Mittwoch, 24. Dezember 2008

*** Frohe Weihnachten ***

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich ein frohes Fest, einige ruhige und erfüllte Stunden sowie Zufriedenheit, Gesundheit und viele schöne Momente im kommenden Jahr!

Montag, 22. Dezember 2008

Wiesbadener Knabenchor mit Bach und Jazz

Was Roman Twardy in den vergangenen sieben Jahren geleistet hat, ist schon enorm. Als der den Wiesbadener Knabenchor nach einer Phase mehrerer Chorleiterwechsel und unsicherer Finanzierungslage übernommen hatte, wagten wohl nur die Optimisten eine Prognose, die dem heutigen Ist-Zustand nahe kommt. Nach und nach ist es dem Musiker und Pädagogen gelungen, durch intensive Nachwuchsarbeit und einer Mischung aus künstlerischer Förderung und Forderung den Chor zu immer größeren Aufgaben zu führen. Dazu gehört auch ein hohes Maß an Eigenverantwortung, das den Sängern abverlangt wird. Zum Ende dieses Jahres konnte der Wiesbadener Knabenchor nun ein beachtliches Vorweihnachts-Konzert in der evangelischen Kirche Schlangenbad und der Wiesbadener Ringkirche absolvieren, in dem Tradition und Aufbruch geradezu symbolisch auf dem Programm standen.

Mit „Jesu, meine Freude“, der bekannten fünfstimmigen Motette von Johann Sebastian Bach wurde das Feld der seit Jahrhunderten überlieferten Tradition bestellt. Schon hier zeichnete sich der Chor durch sehr klaren und sauberen Klang aus. Aufmerksam reagierten die Sänger auf Twardys mitunter sehr detaillierten Angaben. Sicher in den Harmonien konnte der Chor insbesondere die Struktur der Choräle akkurat durchleuchten und transparent vermitteln. Etwas wackelige Stellen, die es auch zu umschiffen galt, konnten das Gesamtbild nicht wesentlich trüben. Zeigte die erfolgreiche Bewältigung solcher Hürden doch auch, mit welcher Konsequenz und welchem musikalischem Spürsinn die jungen Sänger hier ans Werk gehen.

Neue Wege ging der Wiesbadener Knabenchor mit Christoph Schönherrs „Magnificat – The groovy version of OX“. Der Untertitel spielt auf den Entstehungsort, die Landesakademie Ochsenhausen an, die für zahlreiche Chöre eine Heimstätte für die intensive Auseinandersetzung mit der Musik darstellt. Twardy hat damit ein Werk ins Programm aufgenommen, das zwar im Gestus populär und unterhaltsam daher kommt, im Detail die Sänger aber durchaus fordert. Auf das Ergebnis können die Akteure stolz sein. Effektvolle Unisono-Passagen wurden von vollen Harmonien abgelöst, dazu fügten sich die Soli der Jazz-Sängerin Nanny Byl, die ihre warme und gehaltvolle Stimme bestens zur Geltung brachte, ideal ein.

Das Werk ist mit Blick auf die Befreiungstheologie in Lateinamerika geschrieben worden und weist dementsprechend mitreißende Rhythmen auf. Gekonnt sang sich der Wiesbadener Knabenchor von der Samba über abgehangenen Swing bis hin zum Gospel durch die Stile. Durch die Reihen hinweg war ansteckende Gestaltungsfreude erkennbar. Das „Glob'Arte-Ensemble sorgte für den notwendigen Schwung und bot sich als feinfühliger wie treibender Begleiter der Sänger an. Somit zeigte sich der Wiesbadener Knabenchor gut gerüstet für die vielen Veranstaltungen, die vor allem im übernächsten Jahr auf ihn zukommen. Dann wird der Chor 50.


Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt
Foto: http://www.wiesbadener-knabenchor.de/images/Wiesbadener-Knabenchor_2007_klein.jpg

Freitag, 12. Dezember 2008

Tan Dun ist ein Komponist, dessen Musik mehr Menschen kennen, als es ahnen. Der gebürtige Chinese, der seit 1986 in den USA lebt, hat viele erfolgreiche Filme mit Musik versehen. Darunter „Tiger & Dragon“, wofür er auch einen Oscar erhalten hat. In seiner Musik spiegeln sich Traditionen wider, die sich respektvoll vor einander verbeugen, aber keine bis zur Selbstaufgabe getriebene Symbiose eingehen. Im Gegenteil: Die Kontraste zwischen Alt und Neu, Ost und West und sicherlich noch vielem mehr, das der Hörer nur ahnen kann, sind Teil der raffinierten Inszenierung dieses außergewöhnlichen Klangschöpfers.

Dass er gerne hinter die Horizonte blickt, bewies er unter anderem, als er im Oktober vergangenen Jahres mit dem London Symphony Orchestra eine eigens für die Internet-Plattform YouTube komponiert Symphonie uraufführte. Das HR-Sinfonieorchester konnte nun in der Alten Oper den hohen Ansprüchen des enorm intensiv arbeitenden Komponisten, der seine Werke selbst dirigierte, mehr als bloß genügen. Im „Water Concerto“, das er in Erinnerung an den von ihm verehrten Künstler Toru Takemitsu geschrieben hat, entführte David Cossin die Zuhörer in die Klangwelt des Wassers, die entsteht, wenn es in halbkugeligen Becken bewegt wird. Wenn klares Wasser auf komplexe Klangstrukturen trifft, kommt zumindest in diesem Fall ein spannender Dialog heraus.

In „The Map“ begegneten sich die Traditionen allein schon optisch durch die Einspielung von Videos mit traditioneller Musik und den Einsatz des Solo-Cellisten Anssi Karttunen. Was chinesisch und was westlichen Ursprungs ist, ließ sich hier klar heraus filtern. Durch dieses Nebeneinander, das nie kontrovers eingesetzt wurde, entstanden ungeahnte musikalische Zusammenhänge, die dem Hörer unmittelbar zugänglich wurden und sich nicht hinter analytischem Überbau verbargen.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse und im Wiesbadener Kurier
Foto: http://www.tandunonline.com/files/press_drainwater_s.jpg

Mittwoch, 3. Dezember 2008

Der Bariton Simon Keenlyside und der Pianist Malcolm Martineau gestalten in der Oper Frankfurt einen dicht vermittelten Liederabend.

Simon Keenlyside lässt sich Zeit. So heißt es, dass er stets mindestens eine Woche Zeit verstreichen lässt, um sich vom Liederabend auf eine Opernrolle (und umgekehrt) einzustellen. Die Verantwortung gegenüber der eigenen Stimme macht sich sicherlich bezahlt und auch das Publikum will den innerlich verarbeiteten Unterschied zwischen Oper und Lied deutlich gemacht bekommen. Gerade von einem Künstler, der mit beiden Genres einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat. Der britische Bariton durchlief die Chorschule des St. John's College Cambridge, ein Internat mit strengen Regeln. Die in diesen Jahren vielleicht einverleibte Ernsthaftigkeit glaubt man, in seiner Liedinterpretation heraus zu hören. Er zerlegt die Mörike-Lieder von Hugo Wolf ähnlich genau wie die Auswahl an Schubert-Liedern, dennoch alle irgendwie anders und individuell. Die „Dichterliebe“ von Robert Schumann nach Heinrich Heines Text aber hinterlässt als geschlossener Zyklus besonderen Eindruck, wird von ihm als lebendige Einheit vermittelt. Der Sänger findet den besonders intimen Ton ebenso die tapfer verborgene Verzweiflung, die sich immer wieder Bahn brechen will. Oft auf wenige Zeilen reduziert schlägt er gemeinsam mit dem renommierten Liedbegleiter Malcolm Martineau vollendete Bögen. Zwischenzeitig lässt das Duo die Stimmung für einen kurzen Moment aufklaren, ein andermal blitzt ein sarkastischer Frohsinn durch. Beide Musiker sind wie geschaffen für die größtmögliche Verdichtung überbordender Emotionen, ohne jemals zu übertreiben und unglaubhaft zu wirken Martineau tritt zudem ungemein fein und weich in den Dialog ein und ordnet sich trotz manch verhalten wirkender Klänge niemals unter.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Donnerstag, 27. November 2008

Antisemitismus-Ausstellung in Mainz eröffnet

Aktuelle Formen des Antisemitismus werden nicht nur durch pöbelnde Skinhead-Banden repräsentiert. 70 Jahre nach der Reichspogromnacht haben Anhänger judenfeindlicher Theorien unterschiedlicher Spielarten weltweit ihre Anhänger. Im Mainzer Rathaus wurde nun die Ausstellung „Antisemitismus? Antizionismus? Israelkritik?“ eröffnet. Die Tafeln wurden bereits unter anderem in Berlin, Hamburg und Dresden gezeigt und sind für eine europaweite Präsentation hergerichtet worden. Das Konzept stammt von der Holocaust-Gedenkstätte „Yad Vashem“ in Jerusalem und dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin.

Dass die Ausstellung in Mainz zu sehen ist, geht auf eine Einladung der Landeszentrale für politische Bildung zurück. Wenige Tage nach der Grundsteinlegung für eine neue Synagoge macht sie deutlich, dass das Thema in Mainz nach wie vor von Bedeutung ist. Der frühere Mainzer Sozialdezernent Michael Ebeling, heute Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur begrüßte die Gäste zu Beginn mit eindringlichen Worten. „Wir müssen auch den gegenwärtigen Antisemitismus ernst nehmen“, unterstrich er. Dabei müsse auch hinterfragt werden, warum er heute zunehmend wieder gesellschaftsfähig werden kann. „Der Blick nach vorne kann niemals ohne den Blick in die Vergangenheit gelingen“, ist er überzeugt.

„Wir brauchen eine aktive Erinnerungsarbeit“, sagte er und hob die Aktivitäten der Landeszentrale hervor. Die Ausstellung gebe den Bürgern „die Möglichkeit, sich an solchen Themen zu reiben“. Dr. Dieter Schiffmann von der Landeszentrale ist überzeugt, dass der Antisemitismus noch „subkurtan virulent“ sei. Gleichzeitig, so machte er deutlich, müsse es legitime Formen der kritischen Auseinandersetzung mit Aspekten der israelischen Politik geben dürfen.

Prof. Wolfgang Benz , Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, bezeichnete den Antisemitismus als das „älteste kulturelle, politische, soziale und religiöse Vorurteil der Welt“ und skizzierte in seiner Einführung vier Grundphänomene. Der christliche Anti-Judaismus habe vom Mittelalter bis in die Neuzeit existiert, spiele aber heute in Deutschland nur noch eine untergeordnete Rolle. Hinzu kommen ein antropologisch, sozial-darwinistisch hergeleiteter Rassenhass sowie eine Judenfeindschaft nach dem Holocaust, der aus Scham und Schuldabwehr resultiere. Dieser „sekundäre Antisemitismus“ sei unter anderem für die Schluss-Strich-Rufe verantwortlich. Als viertes Phänomen nannte er den Antizionismus.

Die Ausstellung wird bis zum 20. Dezember im Foyer des Rathauses gezeigt.
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 8 bis 18 Uhr, Samstag 9 bis 14 Uhr.
Der Eintritt ist frei.


Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Mittwoch, 26. November 2008

Wenn Kunst auf Reisen geht

Manchmal können Ines Unger und Sarah Bernhardt im Bekanntenkreis erzählen, dass sie bald wieder nach New York, Los Angeles, Paris oder Rom fliegen. Für einen Moment ist ihnen der Neid der Gesprächsteilnehmer sicher, doch bald stellt sich heraus, dass der vermeintliche Luxus-Trip harte, ermüdende Arbeit bedeutet. Wenn Kunst auf Reisen geht und entsprechend wertvoll ist, muss eine der beiden Restauratorinnen mitkommen. Doch besonders angenehme Reisepartner sind die Gemälde und Skulpturen des Wiesbadener Landesmuseums nicht. Im Gegenteil, sie sind ausgesprochen launisch, fordern Aufmerksamkeit und sind enorm sensibel.

Die „Terrasse am Walchensee“ von Lovis Corinth ist so ein Kandidat. Das Gemälde ist heiß begehrt und wird dementsprechend oft zur Ausleihe angefragt. Ein Dilemma für die Restauratorinnen, denn: „Wenn etwas viel reist, wird es auch viel angefragt“, so Ines Unger. Denn wenn es einmal woanders hängt, erweckt es Begehrlichkeiten bei anderen Ausstellern. „Für den Wert des Bildes und das Haus ist das gut“, weiß sie. Für die Materie des Bildes sei so ein Leben auf Reisen jedoch nicht optimal. „Auch wenn man sich noch so viel Mühe gibt, stellt Reisen für ein Kunstwerk immer ein Problem dar“, sagt sie.

„Wir versuchen, es von vorne herein so gut wie möglich zu schützen“, betont ihre Kollegin. „Doch alles kann passieren“, kann sie aus langjähriger Erfahrung bestätigen. „Am liebsten würden wir gar nicht ausleihen“, lacht Sarah Bernhardt, doch das wäre wohl auch nicht im Sinne der Kunst. Und so wird alles Menschenmögliche unternommen, um dem Werk die Reise so angenehm, wie möglich zu gestalten. Zunächst werden Verträge „Nagel zu Nagel“ aufgesetzt, die auch die Versicherungsfrage im Detail klären. Dann erhalten spezielle Kunsttranportfirmen den Auftrag zum Umzug. Die verfügen über entsprechendes Material, wie etwa die besonders klimatisierten und sanft gefederten Fahrzeuge. Bewegung und Klimaveränderungen sind eine Gefahr für sensible Bilder. Durch Rütteln können Risse entstehen. Die sind zwar mikroskopisch klein und mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen, doch sie stellen den Anfang eines schleichenden Prozesses dar. Kleine Sprünge können sich vertiefen, Malschollen lösen sich ab. „Auch wenn man es nicht sofort sehen kann, gibt es immer Veränderungen“, bestätigt Sarah Bernhardt.

