Freitag, 29. Mai 2009

An den Internationalen Maifestspielen beteiligt sich Wiesbaden mit der Mozart-Oper „Don Giovanni“ in Carlos Wagners Inszenierung

Es gehört zur guten Tradition, dass sich der Gastgeber des Festivals nicht nur zu Beginn mit einer Neuproduktion beteiligt, sondern auch ein laufendes Stück in besonderer Besetzung beisteuert. In diesem Jahr ist es Mozarts „Don Giovanni“ in der Inszenierung von Carlos Wagner, der damit im September vergangenen Jahres die Spielzeit eingeläutet hatte. (Rezension vom 8.9.09) Als Gäste waren der Bariton Thomas J. Mayer für die Titelrolle, Erwin Schrott als dessen Gefolgsmann Leporello und der Schweizer Tenor Nernard Richter gewonnen worden, die sich nahtlos in das Wiesbadener Ensemble einfügten.

Einmal mehr konnten die Opernbesucher erleben, wie die kluge Personenführung von Carlos Wagner in jeder Szene einwandfrei funktionierte. Jeder Moment hat seine eigene Spannung, die Szenen gehen mühelos ineinander über, ohne Handlungslücken zuzulassen. Mit Hilfe von Rifail Ajdarpasic und Ariane Isabell Unfried, die sich für ein eher klassisches Bühnenbild entschieden haben und den meist dezenten Kostüme von Christof Cremer hat Wagner eine zeitlose Inszenierung geschaffen, die sich nicht aufdrängt. Dennoch umgeht sie keinen Konflikt. Weder den des Giovanni, dessen übermäßiges Ego keine Selbstzweifel zulässt, noch den des Aufpralls der gesellschaftlichen Welten des prekariösen Paars Zerlina und Masetto auf die der Oberschicht der Dons und Donnas.

Erwin Schrott kann als markiger Leporello mit einer Menge Spielwitz für sich einnehmen, Thomas J. Meyer gibt einen kraftvoll überzeugenden Don Giovanni. Bernard Richters klar fokussierter Don Ottavio zeichnet sich durch eine durchaus herbe Gestaltung aus. Empfindsam füllt Tatiana Plotnikova die Donna Anna mit Leben. Mitreißend und mit makelloser, farblich brillanter Höhe begeistert Aga Mikolaj als Donna Elvira. Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Marc Piollet spielt das Staatsorchester schlank und durchsichtig auf, erweist sich als ungemein beweglich und sichert der Vorstellung ein unerschütterliches klangliches Fundament.


Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Vergleiche auch: Wiederaufnahme der Inszenierung von Peter Mussbach in Frankfurt (8.3.09)

Mittwoch, 27. Mai 2009

Konzertanter Opernabend mit der Barockoper „Die schöne und getreue Ariadne“ von Johann Georg Conradi bei den Internationalen Maifestspielen.

Fast 300 Jahre lang schlummerte sie unentdeckt vor sich hin. Die Oper „Die schöne und getreue Ariadne“ wurde 1691 für die Hamburger Bürgeroper am Gänsmarkt verfasst und erst 1972 wieder entdeckt. 1722 hatte übrigens der ungleich berühmteren Komponist Reinhard Keiser das Werk auf ein Libretto von Christian Heinrich Postel noch einmal neu bearbeitet. Aber auch Johann Georg Conradi erfreute sich Zeit seines Lebens einer gewissen Beliebtheit, war unter anderem einige Jahre als Kapellmeister in Hamburg angestellt, nachdem er zuvor in Ansbach und Oettingen gewirkt hatte.

In Wiesbaden hatte sich nun das „Ensemble Mattiacis“ unter der künstlerischen Gesamtleitung von Thomas de Vries dieser weitest gehend unbekannten Oper angenommen, freilich nur in konzertanter Fassung im prunkvollen Foyer des Staatstheaters, das eine durchaus adäquate Bühne für das barocke Werk darstellt. Dem Verlauf der Handlung jedoch wurde man dadurch nicht gerecht, was angesichts der sicherlich spannenden Vorlage noch nachzuholen wäre. Die Schwestern Ariadne und Phaedra buhlen um Theseus, den Prinzen von Athen. Scheinbar hat der sich für Ariadne entschieden, lässt sie aber auf Naxos zurück, um zu deren Schwester zurück zu kehren.

