klischees von Politiker-Schelte bis zu den vermeintlichen Höhepunkten des alltäglichen Geschlechterkampfs machen rechtzeitig vor der Grenze zur Geschmacklosigkeit halt. Auf diese Weise bescheren Jaques und Detlev Schönauer den Massenheimern einen rundum vergnüglichen Abend.

Veröffentlicht im Main-Taunus-Kurier