Besonders wertvolle Gemälde werden von einer der Restauratorinnen begleitet. „Sollte ein Unfall geschehen, sind wir gleich vor Ort“, begründet Ines Unger den Aufwand. Und so entstehen auch für die sie Reise-Anlässe. Doch mit Urlaub hat das nichts zu tun. Oft müssen sie stundenlang in den Cargo-Hallen auf Flughäfen darauf warten, dass es weiter geht, dürfen dabei ihren Schützling aber nie aus den Augen verlieren. Denn in der Regel geht das Flughafenpersonal nicht allzu liebevoll mit dem sperrigen Gut um. Nicht aus Ignoranz, sondern weil oft nicht bekannt ist, was sich in den seltsamen Kisten verbirgt. Einmal, so wissen die Restauratorinnen zu berichten, ist auch Wasser in einen Container eingedrungen, in dem eine ihrer Klimakisten stand. Ein andermal haben sich die Mitarbeiter geweigert, das Objekt festzugurten. Wären sie nicht dabei gewesen, hätte diese Vorfälle großen Schaden nach sich gezogen.

Mit den Klimakisten hat es eine besondere Bewandtnis. Sie sind durch mehrere Schichten dermaßen gut isoliert, dass sich das Klima in ihnen nur sehr langsam verändert. Die Gemälde erleben also keinen Schock, wenn sie aus ihrem warmen Zuhause etwa im Winter auf die Straße, in eine kalte Flughafenhalle und später in ein klimatisiertes Flugzeug transportiert werden. „Ohne die Kisten könnte man richtig spüren, wie sich das Material zusammen zieht“, weiß Ines Unger. Nach der Ankunft am Bestimmungsort müssen die Kisten zunächst 24 Stunden ungeöffnet stehen bleiben, damit sich der Inhalt langsam an das neue Außenklima gewöhnen kann. In dieser Zeit hat nun auch die Begleiterin endlich ein wenig Zeit, die sie für sich selbst nutzen kann. Doch Sehenswürdigkeiten stehen dabei selten auf dem Programm. Gerade nach Interkontinentalflügen ist Sarah Bernhardt froh, endlich ins Hotel zu kommen.

Es gibt auch Bilder, die grundsätzlich nicht ausgeliehen werden. Für die wurde eine „Rote Liste“ angefertigt. Das „Liebespaar“ von Otto Müller etwa, wird wohl nie wieder etwas anderes sehen, als sein Gegenüber im Landesmuseum. Der Grund: Der Transport wäre wegen der porösen Leinwand zu gefährlich. Immerhin ist die freizügig bekleidete Dame samt ihrem Liebsten, der sein Gesicht in ihren Haaren vergräbt, bald 80 Jahre alt. Da reist man nicht mehr so ohne Weiteres unbeschadet in der Welt herum. „Der Materialschaden wäre da größer als der vermeintliche Nutzen“, so Ines Unger. Auch wenn es oft schwer fällt, dem Drängen nachzugeben, wenn es aus diplomatischen Gründen opportun wäre oder das Paar einem wichtigen Anlass beiwohnen könnte. Dann müssen die Fachfrauen Überzeugungsarbeit leisten und sich durchsetzen. Im Wiesbadener Landesmuseum ist ihnen das aber bisher immer geglückt.


Veröffentlicht in EXTRA - Monatsbeilage der Verlagsgruppe Rhein-Mainz

Montag, 17. November 2008

Bettina Geyer inszeniert Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ als knallbuntes Märchen

Engelbert Humperdinck könnte heute als treffsicherer Hitproduzent mit einem gesunden Sinn fürs Geschäft gelten. Doch auch schon zu seiner Zeit gelang ihm mit der Oper „Hänsel und Gretel“ der ganz große Wurf. Niemand Geringes als Richard Strauss leitete am 23. Dezember 1893 die Uraufführung in Weimar. Danach waren dem Komponisten Weltruhm und finanzielle Unabhängigkeit sicher. Wer kennt heute nicht den Text von „Brüderchen, komm tanz mit mir“, „Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh“ oder „Ein Männlein steht im Walde“. Die kleinen Stücke sind nachhaltig in das Kinderlieder-Repertoire eingegangen.

Das von Humperdinck vertonte populäre Märchen eignet sich wie kaum ein anderer Klassiker zur vorweihnachtlichen Umsetzung, das wissen wohl alle Theater dieser Republik. Das Staatstheater Darmstadt hat die Inszenierung in die Hände der jungen Regisseurin Bettina Geyer gelegt, die unter anderem im vergangenen Jahr mit Grigori Frids Mono-Oper „Anne Frank“ Fingerspitzengefühl und Talent für Zwischentöne bewiesen hatte. Hier aber konnte sie ihrer offensichtlich geradezu zügellosen Fantasie freie Bahn gewähren. Die Produktion ist ihr überaus spannend und farbenfroh gelungen. Großen Anteil daran hat auch Puppenspieler Lorenz Seib, der in der Waldszene märchenhafte Figuren im Schwarzlicht-Theater auffährt. Faszinierend sind seine Tiere und Gestalten, die sich immer wieder neu sortieren und zusammen setzen und damit eine beständige Faszination ausstrahlen.

Auch die Ausstattung von Fabian Lüdicke ist außergewöhnlich plastisch. Die Besenbinder-Familie lebt in einem Keller, das fehlende Mobiliar wird durch Kisten ersetzt, das Schlaflager befindet sich unter der Treppe. Nach dem Abendsegen bringen überdimensionale weiße Federn die Engelschaar, die aus sieben Teddys und sieben Puppen bestehen, den Beschützkuscheltieren der kindlichen Protagonisten. Später weckt ein knallbuntes Tipi die Neugier der Geschwister, die sie erst einmal in die Arme einer knallbonbonfarbenen Hexe treibt.

Auch musikalisch kann man höchst zufrieden aus dieser Produktion gehen. Lukas Beikirchner hat ein spielfreudiges und klanglich bestens eingestelltes Staatsorchester optimal im Griff. Als Gretel ist Aki Hashimoto nicht nur niedlich zurecht gemacht, sondern gefällt auch mit feiner gesanglicher Ausprägung. Niina Keitel ist als Hänsel eine Spur kantiger und kommt auch spielerisch mit der Rolle gut zurecht. Während Elisabeth Hornung als Mutter Gertrud sehr scharf intoniert, ist Oleksandr Prytolyuk ein beweglicher Besenbinder, hinzu kommt Katrin Gerstenberger als aufgedrehte Hexe mit vokal angenehmer Ausstattung.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Sonntag, 16. November 2008

Historische Ausstellung über "Entartete Musik" in Mainz eröffnet

Als „entartete Musik“ bezeichneten die Nationalsozialisten einst all die Klänge, die nicht in ihre von Rassenwahn bestimmten Vorstellungen passten. Werke jüdischer Komponisten wurden verboten, Musik von Schwarzen galt als verpönt. Eine Ausstellung zu den „Reichsmusiktagen“ 1938 sollte dokumentieren, was sich die braunen Machthaber unter „entartet“ vorstellten. Seit dem 17. Oktober zeigt die Stadt Mainz die von Albrecht Dümling und Peter Girth rekonstruierte und neu bearbeitete Ausstellung im Rathausfoyer. Das Musikwissenschaftliche Institut der Johannes Gutenberg-Universität veranstaltete nun zu diesem Thema eine öffentliche Fachtagung im Rathaus . Kooperationspartner war der Verein für Sozialgeschichte, unterstützt wurde das Unternehmen von den Freunden der Universität Mainz und der ProMusicaViva – Maria Strecker-Daelen Stiftung.

„Gerade angesichts des Umstands, dass die Ausstellung in wesentlichen Teilen von Musikwissenschaftlern konzipiert und durchgeführt wurde, sieht sich das akademische Fach Musikwissenschaft in der Verantwortung, deutlich Position zu beziehen“, hatten die Veranstalter ihr Engagement begründet. Schott-Geschäftsführer Peter Hanser-Strecker bekannte eine „persönliche Betroffenheit“ angesichts dieses Themas. Vor 10 Jahren war er im Lager Theresienstadt, wo seinerzeit viele unliebsame Komponisten eingesperrt waren und unter widrigsten Umständen kreativ waren. Seitdem habe er sich mit besondere Intensität um die Wiederherausgabe der Werke von Viktor Ullmann bemüht. Organisator Prof. Dr. Axel Beer nannete die nationalsozialiste Herrschaft die „mit Abstand übelste Zeit der jüngeren deutschen Geschichte“ und den „Wunsch nach Erkennen, Verstehen und Nachvollziehen können“ als Triebfeder für die kleine Tagung.

Zu den Referenten zählten Musikwissenschaftler und Historiker, darunter der stellvertretende Leiter des Stadtarchivs Mainz, Dr. Frank Teske, Prof. Dr. Anno Mungen von der Universität Bayreuth oder Dr. Sophie Fettauer von der Universität Hamburg, die am „Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit“ mitarbeitet. Das Themenspektrum spannte sich von der nationalsozialistischen Gleichschaltung, unter anderem am Beispiel der Mainzer Liedertafel bis hin zu den Strukturen der Musikpolitik im NS-Staat. Die Sozialarbeiterin Astrid Konter ging in ihrem Beitrag näher auf die Rolle von Hans Gál ein, der 1929 Direktor des Mainzer Konservatoriums wurde und das Land 1933 wegen seiner ungarisch-jüdischen Herkunft verlassen musste.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Freitag, 14. November 2008

HR-Sinfonieorchester mit russischem Programm in der Alten Oper

Ein mehr oder minder russisches Programm muss nicht einseitig sein. Den Beweis dafür trat nun das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Yakov Kreizberg in der Alten Oper Frankfurt an. Die Annahme, dass der in St. Petersburg geborene Dirigent qua Herkunft ein besonderes Händchen für diese Musik haben sollte, wäre arg kurz gegriffen und kann getrost bezweifelt werden. Seine Fähigkeit, ein großes Orchester für die ihm angetragene Musik derart zu begeistern, dass es mit einem ungeheuren Schwung und nahezu bahnbrechendem Enthusiasmus ans Werk geht, hat er in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Als Intendant der Komischen Oper Berlin hat er bis heute nachklingende Akzente gesetzt und sich seitdem als international gefragter Orchesterleiter etabliert.

Das Frankfurter Konzert begann er mit Peteris Vasks' „Cantabile archi“, das 1979 entstanden ist. Der lettische Komponist hat hier viel Energie und Emotionalität notiert, die ausschließlich mit Tönen der C-Dur-Tonleiter auskommen, ohne sich in das konventionelle Dur-Moll-Schema zu pressen. Das hr-Sinfonieorchester stellte luftig-immaterielle Momente und leichthin erblühende Passagen gegen eine blockartige Massivität, ohne dabei die Gegensätze bloß um ihrer selbst willen aufzufahren. Im Gegenteil – hier wurden sie konsequent und offensichtlich zwingend konsequent zueinander gestellt.

Auch in Peter Tschaikowskys Violinkonzert bewies das Orchester eine enorme atmosphärische Bandbreite. Arabella Steinbacher nahm sich eines der populärsten Konzerte ihres Fachs mit klinisch reiner Intonation, rasanten Läufen und blitzsauberen Trillern an, die eine wie mit Zirkel und Lineal gezogene Präzision aufwiesen. Gerade im ersten Satz sorgte vor allem das Orchester für die emotionalen Aspekte des Werks. Die Solistin zeigte sich einmal mehr als bestechend souveräne Musikerin, bei der klangliche Vollkommenheit und geschmeidiger Spielfluss oberste Priorität genießen. Raum für musikalische Reibungen blieb da wenig, nur manchmal brach ein radikalerer Strich wie ein Peitschenhieb aus diesem Konzept aus.

Die mitunter bizarr anmutende klangliche Vielschichtigkeit von Dimitri Schostakowitschs fünfter Sinfonie d-Moll op. 47 kam abschließend besonders klar zur Geltung. Kreitzberg und die hr-Musiker hatten sich dabei genau in die spätromantischen Anlehnungen des 1937 vollendeten Werks, hinein gearbeitet, aus denen heraus eine schier berstende Kraft entstand, neben der aber auch die verzweifelten Klänge ihren Platz fanden.

Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier

Mittwoch, 12. November 2008

Ehrgeiziges Projekt in der Künstlerkolonie Walkmühle

Provisorien nehmen mit der Zeit gerne die Eigenschaft an, besonders langlebig zu sein. Darum, dass der Walkmühle das Schicksal etwa der ewig vorüber gehenden Bundeshauptstadt Bonn erspart bleibt, kümmern sich Wulf Winkelmann, Christiane Erdmann und die fünf weiteren Mitglieder des Künstlervereins Walkmühle. Richtig gelesen, in diesem Verein gibt es bloß sieben Mitglieder. Sie schultern gemeinsam und verbindlich die Verantwortung für die Entwicklung und den Ausbau des Gebäude-Ensembles, in dem derzeit vier Künstler Platz zum Arbeiten gefunden haben. Ein Förderverein um diesen Mini-Verein herum sorgt für weitere Unterstützung. Dort sammelt sich auch Fachwissen, auf das die Macher gerne zurück greifen. Architekten, Juristen oder Steuerfachleute wurden bislang schon mehr als ein mal gebraucht.