Das „Ensemble Mattiacis“ vermochte unter der sparsamen Leitung von Yvon Répérant, der vom Cembalo aus nur wenige Impulse zu setzen schien, die Farbigkeit des Werkes nur in Maßen zu vermitteln. Zu oft standen intonatorische Probleme im Weg, zu sehr zogen sich die Instrumentalisten in wenig inspirierter Routine zurück. Sängerisch hingegen konnten das Ensemble zum Großteil überzeugen. Emma Pearson gab mit sehr klaren Formulierungen, direkter Ansprache und einer agilen Schärfe eine ausdrucksstarke Phaedra, Sharon Kempton konnte gehaltvoll die emotionale Spanne zwischen Liebe und Zorn beleben. Thomas de Vries' Minos geriet mächtig, dabei sehr beweglich, der Theseus von Gustavo Quaresma hingegen etwas schematisch.


Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Montag, 18. Mai 2009

Ein Abend ohne aber für Joni Mitchell

Hinter der Bühne ist ein farbenfrohes Bild zu sehen, das zwar nicht direkt Kreise darstellt, aber durchaus mit runden Formen aufwartet, die einen zyklischen Gedanken nahe legen. Die Arbeit von Sabine Gustke ziert auch das Cover der noch rechtzeitig vor dem vergangenen Wochenende ausgelieferten CD von Annette Marquard, Kate Nelson und Tilmann Höhn. Die beiden Sängerinnen und der Gitarrist haben sich gemeinsam auf eine retrospektive Reise von Joni Mitchell begeben und dabei an ganz unterschiedlichen Stellen ihres musikalischen und privaten Lebens Station gemacht. Im intimen Rahmen des Spiegelsaals des Walhalla-Theaters wurden nun ganz verschiedene Stimmungen wieder gegeben, in die sich das zahlreich erschienene Publikum gerne mitnehmen ließ.

Mit ihrem warmen, kraftvollen Timbre hatte es Annette Marquard übernommen, das Titelstück zu interpretieren. Musikalisch tiefsinnig lotete sie die Feinheiten der Musik einfühlsam aus. Mit „River“ stellte Kate Nelson erstmals an diesem Abend ihre helle und unaufdringlich brillante Stimme mit der gleichen Empathie vor, die auch im späteren Verlauf in so einem spannungsvollen Kontrast zu der Stimmfarbe ihrer Kollegin stehen sollte. „Little Green“, so erfährt das Publikum, hat Joni Mitchell im Alter von 19 Jahren geschrieben, als sie ihr Tochter zur Adoption freigegeben hat. Kate Nelson brachte dieses ganz besondere Wiegenlied mit sanfter, leicht samtiger Färbung ganz nah an die Ohren des Publikums heran.

Mit „Night ride home“ gelang Annette Marquard schnell wieder der gebändigt rockige Ausstieg aus der voraus gegangenen Melancholie, nicht zuletzt dank Tilmann Höhns pointierter rhythmischer Gestaltung am Sechssaiter. Ohnehin erwies sich der Gitarrist an diesem Abend immer wieder als herausragender Instrumentalist, dessen Fingerfertigkeit mit einem hohen Maß an musikalischem Einfallsreichtum korrespondierte. Mit „Map of Canada“ konnte er auch solistisch überzeugen, verband technische Höchstleistungen mit eng verwobenen Klangflächen.

Dass sich die Stimmen der beiden Sängerinnen gegenseitig einiges zu sagen haben, fiel ganz besonders in „Chinese Coffee“ auf. Über den erdigen Ton von Annette Marquard legte sich Kate Nelsons geschmeidig hell-raue Note ohne jede unangenehme Reibung. Zudem gelang es den beiden Musikerinnen immer wieder während des Stückes die Rollen zu tauschen. Später zeigte sich, dass Annette Marquard durchaus zu einem sehr kernigen Klang kommen kann während Kate Nelson eine angenehm ins Metallische changierende Note einführte.

Schade, dass es nur einige der an diesem Abend aufgeführten Stücke auf die CD geschafft haben. Die Herangehensweise an die Titel aber beweist ein hohes Maß an musikalischer Eigenständigkeit der Interpreten. Die machen zwar aus ihrem hohen Respekt vor Joni Mitchell keinen Hehl, lassen sich dadurch aber nicht von ihrer persönlichen Deutung und Gestaltung abhalten.

