Mittwoch, 22. August 2007

Interview mit dem Dirigenten Michael Tilson Thomas

Am Sonntag, 9. September ist das San Francisco Symphony Orchestra unter der Leitung von Michael Tilson Thomas in der Alten Oper zu Gast. Wir haben mit ihm über das Programm und seine persönlichen Erfahrungen mit der Musik gesprochen.


Sie werden Werke von Charles Ives, Sergej Prokofjew und Peter Tschaikowski spielen. Erzählen Sie uns etwas über das Programm und Ihren persönlichen Bezug dazu.

Ich habe Ives nie kennen gelernt, habe aber viel mit engen Freunden von ihm gearbeitet, etwa Aaron Copeland, Leonard Bernstein oder John Cage. Ich habe als junger Mensch viel Zeit mit seiner Musik verbracht. Für einen Fernsehsender war ich neulich in seinen Studios, seinen Häusern und an anderen Plätzen, an denen er seine Musik geschrieben hat. Seine Werke sind sehr persönlich, fast autobiografisch. Sehr fasziniert bin ich vom letzten Satz der dritten Sinfonie, die wir spielen werden. Er ist frei dissonant, aber enorm ausdrucksstark. Der einzige Weg, sich seiner Musik zu nähern, ist, sie mehrfach am Klavier zu spielen und zu eigenen persönlichen Entscheidungen über den Ausdrucksweg zu kommen. Tschaikowsky war sehr wichtig für mich. Ich habe seine erste Sinfonie erarbeitet, als ich in dem Alter war, in dem er sie geschrieben hat – 26. Es ist ein sehr elegantes Meisterstück, fast wie eine Mendelssohn- oder Schubert-Sinfonie mit brillanten Soli.


Der Solist bei Prokofiews Klavierkonzert Nr. 3 C-Dur op. 26 ist Yevim Bronfman. Haben Sie schon mit ihm zusammen gearbeitet und welche Erfahrungen haben Sie mit ihm gemacht?

Ich habe schon oft mit ihm zusammen gearbeitet. Das ist immer eine wunderbare Erfahrung, weil er ein großartiger Virtuose ist. Und er weiß, dass wir exakt zusammen arbeiten können. Als ich jung war, habe ich selbst viele der Stücke gespielt, die wir nun zusammen erarbeiten, so dass er sich auf mich verlassen kann.


Sie arbeiten mit zahlreichen Unterschiedlichen Orchestern zusammen, übernehmen CD-, Rundfunk- und Fernsehproduktionen. Wie verbinden Sie diese sehr unterschiedlichen Aufgaben miteinander?

In der Tat, sind das unterschiedliche Charaktere und Herausforderungen. Aber es gibt eine Art roten Faden. Ich mag es, Musik sehr ausdrucksstark und farbig, vielleicht auch etwas gefährlich zu gestalten. Die Menschen, mit denen ich arbeite, wissen das und mögen es. Durch die Akademie, die ich vor 23 Jahren gegründet habe, die „New World Symphony“, sind viele der Absolventen mittlerweile in den führenden amerikanischen Orchestern beschäftigt. Auf diese Weise treffe ich später viele von ihnen wieder. Und sie haben eine ähnliche Einstellung zur Musik wie ich, sie genießen sie auch als eine Freude.


In Deutschland gibt es zunehmend das Problem, dass immer weniger junge Menschen in klassische Konzerte gehen. Haben Sie einen Lösungsansatz dafür?

Da gibt es keine einfache Lösung. Das wichtigste ist, dass wir die Zukunft nicht als selbstverständliches Phänomen betrachten dürfen. Wir müssen daran arbeiten, diese faszinierende Tradition weiter zu führen. Das tun jetzt schon viele Menschen auf unterschiedliche Weise und ich kann sie alle nur darin bestärken, weiter zu machen.


Sie selbst arbeiten als Dirigent, Musiker, Lehrer und Komponist in einer Person. Gibt es so eine Art Leitmotiv in Ihrem Leben?

Für mich sind das alles Einzelteile eines großen Ganzen. Ich höre auch viel Musik und lese Gedichte. Das sind alles verschiedene künstlerische Ausdrucksformen. Dazu gehören auch schöne Tanzaufführungen oder wenn jemand etwas Besonderes kocht. Das ist alles das gleiche, nämlich Kunst.