Der heutige Verein ist das Ergebnis einer Fusion zweier Einrichtungen, die im April 2005 beschlossen, zusammen arbeiten zu wollen. Damals hatte es bereits seit vielen Jahren den Verein „Walkmühle e.V“. gegeben, dem es gelungen war, die Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen und damit den Abriss der städtischen Immobilie zu verhindern. Den zweiten Herkunfsstrang bildet der Verein „Kunst und Raum Wiesbaden e.V.“, in dem sich Wiesbadener Künstler zusammen geschlossen hatten, um geeignete Räumlichkeiten für die Arbeit aber auch für die Präsentation zu finden. Heute werden diese Interessen mit der Konzentration auf die Walkmühle gemeinsam vertreten.

Wer in die Ateliers oder den riesigen Veranstaltungsraum kommt, wird von einem Charme umgeben, der schwer zu beschreiben ist. Man sieht dem Gebäude von innen wie von außen an, dass seine Bedürfnisse über viele Jahre hinweg ignoriert wurden, eine Sanierung ist augenfällig. Auf der anderen Seite aber ist es den Künstlern gelungen, mit einem hohen Maß an Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Kreativität hier einen Ort zu schaffen, an dem man sich gerne aufhält. Aus allen Ecken strahlt der Wille zum Gestalten. Die Arbeitsbedingungen sind indes nicht optimal. Allein die sanitären Anlagen, berichtet Winckelmann, sind ein einziges Provisorium. Die Infrastruktur für Strom und Wasser, ergänzt Christiane Erdmann, musste in der Anfangsphase eigens neu installiert werden. Für die Zukunft hat sich der Verein ein funktionierendes Arbeits-, Wohn- und Veranstaltungszentrum mit etwa 50 Einheiten vorgenommen. Dafür stehen 5.000 überdachte Quadratmeter zur Verfügung.

Doch schon im Provisorium ist der Verein alles andere als untätig. 60 Veranstaltungen haben hier innerhalb der vergangenen fünf Jahre stattgefunden. Eine stolze Bilanz, wenn man bedenkt, dass alle Arbeit ehrenamtlich geleistet wird, die Hauptakteure als Künstler zudem gut im Geschäft sind. Sie stecken eine Menge Energie in die Rahmenbedingung für ihre Arbeit, die, so könnte man glauben, darunter leiden könnte. Doch weit gefehlt. „Da kommt auch viel zurück“, hat Winckelmann festgestellt. Durch die Beschäftigung mit dem Raum und den Ideen, die ihn füllen, entstehen neue kreative Impulse. Vielleicht nicht gerade dann, wenn Ausgabenbelege geprüft und Anträge gestellt werden. Aber im Miteinander der Akteure, die alle auf ein Ziel hin arbeiten.

Unterstützung seitens der Stadt hatten sie schon immer. Die damalige Stadtverordnete und heutige Schuldezernentin Roselore Scholz hatte den Verein „Kunst und Raum“ auf die Fährte Richtung Walkmühle gebracht, der damalige Kämmerer und heutige Oberbürgermeister Helmut Müller die ersten Verhandlungen mit dem möglichen Betreiber geführt. Gerne würde der Verein heute ein Erbpacht-Verhältnis mit dem Eigentümer eingehen, doch bis dahin müssen noch einige grundlegende Voraussetzungen geschaffen werden. Die Walkmüller sind der Überzeugung, dass ihre Arbeit auch der Stadt und ihrer Wirkung nach außen zugute kommt. Schon jetzt strömen angesehene Künstler aus der gesamten Republik herbei, wenn die Walkmühle zur Schwerpunkt-Ausstellung einlädt. Vernissagen mit 300 Besuchern sucht man außerhalb der Mauern des Ausnahme-Vereins wohl auch selten. Darüber hinaus verstehen sich Winckelmann, Erdmann und Kollegen als Ansprechparter auch für Projekte, die über die Disziplin der Bildenden Kunst hinaus gehen. Ausrichter von Konzerten, Lesungen und anderen Veranstaltungen haben hier bereits eine Bühne gefunden.

Die daraus resultierende Funktion einer Heimstadt, in diesem Fall für die Kultur, hat übrigens Tradition an diesem Ort. 1737 war die Walkmühle am Bornhofenweg von Pfarrer Egidius Günther Hellmund als Waisenhaus mit Werkstätten gebaut worden. Die Mietzahlungen der Seiler, Schlosser und Schmiede, die das Hauptgebäude nutzten, wurden für die Waisen verwendet. Und auch diese Mischkalkulation ist Bestandteil des aktuellen Konzepts. Denn darin ist nicht nur die Einbindung von Künstlern vorgesehen, auch Gewerbetreibende sollen zukünftig die Walkmühle beleben. Dann wäre das Nebeneinander von Kunst und Gewerbe, bezahlbarem Wohn- und Arbeitsraum möglich.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt
Foto: http://www.walkmuehle.net/Pictures/WalkmuehleInfo/Historie2.jpg

Sonntag, 9. November 2008

Am Wiesbadener Staatstheater inszeniert Iris Gerath-Prein das Musical „My fair Lady“ von Frederick Loewe

Vielleicht ist das ja eine männliche Urfantasie. Eine Frau nach den eigenen Vorstellungen zu formen, zu unterwerfen und ihr in allen Lebenslagen überlegen zu sein. Für Professor Higgins in „My Fair Lady“, dem Musical von Frederick Loewe, könnte diese Vorstellung jedenfalls Realität werden, er ist zumindest auf bestem Wege dorthin. Aus dem Blumenmädchen Eliza will er eine Herzogin machen. Ein Unterfangen, das angesichts der rüden Manieren und der bestenfalls rudimentären Kenntnisse der Hochsprache recht gewagt scheinen. Eine Wette mit Oberst Pickering weckt den Jagdinstinkt in dem eingefleischten Junggesellen mit deutlichen Chauvi-Allüren.

Am Wiesbadener Staatstheater hat nun Iris Gerath-Prein versucht, der leicht angestaubten, aber doch immer wieder amüsanten Geschichte neues Leben einzuhauchen. Ihr Blumenmädchen ist eine Gassengöre in Ledermontur und mit etwas verratztem Umfeld, das dermaßen gezwungen auf jugendlich getrimmt ist, dass es jedem Beobachter unter 30 die Schamesröte ins Gesicht treibt. Aufgedreht, doch wenig originell springt das vermeintlich coole Jungvolk über die leere Bühne und ätzt bemüht gegen das Establishment in Gestalt von Oberst und Professor. Das nun wieder findet zumindest Higgins „entzückend ordinär und schauerlich schmutzig“ und packt das Blumenlädchen auch weiterhin nicht mit Glacéhandschuhen an.

Später wird es etwas glaubhafter, wenn sich in der schicken Loftbehausung des Phonetik-Professors Erziehungsmethoden aus der Steinzeit der Pädagogik abspielen. Ein hübsch affektierter Ascot-Chor bekommt im akkurat getrimmten Gestrüpp die ersten Gehversuche des mutierenden Fräulleinwunders mit und Mutter Higgins, die mit dem staubtrockenen Humor, findet Gefallen an dem Forschungsobjekt ihres Sohnes. Schon bald lässt die Regisseurin durchblicken, wie sehr sich der Professor nicht nur an das Gesicht des Ex-Punks gewöhnt hat. In einer bizarren Vampir-Mischpoke besteht Eliza schließlich die Abschlussprüfung und entdeckt dabei auch ihr Selbstbewusstsein und die Kraft, ihren Doktor Frankenstein zu verlassen, dem dann erst bewusst wird, dass er sich verliebt hat.

Das Stück lebt in Wiesbaden vor allem durch die Spielfreude seiner Darsteller. Dirk Schäfer gibt den Higgins als eklig arroganten Kerl, dessen Umgangsformen immer mehr zu wünschen übrig lassen. Erst in den letzten Minuten wird ihm sein Dilemma klar, wofür er dann auch mit dem Happy End belohnt wird. Annette Luig verzaubert das berlinernde Blumenmädchen perfekt in eine Dame von Welt, die aber immer wieder ihre Wurzeln erkennen lässt. Die Wandlungsfähigkeit dieser Künstlerin ist jedenfalls enorm. Oberst Pickering wird von Wolfgang Vater souverän und bestechend korrekt verkörpert. Zu all dem steuert das Staatsorchester unter Leitung von Uwe Sochaczewsky eine fröhliche Kirmesmusik bei und treibt das Geschehen fröhlich vor sich her.

Veröffentlicht in der Frankfuter Neuen Presse

Donnerstag, 6. November 2008

Danny Bober singt die Geschichte des jüdischen Volkes

Als Dany Bober zu singen anfängt, wird es in dem großen Raum, der in der Carl-von-Ossietzky-Schule „Info“ genannt wird, ganz ruhig. Vorher haben die Schülerinnen und Schüler noch herum gealbert, wie man das eben so zu Beginn einer Schulstunde macht. Auch die Worte des Schulleiters Helmut Nehrbaß waren noch von ein wenig Unruhe begleitet. Er fasst sich kurz und spricht darüber, dass im Frühling ein Schüler-Austausch mit Israel stattfinden wird und betont die „freundschaftlichen, normalen Kontakte zwischen den Jugendlichen“.

Doch dann fordert der kleine Mann mit schwarzer Kappe und Gitarre Aufmerksamkeit, ohne dafür etwas anderes tun zu müssen, als zu singen und zu spielen. Dabei ist sein Auftritt alles andere als das, was man in den letzten Jahren vor dem Abitur als Popkultur bezeichnen würde. Dany Bober führt eher unspektakulär in alter Liedermacher-Manier durch die Geschichte des jüdischen Volkes, die seine eigene ist. Er wurde wurde als sechstes Kind einer deutsch-jüdischen Familie geboren, die rechtzeitig vor der Reichspogromnacht aus Deutschland nach Palästina ausgereist war. Er erlebte die ersten Jahre des Staates Israel, ging dort zwei Jahre in die Volksschule und kann deshalb noch ganz gut Hebräisch. „Wenn ich eine Woche in Israel bin, kann ich auch wieder die Nachrichten im Radio verstehen“, sagt er. Doch seit seiner Kindheit hat sich eine Menge verändert, so auch die Sprache.

Das Lied, mit dem er die Jugendlichen zum Schweigen gebracht hat, handelt vom „goldenen Jerusalem“, dessen Name dem Sänger auf den Lippen „brennt“. Ein Lied voller Sehnsucht in Text und Melodie, dazu die dezente, doch charakteristische Gittarenbegleitung. Dann beginnt Dany Bober zu erzählen. Was folgt, ist keine langweilige Geschichts-Stunde von jemandem, der sich etwas angelesen hat. Für Bober ist das, was er zu berichten hat, lebendige Vergangenheit. Er spricht vom König David, der tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung die Bundeslade nach Jerusalem gebracht hat und damit das Zentralheiligtum für die 12 Stämme Israels begründete, genau so spannend wie von seinem 55. Geburtstag, als ihm seine Mutter die Witze-Sammlung seines in den 1950er Jahren gestorbenen Vaters überreichte. Die gingen mitunter ordentlich unter die Gürtellinie. „Damals fand meine Mutter wohl, ich sei nun alt genug dafür“, grinst er.

Die Geschichte der Juden ist lang und voller Leid, das im Nationalsozialismus nicht erfunden wurde, wohl aber seinen katastrophalen Höhepunkt erreichte. Doch dieses Leid steht gar nicht so sehr im Zentrum dessen, was Danny Bober vermittelt. Witz und Humor, Schalk und Ironie blitzen in den melancholischen und auch in den heiteren Liedern auf. Aus seinen Worten kann man ganz banale Dinge lernen, nämlich dass manche unserer Alltagsbegriffe aus dem Jiddischen, jener Gemengelage aus Hebräisch, Mittelhochdeutsch und Slavisch stammt. Und dass wir diese Wörter heute noch kennen, weil die europäischen Juden vor den Kreuzrittern Schutz bei Räubern und Raubrittern fanden, die ihre Sprache für geheime Codes benutzen lernten. Doch Danny Bober spricht auch vom 4. Lateran-Konzil, in dessen Folge die jüdischen Ghettos schon im 13. Jahrhundert entstanden. Juden hatten sich damals zu kennzeichnen. Etwa mit einem gelben Stoff-Fetzen, der 800 Jahre später wieder kehren sollte.

Bober gehört zu der Generation deutscher Juden, die den Nationalsozialismus und seine Folgen noch unmittelbar oder mittelbar am eigenen Leid erlebt haben. Er hatte Glück, ebenso wie seine Eltern. Doch auch in seiner Umgebung klafften und klaffen Lücken, die nie mehr geschlossen werden können. Er hat einen Weg gefunden, auf eindringliche Weise vor Intoleranz und Diskriminierung zu warnen, indem er den Reichtum einer Kultur vermittelt, die so oft dem Untergang geweiht war und doch überlebt hat. Den erhobenen Zeigefinger bekommt an diesem Vormittag niemand zu sehen.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt

Samstag, 1. November 2008

Mit Jules Massenets Oper „Manon“ liefert Tatjana Gürbaca ihre dritte erfolgreiche Produktion am Staatstheater Mainz ab.