Die CD „Circle Games“ kann derzeit zum Preis von 15 Euro über www.annettemarquard.de oder www.tilmannhoehn.de bestellt werden.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt
Foto: wita/Uwe Stotz

Das Staatstheater Mainz zeigt die Szenische Erstaufführung von Rolf Riehms „Die schrecklich-gewaltigen Kinder“ in der Inszenierung von Gisbert Jäkel.

Es ist nicht so ganz klar, was das Verstörende dieser Aufführung eigentlich ausmacht. Ist es die Dichtung des antiken Griechen Hesiod, seine „Theogonie“, die von Uranos handelt, der seine Kinder in Gefangenschaft hielt und deshalb von seinem Sohn Kronos brutal entmannt wurde? Oder die plakative, mitunter aufreibende und auf jeden Fall scheinbar passgenau auf das Geschehen abgemessene Musik von Rolf Riehm, die vor sechs Jahren entstanden ist? Schließlich bleibt noch die mitunter bizarre, aber immer direkt ansprechende Inszenierung von Gisbert Jäkel am Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters.

Riehm selbst ist davon überzeugt, dass der Text zu seinem Werk „Die Schrecklich-gewaltigen Kinder“ trotz seines Alters „keinen Staub angesetzt hat“, die Botschaft sei: „Nur mit Gewalt sind zwischenmenschliche Beziehungen zu ändern“. Damit schlägt er den Bogen von Hesoid bis zum ehemaligen Präsidenten George Bush in seiner Vorbereitung auf den Irak-Krieg. Eigentlich war das Werk nicht zur szenischen Aufführung gedacht, Riehm sah es als „Film ohne Bilder“ an. Die Anfrage der Mainzer aber habe ihn geradezu begeistert und Jäkel ist gar davon überzeugt, dass die Musik seine Bilder und Vorgänger geradezu provoziere.

Gisbert Jäkel, der für diese Arbeit zum ersten Mal ans Mainzer Staatstheater gekommen ist, zeichnet auch für das Bühnenbild verantwortlich, das von einer raumgreifenden Betonwand geprägt ist, in die zuvor ein riesiges Loch gerissen wurde. Vermutlich durch eine Explosion wird der Einblick in das Familienleben des alten Göttergeschlechts nun möglich. Musikalisch zerlegt Riehm das Geschehen permanent in seine Einzelteile, hinterfragt gekonnt und erstellt musikalische Gegenkonstrukte. Die permamente Spannung zwischen Musik und Handlung wird dadurch innerhalb der kurzen Stunde immer wieder enorm gegenwärtig.

Die Rollen sind klar verteilt, während die überwältigende Sopranistin Ana Durlovski mit vokaler Strahlkraft und der offenkundigen Fähigkeit zur künstlerischen Reibung durch die Handlung führt, ist der Tänzer Rogério Cruz ein flammend entzürnter Kronos, der dem plumpen, zuletzt nur noch armselig dahinvegetierenden Uranos (Wilfried Günther) die lange erhoffte Rache zuteil werden lässt. Clemens Heil und das Ensemble des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz loten die musikalischen Besonderheiten der herausfordernden Partitur in all ihren Tiefen und Furchen aus und belassen ihr damit die Hauptrolle in einem Musikwerk mit eindringlicher szenischer Illustration. Einmal nicht anders herum, was allein den Abend schon bemerkenswert macht.

Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse

Freitag, 15. Mai 2009

Götz Alsmann ist in der Frankfurter Alten Oper weder Engel noch Teufel, sondern einmal mehr ein brillanter Unterhalter auf höchstem Niveau.

Eigentlich will er doch gar nicht wissen, ob er eher Engel oder doch mehr ein Teufel ist. Aber da er an verschiedene Höllen für unterschiedliche Berufsgruppen glaubt, ist Götz Alsmann die Hölle
wahrlich nicht zu wünschen. In der teuflischen Abteilung für Jazzmusiker nämlich dürfte er zwar mit allen Größen seiner Zunft gemeinsam spielen und bekäme von niemandem Geringerem als Count Basie die Noten gebracht. Doch zu spielen hätte er dann „Schnappi, das kleine Krokodil“. Mit „Engel oder Teufel“ ist Alsmann mit neuem Programm zurück in Frankfurt und hat seine drei Weggefährten Rhythmus, Text und Melodie im Gepäck.