Das Programm: Charles Ives: Sinfonie Nr. 3, Prokofiew: Klavierkonzert Nr. 3 in C-Dur Opus 26, Tschaikowsky: Sinfonie Nr. 1 in g-Moll Opus 13

Weitere Informationen: www.rheingau-musik-festival.de

Veröffentlicht unter anderem im Wiesbadener Kurier und in abgewandelter Form in der Frankfurter Neuen Presse

Montag, 13. August 2007

Händels "Saul" unter Leitung von Peter Neumann in Kloster Eberbach

Mit seinem Oratorium „Saul“ begründete Georg Friedrich Händel fast aus der Not heraus eine völlig neue Gattung. Als Opernkomponist war er Ende der 1730er Jahre in England nicht mehr in dem gewohnten Maße erfolgreich und begann, sich nach neuem Publikum und frischem Stoff umzuschauen. Das erstarkende Bürgertum wurde sein Ziel, dessen Interessen galten weniger den mythischen Sagengestalten, mit denen er den Adel beeindrucken konnte. Stoffe aus der Bibel aber schienen anzukommen. In nur zwei Monaten schrieb Händel das Oratorium, das noch heute als kaum erreichtes Meisterwerk zwischen biblischer Vorlage und opernhafter Umsetzung gilt. Für viele Musiker ist es daher auch eine Bewährungsprobe.

In Kloster Eberbach wurde die Aufführung aber weitaus mehr als das. Nur selten erlebt man eine Ausgestaltung, die sich so voll und ganz dem Sujet verschreibt, eine unbezwingbare Spielfreude vermittelt und dabei auf höchstem musikalischem Niveau gestaltet wird. Unter der Leitung von Peter Neumann gaben das Collegium Cartusianum und der Kölner Kammerchor mit einer bestens aufgestellten Solistenriege ein besonderes Glanzstück ab. Hochdramatisch verdichtet erzählten sie die spannende Geschichte vom siegreichen David, der von Saul zunächst protegiert, später neidisch beäugt und verfolgt wird.

Schon der instrumentale Einstieg ließ großes erwarten. Feinsinnig wurden die charakterlich deutlich unterschiedlichen Sätze herausgearbeitet, detailreich und doch aus einem Guss geriet das Ergebnis. Von luftig durchschimmernden Momenten bis hin zu hellen Fanfaren und Paukenschlägen, die den fulminanten Triumphgesang einläuteten, gab es hier keine langweilige Sekunde.

Erstaunlich auch, wie passgenau sich die Solisten in ihre Rollen fügten. Allen voran konnte die Sopranistin Simone Kermes in der Rolle der älteren Saul-Tochter Merab überzeugen. Scharf und koloraturenfreudig formulierte sie ihre Arien, warf sich voll übersprudelndem Hass auf den Emporkömmling David. Dass sie das opernhafte im „Saul“ besonders schätzt, hatte sie bereits vorher im Interview berichtet, diesen Anspruch löste sie nun vollständig ein. Ihr zur Seite stand Myung-Hee Hyun als Michal, die mit ihrer schlanken Stimme sehr anschmiegsam und angenehm direkt zu hören war. Klangvoll und sicher gab der Countertenor Alex Potter den David, blieb dabei immer farbecht und konsequent.

Erstaunlich die machtvolle Ausgestaltung, die der junge Bassbariton Konstantin Wolff der Rolle des Saul angedeihen ließ, ihm gelang es immer, Größe nicht mit Überschwang zu verwechseln und blieb stets einem kultivierten Grundansatz verhaftet. Schlank und beweglich, der Tenor Nicholas Phan (Jonathan), etwas zurückhaltend dagegen Georg Poplutz (Tenor), der in unterschiedlichen Rollen aber stets auf den Punkt kam.


Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt / Allgemeine Zeitung Mainz, eine andere Version erschien in der Frankfurter Neuen Presse

Sonntag, 12. August 2007

Alfred Brendel im Wiesbadener Kurhaus

Sein Repertoire beginnt bei Bach und endet bei Schönberg. Was zunächst nach einer vorweg genommenen Reduzierung aussehen mag, hat sich bei Alfred Brendel als eine im heutigen Musikleben ungewöhnliche Freiheitsbezeugung heraus gestellt. Während sich andere Pianisten vielleicht auf der Suche nach dem Neuen in der Moderne verlieren, gelingt es dem erfahrenen Musiker immer wieder, im scheinbar Bekannten noch eine ungehörte Nuance zu finden, einen weiteren Weg zu entdecken. Im Wiesbadener Kurhaus zeigte er bei einem auf den ersten Blick konventionellen Wiener-Klassik-Programm, was sich aus Haydn, Beethoven, Schubert und Mozart an Gegenwart erleben lässt.