Sie gehört zu den meist gespielten französischen Opern weltweit, auf deutschen Bühnen ist sie dennoch nicht allzu oft zu erleben. Jules Massenet stolperte über den Stoff zu seiner Oper „Manon“ zufällig in der Bibliothek seines Librettisten Henri Meilhac. Als der das Interesse des Komponisten bemerkte, überreichte er ihm nur zwei Tage später die ersten zwei Akte der künftigen Oper. Die Uraufführung am 19. Januar 1884 in der Pariser Opéra-Comique wurde ein voller Erfolg. Auch die Mainzer Inszenierung von Tatjana Gürbaca kann als rundum gelungen betrachtet werden.

Ihr gelingt es, die in der Musik Massenets immer wieder skizzierte zerrüttete Gesellschaft, die sich so gern als elegant und charmant präsentiert, bloß zu stellen. Ihren Höhepunkt erreicht deren morbide Dekadenz, als die Regisseurin die Glücksspiel-Szene im vierten Akt als Russisches Roulette inszeniert. Mit der Leiche eines Verlierers wird dann ausgelassen getanzt. Irgendwie wirkt eine solche Szene nicht einmal besonders verstörend, sie reiht sich als Konsequenz recht unauffällig in die Geschichte ein.

Auch der permanente Sinneswandel der Titelfigur kommt kontrastreich zum Ausdruck. Aus dem Mauerblümchen wird eine gefeierte Kurtisane, die sich mit vorgeschobener Langeweile und aufgesetztem Luxusbedürfnis bestens in die Party-Gesellschaft eingefunden hat. Dennoch geht ihr der Verrat an ihrem nach wie vor geliebten Des Grieux nahe und sie gewinnt den Verlassenen, der kurz davor steht, die Priesterweihe zu empfangen zurück – nur, um wieder mit ihm zu spielen.

Das emotionale Auf und Ab wird von Ana Durlovski lebensnah verkörpert. Stimmlich kann sie bewährtermaßen mit brillanten Höhen überzeugen. Ihr zur Seite steht Sergio Blasquez in der Rolle des Chevalier Des Grieux. Der intensive und strahlende Tenor hat mittlerweile ein hohes Maß an spielerischer Beweglichkeit erlangt, so dass er den hin- und hergerissenen Liebhaber mühelos darstellt. Als Manons Cousin Lescaut ist der souveräne Patrick Pobeschin besetzt worden, dessen herausragenden musikalischen und überaus gewandten spielerischen Leistungen im Ensemble noch deutlich umfangreicher abgefragt werden sollten. Am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters steht Kapellmeister Thomas Dorsch, der den Klangkörper die Stimmungs-Umschwünge auf der Bühne bestechend präzise und atmosphärisch ausmalen lässt. Zudem mischt sich der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor engagiert in das Geschehen ein.

Weitere Aufführungen am 3. und 21. November, 5. Dezember und in 2009

Vorverkauf: 06131/2851-222 oder www.staatstheater-mainz.de


Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Dienstag, 28. Oktober 2008

Tatjana Gürbaca kommt zum dritten Mal nach Mainz - diesmal mit der Massenet-Oper "Manon"

Zum dritten mal hintereinander kommt Regisseurin Tatjana Gürbaca mit einer Opernproduktion an das Mainzer Staatstheater. Nach Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ und dem „Werther“ von Jules Massenet, steht nun „Manon“ auf dem Spielplan.

Dass es wieder Massenet geworden ist, freut die Regisseurin besonders. Sie findet, dass die französischen Opern ganz anders funktionieren als die italienischen, Massenet-Werke hätten darüber hinaus viel mit dem Schauspiel zu tun. Das reizt sie. Auch der zeitliche Abstand zwischen dem Erscheinen des Romans von Abbé de Prévost d'Exiles im Jahr 1731 und der Vollendung der Oper 1884 birgt interessante Aspekte. Nun liegen wieder über 120 Jahre zwischen Entstehung und Aufführung in Mainz. Die barocken Anklänge der Musik interessieren Tatjana Gürbaca, auch dass das Werk nicht allzu oft aufgeführt wird und mitunter als etwas süßlich verpönt wird, kann ihr Interesse nicht verringern.

„Die Handlung ist eigentlich sehr bitter“, überlegt die Theaterfrau. Denn Manon, die recht leichtlebig wirkt, ist hin- und hergerissen zwischen einem materiell abgesicherten Leben oder der Liebe. „Es geht hier auch darum, wie man seine Haut zu Markte tragen muss“, sagt Tatjana Gürbaca. „Liebe ist ein Luxus, den man sich nicht leisten kann“, analysiert sie die Situation der Protagonistin und sieht an Manon den Aufstieg und Fall eines jungen Mädchens, das an seinen Gefühlen scheitert, exerziert. Dieses Problem sieht Gürbaca als absolut zeitlos ans. Hinzu kommen die klaren Hierarchien in der von de Prévost gezeichneten Gesellschaft. Die Frauen sind in diesem System klar ganz unten angesiedelt. Sie haben nach Ansicht der Regisseurin zwei Möglichkeiten: Als Nonne ins Kloster gehen oder sich auf die eine oder andere Weise zu prostituieren.

All das geschieht vor der Kulisse von Paris als einem „Sehnsuchtsort, an dem alles möglich ist und wo auch das Böse seinen Platz hat“. In sechs kontrastreichen Bildern wird die Mainzer Inszenierung relativ zeitfrei ausfallen, „eher heutig“, wie es Gürbaca bezeichnet. Und die Polarisierung zwischen der Geldwelt und der Suche nach der letztlich unerfüllten Liebe wird klar erkennbar sein. „So lange wir jung sind, sollen wir unsere Gaben für die Karriere nutzen“, so lautet eine der Erkenntnisse in dem Stück. Ein Eindruck, den die Regisseurin auch aus der Gegenwart kennt.

Über die Besetzung hat sie sich sehr gefreut. Die Manon wird von Ana Durlovski gespielt, die bereits in ihrer „Lucia“ die Hauptrolle übernommen hatte. Sergio Blazquez, der den Chevalier Des Grieux übernimmt, war in allen bisherigen Gürbaca-Produktionen in Mainz dabei. Nun haben sie die Möglichkeit, auf bisherigen Vereinbarungen aufzubauen.

Karten für die Premiere am 31. Oktober sind noch erhältlich.

Weitere Aufführungen am 3. und 21. November, 5. Dezember und in 2009

Vorverkauf: 06131/2851-222 oder www.staatstheater-mainz.de


Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Sonntag, 26. Oktober 2008

Karin Neuhäuser entdeckt die „Fledermaus“ von Johann Strauß im Schauspiel Frankfurt neu

Ein beschaulicher Operetten-Abend war das ganz und gar nicht. Doch als einen Kulturschock hat es wohl wohl kaum jemand aufgefasst, wie Karin Neuhäuser am Schauspiel Frankfurt mit der guten alten „Fledermaus“ von Johann Strauß umgegangen ist. Der experimentierfreudigen Regisseurin und ihrem überaus engagierten und lustvoll aufspielenden Ensemble ist es gelungen, mit einer Mischung aus Trash-Musical, Revue und Operetten-Persiflage sowie einer gehörigen Portion Nonsens zu begeistern.

Die Filmsequenz zu Beginn macht deutlich, welche Schmach Dr. Falke (Matthias Redlhammer) erlitten hat. Sein Freund Gabriel von Eisenstein (Martin Butzke) hat ihn nach einer durchzechten Nacht nicht nur volltrunken, sondern auch im Batman-Kostüm auf einer Parkbank zurück gelassen, wo er am nächsten Morgen zum Gespött von Touristen und Geschäftsleuten wurde. Nun ist sein Moment der Rache, die „Rache der Fledermaus“ gekommen. Eisenstein muss für acht Tage ins Gefängnis und Falke inszeniert ihm eine rauschende Ballnacht mit anschließendem Kater samt Ehedrama und Identitätskrise. Doch die Geschichte ist ja bekannt.

Für Karin Neuhäuser ist die Vorlage ein Skelett, das sie genüsslich mit Fleisch füllt. Dafür dreht sie an allen Hebeln des Klamauks und der bitterbös beißenden Groteske. Susanne Buchenberger mimt eine aufgesetzt gelangweilte Rosalinde, die ihren Gatte später unerkannt als amerikanisches Sanges-Starlett umgarnt. Sandra Bayrhamme ist eine erstaunliche Verwandlungskünstlerin und gibt sowohl das devot-weinerliche Kammermädchen Adele sowie deren Wiedergängerin Olga, die sich mit frech-frivoler Kleinmädchen-Masche den Aufstieg sichert. Martin Butzke verliert sich als Eisenstein immer mehr im Rausch seiner Gier. Unvergleichlich sein französisches Rededuell mit seinem späteren Gefängnisdirektor Frank (Victor Calero), der eine im Asterix-, der andere im Obelix-Kostüm, beide bar jeder Sprachkenntnis. Stefko Hanushevsky ist ein überzogen-dekadenter Prinz Orlovsky im schwarzen Ballett-Röckchen und mit tapferem Falsett.

Es gehört zu den Verdiensten dieser einfach nur glänzend unterhaltsamen Inszenierung, das Original in Teilen durchaus ernst zu nehmen. So manche Melodie wird gerettet, mitunter sogar nahe an der Vorlage. Doch gleich danach rockt das Haus zuverlässig in bester Rocky-Horror-Manie. Running Gags wie ein ab und an durch die Szene platschender Frosch mit Luftballons oder die alten Muppet-Männer, die aus luftiger Höhe Robert Gernhardt zitieren und sich darüber kaputt lachen, halten das Tempo an keiner Stelle auf. Musikalisch wird das Stück von einem Salon-Sextett unter der Leitung von Matthias Flake, das sowohl den Wiener Schmäh als auch rotzigen Hardrock kann, voran getrieben.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Montag, 20. Oktober 2008

Weltmusik-Wettbewerb in Wiesbaden

Für Rita Thies ist Wiesbaden die geeignete Stadt und der Schlachthof der richtige Ort für einen Weltmusikwettbewerb. Dem konnte sich nun auch der Trägerkreis des Wettbewerbs „Creole“ anschließen, für dessen hessische Ausgabe die „Landesarbeitsgemeinschaft der Kulturinitiativen und soziokulturellen Zentren“ (LAKS) zuständig ist. Die Veranstaltung, zu der in Wiesbaden neun Bands erwartet werden, findet bereits zum zweiten Mal statt, allerdings erstmals in der Landeshauptstadt. Die Kulturdezernentin könnte sich gut vorstellen, das hessische Finale hier regelmäßig auszurichten. „Kultur setzt auf die Stärken von Verschiedenheit“, findet sie, gerade Vorbilder könnten Integration voran bringen helfen.

Ähnlicher Ansicht ist Bernd Hesse vom Trägerkreis. Sie seien der Frage nachgegangen, welche Kultur in einem Einwanderungsland entstehen könne, wenn sich die mitgebrachten Bestandteile begegnen. Er betont, die LAKS arbeite im „kulturpolitischen Raum“ und sei daher nicht einfach nur ein Veranstalter. „Wer Weltmusik definieren will, ist zum Scheitern verurteilt, sagt er aber auch. Den Beweis tritt das Final-Programm an, das Bands aus ganz unterschiedlichen Traditionen und Stilen hinter einander auf die Schlachthof-Bühne bringt. Ohne Partner aber, so Hesse, sei die Veranstaltung nicht möglich. Zu ihnen zählt auch der Schlachthof, der von den Lesern des Musikmagazins „Intro“ immerhin einmal zum „Live-Club des Jahres“ gewählt wurden.

Carsten Schack (KuK Schlachthof) sieht das hessische Weltmusiker-Finale als zusätzliches Angebot und Bereicherung für das eigene Programm. „Wir wollen unserem Publikum bewusst auch Konzerte anbieten, bei denen es darum geht, Horizonte zu öffnen und eine gewisse Reichhaltigkeit zu erleben“, betont er. Er hofft auf Publikumszuspruch auch aus dem erweiterten Einzugsgebiet. Das Budget besteht aus schmalen 30.000 Euro, davon hat das Kulturamt 9.000 übernommen. Der Rest kommt unter anderem von der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst sowie der evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck. Die Schirmherrschaft hat auch in diesem Jahr wieder die deutsche Unesco-Kommission übernommen.

  • Am Donnerstag, 23. Oktober treten die Kollaboration „Gochan Projekt & Diego Jascalevich“ mit Anden-Jazz, die Perkussion-Voice-Formation mit Wiesbadener Beteiligung „La Ritma“, das Edgar Knecht & Valsanova Projekt“ unter dem Titel „Volkslied goes World“, die Ethno-Jazzer von „stimmig“ mit dem Wiesbadener Kontrabassisten Jörg Mühlhaus und der Mainzer Vokalistin Silvia Sauer, die Balkan-Folk-Band „Sunce Jarko“ und „Katjas kleiner Bazar“ an. Letztere ist das aktuelle Projekt der früheren „200-Sachen“-Sängerin Katja Aujesky, die ebenfalls aus Wiesbaden stammt.
  • Den Folgetag bestreiten „sYn.de“ mit italienisch-orientalischem Trecento, „flavor of the week“ mit kreolischem Walzer, kubanischem Bolero und armenisch klingenden Eigenkompositionen so wie die HipHop-Oriental-Latin-Formation „el caes“. Die Gruppe „Tibet Blues“ musste kurzfristig absagen. Der Hessen-Sieger nimmt im September 2009 am Bundeswettbewerb in Berlin mit Aussicht auf ein Preisgeld von 2.000 Euro teil.