Seine nach wie vor allerfeinste Stärke liegt in den vielseitigen Arrangements, die nicht bloß
Begleitgeräusche für den Star im Mittelpunkt darstellen. Drei Schlagwerker hat er um sich geschart, ein jeder ein absoluter Individualist mit dem Hang zum Besonderen im Team. Altfried Maria Sicking wirbelt vierklöppelig zwischen Vibra- und Xylophon umher und spitzt zudem die Lippen für gedämpfte Trompetensoli, Rudi Marhold zieht sich am Schlagzeug vermutlich so manche Sehnenscheidenentzündung zu und Markus Paßlick entdeckt immer wieder neues exotisches Perkussions-Spielzeug um jedem Titel einen ganz eigenen Atmosphäre-Tupfer beizufügen. Michael Ottomar Müller steuert schließlich den roten Bassfaden bei.

Alsmann selbst ist ein Meister der Mimik und der Tastenkombinationen. Während er lässig Akkorde antippt, schweift sein Blick suchend umher, manchmal verzieht er das Gesicht zur bübischen Grimasse oder zieht die Augenbrauen einen halben Millimeter hoch. Musikalisch gibt es zwischen Gute-Laune-Tänzen bis zu melancholisch schönen Liebes-Seufzern das gesamte
Alsmann-Schlager-Jazz-Repertoire. Gänsehautverdächtig ist sein „Geisterreiter“, gar nicht deutschtümelnd sein Liebeslied an alle germanischen Frauennamen, die man in einem Lied unterbringen kann.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Sonntag, 10. Mai 2009

Die australische „Co-Opera“ spielt an ungewöhnlichen Orten und gastiert mit Mozarts "Zauberflöte" bei den Internationalen Maifestspielen

Mit 18.000 Kilometern hält die „Co-Opera – Opera on the move“ wohl den ewigen Streckenrekord. So weit ist bislang kein Ensemble gereist, um an den Maifestspielen teilzunehmen. Doch das Konzept der „Outback-Oper“ besteht gerade in dieser Unstetigkeit. 15.000 Kilometer legt sie pro Spielzeit zurück, um in die hintersten Winkel Australiens vorzudringen. Mit drei Kleinbussen und einem Lastwagen zieht sie durch die unwirtlichsten Gegenden, um vor Farmern, Rinderzüchtern, Glücksrittern und Bergleuten aufzutreten.

Im Gepäck haben diese Musik-Pioniere nichts weniger als traditionelle Oper in behutsam zeitgenössischem Gewand. Da unterbricht die Handlung mal kurz für einen Popsong, mitunter mischen sich die Akteure auch unter ihr Publikum. Doch die eigentliche Oper wird dieser volkstümlichen Vermittlungsweise niemals geopfert. Durch die guten Kontakte zwischen dem Staatstheater und der australischen Opernszene, die bereits hervorragende Künstler nach Wiesbaden gebracht hat, konnte das hiesige Publikum jetzt eine Kostprobe dieses ungewöhnlichen Ensembles erhalten.

Selbstverständlich kann ein derart extravaganter Gast nicht ins Große Haus eingeladen werden, so wurde Mozarts „Zauberflöte“ im Kultur- und Kommunikationszentrum Schlachthof positioniert. Auch hierher waren neben den üblichen Opern-Fans zahlreiche Neugierige gekommen, die erleben wollten, wie der Ort, der ansonsten für Rock-Konzerte und Partys genutzt wird, zur Opernbühne wird.

Und das Experiment ging auf. Mit ungeheurer Spielfreude sind die Sänger auf der spartanisch mit einem Metallgerüst ausgestatteten Bühne zugange. Die Regisseurin Tessa Bremner verleget die Handlung in die Konkurrenzwelt des Gaststättengewerbes, wo man sie durchaus problemlos unterbringen kann. Es ist ganz allein den Sängern überlassen, das Konzept zu tragen, denn außer ein paar Lichteffekten gibt es keinerlei Unterstützung. Doch mehr brauchen sie auch nicht, denn ihre nie abnehmende Präsenz sorgt für ausreichend Spannung.