In der Haydn-Sonate c-Moll (Hob. XVI:20), die der Komponist anfing und lange liegen ließ, bevor er sie zuende brachte, stellt Brendel Fragen, horcht ganz genau nach, was auf dem Grunde der Musik zu finden ist. Unglaubliche Spannung holt er aus der Langsamkeit des Mittelsatzes heraus, setzt bei Dynamik und Tempo weniger auf Kontraste, sondern auf das behutsame Abtasten. Präzision und Leichtigkeit prägen gleichermaßen sein Spiel.

Die anrührende Melodie zu Beginn der Sonate As-Dur op. 110 von Ludwig van Beethoven zelebriert er formvollendet, lässt sie schweben und sanft in die perlenden Läufe übergleiten. Auch hier steht der fließende Prozess im Vordergrund. Das Fugenthema am Schluss, das Brendel sauber herausschält, scheint sich zwischenzeitlich auf sich selbst zu besinnen, eine innere Ruhe zu finden, um dann neu gestärkt aus dem Nichts wieder aufzutauchen.

Zwei Impromptus aus dem D 935 von Schubert passen genau in diese Atmosphäre. Beschwingte Momente und meditatives Versinken können wohl nur wenige derart authentisch aneinander reihen wie Brendel im f-Moll-Impromptu Nr. 1. Im populären Impromptu Nr. 3 in B-Dur kommt wieder diese Schwerelosigkeit wie Anfangs bei Beethoven zum Tragen. In Mozarts Sonate c-Moll KV 457 ist Brendel schließlich fraglos beheimatet. Mal energisch, mal verspielt durchlebt er dieses Werk, macht es zu einem persönlichen Anliegen. Und genau dieser Wesenszug ist es, der ihn auch in 76. Lebensjahr zu einer der faszinierendsten Musikerpersönlichkeiten der Gegenwart macht.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Samstag, 11. August 2007

Interview mit dem Cellisten Daniel Müller-Schott

Sie spielen am Sonntag beim Rheingau Musik Festival die Cellosuiten 2, 3 und 6 von Johann Sebastian Bach. Wieso haben Sie sich für so ein anspruchsvolles Programm entschieden?

Ich bin mit den Bach-Suiten groß geworden – schon im Alter von sechs Jahren habe ich mit der ersten begonnen und seitdem kontinuierlich an dem Zyklus gearbeitet. Daher ist mir dieses Programm vertraut und kommt mir sehr natürlich vor. Für Hörer kann das schwierig sein, das ist mir klar. Aber ich glaube, damit spricht man ein besonderes Publikum an, das diese Musik liebt und mit einer großen Kenntnis ins Konzert kommt. Wobei ich auch mal in Freiburg vor 40.000 Menschen vor einem Heavy-Metal-Konzert eine Bach-Suite gespielt habe. Meine Erfahrung war, dass Bach einfach eine unglaublich suggestive Wirkung hat, die sich auch auf Menschen überträgt, die diese Musik noch gar nicht kennen.


Was reizt Sie selbst an Bach?

Man kann sich der Aussage hinter den Noten nicht entziehen. Die Struktur der Musik ist mit dem emotionalen Inhalt so eng verbunden wie bei sonst fast keinem Komponisten.


Sie haben gerade gemeinsam mit der Pianistin Angela Hewitt ein Album mit Bach-Sonaten aufgenommen…

Das war für mich eine neue Erfahrung. Auf die Gambensonaten bin ich erst vor einigen Jahren gestoßen und habe lange überlegt mit welchem Instrument ich sie spielen möchte. Ich habe es mit Cembalobegleitung probiert, mit Barockcello und auch mal eine Gambe in der Hand gehalten. Aber ich bin weit davon entfernt, ein guter Gambist zu sein. Die Kombination für Cello und Klavier schien mir eine gute Verdeutlichung der Musik. In Angela Hewitt habe ich eine fabelhafte Partnerin gefunden, die mit der Bachschen Musik sehr vertraut ist und eine Phrasierungskunst beherrscht, die ich bis dahin kaum gehört habe. Das war eine sehr spannende und inspirierende Zusammenarbeit.


Wie gehen Sie gerade mit sehr erfahrenen Kollegen um?