Die Konzerte beginnen jeweils um 20 Uhr, ein Tagesticket kostet im Vorverkauf 11 Euro, ein Kombitickent 20 Euro, jeweils plus Gebühren. Weiter Informationen: www.creole-weltmusik.de

Freitag, 17. Oktober 2008

Glucks Oper "La Semiramide" wird in Mainz als Zirkusnummer aufgeführt

Mainz kümmert sich um „Gottes starke Töchter“. Die Operntrilogie hat im vergangenen Jahr begonnen und wird in dieser Spielzeit mit einer echten Wiederentdeckung fortgeführt. Die Arbeitsstelle „Gluck-Gesamtausgabe“ der Mainzer Akademie der Wissenschaften hat in der Wiener Nationalbibliothek Abschriften einer bislang nicht bekannten Oper von Christoph Willibald Gluck entdeckt. Das Werk war zum Geburtstag von Kaiserin Maria Theresia von Österreich im Jahr 1748 entstanden und damals 27 Mal hintereinander aufgeführt – anschließend verschwand sie ohne Wiederaufführung. Am Mainzer Staatstheater wurde „La Semiramide riconosciuta“ in Zusammenarbeit mit der Mainzer Musikhochschule und der internationalen Sommerschule „Singing Summer“ auf die Bühne des Kleinen Hauses gebracht.

Die Oper erzählt die Geschichte der babylonischen Königin Semiramis, die ihren Gatten ermordet hat und in Männerkleidern regiert. Um die Hand ihrer Tochter Tamiri bewerben sich die Prinzen Mirteo, Ircano und Scitale. Fast jede der handelnden Figuren ist durch ihre Vorgeschichte mit einer anderen mehr oder minder unheilvoll verknüpft. Mirteo ist Semiramides unerkannter Bruder. Scitale war einst unter anderem Namen ihr Geliebter, der sie in Folge einer Intrige ihres Vertrauten Sibari, der sie ebenfalls liebt, glaubt, sie ermordet zu haben. Lediglich Ircano hat mit all dem wenig zu tun – zum Ziel kommt er dennoch nicht.

Regisseur Peer Boysen, der auch für Bühne und Kostüme verantwortlich ist, hat einen bunten Zirkus gezaubert, in dem die Protagonisten in orientalisch anmutender Bekleidung muntere Vorstellungen geben oder proben. Mal bizarr überzogen, mal verblüffend filmrealistisch findet eine permanente Interaktion statt, die immer neu fesselt. Besonders spannend ist das ständige Auflösen tradierter Geschlechter-Rollen, die sich in dem Barock-Zirkus geradezu aufdrängen. Nicht nur Semiramide hat in dieser Betrachtung Einiges in Bezug auf ihr Innerstes aufzuklären.

Musikalisch ist die Oper optimal umgesetzt worden. Anne Catherine Wagner changiert in der Rolle der Semiramide geschickt zwischen mitfühlender, oft leidenschaftlicher Wärme und beherrschender Stärke. Prinzessin Tamiri kann Alexandra Samouilidou mit einer ansprechenden Mischung aus koketter Niedlichkeit und intensiv einprägsamer Stimmgebung überzeugen. Mirteo wird von Daniel Jenz sängerisch geradezu aristokratisch feingliedrig modelliert, Jasmin Etezadzadeh ist als hunnenartiger Skythen-Prinz Ircano kernig und souverän. Dmitry Egorov besticht in der Altus-Partie des Scitalce überaus wendig und enorm koloraturensicher. Almererija Delic übernimmt die Rolle des raubtierhaft wendigen Sibari mit großer spielerischer und klanglicher Plastizität. Unter Leitung von Michael Millar überzeugt das Orchester mit silbrig-fahlem Barock-Klang und einer behutsamen Rezitativ-Begleitung.

Weitere Aufführungen finden am 26. Oktober, 2. und 12 November sowie 10., 16., 23. und 30. Dezember statt.

Weitere Informationen: www.staatstheater-mainz.de, Karten unter 2851-222


Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse und im Main-Echo (Aschaffenburg)

Dienstag, 14. Oktober 2008

Gluck-Oper "La Semiramide" von Christoph Willibald Gluck wird nach 250 Jahren in Mainz wieder aufgeführt

Die Geschichte hat den Hintergrund einer „Tatort“-Folge. Semiramis hat ihren Mann Nino, König von Babylon ermordet und hat seine Stelle eingenommen. Sie hat sich so gut getarnt, dass alle Welt denkt, sie sei er. Unerkannt leitet sie die Brautwerbung um ihre Tochter, Prinzessin Tamiri ein und begutachtet drei Erfolg versprechende Bewerber. Mireto ist Semiramis' Bruder, Scitalce einer ihrer ehemaligen Geliebten, der sie im Gegensatz zum Bruder erkennt. Dritter im Bunde ist Ircano. Intrigenwirtschaft politischer wie höchst privater Natur ist vorprogrammiert.

Die Oper „La Semiramide“ von Christoph Willibald Gluck nach einem Libretto von Pietro Metastasio wurde vor 250 Jahren zur Eröffnung des Wiener Burgtheaters uraufgeführt und verschwand danach in der Versenkung. Vor einigen Jahren entdeckten Gluck-Forscher die Oper wieder und forcierten den Druck der Partitur. Nun stehen auch die Einzelstimmen zur Verfügung, so dass wieder an eine Aufführung gedacht werden kann. Am Mainzer Staatstheater kann dieses Ereignis dank einer Kooperation zwischen Bühne, Forschung und Lehre gefeiert werden. Die Arbeitsstelle „Gluck Gesamtausgabe“ an der Mainzer Akademie für Wissenschaft und Literatur, die für die Neuedition der Werke Glucks verantwortlich ist, lieferte das Fundament, die Mainzer Musikhochschule die Akteure, das Staatstheater Raum, Knowhow und professionelle Arbeitsbedingungen.

Außerdem hat mit Kapellmeister Michael Millard ein versierter Kenner der Epoche die musikalische Leitung übernommen. Als Regisseur wurde Peer Boysen gewonnen, der an renommierten Häusern, wie der Dresdner Semperoper, dem Gärtnerplatztheater in München oder dem Theater an der Wien tätig war. Außerdem inszenierte er für die Händel-Festspiele in Karlsruhe und die Ludwigsburger Schlossfestspiele. In Mainz waren zuletzt seine Inszenierungen von Verdis „Don Carlos“ und Webers „Freischütz“ zu sehen.

Der Regisseur kann sich geradezu verliebt über die musikalische Struktur und deren Untiefen äußern, mit denen er es bei Glucks Oper zu tun hat. Und er lobt die „Vitalität und das Direkte“ seiner Sänger. „Hier ist alles über Phantasie und Autosuggestion gegangen“, schwärmt er. Mit routinierten Bühnenprofis hätte das so nicht funktioniert, ist er überzeugt. Die Studierenden seien „offen, ernsthaft und vom Theater noch nicht korrumpiert“, findet er und Millard ergänzt aus musikalischer Sicht, dass die jungen Sänger „sehr formbar und voller Energie“ sind. So kann Boysen die verschiedenen Charaktere „aberwitzig aufeinanderprallen“ lassen. Auch von der Kooperation kann er nur Gutes berichten. „Ich finde, das müsste sich jedes Theater leisten können“, betont er.

Für die Premiere am 16. Oktober um 19.30 Uhr im Kleinen Haus sind noch Restkarten erhältlich.

Weitere Aufführungen finden am 26. Oktober, 2. und 12 November sowie 10., 16., 23. und 30. Dezember statt.

Weitere Informationen: www.staatstheater-mainz.de, Karten unter 2851-222

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung
Foto: http://www.hberlioz.com/Photos/Gluck1.jpg

Montag, 13. Oktober 2008

John Dew geht in seiner „Meistersinger“-Inszenierung am Staatstheater Darmstadt keine Risiken ein

Als der 22-jährige Richard Wagner im Sommer 1835 bei einem Verwandtenbesuch in Nürnberg eine nächtliche Straßenprügelei beobachtete, war das für ihn wie Musik. Zumindest so ähnlich. Immerhin nahm er die Begebenheit als Anregung für die Prügelszene im zweiten Akt seiner „Meistersinger von Nürnberg“ mit. Nach dem düsteren „Tannhäuser“ steht dieses Werk, das natürlich nur in epischer Breite verhandelt werden konnte, in krassem Gegensatz zu seinem Vorgänger. Wer in der bunten Geschichte nach den ansonsten bei Wagner um jede Ecke lugenden symbolträchtigen Monumente sucht, wird in der Regel enttäuscht. Auch John Dew verschwendete in seiner Inszenierung am Darmstädter Staatstheater keine Kraft an etwaige Deutungsversuche. Es läge natürlich Nahe, den unverstandenen Reformer Walther von Stolzing, der mit recht extravaganten Methoden versucht, bei den Meistern Eindruck zu schinden, als ein Alter ego des „Genius Wagner“ zu betrachten, doch das wäre müßige Spekulation.

Also findet in Darmstadt eine muntere Posse statt, in der einzelne Figuren als sanfte Karikaturen bürgerlicher Typen behandelt werden und selbst auch so agieren. Da ist Veit Pogner, der seine Tochter dem Sieger des Sängerwettstreits versprechen will, aber irgendwie schon reale Zweifel hegt, ob die junge Dame das überhaupt mitmachen möchte. Hans Sachs ist zunächst der besonnene Mahner, der auch ein Ohr für Neutönerisches hat, später aber wie alle noch seine eigenen Triebe bezwingen muss. Und Beckmesser gibt den Archetyp des Mittelmaßes, das sich in der Regel durchsetzt, weil es meist zur rechten Zeit am rechten Ort auftaucht. Der risikofreien Regie stellt Heinz Balthes ein ebenso problemloses Bühnenbild zur Seite. Zwischen autographen Partiturzeilen findet das Schauspiel inmitten gefälliger Dekoration seinen Gang, zum Schluss bekommt man noch die deutschen „Klassiker“ Goethe, Schiller und Beethoven plakativ unter die Nase gerieben.

Musikalisch aber findet hier ein kleiner Exzellenz-Marathon statt. Da ist zunächst das Orchester unter der Leitung von Constantin Trinks, das erst tapfer und später immer vitaler das dichte Wagner'sche Dickicht durchkämmt. Mit großem Vergnügen loten die Musiker heiteren Witz und beißenden Spott aus. Auch der Chor, einstudiert von André Weiss, wirkt gleichermaßen satt und agil, insbesondere das Dutzend Lehrbuben besticht durch seine flinken Einsätze. Den Veit Pogner gibt Andreas Daum mit kernig, edlem Grundton, Ralf Lukas (Hans Sachs) strahlt beständig überlegene Ruhe aus und überzeugt auch in nachdenklichen Momenten. Herbert Lippert gestaltet Walther von Stolzing jugendlich-hell und strahlend, Sixtus Beckmesser erhält von Gerd Vogel scharf gezeichnete Konturen verliehen. Anja Vincken kann sich in der Männeroper als Eva, um die sich eigentlich alles dreht, mühelos behaupten. Vor allem als anregende Erzählerin bleibt sie bestens in Erinnerung.

Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse

Dienstag, 7. Oktober 2008

Kein Bett im Kornfeld für Werther in Konstanze Lauterbachs Wiesbadener Deutung der gleichnamigen Oper von Jules Massenet

Auch das größte Leid hat irgendwann einmal ein Ende – und sei es, dass die Selbsttötung diesen Zustand verkürzt. Das Leiden des jungen Werther hat Generationen über Jahrhunderte hinweg beeindruckt, Goethes Briefroman hat nach Veröffentlichung sogar eine kleine Suizid-Welle provoziert. Jules Massenets Werther in der gleichnamigen Oper quält sich und seine angebetete Charlotte über bald drei Stunden hindurch mit seiner Obsession, bis er schließlich die Pistolen des Rivalen Albert in die Finger bekommt und sich erschießt. Zu spät – oder vielleicht auch unter dem Druck der Ereignisse – erkennt die Begehrte, dass sie mehr als nur Zuneigung für den Schwärmer empfindet.

Weil all das heute ein wenig überzeichnet wirkt, braucht es vielleicht umso buntere Bilder, um das Thema auf der Bühne zu transportieren. Diese hat Konstanze Lauterbach nun in Wiesbaden gefunden. Werther fällt in eine Familie ein, die trotz des frühen Todes der Mutter höchst intakt scheint und dem Träumer als vollkommenes Idyll erscheinen mag. Weltfern und entzückt bestaunt er das Treiben im Kornfeld (Bühne: Andreas Jander), in dem aber nie ein Bett für ihn stehen wird. Das ist schon nach wenigen Momenten klar, dennoch braucht es die Verbannung, zahlreiche schmachtende Briefe und eine Wiederkehr mit endgültigem emotionalem Absturz, um Werther die Situation begreiflich zu machen.