Auch musikalisch kommt einiges rüber. Jeremy Tatchell ist ein flotter Papageno, der hier seinen Unterhalt nicht mit lebendigen Vögel, sondern mit Grillhühnchen bestreitet. Sara Lambert verleiht mit brillantem Timbre der Pamina einen gelungen mädchenhaften Charme, Eleanor Blythman ist eine überragende, koloratursichere Königin der Nacht, Andrea Carcassi ein wohltönender Sarastro und Vincent Fusco gibt sich als schmieriger Koch Monostatos standesgemäß fies und eklig. Nur Ernst Ens scheint mit der Rolle des Tamino streckenweise stimmlich etwas überfordert.

Ein echter Glücksfall ist der Besuch der Australier für fünf Studierende der Wiesbadener Musikakademie. Manuel Wüst (Flöte), Leonie Dessauer (Oboe), Christian Claus (Klarinette), Jörg Hahn (Fagott) und Lincon Dias (Horn) nutzen die Chance, eine komplette Oper mitgestalten zu können, mit großem Engagement und einer erstaunlichen Raffinesse, die zu der kammermusikalischen Besetzung unter der Leitung von Brian Chatterton perfekt passt.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Gerd Knebel in Wiesbaden

Eine Turnhalle ist keine Kleinkunst-Bühne. Deshalb würden sich wohl nur wenige Vertreter jener Zunft dorthin wagen. Für Gerd Knebel aber ist das kein Problem. Als solistische Hälfte von „Badesalz“ geht ihm ein Ruf voraus, der die Dotzheimer Turnhalle zur Eröffnung der Kulturtage des Vereinsrings nahezu komplett füllt. Knebel hat sein Publikum von Anfang an im Griff. Mit dieser seltenen Mischung aus Brachialhumor und Subversivität lässt er sich immer nur momentweise in eine Schublade stecken, aus der er überraschend schnell stets wieder heraus krabbelt.

In den ersten Minuten gefällt er sich als Rüpel. Da weiß er, wie das geht, muss kein Neuland betreten, so kennen und lieben ihn die Fans. Da macht es auch nichts, wenn er Peter Gauweiler für einen CDU-Politiker hält und ihn zum Erbauer von Aids-Konzentrationslagern dämonisiert. Wie ist er darauf gekommen? Klar, durch die Verhaftung der „Sängerin“ Nadja Benaissa („No Angels“), die angeblich wissentlich einen Mann mit dem HI-Virus angesteckt haben soll. Warum interessiert ihn das? Weil er gerne auch mal von der Bühne weg verhaftet werden möchte. Auf diese verschlungenen Pfade durch seine Hirnwindungen lädt Knebel unverzagt ein und erntet von seinen Verfolgern hemmungslose Begeisterung.

Auch seine Mario-Barth-Parodie kommt an und seine Publikumsbeschimpfung ebenso: „Ihr seid freundlich, nicht zu kritisch und ungebildet“. Aber es ist nett gemeint, Schlaumeier findet er nämlich blöd. Dann freut er sich über „Medien, die einen vor der Wahrheit verschonen“ und erklärt Metaphern. Urplötzlich wird er so etwas wie politisch. Dann, wenn er über sein schlechtes Gewissen sinniert, dass ihn beschleicht, wenn er von der Startbahn West, gegen die er mit seiner Band „Flatsch!“ seinerzeit protestiert hat, in Urlaub fliegt. Seine bizarre Fantasie von einem Startbahn-West-Modell im Bord-Magazin sollte er dringend ausbauen, die hat surrealistisches
Potenzial.

Auch was er über schwäbische Waffen zu sagen hat, die, von der Bader-Meinhof-Gruppe getestet, nun in Georgien eingesetzt würden, birgt echte Kabarett-Qualitäten: „Den Waffen ist's egal, wer der Herr ist, Hauptsache sie dürfen Gassi gehen.“ Wenn er Liebesbriefe an Adolf
Hitler vorliest, dann nur, um zu veranschaulichen: „Wenn Du ein guter Mörder bist, bekommst Du alle!“, was er noch mit Gestalten wie Milosevic oder Pinochet illustriert. Auch im zweiten Teil gibt es solche Töne, wie etwa die über die „Angst-Flatrate“, den Preis der Freiheit in einer Demokratie.

