Montag, 13. Oktober 2008

John Dew geht in seiner „Meistersinger“-Inszenierung am Staatstheater Darmstadt keine Risiken ein

Als der 22-jährige Richard Wagner im Sommer 1835 bei einem Verwandtenbesuch in Nürnberg eine nächtliche Straßenprügelei beobachtete, war das für ihn wie Musik. Zumindest so ähnlich. Immerhin nahm er die Begebenheit als Anregung für die Prügelszene im zweiten Akt seiner „Meistersinger von Nürnberg“ mit. Nach dem düsteren „Tannhäuser“ steht dieses Werk, das natürlich nur in epischer Breite verhandelt werden konnte, in krassem Gegensatz zu seinem Vorgänger. Wer in der bunten Geschichte nach den ansonsten bei Wagner um jede Ecke lugenden symbolträchtigen Monumente sucht, wird in der Regel enttäuscht. Auch John Dew verschwendete in seiner Inszenierung am Darmstädter Staatstheater keine Kraft an etwaige Deutungsversuche. Es läge natürlich Nahe, den unverstandenen Reformer Walther von Stolzing, der mit recht extravaganten Methoden versucht, bei den Meistern Eindruck zu schinden, als ein Alter ego des „Genius Wagner“ zu betrachten, doch das wäre müßige Spekulation.

Also findet in Darmstadt eine muntere Posse statt, in der einzelne Figuren als sanfte Karikaturen bürgerlicher Typen behandelt werden und selbst auch so agieren. Da ist Veit Pogner, der seine Tochter dem Sieger des Sängerwettstreits versprechen will, aber irgendwie schon reale Zweifel hegt, ob die junge Dame das überhaupt mitmachen möchte. Hans Sachs ist zunächst der besonnene Mahner, der auch ein Ohr für Neutönerisches hat, später aber wie alle noch seine eigenen Triebe bezwingen muss. Und Beckmesser gibt den Archetyp des Mittelmaßes, das sich in der Regel durchsetzt, weil es meist zur rechten Zeit am rechten Ort auftaucht. Der risikofreien Regie stellt Heinz Balthes ein ebenso problemloses Bühnenbild zur Seite. Zwischen autographen Partiturzeilen findet das Schauspiel inmitten gefälliger Dekoration seinen Gang, zum Schluss bekommt man noch die deutschen „Klassiker“ Goethe, Schiller und Beethoven plakativ unter die Nase gerieben.

Musikalisch aber findet hier ein kleiner Exzellenz-Marathon statt. Da ist zunächst das Orchester unter der Leitung von Constantin Trinks, das erst tapfer und später immer vitaler das dichte Wagner'sche Dickicht durchkämmt. Mit großem Vergnügen loten die Musiker heiteren Witz und beißenden Spott aus. Auch der Chor, einstudiert von André Weiss, wirkt gleichermaßen satt und agil, insbesondere das Dutzend Lehrbuben besticht durch seine flinken Einsätze. Den Veit Pogner gibt Andreas Daum mit kernig, edlem Grundton, Ralf Lukas (Hans Sachs) strahlt beständig überlegene Ruhe aus und überzeugt auch in nachdenklichen Momenten. Herbert Lippert gestaltet Walther von Stolzing jugendlich-hell und strahlend, Sixtus Beckmesser erhält von Gerd Vogel scharf gezeichnete Konturen verliehen. Anja Vincken kann sich in der Männeroper als Eva, um die sich eigentlich alles dreht, mühelos behaupten. Vor allem als anregende Erzählerin bleibt sie bestens in Erinnerung.

Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse

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