In Wiesbaden ist diese Entwicklung, die nie wirklich eine ist, mit viel Aufwand und großem persönlichen Einsatz der Sängerinnen und Sänger transportiert. Doch allein Ute Döring vermag als Charlotte in Gänze zu überzeugen. Empfindsam und warm zeichnet sie die Figur nach, die mal will und mal nicht kann. Die Künstlerin tritt weit hinter den Charakter und gibt sich ihrem Schmerz in einem enormen Ausmaß derart körperlich spürbar hin, dass man unwillkürlichen Zorn auf den Egomanen Werther verspürt. Der wird von Martin Homrich sehr intensiv gesungen, mitunter etwas hölzern dargestellt. Thomas de Vries ist sicher und geradlinig als Albert zu erleben, Axel Wagner gibt den bodenständigen Familienvater Le Bailli. 

Ein bereichernder Kunstgriff ist die Einführung der Natur in Gestalt der Tänzerin Nadja Kalenderyan, die zu einer Art Projektionsfläche für Werthers Träumereien dient und nach der letzten Trennung vor dem Tod auch tatsächlich Trauer trägt. Wolgang Ott leitet das Staatsorchester wendig und mit teilweise üppigem Überschwang, der bestens ins Konzept passt.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse
Foto: http://www.kerber-net.de/literatur/deutsch/drama/goethe/personen/kaulbach_werther.jpe

Montag, 6. Oktober 2008

Alex Harbs' „Fidelio“-Inszenierung an der Frankfurter Oper ist immer noch gelb und endet im trauten Familienglück

Am Ende ist alles gut und schön. Florestan und Leonore haben sich wieder, es lockt das traute Eigenheim, das sie wohl samt geliehenen Kindern und Eltern beziehen wollen. Das zumindest legen die Schlussminuten in Alex Harbs Inszenierung von Ludwig van Beethovens Oper „Fidelio“ nahe. Nur vier Monate nach der Premiere in der vergangenen Spielzeit wurde das Stück nun wieder aufgenommen. Beethovens einzige Oper lässt das heftige Bedauern aufflammen, dass er nur sie hinterlassen hat. Wie selten erlebt man hier das gelungene Zusammenspiel von Solisten, Ensemble, Chor und Orchester - die Skizzierung der Protagonisten und deren Zugehörigkeiten könnte kaum treffender vorgenommen werden. In der quietschgelben Kulisse des Regisseurs, der seinerzeit für die erkrankte Christine Paulhofer übernommen hatte, lässt sich der Kampf Leonores um ihren eingekerkerten Florestan unverbaut nachvollziehen. Gabriela Fontana legt die Rolle der Gattin im Kleid eines Mannes zunächst etwas herb an, um immer mehr auch im Anzug weichere Züge preis zu geben. Beeindruckend kraftvoll und kernig kommt Terje Stensvold als Bösewicht Don Pizarro daher, der gutmütige Kerkermeister Rocco wird von Gregory Frank robust und rustikal vermittelt. Richard Cox ist selbst offensichtlich mit seiner Leistung in der Rolle des Florestan unzufrieden, allzu oft entwischt er der Leitung des ansonsten stets souverän waltenden Generalmusikdirektors Sebastian Weigle. Besonders vielseitig präsentierte sich auch der Chor, der in diesem Stück einmal zeigen kann, was in ihm steckt. Atmosphärisch voran gebracht wird die Oper ganz wesentlich aus dem Orchestergraben heraus.

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Sonntag, 5. Oktober 2008

Die „Wise Guy“ sind die Jungs von nebenan und begeistern wieder mal in der Frankfurter Alten Oper.

Eines unterscheidet die „Wise Guys“ deutlich von anderen Boybands. Es ist nicht nur so, dass sie mehrstimmig singen können, sie brauchen dazu nicht einmal Instrumente von anonymen Studiomusikern. Während man bei Casting-Shows der falsche Eindruck vermittelt bekommt, eine Band bestünde nur aus singenden Köpfen, zeigt das Kölner Quintett, dass das wirklich gehen kann. Es war der letzte Frankfurt-Besuch der Herrenrunde in dieser Besetzung, denn der Physiker Clemens Tewinkel will es nun mit seinem bürgerlichen Beruf versuchen. Auf der Bühne wird ihm daher entsprechend mehr Raum gewährt, die Fans feiern ihn mit ohrenbetäubender Begeisterung. Es ist die bewährte Mischung aus harmonischen Arrangements, durchsetzt von manch origineller Wendung und freundlichen Balladen. Die Texte sind innerhalb der vergangenen 13 Jahre zahmer geworden, die bissige Ironie der Anfangsjahre sind der Familienfreundlichkeit à la „Sonnenschein“ gewichen. Musikalisch genügen aber auch die Titel auf der aktuellen CD „Frei“ höchsten Ansprüchen. Mit dem „Seemann“ gibt’s „Walzerbeat“ auf die Ohren, bei „Alles in die Luft“ fetzen unbarmerzige Disko-Rhythmen durch die Halle, mit der „Deutschlehrerin“ knüpfen die „Wise Gusy“ dann doch ein wenig an frühere Bissigkeiten an. Ein klangliches und szenisches Meisterwerk ist ihnen mit der „Thriller“-Adaption von Michael Jackson gelungen. Hier schlagen die fünf Herren mit kaltschnäutziger Selbstverständlichkeit die Brücke von der „Bürgschaft“ zum „Moon Walk“. 

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Foto: http://www.wiseguys.de/images/galerie_images/2006-05-27-Tanzbrunnen/037.jpg

Freitag, 26. September 2008

Das hr-Sinfonieorchester beim „Jungen Konzert“ in der Alten Oper unter Leitung von Paavo Järvi mit Werken von Haydn, Brahms und Eduard Tubin

Das Programm ist lang und fordert von seinen Zuhörern unbedingte Aufmerksamkeit. Vom nicht zu unterbindenden Applaus zwischen den Sätzen abgesehen, zeigte sich Frankfurts Jugend an diesem Abend fast vorbildlich. Und das, obwohl die reine Spielzeit fast zwei Stunden betrug. In Joseph Haydns Sinfonie Nr. 82 „Der Bär“ gefiel das Orchester mit einem luftig, angenehm federleichten Kopfsatz, dem es zudem nie an Bodenhaftung fehlte. Im finalen Vivace standen aufschreiende hohe Streicher neben aufgeregt plapperndem Holz und den bordun-gemütlichen Celli und Kontrabässen in farbig markiertem Kontrast. Nicholas Angelich bewies im zweiten Klavierkonzert von Johannes Brahms seine Formulierungskünste, ließ aus scheinbar gefälligem Parlando im zweiten Satz eine unerwartete Tiefe erwachsen. Souverän durchpflügte er das dichte Material und nutzte seine technische Überlegenheit um die Vielfalt des Stückes großzügig heraus zu arbeiten. Schließlich überraschte die 1946 entstandene fünfte Sinfonie des hier gänzlich unbekannten estnischen Komponisten Eduard Tubin durch seine rauschhafte Klangsprache. Mit seiner undiplomatischen Opulenz und einer pulsierenden Rastlosigkeit ist es eine bislang noch unentdeckte Bereicherung des Repertoires.  

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Dienstag, 23. September 2008

Heinz Rudolf Kunze und Purple Schulz machen "gemeinsame Sache"

Ob da zusammen gewachsen ist, was zusammen gehört, bleibt sicherlich Geschmacksache. Auf jeden Fall boten die vier Jungs auf der Bühne des Rüsselsheimer Stadttheaters gute Unterhaltung. „Gemeinsame Sache“ heißt das Projekt, mit dem Heinz Rudolf Kunze und Purple Schulz durch die Lande reisen. Und weil's im Duo auf Dauer zu einsam wäre, kommen mit Wolfgang Stute und Josef Piek zwei mindestens genauso profilierte, wenn auch weitaus weniger bekannte Musiker dazu. Vielleicht dienen sie auch ein wenig als Pufferzone für die beiden Primadonnen, die sich auf der Bühne gerne einmal den einen oder anderen verbalen Knuff verabreichen.

Der geradlinige Deutschrocker Kunze und der eher im Schlagergrenzbereich fischende Popmusiker Purple Schulz scheinen auf den ersten Blick nur wenige Schnittmengen zu besitzen. Doch so brav nebeneinander aufgereiht wie auf der Rüsselsheimer Bühne machen sie gute Miene zum offensichtlich dann doch gemeinsam gewollten Spiel. Dass der eine des anderen Statisten sein muss, damit kommt Heinz Rudolf Kunze deutlich besser zurecht. Während dem Kollegen die Aufmerksamkeit gebührt, hält er sich zuverlässig klampfend zurück. Purple Schulz hingegen versucht, ähnlich wie ein vernachlässigter Schuljunge, die Blicke der Zuschauer mit allerlei Mätzchen hinter seinem Keyboard auf sich zu ziehen.

Musikalisch nimmt sich das Ganze wie ein bunter Strauß aus dem Kräutergarten der beiden altgedienten Deutschmusiker aus. Mit dem Titel „Über 30“, den Schulz 1997 auf Platte gepresst hat, blickt der bald 52-Jährige kokett auf die Zeit zurück, in der er „die Welt verändern“ wollte. Kerzengeradeaus rockig gibt das Quartett den 1990er-Hit „Du hast mir gerade noch gefehlt“ zum Besten, aus seiner Anfangszeit gibt’s „Kleine Seen“ im Duett mit Heinz Rudolf Kunze zu hören. Die tatsächlich sich einstellende verträumte Atmosphäre zerstören sich die beiden allerdings selbst durch ein paar ungeschickt platzierte Albernheiten.

Die raue Lässigkeit von Heinz Rudolf Kunze wirkt komplett unverfälscht. Sowohl sein kernig-lässiges Kinks-Cover „Lola“ aus dem Jahr 1984 als auch der zwei Jahre später veröffentlichte Kult-Hit „Finden Sie Mabel“ funktionieren einwandfrei. Auch bei etwas unbekannteren Titeln, in denen er von „eigenen Wegen“ singt oder sich bundesweit „steckbrieflich gesucht“ fühlt – ein ganz normaler Verfolgungswahn, wenn man 200 Tage im Jahr auf Tour ist –, trifft er mit seiner rauen Geradlinigkeit genau den Nerv seiner Fans. Selbst dann, wenn er in einer Referenz an Johnny Cash glaubt, es ginge zu Ende mit ihm. Was natürlich nicht stimmt, dazu hat er noch viel zu viel Energie und musikalische wie textliche Einfälle en masse sowieso.

Der „gemütliche Herrenabend“, wie ihn Kunze nennt, ist zu einem lockeren Familientreffen geworden, zu dem sich vier durchaus unterschiedliche, aber zeitweise durchaus kompatible Musiker zusammen gefunden haben, um eine Weile, jeder auf seine Art, Spaß miteinander zu haben und daran das Publikum teilhaben zu lassen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.


Veröffentlicht in der Main-Spitze

Sonntag, 21. September 2008

Patricia Kopatchinskaja setzt mit Bartoks Violinkonzert Nr. 2 in Mainz Maßstäbe

Wer die Interpretationen von Patricia Kopatchinskaja kennt, dem wird es zukünftig schwer, sich mit anderen Annäherungen zufrieden zu geben. Im vergangenen Jahr war es Schumanns Violinkonzert, mit dem sie im Mainzer Staatstheater Maßstäbe gesetzt hat, ihre Beethoven-Interpretation vor zwei Jahren in Frankfurt ist jedem unvergessen, der sie gehört hat. Nun eröffnete sie gemeinsam mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz die Saison der Meisterkonzerte in der Rheingoldhalle. Dafür hatte sie sich das Violinkonzert Nr. 2 Sz 112 von Béla Bartók ausgesucht, wahrlich kein Werk, das den Ohren schmeichelt.

Gerade hier aber gelingt es der Fachfrau für Gegenwarts-Musik, die Spannungen eines Werkes zu erspüren, das vor 70 Jahren an der Grenze zwischen den Stilen einen ganz eigenen Weg einschlug. Den Kopfsatz nimmt sie mit rasendem Eifer, das man Angst bekommt, sie könne die Bremse nicht rechtzeitig finden. Doch bei allem Enthusiasmus und aller Leidenschaft weiß sie ganz genau, was sie sich und dem Stück zutrauen kann. Mit einer geradezu urwüchsigen Musikalität, die durch eine ungeheure Disziplin veredelt wird, widmet sie sich einer Interpretation, der ein Höchstmaß an Impulsivität inne wohnt. Die wenige Gelegenheiten, die sich zum sinnlichen Schwelgen anbieten, nutzt sie weidlich aus, daneben stehen im Blindflug durchfegte Doppelgriff-Passagen.

Fahl und unwirklich steigt sie in den langsamen Satz ein, gibt ihm zunehmend Substanz. Klanglich scheint sie keinerlei Grenzen zu kennen. Im finalen Allegro molto macht sie sich die Sprache Bartóks endgültig zu eigen und demonstriert, wie sehr sie sie bis ins Detail beherrscht. Dieses Selbstbewusstsein am rechten Platz wirkt in keiner Sekunden aufgesetzt, denn vor allem steht Patricia Kopatchinskajas Natürlichkeit, mit der sie keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit ihres musikalischen Anliegens lässt. 

Die Staatsphilharmonie unter der Leitung von Ari Rasilainen ließ sich dabei nie in den undankbaren Part eines Stichwortgebers zurück drängen, in der folgenden dritten Sinfonie von Anton Bruckner in der zweiten Fassung von 1876/77 war der Klangkörper in seinem ganzen Format wahrnehmbar. Sehr differenziert und wohlproportioniert hat Rasilainen ein sehr tief gehendes Verständnis für das Werk vermittelt. Klare Strukturen und pointiert ausformulierte Themensetzung ließen die Sinfonie transparent und dennoch dramatisch wirken. 