Grundsätzlich muss man sich immer auf einer bestimmten Ebene treffen. Dann spielen die Jahren keine so unmittelbare Rolle mehr. Wenn Offenheit und Neugier für musikalische Inhalte gegeben sind, dann ist es leichter, zusammen zu arbeiten. Natürlich hat jeder seine eigene Sicht und man muss sich arrangieren. Aber gerade diese Auseinandersetzung macht das Musizieren spannend. Es wäre ja schrecklich, wenn man nur Gleichklang hätte.


Die Gefahr, verheizt zu werden, ist groß in dem Geschäft. Wie bleiben Sie dem eigenen Stil treu?

Die Frage ist, wie kann man eine Balance finden bei dem ganzen Repertoire und dem „äußeren Druck“. Es muss eine innere Stimme da sein, man muss sich selbst treu bleiben, authentisch sein und nach innen hören. Das fordert die Musik auch. Es ist eine Kommunikation mit der Partitur. Was dann mit dem Business zusammen hängt, ist sekundär, das darf nicht im Zentrum stehen. Die Balance konnte ich bislang ganz gut halten, ohne das Gefühl zu haben, ausgebrannt zu sein.


Gibt es noch etwas anderes außer Musik für Sie?

Es gibt so viele Dinge. Ich würde gerne mehr in Museen gehen und lesen. Bis ich den Tschaikowski-Wettbewerb in Moskau mit 15 gewann war es auch nicht klar, ob ich Musiker werde. Ich habe mich immer schon für Bildende Kunst, Architektur und Literatur interessiert. und nutze die vielen Reisen, um Städte und Gebäude kennen zu lernen. Mich interessiert der historische Hintergrund. Ich bin gerade in Venedig gemeinsam mit einem Experten die einzelnen Stationen der großen Cellobauer abgelaufen. Das war wie eine Zeitreise in eine andere Epoche – ähnlich wie in der Musik selbst.

Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt

Freitag, 10. August 2007

Interview mit dem Pianisten Thomas Hoppe (Atos-Trio)

Wie haben Sie als Trio zusammen gefunden?

Ich kenne Annette von Hehn aus Studienzeiten in den USA. Wir wollten schon immer Klaviertrio spielen. Das Repertoire ist fantastisch und der Klang liegt uns sehr nahe. In Berlin wurde uns Stefan Heinemeyer empfohlen. Wir trafen uns, spielten Schubert-Trios und verstanden uns von Anfang an blendend, sowohl menschlich als auch musikalisch.


Sie kommen mit Klassik und „gemäßigter moderne“ nach Mainz - ist das ein Schwerpunkt ihrer Arbeit?

Nein, ein Schwerpunkt ist es sicher nicht, da wir auch die Romantik sehr lieben, und sowohl „gemäßigte“ als auch „ultra“-moderne Werke erarbeiten.


Wie entsteht dann so ein Programm?

Da fließen viele Faktoren mit ein: was möchte der Veranstalter, was passt in unsere Terminplanung, was wird zu lang oder zu kurz? Wir spielen gerne Programme, die wie Menüs gestaltet sind – mit Vorspeise, Hauptgang und Dessert. Oder solche, die verschiedene Stile beinhalten.


Junge Musiker haben es schwer, im Musikgeschäft ihre Position zu finden. Wozu raten Sie aus Ihrer Erfahrung?

Ich rate ihnen, sich niemals beirren zu lassen. Ihr habt Talent und etwas zu sagen? Dann sagt es mit Überzeugung! Ich rate, so oft wie möglich zu konzertieren und nicht auf Prestige-Konzerte zu warten oder auf gut bezahlte – oder darauf, dass jemand diese Konzerte organisiert. Gut vorbereitet zu sein und viel zu üben ist die beste Hilfe gegen Lampenfieber. Und bleibt auf dem Boden! Der Musiker ist zuerst Mensch und muss nicht, wie manchmal erwartet, durch Verrücktheiten auf sich aufmerksam machen, durch rote Socken, wilde Allüren oder durchsichtige Kleider.


Auf welche Lehrer verlässt sich das Atos-Trio?

Auf Menahem Pressler, den Pianisten des Beaux Art Trios, oder Professor Ilan Gronich an der Universität der Künste Berlin, der uns seit Jahren betreut und hilft. Beim Alban Berg Quartett, bei dem wir zwei Jahre lang in Köln studiert haben, konnten wir lernen, Grenzen auszuloten, sowohl unsere eigenen als auch die der Musik. Wir haben viel über Probetechniken gelernt, wie man ein Stück schnell und gut erarbeitet, nicht überflüssig viel diskutiert. Meistens haben doch alle das gleiche musikalische Ziel, aber jeder drückt es anders aus, und durch zu viele Worte entsteht Verwirrung. Außerdem hilft uns das Quartett bei Fragen des Musikalltags, im Umgang mit Veranstaltern, Presse, Verhalten im Aufnahmestudio und vieles mehr.


Wer hat Sie persönlich geprägt?

Da ist natürlich Agathe Wanek, die mir als Jungstudent in Mainz fast 10 Jahre lang eine unersetzliche musikalische und menschliche Führung gegeben hat. Später war es Lee Luvisi in den USA, der mir durch seine Person, seine Einstellung zur Musik und seine Erfahrung ein ewiges Vorbild sein wird.

Erschienen in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Donnerstag, 2. August 2007

Gespräch mit der Sopranistin Simone Kermes

Händels „Saul“ gehört zu der Sorte Oratorium, bei denen sich der aufmerksame Zuhörer oft fragen kann, ob er nun wirklich in einem geistlich motivierten Konzert oder doch in der Oper sitzt. Auch die Sopranistin Simone Kermes, die am 12. August in Kloster Eberbach an der Aufführung mitwirkt, hat diesen besonderen Reiz für sich entdeckt. „Mich interessieren diese Oratorien besonders, die halbe Opern sind“, sagt sie. Und sie hat durchaus umfangreiche Erfahrungen gesammelt, so hat sie unter anderem gerade jenen „Saul“ zur Wieder-Eröffnung des Großen Hauses in Mainz mit aufgeführt. „Ich mag das opernhafte bei Händel besonders, mehr noch als die reinen Passionen etwa von Bach“, betont sie.

Allerdings ist sie überzeugt, dass nicht alle Oratorien auch für eine szenische Aufführung geeignet sind, wie es in der Vergangenheit an einigen Opernhäusern geschehen ist. „Das kommt immer auf das Stück an“, meint sie. „Manche gehen eben nicht, wie etwa die Matthäuspassion von Bach“, differenziert sie. „Man sollte genau auswählen, ob das passt“, warnt sie vor Übereifer. Auch das Schockieren um seiner selbst willen findet bei ihr keinen Zuspruch. „Es müssen nicht immer Nackte auf die Bühne geholt werden“, so ihre klare Meinung.

Von ihrem eigenen Beruf hat sie deutlich formulierte Vorstellungen. So fallen auch ihre Ratschläge für den Nachwuchs aus. „Man muss verrückt genug sein, um diesen Beruf auszuüben“, sagt sie. Neben großem Talent gehöre auch eine Portion Glück dazu. Wichtig sei es, Menschen hinter sich zu haben, die ehrlich sind. „Man muss seinen eigenen Weg gehen“, rät sie, weiß aber auch, dass das vor allem zu Beginn besonders schwer ist. „Gerade wenn man am Anfang steht, muss man selbstbewusst sein und wissen, was man will“, hat sie erfahren. Und damit meint sie auch die Auseinandersetzung mit Agenturen und Intendanten. „Es wird für junge Künstler immer schwieriger“, weiß die renommierte Sängerin. So habe sie es schon erlebt, dass Künstler am Beginn ihrer Karriere regelrecht eingeschüchtert werden und Angst haben, ihre Meinung zu sagen, wenn sie für etwas eingesetzt werden, bei dem sie kaputt gespielt werden.

„Heutzutage wird aus jedem ein Star gemacht, der oft nur Mittelmaß bringt“, merkt sie weiterhin kritisch an und fürchtet einen allmählichen „Ausverkauf der Kultur“. „Es geht ums Geschäft, das hat oft wenig mit Kunst zu tun“, bedauert sie. „Man muss als Sänger seinen eigenen Weg finden und etwas neues schaffen“, so ihr Idealbild. Selbst hat sie von einer Persönlichkeit wie Dietrich Fischer-Dieskau viel gelernt, ohne ihre kritische Distanz zu verlieren. „Das Publikum muss merken, dass man es ehrlich meint“, erwartet sie von sich und anderen. Eine Herangehensweise, die nach ihrer Beobachtung immer mehr in den Hintergrund rückt.

Der Erfolg gibt ihr Recht auf dem geradlinigen Weg. Für ihre erste Solo-CD mit Vivaldi-Motetten wurde sie mit dem Diapason d`Or und dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik 2007 ausgezeichnet. In Kürze werden CDs mit Vivaldi-Opernarien und mit Kantaten von Joseph Martin Kraus erscheinen, außerdem eine Produktion mit Purcells „Dido und Aeneas“, bei der sie die Rolle der Dido übernommen hat.

Aufführung von Händels „Saul“ am Sonntag, 12. August um 19 Uhr in der Basilika von Kloster Eberbach

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt und Wiesbadener Kurier

Mittwoch, 1. August 2007

Placido Domingo in Wiesbaden

Ausverkauft sieht anders aus. Woran es liegen mag, dass statt der erwarteten 12.000 Gäste doch nur rund 8.000 Fans vor das Wiesbadener Kurhaus kamen, um Startenor Placido Domingo bei seinem einzigen Deutschland-Konzert in diesem Jahr zu sehen, darüber kann trefflich spekuliert werden. Das Wetter ist ein gerne herangezogener Grund, schließlich war kein lauer Sommerabend zu erwarten, auch wenn es trocken blieb. Womöglich haben die ungewöhnlich hohen Preise für die Tickets den einen oder anderen Opernliebhaber abgeschreckt. Denn vor den Absperrungen tummelte sich eine durchaus ansehnliche Schar an Zaungästen, die sich zumindest die Klänge beim zweiten Wiesbaden-Besuch nach 1994 nicht entgehen lassen wollten. Bereit, zwischen 60 und 320 Euro dafür auszugeben, waren sie allerdings nicht. „Wir mögen Placido Domingo wirklich sehr“, sagt etwa die Wiesbadenerin Ingrid Hasenclever. „Aber 120 Euro für zwei Personen auf den schlechtesten Plätzen ist einfach zu viel“, meint sie.

Die Gäste drinnen wie draußen erlebten ein eher durchwachsenes Ereignis. Bereits zum fünften Mal begleitete die Philharmonie Baden-Baden den Star, mittlerweile hat sich ein gutes künstlerisches Verhältnis entwickelt. Die Tücke einer Freiluft-Veranstaltung liegt in der Technik. So klangen trotz beeindruckendem Aufgebot an Lautsprechern viele Passagen wie aus dem Weltempfänger gequetscht. An farbliche Differenzierungen war selten zu denken. Hinzu kamen deutliche Intonationsprobleme, insbesondere bei Streichern und Holzbläsern.

Domingo gefiel mit einem gemischten Programm. Im ersten Teil nahm er sich schwere Kost vor, etwa das Lamento di Federico aus Francesco Cileas Oper „L’Arlesiana“. Es gelang ihm, eine emotional tiefgründige Interpretation abzuliefern und auch in dem großen Raum so etwas wie Intimität herzustellen. Zwei Mal musste er allerdings in der ersten Hälfte abbrechen. An seiner Stimme läge es nicht, meinte er und betonte, dass es ihm gut ginge. Trotz offensichtlicher Kraftanstrengungen aber hat der mittlerweile 66-jährige Spanier nichts von seinem unverwechselbaren Timbre verloren. Im zweiten Teil widmete er sich lustvoll der leichten Muse, durchstreifte Lehars „Lustige Witwe“ und unternahm einen Ausflug zu Richard Rogers’ „South Pacific“.

Ihm zur Seite stand die Sopranistin Ana-Maria Martínez aus Puerto Rico, sie hatte 1995 den Ersten Preis beim Placído-Domingo-Wettbewerb in Barcelona gewonnen und war unter anderem an der Wiener Staatsoper und der Deutschen Oper Berlin zu Gast. Nach einem zunächst etwas flach wirkenden Einstieg mit der Rosina-Arie „Una voce poco fa“ aus Rossinis „Barbier“, gelang es ihr später, mit deutlich mehr Sicherheit einige ansprechende Momente, vor allem dank einer soliden und reinen Höhe zu gestalten. Das abschließende Feuerwerk beendete einen Gala-Abend, der sicherlich nicht nur für den reinen Opernliebhaber gedacht war – die meisten von denen werden sich wohl lieber an Domingos Besuche auf den Weltbühnen erinnern anstatt an einen Abend mit Häppchen, belegten Brötchen, Bier und Sekt.

Veröffentlicht im Darmstädter Echo