Dienstag, 7. Oktober 2008

Kein Bett im Kornfeld für Werther in Konstanze Lauterbachs Wiesbadener Deutung der gleichnamigen Oper von Jules Massenet

Auch das größte Leid hat irgendwann einmal ein Ende – und sei es, dass die Selbsttötung diesen Zustand verkürzt. Das Leiden des jungen Werther hat Generationen über Jahrhunderte hinweg beeindruckt, Goethes Briefroman hat nach Veröffentlichung sogar eine kleine Suizid-Welle provoziert. Jules Massenets Werther in der gleichnamigen Oper quält sich und seine angebetete Charlotte über bald drei Stunden hindurch mit seiner Obsession, bis er schließlich die Pistolen des Rivalen Albert in die Finger bekommt und sich erschießt. Zu spät – oder vielleicht auch unter dem Druck der Ereignisse – erkennt die Begehrte, dass sie mehr als nur Zuneigung für den Schwärmer empfindet.

Weil all das heute ein wenig überzeichnet wirkt, braucht es vielleicht umso buntere Bilder, um das Thema auf der Bühne zu transportieren. Diese hat Konstanze Lauterbach nun in Wiesbaden gefunden. Werther fällt in eine Familie ein, die trotz des frühen Todes der Mutter höchst intakt scheint und dem Träumer als vollkommenes Idyll erscheinen mag. Weltfern und entzückt bestaunt er das Treiben im Kornfeld (Bühne: Andreas Jander), in dem aber nie ein Bett für ihn stehen wird. Das ist schon nach wenigen Momenten klar, dennoch braucht es die Verbannung, zahlreiche schmachtende Briefe und eine Wiederkehr mit endgültigem emotionalem Absturz, um Werther die Situation begreiflich zu machen.

In Wiesbaden ist diese Entwicklung, die nie wirklich eine ist, mit viel Aufwand und großem persönlichen Einsatz der Sängerinnen und Sänger transportiert. Doch allein Ute Döring vermag als Charlotte in Gänze zu überzeugen. Empfindsam und warm zeichnet sie die Figur nach, die mal will und mal nicht kann. Die Künstlerin tritt weit hinter den Charakter und gibt sich ihrem Schmerz in einem enormen Ausmaß derart körperlich spürbar hin, dass man unwillkürlichen Zorn auf den Egomanen Werther verspürt. Der wird von Martin Homrich sehr intensiv gesungen, mitunter etwas hölzern dargestellt. Thomas de Vries ist sicher und geradlinig als Albert zu erleben, Axel Wagner gibt den bodenständigen Familienvater Le Bailli. 

Ein bereichernder Kunstgriff ist die Einführung der Natur in Gestalt der Tänzerin Nadja Kalenderyan, die zu einer Art Projektionsfläche für Werthers Träumereien dient und nach der letzten Trennung vor dem Tod auch tatsächlich Trauer trägt. Wolgang Ott leitet das Staatsorchester wendig und mit teilweise üppigem Überschwang, der bestens ins Konzept passt.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse
Foto: http://www.kerber-net.de/literatur/deutsch/drama/goethe/personen/kaulbach_werther.jpe

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