Zum Interpretenporträt von Yakov Kreizberg kamen nun die Geigerin Julia Fischer und der Cellist Daniel Müller-Schott hinzu.

Man merkt es den drei Künstlern an, dass ihre Kooperation mehr als eine Zweckgemeinschaft darstellt. Julia Fischer, Daniel Müller-Schott und Yakov Kreizberg sprechen eine gemeinsame Sprache und tauschen sich darin mit großer Begeisterung aus. Der erfahrene Pianist und Dirigent Kreizberg nimmt seine jungen Partner in jedem Moment nicht nur ernst, sondern scheint auch von der gemeinsamen Arbeit zu profitieren. Im Mozartsaal der Alten Oper steigen sie überaus entspannt mit Joseph Haydns „Zigeunertrio“ ein. Dafür hat das Trio ein vornehmes Understatement vereinbart, gerade der Kopfsatz erklingt angenehm unaufdringlich und ohne interpretatorische Überladung. Im langsamen Satz wachsen die drei Musiker organisch zu einer Einheit ohne Bruchstellen zusammen, im rustikalen Finale stellen sie die verspielt-verschmitzte Kleinteiligkeit originell in den Mittelpunkt. Bei Ludwig van Beethovens „Geistertrio“ geht es zunächst vergleichsweise ruppig zu, bevor das Largo eine unwirkliche und schemenhafte Atmosphäre annimmt. Ein erleichtertes Aufatmen begleitet das musikalische Gliederstrecken im abschließenden Presto. Dmitri Schostakowitschs Klaviertrio Nr. 2 e-Moll, das der Komponist dem Andenken seines Freundes Iwan Iwanowitsch Sollertinskij gewidmet hatte, nimmt das Trio zum Anlass, besonders empfindsam durch die emotionsgeladenen Untiefen bis hin zum schmerzerfüllten Trauermarsch vorzudringen.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Montag, 15. September 2008

Sandra Leupold inszeniert Richard Wagners Oper „Parsifal“ als Bühnenprobe im Mainzer Staatstheater

Wer wagt, gewinnt. Das abgegriffene Sprichwort hat sich Sandra Leupold zu Herzen genommen und gewinnt durch das Wagnis zunehmend die Anerkennung und Begeisterung von Publikum, Künstlern und Kritik. Was die Regisseurin in die Hand nimmt, wird auf sein Sekelett hin reduziert und all seiner Überladenheit entrissen. So ist ihr nun am Staatstheater Mainz ein „Parsifal“ gelungen, wie ihn sich Richard Wagner, dem vor allem „Kostüm- und Schminke-Wesen" graute, nicht reiner hätte vorstellen können. Für ihre Deutung braucht Sandra Leupold weder eine zugestellte Bühne (Tom Musch) noch üppige Kostüme (Marie-Luise Strand). Sie holt das Bühnenweihfestspiel schlichtweg in die kargen Realitäten einer Bühnenprobe. 

Dort lässt sie die Darsteller kurz vor ihrem Auftritt die zweite Haut überstreifen, ansonsten aber mal gebannt auf das Geschehen starrend, mal unbeteiligt im Hintergrund umherstreichen. Zu Beginn sind alle auf der Bühne, die jemals hier etwas zu suchen haben, erst allmählich lichtet sich das Feld. Das, was da geprobt wird, scheint dafür umso plakativer inszeniert zu werden, als das, was sich Leupold vorgenommen hat. Da modert der alte Titurel schon im Leichensack vor sich hin, der Gral ist ganz gegenständlich ein mickriges rotes Deko-Gefäß und Parsifal wirft seinen Schwan samt Pfeil vor sich her, bevor er ihm an der Liane hinterher springt.

Die Darsteller dürfen hier zeigen, wie fertig sie sind, welchen Aufwand sie betreiben müssen, um durchzuhalten. Am Ende schlurft Gurnemanz ohne Kutte umher, Kundry zieht sich immer öfter von der Szene zurück, um sich am Bühnenrand zu erholen. Sandra Leupold bricht die bedeutungsaufgeladen Stimmungen und Symbole gnadenlos herunter und dennoch entsteht eine unglaublich flimmernde Spannung. Das Spiel im Spiel wirkt umso konzentrierter, der Zuschauer will unbedingt wissen, wie es weiter geht. 

Das Ensemble ist darstellerisch wie musikalisch bestens auf seine großen Aufgaben vorbereitet. Hans-Otto Weiß leistet schier Unmenschliches in der Dauerbelastung des Gurnemanz, Ruth Maria Nicolay verleiht der Kundry eine beeindruckend vielschichtige Persönlichkeit zwischen heiliger Hure und knorrigem Waldmensch, kann stimmlich glaubhaft zwischen schnarrig und empfindsam umschalten. Alexander Speemann gibt den Parsifal mit größtmöglicher Ambivalenz zwischen mitleidigem Toren und strahlendem Helden, auch Dietrich Greve (Amfortas) und Peter Felix Bauer (Klingsor) stehen ihren Bühnenpartnern in nichts nach. Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt sortiert Wagners Musik unbeirrbar präzise und ohne der Verlockung zu verfallen, in pathetische Extreme zu verfallen.

Weitere Aufführungen am 28.9., 3. und 12.10.
Karten unter 06131/2851-222 oder www.staatstheater-mainz.de

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Sonntag, 14. September 2008

Gespräche mit dem Tod

Früher wurde hier schmutzige Wäsche gewaschen, heute wird der frühere Waschsalon vom Quartierskuratorium Inneres Westend für Kunstprojekte genutzt. Eine echte Lebenskünstlerin war nun per Filmbotschaft zu Gast in dem breiten Korridor, an dem noch in die Jahre gekommene Trockenmaschinen an seine frühere Nutzung erinnern. Das Thema hieß „Mit dem Tod im Gespräch“ und versprach alles andere als erquicklichen Kunstgenuss. Und so war es auch nicht gedacht. Sonja Töpfer hat sich einen Tabubruch zugetraut. Einen der letzten, die es noch gibt, und hat ihre Gespräche mit Inge T. zu einer Videocollage zusammen geschnitten.

Über den Tod spricht man heute kaum, schon gar nicht über den nahen oder gar eigenen. Inge T. ist eine noch lebende Ausnahme. Sie liegt am Abschluss eines langen Krebsleidens im Hospiz Advena und hat sich noch lange nicht aufgegeben. Dass sie in Kürze sterben wird, das weiß sie genau. Die über 70-jährige Dame liegt mit wachen Augen in ihrem Bett und beginnt zu strahlen, als ein großer schwarzer Hund an ihr Bett kommt. Sie hat Appetit auf Bratwurst und Lust auf das Leben, das ihr noch zur Verfügung steht. Durch die Schmerzmittel geht es ihr relativ gut, aber aufstehen kann sie nicht mehr, weil der Krebs ihre Wirbelsäule zerfressen hat.

„Ich war halt krank und musste damit fertig werden“, sagt sie druckreif und doch natürlich in die Kamera. Sie erzählt, dass sie voller Zorn gewesen sei. „Du kriegst mich nicht“, hat sie ihrer Krankheit eingebläut. Doch während der Chemotherapie hätte sie sich umbringen können. Sie erlebte das „volle Programm“ mit Trombose und Lungen-Embolie, erlitt furchtbare Schmerzen, als ihre Schleimhäute angegriffen wurden, ihre Zunge plötzlich ein richtiges Loch bekam. Sie ist „voller Verständnis“ für Menschen, die in solch einer Situation nicht mehr weiter wissen und sich das Leben nehmen. „Aber ich hatte keine Möglichkeit“, sagt sie ernst. Das Zimmer lag nicht hoch genug und die Messer waren zu stumpf.

Als sie im Koma lag, hat sie sich in einem schmalen Gang gewähnt, war froh, dass vieles, was sie im Leben belastet hat, nun vorbei war. „Ich war erleichtert und dann so furchtbar enttäuscht, als ich wieder aufgewacht bin“, erinnert sie sich. „Irgendetwas hatte ich noch zu tun“, dachte sie damals und war gespannt, was das wohl sein würde. Sie geht ihren Tod sehr offensiv an, möchte anderen Menschen Mut machen, sich damit freier auseinander zu setzen. Sie mag keine Menschen mehr sehen, die sie bemitleiden. Aber das echte Verständnis im Hospitz tut ihr gut.

Sonja Töpfer war es ein Anliegen, „Sterben in die Öffentlichkeit zu tragen“. Bei der Auseinandersetzung ist ihr bewusst geworden, wie oft Menschen versäumen, Dinge zu tun, die sie eigentlich tun wollen. Oder sie verschieben. Beim Besuch sterbender Schwestern der Ordensgemeinschaft „Zum guten Hirten“ erlebte sie auch eine andere Seite von Tod. Hier lagen Frauen, die kaum mehr ihre Sinne beherrschen konnten. „Da habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, in den richtigen Händen zu liegen“, sagt sie. „Da habe ich zum ersten Mal Tod gefühlt“, setzt sie nachdenklich hinzu.


Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier und Wiesbadener Tagblatt
Foto: Ausschnitt aus dem Video von Sonja Töpfer

Donnerstag, 11. September 2008

Möbel und Interviews erzählen Geschichten von einst

Wenn man sich mit Raul Gschrey trifft, kann es schon mal vorkommen, dass er sein Wohnzimmer mitbringt. Das hängt damit zusammen, dass er sich aktuell mit den Möbeln fremder Leute beschäftigt, die damit nichts mehr anfangen können, weil sie tot sind. Der Künstler, der zudem Anglistik und Kunstpädagogik an der Frankfurter Goethe-Universität studiert, wurde nun eingeladen, zusammen mit von ihm ausgewählten Kolleginnen und Kollegen eine Ausstellung während des Palliativ-Kongresses vom 25. bis 27. September in den Rhein-Main-Hallen zu organisieren. Das Thema: „Begegnungen und Abschiede“. Der auf Entwicklung gemünzte Titel passt zum Motto des Kongresses „Identitäten im Wandel“.

„Was bleibt übrig, wenn alte Menschen sterben?“, hat sich der 27-jährige Künstler überlegt. Mit Hilfe einer Frankfurter Spedition, die sich auf Haushaltsauflösungen spezialisiert hat, ging er seiner Frage auf den Grund. Von dem Unternehmen bekommt er nun immer wieder Möbel ins Haus geliefert, aus denen er sich dann geeignete Objekte für seine Arbeit aussucht. Darunter auch ganz persönliche Dinge wie Fotoalben oder Filme. Aber eben auch Stühle, Tische und Schränke, die auf den ersten Blick wenig über die früheren Besitzer aussagen. Doch wenn man sich damit näher auseinander setzt, fallen doch Bezüge auf.

„Wir werden kleine Inseln im Konferenz-Alltag installieren“, sagt Raul Gschrey. Seine Installationen etwa werden sich vielleicht nicht jedem als Kunst erschließen, sondern zunächst einmal zum Ausruhen einladen. Wer aber dann die Mappen vom Tisch nimmt und sich plötzlich mit den schwarz-weißen Urlaubsaufnahmen wildfremder Menschen konfrontiert sieht, wird ins Grübeln kommen. Auf die Idee, sich mit Tod und Vergänglichkeit intensiver zu befassen, kam er durch ein Negativ-Erlebnis. Auf einer Ausstellung mit dem Titel „Tod ohne Ende“ wurde er mit plakativen Stücken, wie etwa konserviertem Wasser aus einer Leichenwäsche konfrontiert. „Das hat mich geärgert und zunächst war da auch nur Ekel“, erinnert er sich. Damals hat er sich vorgenommen, sich selbst mit dem Thema auseinander zu setzen.

Neben den Möbel-Ensembles zeigt Raul Gschrey auch eine Dreikanal-Videoinstallation unter dem Titel „Augenblicke“. Dafür hat er sowohl seinen Großvater, seinen Vater als auch sich selbst nach ihren prägendsten Erfahrungen gefragt. Die Antworten waren erwartungsgemäß unterschiedlich. Während der Großvater von seiner Todesangst in Kriegsgefangenenschaft sprach, berichtete sein Vater über die Kindheit in einer konservativ-dörflichen Umgebung. Der Künstler selbst erinnert sich an die Zeit, in der er bei seinen Großeltern aufgewachsen ist, weil die Eltern gerade mit ihrer Arztpraxis so viel zu tun hatten.

Insgesamt werden bei dem Kongress zwölf Arbeiten von acht Jungen Künstlern aus der Region gezeigt, die sich auf ganz unterschiedliche Weise den „Begegnungen und Abschieden“ genähert haben.


Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier
Foto: http://www.pro-ton.net/begegnungen/bilder/gschrey01.jpg

Unterwelten-Ausstellung wird im Mainzer Ex-Knast eröffnet

„Betreten der Anlage auf eigene Gefahr“, steht vorsorglich am Übergang vom Landgericht zur ehemaligen Justizvollzugsanstalt. Hier fand die Eröffnung der Ausstellung „Mainzer Unterwelten“ statt, die nun bereits zum zweiten Mal in Mainz gezeigt wird.

Verunsicherung steht in manchen Gesichtern der Eröffnungsgäste geschrieben. Einige werden ganz still, als sie die schmalen Metalltreppen hinunter steigen. Andere machen schlechte Witze, lachen ein wenig künstlich über die ungewohnte Situation, durch die Gänge eines Gefängnisses zu laufen. Wer einen Blick in die Zellen riskiert, wird mit Knastprosa von der ganz direkten Sorte belohnt. Viele Sätze eigenen sich nicht zum Abdruck in einer Zeitung, sie sprechen von Hass, Gewalt und Demütigung. Ganz oft aber haben die früheren Insassen bloß ihren Namen verewigt. „Verräter“, prangt an anderer Stelle, daneben ein kompletter Name. „Gott schütze uns vor unseren Freunden“, schickt einer ein Stoßgebet heraus, ein anderer konstatiert: „Und wieder ein Tag verschenkt“.

„Willkommen im Knast“, ruft Willi Kestel den zahlreich gekommenen Gästen gut gelaunt zu. „Die Justiz hat zwangsläufig zur Unterwelt, zur ganz und gar von Menschen gemachten Unterwelt, ein besonderes Verhältnis“, sagt der Präsident des Landgerichts Mainz. Diesen Satz hat er auch in das Buch „Mainzer Unterwelten“ geschrieben, für das Bauingenieur Wolfgang Balzer und Fotograf Klaus Benz abgetaucht sind. „Der Menschen Unterwelt ist Teil der realen Welt, bisweilen ihr Spiegelbild“. Solcher Gedanke hat Mitherausgeber Rupert Krömer auf die Idee gebracht, eine Ausstellung der Bilder im direkten Zusammenhang mit der Justiz anzustrengen. Nun sind sie in den Fluren des Landgerichts zu sehen und stehen allen Besuchern zur freien Betrachtung zur Verfügung.

Justizminister Heinz Georg Bamberger macht sich auf die Suche nach dem Begriff „Unterwelt“ in Mythen und Sagen. Dort findet er eine „räumliche Vorstellung eines Ortes, der unter der normal zugänglichen Welt liegt“. Sie ist „dem Sonnenlicht entzogen“ und dort hört die „rational verlässliche Wahrnehmung“ meist auf. Auf jeden Fall findet Bamberger die ehemalige Justizvollzugsanstalt einen „wunderbaren Ort für die Eröffnung einer Ausstellung von Bildern, die sich mit den Mainzer Unterwelten befasst“. In Buch und Ausstellung werden zahlreiche Gewölbe unter der Stadt buchstäblich ans Tageslicht geholt. Vom Geldkeller der Bundesbank über diverse Wein-, Sekt- und Privatkeller bis hin zu Kirchenkellern von Altmünster oder dem Dom gewähren die Arbeiten einen Blick in die Untiefen von Mainz, wie sie nur selten zu sehen sind.

Krömer spricht dabei von „Achsen, die uns am Leben halten“, verortet im Erdreich Wurzelwerk, „das nach oben Früchte trägt“ und will „Brücken zwischen Schichtungen und Geschichte“ schlagen. Die werden zwischen Architektur, Wirtschaft, Kultur, Geschichte und Justiz gebaut und verbinden neben den verschiedenen Ansichten auch ganz unterschiedliche, mitunter gar gegensätzliche Welten.

Die Ausstellung im Landgericht (Eingang Diether-von-Isenburg-Straße“ ist bis zum 19. Dezember zu sehen.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz
Foto: hbz / Jörg Henkel

Dienstag, 9. September 2008

Premierenvorgespräch zu Sandra Leupolds "Parsifal"-Inszenierung in Mainz

Angst vor Wagner hat Sandra Leupold nicht. Auch nicht vor dessen Bühnenweihfestspiel „Parsifal“, der letzten Oper, die der Bayreuther Meister vollendet hat. Angst hat sie aber vor Kompromissen, die unmöglich machen könnten, was sie sich vorgenommen hat. „Ich möchte Oper glaubhaft machen“, sagt sie. Und das meint sie angesichts der Dauer des massiven Werks auch ganz ernst. „Ich möchte nicht, dass diese fünfeinhalb Stunden zu einer Zumutung werden“, betont sie. Es gibt, das hat sie von Anfang an erkannt, „große Sachverhalte zu verhandeln“. Parsifal ist die Gestalt, auf die Gralskönig Amfortas und die Gralsgemeinschaft alles setzen müssen. Der verstoßene Ritter Klingsor hat den heiligen Speer geraubt und den König verletzt, der nun an einer unerträglich schmerzhaften Wunde leidet.

Doch nicht nur dieser physische Schmerz ist es, der hier behandelt wird. „Es ist das Elend des Menschseins und die Utopie von einer entsündigten Welt“, interpretiert die Regisseurin das Werk. Auch Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt formuliert ihren Respekt vor dem Werk und bezeichnet es als „szenische Messe“. Sandra Leupold geht „ran an die Figuren“, wie sie betont. Dafür benötigt sie Platz für Mensch und Musik. Den schafft sie sich, indem sie die Bühne minimal möbliert und maximal nutzt. Den leeren Raum füllt sie dann nicht nur mit Geschichte und Mythos, sondern auch mit dem ganz pragmatischen Herangehen der Sänger an ihre Aufgabe. Denn in ihrem Parsifal wird der Zuschauer gleichzeitig auch Teilhaber an einem künstlerischen Prozess. Leupold zeigt sich fasziniert von den emotionalen Gegensätzen die aufeinander prallen und die will sie zeigen. „Nach dem wirklich großen Moment des Karfreitagszaubers wird die Tür zum Paradies sofort wieder zugemacht“, resümiert sie.

Sandra Leupold ist aber auch von einer „ultimativen schmerzlichen Musik“ begeistert. „Wie kann man all das vermitteln?“, dieser Frage hat sich Wagner nach Ansicht von Catherine Rückwardt erfolgreich gewidmet. Die wichtigen Themen seien ständig präsent. „Nur durch das Mitleid haben wir eine Chance“, empfindet sie der Musik nach. Für die Sängerinnen und Sänger war die Einstudierung vor allem in den Hauptpartien eine große Herausforderung. Die Generalmusikdirektorin vergleicht diese Arbeit ohne zu Zögern mit Leistungssport. Angesichts einer Dauer von fünfeinhalb Stunden liegt der Vergleich jedenfalls nahe.

Die Regisseurin Sandra Leupold hat 2007 bereits in ihrer Inszenierung von Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“ mit spartanischer Ausstattung eine dichte Erzählsprache gefunden. Deutschlandweites Aufsehen erlangte sie, als sie vor vielen Jahren in der Berliner Kulturbrauerei Mozarts „Don Giovanni“ mit lediglich sieben Stühlen inszenierte. Die Schülerin von Ruth Berghaus und Peter Konwitschny war unter anderem persönliche Mitarbeiterin von Hans Neuenfels und vereint damit die ganz großen Namen der Theater-Regie in ihrer Biografie. Die Bühne wird von Tom Misch eingerichtet, für die Kostüme zeichnet Marie-Luise Strandt verantwortlich.

Für die Premiere am 12. September um 17 Uhr sind noch Restkarten an der Abendkasse erhältlich.

Weitere Aufführungen finden unter anderem am 28. September, 3. und 12. Oktober, 23. November, 7. und 14. Dezember statt.

Karten unter 06131/2851-222 oder im Internet: www.staatstheater-mainz.de


Veröffentlicht u.a. in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

John Dew inszeniert Fromental Halévys Oper "La Juive" in Darmstadt wenig motiviert

Jacques Fromental Elie Halévy ist heute kaum mehr bekannt, im Frankreich des 19. Jahrhunderts sah das schon anders aus. Da war der Cherubini-Schützling einer der Großen und Dauerkonkurrent von Giacomo Meyerbeer. Zu seinen Schülern zählten George Bizet, Camille Saint-Saens und Charles Gounod. Die Oper „La Juive“ (Die Jüdin) schrieb der Sohn eines hebräischen Dichters im Jahr 1835. Sein Erstling wurde bis 1893 550 mal an der Opéra Paris gespielt. Nachdem John Dew die Oper 1989 in Bielefeld, fünf Jahre später in Nürnberg und 1995 in Dortmund auf die Bühne gebracht hat, war nun Darmstadt an der Reihe.

Das Stück spielt ursprünglich in Konstanz des Jahres 1414, wo der Sieg von Reichsfürst Léopold über die Hussiten gefeiert wird. Der jüdische Goldschmied Eléazar, und seine Tochter Rachel ziehen den Volkszorn auf sich und werden von einem Mann, der sich als Samuel ausgibt und eine Liaison mit Rachel eingegangen ist, gerettet. In Wirklichkeit ist er jener Reichsfürst Leopold, für den die Feier ausgerichtet wird. Als er sich seiner Geliebten zu erkennen gibt, zeigt die sich entsetzt, will ihn dennoch halten, selbst Eléazar lässt sich erweichen, dem Paar seinen Segen zu geben. Doch Leopold ist an Eudoxie, die Nichte des Kaisers gebunden. Während der öffentlichen Hochzeits-Zeremonie klagt Rachel ihn an, mit einer Jüdin verkehrt zu haben, worauf die Todesstrafe steht. Später widerruft sie auf Drängen Eudoxies und rettet ihm damit den Kopf. Sie und ihr Vater aber werden zum Tode verurteilt. Für Eléazar bildet dieser Tod seine verquere Rache an Kardinal Brogny, dessen Tochter er einst aus einem brennenden Haus gerettet und als seine Eigene aufgezogen hat. Als Rachel hingerichtet wird, eröffnet er dem Geistlichen das bittere Geheimnis.

Die klanglich ansprechend umspielte Geschichte lässt es an einigen Stellen an erzählerischer Konsequenz fehlen. Nicht immer werden die Handlungen klar verständlich vermittelt. Auch Dews zurückhaltende Inszenierung, die wenig Personenführung erkennen lässt, trägt nicht zur Aufklärung bei. Das Bühnenbild von Heinz Balthes wirkt zudem mit seiner Reduzierung auf zwei von der Decke herab hängende Dreiecke, die im ersten Akt einen Davidstern bilden, wenig motiviert. Musikalisch wird eine meist solide Aufführung abgeliefert. Zurab Zurabishvilli als Eléazar und Susanne Serfling als Rachel sind der Herausforderung stimmlich gewachsen, Thomas Mehnert gibt dem Kardinal mit knarrig-erdigem Bass eine würdige Statur. Mark Adler hat mit der Partie des Leopold mehrfach zu kämpfen, insbesondere die Höhen machen ihm zu schaffen. Martin Lukas Meister hat das präzise aufspielende Orchester und den flexibel agierenden Chor gut im Griff.

Weitere Aufführungen u.a. am 13. September

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Montag, 8. September 2008

Edith Peinemann und Makiko Takeda-Herms mit Brahms, Debussy und Beethoven in Wiesbaden

Dem rührigen Künstlerverbund „amici dell'arte“ gelingt es immer wieder aufs Neue, ganz besonders herausragende Künstlerinnen und Künstler für ihre Sonntags-Matineen im Hessischen Justizministerium zu gewinnen. Ihre Einladungsliste liest sich schon nach fünfzehn Jahren wie ein „Wer ist wer“ der deutschen Musiker- und Schauspieler-Elite.

Auch dieses Mal kam mit Edith Peinemann eine der profiliertesten Geigerinnen des 20. Jahrhunderts. Die aus Mainz stammende Künstlerin hatte bereits im Alter von 19 Jahren den ARD-Wettbewerb gewonnen und mit Dirigenten-Legenden wie Joseph Keilberth, Max Rudolf und George Szell zusammen gearbeitet, lernte als 18-Jährige den Komponisten Paul Hindemith kennen. Heute gehört sie selbst zu den Persönlichkeiten, die für Generationen ein Vorbild ist.

Gemeinsam mit der Wiesbadener Pianistin Makiko Takeda-Herms, Professorin an der Mainzer Musikhochschule und Mitbegründerin der „amici dell'arte“, gestaltete sie nun einen außergewöhnlichen Vormittag mit Werken von Brahms, Debussy und Beethoven. Ihrer Guarneri del Gesù-Violine aus dem Jahre 1732, baugleich mit Paganinis „Kanone“, entlockte sie dabei einen zumeist vollen, üppigen Ton, der zugleich einen ganz eigentümlich rauen Charme versprühte. Warm und herb sind bei ihr keine unvereinbaren Antipoden. Mit natürlicher Kraft und klar formulierender Interpretation nahm sie sich der Brahms-Sonate A-Dur op. 100 an, beeindruckte mit ihrer Virtuosität in Debussys Sonate pour violon et piano und begeisterte mit klanglicher Vielseitigkeit im Variationensatz von Beethovens Sonate A-Dur op. 47.

Zupackend hielt Makiko Takeda-Herms am Flügel die Musik stets im Fluss, lotete die die musikalischen Tiefen empfindsam aus und erspürte Motive und Zusammenhänge unbeirrt und mit großer Anteilnahme. In gemeinsam geführten Dialogen gestalteten die beiden Musikerinnen die oft gegensätzlich wirkenden Dichtegrade, bewiesen beide einen untrüglichen Sinn für gezielt eingesetzte und authentisch wirksame Effekte.

Das nächste Konzert findet am 19. Oktober um 11 Uhr statt. Der Pianist Pascal Devoyon spielt dann Mozarts Sonate B-Dur, Balladen von Fréderic Chopin und die „Kreisleriana“ von Robert Schumann. Karten unter www.amicidellarte.de