In geschicktem Wechsel schiebt er dazwischen andauernd die beherzten Griffe unter die Gürtellinie und punktet mit dem passenden Vokabular in breit schlappender südhessischer Mundart. Ihm gelingen diese Rollenwechsel mühelos und authentisch, er hat weder das Belehrende und Angestrengte mancher Kabarett-Kollegen, gründelt aber gleichzeitig nie ausschließlich in den sumpfigen Themen-Niederungen der meisten Comedians. Gerd Knebel gibt weder den Intellektuellen noch den Verbal-Vandalen. Er stoppelt sich sein eigenes Patchwork zusammen.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt
Foto: Paul Müller

Dienstag, 5. Mai 2009

Konstanze Lauterbach inszeniert Alban Bergs Oper „Lulu“ zur Eröffnung der Wiesbadener Maifestspiele als packendes Psychodrama.

Die Geschichte taugt zum Krimi. Lulu kommt von ganz unten, steigt durch kluge Heiratspolitik eines wohlhabenden Gönners gesellschaftlich auf, verführt ihren Förderer und richtet ihn psychisch wie physisch zu Grunde. Als Mörderin entlarvt landet sie nach einem kurzen Ausflug in die dekadent zugespitzte Welt der Börsenspekulanten dort, wo sie hergekommen ist: in der Gosse. Alban Berg hat seine zweite und letzte Oper aus Frank Wedekinds Tragödien „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ gezogen, allerdings nie vollendet. Der Torso wurde 1937, eineinhalb Jahre nach Bergs Tod, in Zürich uraufgeführt. 1979 kam das komplette Werk, das dann von Friedrich Cerha ergänzt worden war, in Paris zur Uraufführung.

Konstanze Lauterbach hatte nun die Inszenierung zur Eröffnung der Internationalen Maifestspiele in Wiesbaden übernommen. Für das Wiesbadener Publikum ist sie freilich keine Unbekannte. Hier hat sie neben einigen Schauspielen gerade vor einem halben Jahr Jules Massenets Oper „Werther“ inszeniert. Mit „Lulu“ gelingt ihr jetzt eine enorm eindringliche Fallstudie. Ihrer körperlichen Reize voll bewusst, mauschelt sich Lulu von einer Affäre zur nächsten, hinterlässt buchstäblich Leichen, wo immer sie sich nieder gelassen hat. Zu diesem Psychothriller hat Andreas Jander ein farbenprächtiges, kraftvolles Bühnenbild modelliert, in dem die mitunter tragischen Zusammenhänge umso kontrastreicher wirken. Das blühende Leben ist nach und nach dem Verfall preisgegeben, was sich auch deutlich auf der Bühne widerspiegelt.

Lulus unschuldige Aspekte finden gleichermaßen ihren Ausdruck. Ein Plüschtiger und ein Schaukelpferd stehen dem erotischen Gemälde gegenüber, das der Maler, der sich ihretwegen selbst getötet hat, einmal geschaffen hat und damit kurzzeitig zu Reichtum gekommen ist. Eine geradezu übermenschliche Leistung vollbringt an diesem Abend die überragende Emma Pearson in der Titelpartie. Mit großem Applaus wird schließlich ihr nie einbrechender Einsatz gewürdigt. Stimmlich ist sie souverän und pointiert, als Schauspielerin in einer authentischen Art wandelbar, wie sie deutlicher kaum darstellbar sein dürfte. Ute Döring ist ihr in der Rolle der Gräfin Geschwitz bemitleidenswert hörig, Erin Caves stellt den tragisch fallenden Alwa emotional packend dar. Dr. Schön, der leidende Förderer des Gossenkindes, findet in Claudio Otelli einen bitter konsequent auftretenden Darsteller.

Insbesondere das Orchester kann unter der Leitung von Generalmusikdirektor Marc Piollet einmal mehr mit Raffinesse und zielgerichteter klanglicher Ausgestaltung überzeugen. Das für das menschliche Ohr nicht immer leicht nachvollziehbare 12-Ton-Geflecht erlebt in seiner Interpretation eine effektvolle wie klug durchschaute Deutung und Vermittlung. Das Drama wird dadurch erst begreiflich.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse