Donnerstag, 27. November 2008

Antisemitismus-Ausstellung in Mainz eröffnet

Aktuelle Formen des Antisemitismus werden nicht nur durch pöbelnde Skinhead-Banden repräsentiert. 70 Jahre nach der Reichspogromnacht haben Anhänger judenfeindlicher Theorien unterschiedlicher Spielarten weltweit ihre Anhänger. Im Mainzer Rathaus wurde nun die Ausstellung „Antisemitismus? Antizionismus? Israelkritik?“ eröffnet. Die Tafeln wurden bereits unter anderem in Berlin, Hamburg und Dresden gezeigt und sind für eine europaweite Präsentation hergerichtet worden. Das Konzept stammt von der Holocaust-Gedenkstätte „Yad Vashem“ in Jerusalem und dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin.

Dass die Ausstellung in Mainz zu sehen ist, geht auf eine Einladung der Landeszentrale für politische Bildung zurück. Wenige Tage nach der Grundsteinlegung für eine neue Synagoge macht sie deutlich, dass das Thema in Mainz nach wie vor von Bedeutung ist. Der frühere Mainzer Sozialdezernent Michael Ebeling, heute Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur begrüßte die Gäste zu Beginn mit eindringlichen Worten. „Wir müssen auch den gegenwärtigen Antisemitismus ernst nehmen“, unterstrich er. Dabei müsse auch hinterfragt werden, warum er heute zunehmend wieder gesellschaftsfähig werden kann. „Der Blick nach vorne kann niemals ohne den Blick in die Vergangenheit gelingen“, ist er überzeugt.

„Wir brauchen eine aktive Erinnerungsarbeit“, sagte er und hob die Aktivitäten der Landeszentrale hervor. Die Ausstellung gebe den Bürgern „die Möglichkeit, sich an solchen Themen zu reiben“. Dr. Dieter Schiffmann von der Landeszentrale ist überzeugt, dass der Antisemitismus noch „subkurtan virulent“ sei. Gleichzeitig, so machte er deutlich, müsse es legitime Formen der kritischen Auseinandersetzung mit Aspekten der israelischen Politik geben dürfen.

Prof. Wolfgang Benz , Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, bezeichnete den Antisemitismus als das „älteste kulturelle, politische, soziale und religiöse Vorurteil der Welt“ und skizzierte in seiner Einführung vier Grundphänomene. Der christliche Anti-Judaismus habe vom Mittelalter bis in die Neuzeit existiert, spiele aber heute in Deutschland nur noch eine untergeordnete Rolle. Hinzu kommen ein antropologisch, sozial-darwinistisch hergeleiteter Rassenhass sowie eine Judenfeindschaft nach dem Holocaust, der aus Scham und Schuldabwehr resultiere. Dieser „sekundäre Antisemitismus“ sei unter anderem für die Schluss-Strich-Rufe verantwortlich. Als viertes Phänomen nannte er den Antizionismus.

Die Ausstellung wird bis zum 20. Dezember im Foyer des Rathauses gezeigt.
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 8 bis 18 Uhr, Samstag 9 bis 14 Uhr.
Der Eintritt ist frei.


Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Mittwoch, 26. November 2008

Wenn Kunst auf Reisen geht

Manchmal können Ines Unger und Sarah Bernhardt im Bekanntenkreis erzählen, dass sie bald wieder nach New York, Los Angeles, Paris oder Rom fliegen. Für einen Moment ist ihnen der Neid der Gesprächsteilnehmer sicher, doch bald stellt sich heraus, dass der vermeintliche Luxus-Trip harte, ermüdende Arbeit bedeutet. Wenn Kunst auf Reisen geht und entsprechend wertvoll ist, muss eine der beiden Restauratorinnen mitkommen. Doch besonders angenehme Reisepartner sind die Gemälde und Skulpturen des Wiesbadener Landesmuseums nicht. Im Gegenteil, sie sind ausgesprochen launisch, fordern Aufmerksamkeit und sind enorm sensibel.

Die „Terrasse am Walchensee“ von Lovis Corinth ist so ein Kandidat. Das Gemälde ist heiß begehrt und wird dementsprechend oft zur Ausleihe angefragt. Ein Dilemma für die Restauratorinnen, denn: „Wenn etwas viel reist, wird es auch viel angefragt“, so Ines Unger. Denn wenn es einmal woanders hängt, erweckt es Begehrlichkeiten bei anderen Ausstellern. „Für den Wert des Bildes und das Haus ist das gut“, weiß sie. Für die Materie des Bildes sei so ein Leben auf Reisen jedoch nicht optimal. „Auch wenn man sich noch so viel Mühe gibt, stellt Reisen für ein Kunstwerk immer ein Problem dar“, sagt sie.

„Wir versuchen, es von vorne herein so gut wie möglich zu schützen“, betont ihre Kollegin. „Doch alles kann passieren“, kann sie aus langjähriger Erfahrung bestätigen. „Am liebsten würden wir gar nicht ausleihen“, lacht Sarah Bernhardt, doch das wäre wohl auch nicht im Sinne der Kunst. Und so wird alles Menschenmögliche unternommen, um dem Werk die Reise so angenehm, wie möglich zu gestalten. Zunächst werden Verträge „Nagel zu Nagel“ aufgesetzt, die auch die Versicherungsfrage im Detail klären. Dann erhalten spezielle Kunsttranportfirmen den Auftrag zum Umzug. Die verfügen über entsprechendes Material, wie etwa die besonders klimatisierten und sanft gefederten Fahrzeuge. Bewegung und Klimaveränderungen sind eine Gefahr für sensible Bilder. Durch Rütteln können Risse entstehen. Die sind zwar mikroskopisch klein und mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen, doch sie stellen den Anfang eines schleichenden Prozesses dar. Kleine Sprünge können sich vertiefen, Malschollen lösen sich ab. „Auch wenn man es nicht sofort sehen kann, gibt es immer Veränderungen“, bestätigt Sarah Bernhardt.

Besonders wertvolle Gemälde werden von einer der Restauratorinnen begleitet. „Sollte ein Unfall geschehen, sind wir gleich vor Ort“, begründet Ines Unger den Aufwand. Und so entstehen auch für die sie Reise-Anlässe. Doch mit Urlaub hat das nichts zu tun. Oft müssen sie stundenlang in den Cargo-Hallen auf Flughäfen darauf warten, dass es weiter geht, dürfen dabei ihren Schützling aber nie aus den Augen verlieren. Denn in der Regel geht das Flughafenpersonal nicht allzu liebevoll mit dem sperrigen Gut um. Nicht aus Ignoranz, sondern weil oft nicht bekannt ist, was sich in den seltsamen Kisten verbirgt. Einmal, so wissen die Restauratorinnen zu berichten, ist auch Wasser in einen Container eingedrungen, in dem eine ihrer Klimakisten stand. Ein andermal haben sich die Mitarbeiter geweigert, das Objekt festzugurten. Wären sie nicht dabei gewesen, hätte diese Vorfälle großen Schaden nach sich gezogen.

Mit den Klimakisten hat es eine besondere Bewandtnis. Sie sind durch mehrere Schichten dermaßen gut isoliert, dass sich das Klima in ihnen nur sehr langsam verändert. Die Gemälde erleben also keinen Schock, wenn sie aus ihrem warmen Zuhause etwa im Winter auf die Straße, in eine kalte Flughafenhalle und später in ein klimatisiertes Flugzeug transportiert werden. „Ohne die Kisten könnte man richtig spüren, wie sich das Material zusammen zieht“, weiß Ines Unger. Nach der Ankunft am Bestimmungsort müssen die Kisten zunächst 24 Stunden ungeöffnet stehen bleiben, damit sich der Inhalt langsam an das neue Außenklima gewöhnen kann. In dieser Zeit hat nun auch die Begleiterin endlich ein wenig Zeit, die sie für sich selbst nutzen kann. Doch Sehenswürdigkeiten stehen dabei selten auf dem Programm. Gerade nach Interkontinentalflügen ist Sarah Bernhardt froh, endlich ins Hotel zu kommen.

Es gibt auch Bilder, die grundsätzlich nicht ausgeliehen werden. Für die wurde eine „Rote Liste“ angefertigt. Das „Liebespaar“ von Otto Müller etwa, wird wohl nie wieder etwas anderes sehen, als sein Gegenüber im Landesmuseum. Der Grund: Der Transport wäre wegen der porösen Leinwand zu gefährlich. Immerhin ist die freizügig bekleidete Dame samt ihrem Liebsten, der sein Gesicht in ihren Haaren vergräbt, bald 80 Jahre alt. Da reist man nicht mehr so ohne Weiteres unbeschadet in der Welt herum. „Der Materialschaden wäre da größer als der vermeintliche Nutzen“, so Ines Unger. Auch wenn es oft schwer fällt, dem Drängen nachzugeben, wenn es aus diplomatischen Gründen opportun wäre oder das Paar einem wichtigen Anlass beiwohnen könnte. Dann müssen die Fachfrauen Überzeugungsarbeit leisten und sich durchsetzen. Im Wiesbadener Landesmuseum ist ihnen das aber bisher immer geglückt.


Veröffentlicht in EXTRA - Monatsbeilage der Verlagsgruppe Rhein-Mainz

Montag, 17. November 2008

Bettina Geyer inszeniert Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ als knallbuntes Märchen

Engelbert Humperdinck könnte heute als treffsicherer Hitproduzent mit einem gesunden Sinn fürs Geschäft gelten. Doch auch schon zu seiner Zeit gelang ihm mit der Oper „Hänsel und Gretel“ der ganz große Wurf. Niemand Geringes als Richard Strauss leitete am 23. Dezember 1893 die Uraufführung in Weimar. Danach waren dem Komponisten Weltruhm und finanzielle Unabhängigkeit sicher. Wer kennt heute nicht den Text von „Brüderchen, komm tanz mit mir“, „Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh“ oder „Ein Männlein steht im Walde“. Die kleinen Stücke sind nachhaltig in das Kinderlieder-Repertoire eingegangen.

Das von Humperdinck vertonte populäre Märchen eignet sich wie kaum ein anderer Klassiker zur vorweihnachtlichen Umsetzung, das wissen wohl alle Theater dieser Republik. Das Staatstheater Darmstadt hat die Inszenierung in die Hände der jungen Regisseurin Bettina Geyer gelegt, die unter anderem im vergangenen Jahr mit Grigori Frids Mono-Oper „Anne Frank“ Fingerspitzengefühl und Talent für Zwischentöne bewiesen hatte. Hier aber konnte sie ihrer offensichtlich geradezu zügellosen Fantasie freie Bahn gewähren. Die Produktion ist ihr überaus spannend und farbenfroh gelungen. Großen Anteil daran hat auch Puppenspieler Lorenz Seib, der in der Waldszene märchenhafte Figuren im Schwarzlicht-Theater auffährt. Faszinierend sind seine Tiere und Gestalten, die sich immer wieder neu sortieren und zusammen setzen und damit eine beständige Faszination ausstrahlen.

Auch die Ausstattung von Fabian Lüdicke ist außergewöhnlich plastisch. Die Besenbinder-Familie lebt in einem Keller, das fehlende Mobiliar wird durch Kisten ersetzt, das Schlaflager befindet sich unter der Treppe. Nach dem Abendsegen bringen überdimensionale weiße Federn die Engelschaar, die aus sieben Teddys und sieben Puppen bestehen, den Beschützkuscheltieren der kindlichen Protagonisten. Später weckt ein knallbuntes Tipi die Neugier der Geschwister, die sie erst einmal in die Arme einer knallbonbonfarbenen Hexe treibt.

Auch musikalisch kann man höchst zufrieden aus dieser Produktion gehen. Lukas Beikirchner hat ein spielfreudiges und klanglich bestens eingestelltes Staatsorchester optimal im Griff. Als Gretel ist Aki Hashimoto nicht nur niedlich zurecht gemacht, sondern gefällt auch mit feiner gesanglicher Ausprägung. Niina Keitel ist als Hänsel eine Spur kantiger und kommt auch spielerisch mit der Rolle gut zurecht. Während Elisabeth Hornung als Mutter Gertrud sehr scharf intoniert, ist Oleksandr Prytolyuk ein beweglicher Besenbinder, hinzu kommt Katrin Gerstenberger als aufgedrehte Hexe mit vokal angenehmer Ausstattung.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Sonntag, 16. November 2008

Historische Ausstellung über "Entartete Musik" in Mainz eröffnet

Als „entartete Musik“ bezeichneten die Nationalsozialisten einst all die Klänge, die nicht in ihre von Rassenwahn bestimmten Vorstellungen passten. Werke jüdischer Komponisten wurden verboten, Musik von Schwarzen galt als verpönt. Eine Ausstellung zu den „Reichsmusiktagen“ 1938 sollte dokumentieren, was sich die braunen Machthaber unter „entartet“ vorstellten. Seit dem 17. Oktober zeigt die Stadt Mainz die von Albrecht Dümling und Peter Girth rekonstruierte und neu bearbeitete Ausstellung im Rathausfoyer. Das Musikwissenschaftliche Institut der Johannes Gutenberg-Universität veranstaltete nun zu diesem Thema eine öffentliche Fachtagung im Rathaus . Kooperationspartner war der Verein für Sozialgeschichte, unterstützt wurde das Unternehmen von den Freunden der Universität Mainz und der ProMusicaViva – Maria Strecker-Daelen Stiftung.

„Gerade angesichts des Umstands, dass die Ausstellung in wesentlichen Teilen von Musikwissenschaftlern konzipiert und durchgeführt wurde, sieht sich das akademische Fach Musikwissenschaft in der Verantwortung, deutlich Position zu beziehen“, hatten die Veranstalter ihr Engagement begründet. Schott-Geschäftsführer Peter Hanser-Strecker bekannte eine „persönliche Betroffenheit“ angesichts dieses Themas. Vor 10 Jahren war er im Lager Theresienstadt, wo seinerzeit viele unliebsame Komponisten eingesperrt waren und unter widrigsten Umständen kreativ waren. Seitdem habe er sich mit besondere Intensität um die Wiederherausgabe der Werke von Viktor Ullmann bemüht. Organisator Prof. Dr. Axel Beer nannete die nationalsozialiste Herrschaft die „mit Abstand übelste Zeit der jüngeren deutschen Geschichte“ und den „Wunsch nach Erkennen, Verstehen und Nachvollziehen können“ als Triebfeder für die kleine Tagung.

Zu den Referenten zählten Musikwissenschaftler und Historiker, darunter der stellvertretende Leiter des Stadtarchivs Mainz, Dr. Frank Teske, Prof. Dr. Anno Mungen von der Universität Bayreuth oder Dr. Sophie Fettauer von der Universität Hamburg, die am „Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit“ mitarbeitet. Das Themenspektrum spannte sich von der nationalsozialistischen Gleichschaltung, unter anderem am Beispiel der Mainzer Liedertafel bis hin zu den Strukturen der Musikpolitik im NS-Staat. Die Sozialarbeiterin Astrid Konter ging in ihrem Beitrag näher auf die Rolle von Hans Gál ein, der 1929 Direktor des Mainzer Konservatoriums wurde und das Land 1933 wegen seiner ungarisch-jüdischen Herkunft verlassen musste.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Freitag, 14. November 2008

HR-Sinfonieorchester mit russischem Programm in der Alten Oper

Ein mehr oder minder russisches Programm muss nicht einseitig sein. Den Beweis dafür trat nun das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Yakov Kreizberg in der Alten Oper Frankfurt an. Die Annahme, dass der in St. Petersburg geborene Dirigent qua Herkunft ein besonderes Händchen für diese Musik haben sollte, wäre arg kurz gegriffen und kann getrost bezweifelt werden. Seine Fähigkeit, ein großes Orchester für die ihm angetragene Musik derart zu begeistern, dass es mit einem ungeheuren Schwung und nahezu bahnbrechendem Enthusiasmus ans Werk geht, hat er in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Als Intendant der Komischen Oper Berlin hat er bis heute nachklingende Akzente gesetzt und sich seitdem als international gefragter Orchesterleiter etabliert.

Das Frankfurter Konzert begann er mit Peteris Vasks' „Cantabile archi“, das 1979 entstanden ist. Der lettische Komponist hat hier viel Energie und Emotionalität notiert, die ausschließlich mit Tönen der C-Dur-Tonleiter auskommen, ohne sich in das konventionelle Dur-Moll-Schema zu pressen. Das hr-Sinfonieorchester stellte luftig-immaterielle Momente und leichthin erblühende Passagen gegen eine blockartige Massivität, ohne dabei die Gegensätze bloß um ihrer selbst willen aufzufahren. Im Gegenteil – hier wurden sie konsequent und offensichtlich zwingend konsequent zueinander gestellt.

Auch in Peter Tschaikowskys Violinkonzert bewies das Orchester eine enorme atmosphärische Bandbreite. Arabella Steinbacher nahm sich eines der populärsten Konzerte ihres Fachs mit klinisch reiner Intonation, rasanten Läufen und blitzsauberen Trillern an, die eine wie mit Zirkel und Lineal gezogene Präzision aufwiesen. Gerade im ersten Satz sorgte vor allem das Orchester für die emotionalen Aspekte des Werks. Die Solistin zeigte sich einmal mehr als bestechend souveräne Musikerin, bei der klangliche Vollkommenheit und geschmeidiger Spielfluss oberste Priorität genießen. Raum für musikalische Reibungen blieb da wenig, nur manchmal brach ein radikalerer Strich wie ein Peitschenhieb aus diesem Konzept aus.

Die mitunter bizarr anmutende klangliche Vielschichtigkeit von Dimitri Schostakowitschs fünfter Sinfonie d-Moll op. 47 kam abschließend besonders klar zur Geltung. Kreitzberg und die hr-Musiker hatten sich dabei genau in die spätromantischen Anlehnungen des 1937 vollendeten Werks, hinein gearbeitet, aus denen heraus eine schier berstende Kraft entstand, neben der aber auch die verzweifelten Klänge ihren Platz fanden.

Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier

Mittwoch, 12. November 2008

Ehrgeiziges Projekt in der Künstlerkolonie Walkmühle

Provisorien nehmen mit der Zeit gerne die Eigenschaft an, besonders langlebig zu sein. Darum, dass der Walkmühle das Schicksal etwa der ewig vorüber gehenden Bundeshauptstadt Bonn erspart bleibt, kümmern sich Wulf Winkelmann, Christiane Erdmann und die fünf weiteren Mitglieder des Künstlervereins Walkmühle. Richtig gelesen, in diesem Verein gibt es bloß sieben Mitglieder. Sie schultern gemeinsam und verbindlich die Verantwortung für die Entwicklung und den Ausbau des Gebäude-Ensembles, in dem derzeit vier Künstler Platz zum Arbeiten gefunden haben. Ein Förderverein um diesen Mini-Verein herum sorgt für weitere Unterstützung. Dort sammelt sich auch Fachwissen, auf das die Macher gerne zurück greifen. Architekten, Juristen oder Steuerfachleute wurden bislang schon mehr als ein mal gebraucht.

Der heutige Verein ist das Ergebnis einer Fusion zweier Einrichtungen, die im April 2005 beschlossen, zusammen arbeiten zu wollen. Damals hatte es bereits seit vielen Jahren den Verein „Walkmühle e.V“. gegeben, dem es gelungen war, die Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen und damit den Abriss der städtischen Immobilie zu verhindern. Den zweiten Herkunfsstrang bildet der Verein „Kunst und Raum Wiesbaden e.V.“, in dem sich Wiesbadener Künstler zusammen geschlossen hatten, um geeignete Räumlichkeiten für die Arbeit aber auch für die Präsentation zu finden. Heute werden diese Interessen mit der Konzentration auf die Walkmühle gemeinsam vertreten.

Wer in die Ateliers oder den riesigen Veranstaltungsraum kommt, wird von einem Charme umgeben, der schwer zu beschreiben ist. Man sieht dem Gebäude von innen wie von außen an, dass seine Bedürfnisse über viele Jahre hinweg ignoriert wurden, eine Sanierung ist augenfällig. Auf der anderen Seite aber ist es den Künstlern gelungen, mit einem hohen Maß an Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Kreativität hier einen Ort zu schaffen, an dem man sich gerne aufhält. Aus allen Ecken strahlt der Wille zum Gestalten. Die Arbeitsbedingungen sind indes nicht optimal. Allein die sanitären Anlagen, berichtet Winckelmann, sind ein einziges Provisorium. Die Infrastruktur für Strom und Wasser, ergänzt Christiane Erdmann, musste in der Anfangsphase eigens neu installiert werden. Für die Zukunft hat sich der Verein ein funktionierendes Arbeits-, Wohn- und Veranstaltungszentrum mit etwa 50 Einheiten vorgenommen. Dafür stehen 5.000 überdachte Quadratmeter zur Verfügung.

Doch schon im Provisorium ist der Verein alles andere als untätig. 60 Veranstaltungen haben hier innerhalb der vergangenen fünf Jahre stattgefunden. Eine stolze Bilanz, wenn man bedenkt, dass alle Arbeit ehrenamtlich geleistet wird, die Hauptakteure als Künstler zudem gut im Geschäft sind. Sie stecken eine Menge Energie in die Rahmenbedingung für ihre Arbeit, die, so könnte man glauben, darunter leiden könnte. Doch weit gefehlt. „Da kommt auch viel zurück“, hat Winckelmann festgestellt. Durch die Beschäftigung mit dem Raum und den Ideen, die ihn füllen, entstehen neue kreative Impulse. Vielleicht nicht gerade dann, wenn Ausgabenbelege geprüft und Anträge gestellt werden. Aber im Miteinander der Akteure, die alle auf ein Ziel hin arbeiten.

Unterstützung seitens der Stadt hatten sie schon immer. Die damalige Stadtverordnete und heutige Schuldezernentin Roselore Scholz hatte den Verein „Kunst und Raum“ auf die Fährte Richtung Walkmühle gebracht, der damalige Kämmerer und heutige Oberbürgermeister Helmut Müller die ersten Verhandlungen mit dem möglichen Betreiber geführt. Gerne würde der Verein heute ein Erbpacht-Verhältnis mit dem Eigentümer eingehen, doch bis dahin müssen noch einige grundlegende Voraussetzungen geschaffen werden. Die Walkmüller sind der Überzeugung, dass ihre Arbeit auch der Stadt und ihrer Wirkung nach außen zugute kommt. Schon jetzt strömen angesehene Künstler aus der gesamten Republik herbei, wenn die Walkmühle zur Schwerpunkt-Ausstellung einlädt. Vernissagen mit 300 Besuchern sucht man außerhalb der Mauern des Ausnahme-Vereins wohl auch selten. Darüber hinaus verstehen sich Winckelmann, Erdmann und Kollegen als Ansprechparter auch für Projekte, die über die Disziplin der Bildenden Kunst hinaus gehen. Ausrichter von Konzerten, Lesungen und anderen Veranstaltungen haben hier bereits eine Bühne gefunden.

Die daraus resultierende Funktion einer Heimstadt, in diesem Fall für die Kultur, hat übrigens Tradition an diesem Ort. 1737 war die Walkmühle am Bornhofenweg von Pfarrer Egidius Günther Hellmund als Waisenhaus mit Werkstätten gebaut worden. Die Mietzahlungen der Seiler, Schlosser und Schmiede, die das Hauptgebäude nutzten, wurden für die Waisen verwendet. Und auch diese Mischkalkulation ist Bestandteil des aktuellen Konzepts. Denn darin ist nicht nur die Einbindung von Künstlern vorgesehen, auch Gewerbetreibende sollen zukünftig die Walkmühle beleben. Dann wäre das Nebeneinander von Kunst und Gewerbe, bezahlbarem Wohn- und Arbeitsraum möglich.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt
Foto: http://www.walkmuehle.net/Pictures/WalkmuehleInfo/Historie2.jpg

Sonntag, 9. November 2008

Am Wiesbadener Staatstheater inszeniert Iris Gerath-Prein das Musical „My fair Lady“ von Frederick Loewe

Vielleicht ist das ja eine männliche Urfantasie. Eine Frau nach den eigenen Vorstellungen zu formen, zu unterwerfen und ihr in allen Lebenslagen überlegen zu sein. Für Professor Higgins in „My Fair Lady“, dem Musical von Frederick Loewe, könnte diese Vorstellung jedenfalls Realität werden, er ist zumindest auf bestem Wege dorthin. Aus dem Blumenmädchen Eliza will er eine Herzogin machen. Ein Unterfangen, das angesichts der rüden Manieren und der bestenfalls rudimentären Kenntnisse der Hochsprache recht gewagt scheinen. Eine Wette mit Oberst Pickering weckt den Jagdinstinkt in dem eingefleischten Junggesellen mit deutlichen Chauvi-Allüren.

Am Wiesbadener Staatstheater hat nun Iris Gerath-Prein versucht, der leicht angestaubten, aber doch immer wieder amüsanten Geschichte neues Leben einzuhauchen. Ihr Blumenmädchen ist eine Gassengöre in Ledermontur und mit etwas verratztem Umfeld, das dermaßen gezwungen auf jugendlich getrimmt ist, dass es jedem Beobachter unter 30 die Schamesröte ins Gesicht treibt. Aufgedreht, doch wenig originell springt das vermeintlich coole Jungvolk über die leere Bühne und ätzt bemüht gegen das Establishment in Gestalt von Oberst und Professor. Das nun wieder findet zumindest Higgins „entzückend ordinär und schauerlich schmutzig“ und packt das Blumenlädchen auch weiterhin nicht mit Glacéhandschuhen an.

Später wird es etwas glaubhafter, wenn sich in der schicken Loftbehausung des Phonetik-Professors Erziehungsmethoden aus der Steinzeit der Pädagogik abspielen. Ein hübsch affektierter Ascot-Chor bekommt im akkurat getrimmten Gestrüpp die ersten Gehversuche des mutierenden Fräulleinwunders mit und Mutter Higgins, die mit dem staubtrockenen Humor, findet Gefallen an dem Forschungsobjekt ihres Sohnes. Schon bald lässt die Regisseurin durchblicken, wie sehr sich der Professor nicht nur an das Gesicht des Ex-Punks gewöhnt hat. In einer bizarren Vampir-Mischpoke besteht Eliza schließlich die Abschlussprüfung und entdeckt dabei auch ihr Selbstbewusstsein und die Kraft, ihren Doktor Frankenstein zu verlassen, dem dann erst bewusst wird, dass er sich verliebt hat.

Das Stück lebt in Wiesbaden vor allem durch die Spielfreude seiner Darsteller. Dirk Schäfer gibt den Higgins als eklig arroganten Kerl, dessen Umgangsformen immer mehr zu wünschen übrig lassen. Erst in den letzten Minuten wird ihm sein Dilemma klar, wofür er dann auch mit dem Happy End belohnt wird. Annette Luig verzaubert das berlinernde Blumenmädchen perfekt in eine Dame von Welt, die aber immer wieder ihre Wurzeln erkennen lässt. Die Wandlungsfähigkeit dieser Künstlerin ist jedenfalls enorm. Oberst Pickering wird von Wolfgang Vater souverän und bestechend korrekt verkörpert. Zu all dem steuert das Staatsorchester unter Leitung von Uwe Sochaczewsky eine fröhliche Kirmesmusik bei und treibt das Geschehen fröhlich vor sich her.

Veröffentlicht in der Frankfuter Neuen Presse

Donnerstag, 6. November 2008

Danny Bober singt die Geschichte des jüdischen Volkes

Als Dany Bober zu singen anfängt, wird es in dem großen Raum, der in der Carl-von-Ossietzky-Schule „Info“ genannt wird, ganz ruhig. Vorher haben die Schülerinnen und Schüler noch herum gealbert, wie man das eben so zu Beginn einer Schulstunde macht. Auch die Worte des Schulleiters Helmut Nehrbaß waren noch von ein wenig Unruhe begleitet. Er fasst sich kurz und spricht darüber, dass im Frühling ein Schüler-Austausch mit Israel stattfinden wird und betont die „freundschaftlichen, normalen Kontakte zwischen den Jugendlichen“.

Doch dann fordert der kleine Mann mit schwarzer Kappe und Gitarre Aufmerksamkeit, ohne dafür etwas anderes tun zu müssen, als zu singen und zu spielen. Dabei ist sein Auftritt alles andere als das, was man in den letzten Jahren vor dem Abitur als Popkultur bezeichnen würde. Dany Bober führt eher unspektakulär in alter Liedermacher-Manier durch die Geschichte des jüdischen Volkes, die seine eigene ist. Er wurde wurde als sechstes Kind einer deutsch-jüdischen Familie geboren, die rechtzeitig vor der Reichspogromnacht aus Deutschland nach Palästina ausgereist war. Er erlebte die ersten Jahre des Staates Israel, ging dort zwei Jahre in die Volksschule und kann deshalb noch ganz gut Hebräisch. „Wenn ich eine Woche in Israel bin, kann ich auch wieder die Nachrichten im Radio verstehen“, sagt er. Doch seit seiner Kindheit hat sich eine Menge verändert, so auch die Sprache.

Das Lied, mit dem er die Jugendlichen zum Schweigen gebracht hat, handelt vom „goldenen Jerusalem“, dessen Name dem Sänger auf den Lippen „brennt“. Ein Lied voller Sehnsucht in Text und Melodie, dazu die dezente, doch charakteristische Gittarenbegleitung. Dann beginnt Dany Bober zu erzählen. Was folgt, ist keine langweilige Geschichts-Stunde von jemandem, der sich etwas angelesen hat. Für Bober ist das, was er zu berichten hat, lebendige Vergangenheit. Er spricht vom König David, der tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung die Bundeslade nach Jerusalem gebracht hat und damit das Zentralheiligtum für die 12 Stämme Israels begründete, genau so spannend wie von seinem 55. Geburtstag, als ihm seine Mutter die Witze-Sammlung seines in den 1950er Jahren gestorbenen Vaters überreichte. Die gingen mitunter ordentlich unter die Gürtellinie. „Damals fand meine Mutter wohl, ich sei nun alt genug dafür“, grinst er.

Die Geschichte der Juden ist lang und voller Leid, das im Nationalsozialismus nicht erfunden wurde, wohl aber seinen katastrophalen Höhepunkt erreichte. Doch dieses Leid steht gar nicht so sehr im Zentrum dessen, was Danny Bober vermittelt. Witz und Humor, Schalk und Ironie blitzen in den melancholischen und auch in den heiteren Liedern auf. Aus seinen Worten kann man ganz banale Dinge lernen, nämlich dass manche unserer Alltagsbegriffe aus dem Jiddischen, jener Gemengelage aus Hebräisch, Mittelhochdeutsch und Slavisch stammt. Und dass wir diese Wörter heute noch kennen, weil die europäischen Juden vor den Kreuzrittern Schutz bei Räubern und Raubrittern fanden, die ihre Sprache für geheime Codes benutzen lernten. Doch Danny Bober spricht auch vom 4. Lateran-Konzil, in dessen Folge die jüdischen Ghettos schon im 13. Jahrhundert entstanden. Juden hatten sich damals zu kennzeichnen. Etwa mit einem gelben Stoff-Fetzen, der 800 Jahre später wieder kehren sollte.

Bober gehört zu der Generation deutscher Juden, die den Nationalsozialismus und seine Folgen noch unmittelbar oder mittelbar am eigenen Leid erlebt haben. Er hatte Glück, ebenso wie seine Eltern. Doch auch in seiner Umgebung klafften und klaffen Lücken, die nie mehr geschlossen werden können. Er hat einen Weg gefunden, auf eindringliche Weise vor Intoleranz und Diskriminierung zu warnen, indem er den Reichtum einer Kultur vermittelt, die so oft dem Untergang geweiht war und doch überlebt hat. Den erhobenen Zeigefinger bekommt an diesem Vormittag niemand zu sehen.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt

Samstag, 1. November 2008

Mit Jules Massenets Oper „Manon“ liefert Tatjana Gürbaca ihre dritte erfolgreiche Produktion am Staatstheater Mainz ab.

Sie gehört zu den meist gespielten französischen Opern weltweit, auf deutschen Bühnen ist sie dennoch nicht allzu oft zu erleben. Jules Massenet stolperte über den Stoff zu seiner Oper „Manon“ zufällig in der Bibliothek seines Librettisten Henri Meilhac. Als der das Interesse des Komponisten bemerkte, überreichte er ihm nur zwei Tage später die ersten zwei Akte der künftigen Oper. Die Uraufführung am 19. Januar 1884 in der Pariser Opéra-Comique wurde ein voller Erfolg. Auch die Mainzer Inszenierung von Tatjana Gürbaca kann als rundum gelungen betrachtet werden.

Ihr gelingt es, die in der Musik Massenets immer wieder skizzierte zerrüttete Gesellschaft, die sich so gern als elegant und charmant präsentiert, bloß zu stellen. Ihren Höhepunkt erreicht deren morbide Dekadenz, als die Regisseurin die Glücksspiel-Szene im vierten Akt als Russisches Roulette inszeniert. Mit der Leiche eines Verlierers wird dann ausgelassen getanzt. Irgendwie wirkt eine solche Szene nicht einmal besonders verstörend, sie reiht sich als Konsequenz recht unauffällig in die Geschichte ein.

Auch der permanente Sinneswandel der Titelfigur kommt kontrastreich zum Ausdruck. Aus dem Mauerblümchen wird eine gefeierte Kurtisane, die sich mit vorgeschobener Langeweile und aufgesetztem Luxusbedürfnis bestens in die Party-Gesellschaft eingefunden hat. Dennoch geht ihr der Verrat an ihrem nach wie vor geliebten Des Grieux nahe und sie gewinnt den Verlassenen, der kurz davor steht, die Priesterweihe zu empfangen zurück – nur, um wieder mit ihm zu spielen.

Das emotionale Auf und Ab wird von Ana Durlovski lebensnah verkörpert. Stimmlich kann sie bewährtermaßen mit brillanten Höhen überzeugen. Ihr zur Seite steht Sergio Blasquez in der Rolle des Chevalier Des Grieux. Der intensive und strahlende Tenor hat mittlerweile ein hohes Maß an spielerischer Beweglichkeit erlangt, so dass er den hin- und hergerissenen Liebhaber mühelos darstellt. Als Manons Cousin Lescaut ist der souveräne Patrick Pobeschin besetzt worden, dessen herausragenden musikalischen und überaus gewandten spielerischen Leistungen im Ensemble noch deutlich umfangreicher abgefragt werden sollten. Am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters steht Kapellmeister Thomas Dorsch, der den Klangkörper die Stimmungs-Umschwünge auf der Bühne bestechend präzise und atmosphärisch ausmalen lässt. Zudem mischt sich der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor engagiert in das Geschehen ein.

Weitere Aufführungen am 3. und 21. November, 5. Dezember und in 2009

Vorverkauf: 06131/2851-222 oder www.staatstheater-mainz.de


Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse