Mittwoch, 23. April 2008

Junges Bianco-Quartett überzeugt mit Schubert und Tschaikowsky

Frühwerke von bedeutenden Komponisten bergen oftmals den Reiz einer gewissen Übermütigkeit, die zur viel freieren Ergebnissen kommt, als manches später geschriebene und durch die Erfahrung gereifte Stück. Dazu gehört sicherlich auch das Quartett Es-Dur (D 87), das Franz Schubert 1813 im Alter von 16 Jahren zu Papier brachte. Vermutlich ist es für das Familien-Quartett geschrieben worden, das regelmäßige Hausmusiken gab. Gerhard Göllner, Finanzvorstand der LBS konnte nun das junge Bianco Quartett in seinem Haus begrüßen. Das Unternehmen ist fester Sponsor der Villa Musica und hilft nach Ansicht von Stiftungsmitglied Alfons Moritz dabei, den guten Ruf der Einrichtung weiter voran zu treiben.


Das Streichquartett hat sich auf Initiative der Kammermusikstiftung gegründet und besteht aus vier hoch qualifizierten Musikern im Alter zwischen 18 und 23 Jahren. Alle haben bereits bedeutende Auszeichnungen erhalten und einen großen Erfahrungsschatz mit anderen Solisten oder Ensembles gesammelt. Zu Beginn empfahlen sich die vier mit einem satten, warmen Klang, der gut zu dem Kopfsatz des Schubert-Quartetts passte. Ein angeregtes Zusammenspiel mit eleganten Phrasierungen neben hektischer Betriebsamkeit und zwischenzeitlichem Aufbäumen machte das Scherzo lebendig. Im Finalsatz bewiesen die Musiker viel Sinn für einen verantwortlichen Umgang mit dem künstlerischen Effekt.


Der zweite Satz des Streichquartetts Nr. 1 in D-Dur von Pjotr Tschaikowsky wird komplett mit Dämpfern gespielt, was ihm einen silbrig-fahlen Grundton verleiht. Das Bianco Quartett ging hier besonders gefühlvoll ans Werk, nachdem es das voran gegangene Moderato e semplice besonders dicht formuliert hatte. Ein spritziges Scherzo leitete zu einem vitalen Finale ein, in dem die jungen Musiker raffinierte Zusammenhänge aus dem scheinbaren Chaos heraus schälten. Virtuosität und eine erstaunliche Intuition für das Spiel mit den Klangfarben macht das Bianco Quartett zu einem äußerst spannenden Ensemble.


Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Sonntag, 20. April 2008

Romeo und Julia als interaktives Kunsterlebnis

Eigentlich ist die Geschichte ja hinlänglich bekannt. Mit „Romeo und Julia“ hat sich William Shakespeare auch weit über den Kreis der Literaturinteressierten hinaus unsterblich gemacht. Die unglücklich Liebenden gelten als das Paradebeispiel einer Liebe bis in den Tod. Dass es gelingt, in der freien Theaterszene, die in Wiesbaden sicherlich nicht immer im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit steht, eben dieses Repertoire-Stück so spannend und neu zu erzählen, dass auch die dritte Wiederaufnahme zu vollem Haus führt, verdankt die Stadt dem Einfallsreichtum und Durchhaltevermögen der Truppe im „Künstlerhaus 43“ um den Schauspieler und Regisseur Wolfang Vielsack.

Die 14 Schauspieler und Musiker hauchen der Geschichte Leben ein, indem sie sie in das Jahr 1907 und mitten in die Wiesbadener Innenstadt verlegen. Hier, in einem verwinkelten Stadthaus, treffen sich die bis dato verfeindeten Clans der reichen, kaisertreuen Capulets und der proletarischen, klassenbewussten Familie Montague. Vielsack selbst steht in Frack und Zylinder etikettebewusst den Capulets vor, den Heinrich Montague gibt Oliver Klaukien in ruppiger Ernst-Thälmann-Pose. Dass die Versöhnung schief gehen wird, ahnt man schon nach einem ersten Gerangel zwischen dem schnöseligen Tybalt (Axel Ghane-Basiri) und dem temperamentvollen Mercutio (Eduardo Laino). Rasch sind die Sympathien des Publikums geklärt. Doch qua Eintrittskarte haben sie sich vorher entschieden, auf wessen Seite sie stehen.

Lorenz Capulet zieht mit seinem Anhang, der gleichermaßen aus Gästen wie Schauspielern besteht, in die „Bell Etage“, um dort bei Celloklängen (Jan-Filip Tuba) und einem erlesenen Drei-Gänge-Menü der Hofköche auf die Verlobung seiner Tochter Julia (Ariane Klüpfel) hinzufiebern. Unten indessen feiert das „einfache Volk“ bei zünftiger Jause und schmissigen Klängen des Duo Terz, das mit Klarinette und Akkordeon zum Tanz aufspielt. Ab diesem Zeitpunkt können die Gäste das Stück zum ersten Mal aus einer eng fokussierten Perspektive betrachten und sind nicht, wie der allwissende Theaterzuschauer ansonsten über sämtliche Vorgänge informiert. Warum weint Julia die ganze Zeit so schrecklich bei Tisch? Weshalb scheint sie plötzlich auf die Vermählung mit einem völlig Fremden (ebenfalls ein Gast) einzugehen? Diese Fragen und vielen mehr stellen sich während der Mahlzeit. Umsitzende Gäste machen sich dran, das unglückliche Geschöpf zu trösten, einem Anderen geht der Cellist auf dieNerven und beraubt ihn deshalb seines Geigenbogens.

Zwischendrin aber werden alle Gäste jeweils kurz Zeuge des gleichen Geschehens, dss sich im Hof abspielt. An den Fenstern schauen sie dem heimlichen Liebespaar beim vermeintlichen Abschied auf Zeit zu, bekommen die Tragödie vom Tod des Tybalds und Mercutios mit, um schließlich die anrührende Sterbeszene der Liebenden zu verfolgen. In so einem Moment ist die Spannung in der kühlen Frühlingsluft zum Greifen. Der herzliche Applaus am Ende gilt einer ausgezeichneten Kombination aus Literaturtheater, Improvisation und interaktiver Kunst, die man sich packender kaum vorstellen kann.


Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt

Ungewöhnliche Besetzung in Mainz: Klarinette, Geige, Klavier

Diesmal ging es bei der Matinee des Philharmonischen Staatsorchesters im Orchestersaal zu, wie bei einem Familientreffen. Soloklarinettist Ates Yilmaz outete sich als großer Bewunderer seiner früheren Konzertmeisterin Susanne Stoodt, die heute eine Professur an der Frankfurter Musikhochschule inne hat. Endlich ist es ihm gelungen, seinen Traum wahrzumachen und mit ihr ein Kammerkonzert zu spielen. Die Geigerin hatte noch ihren Gatten, den Pianisten und Dozenten am Peter-Cornelius-Konservatorium Ullrich Koneffke eingespannt und schon war das Trio komplett.

Nach einer „fröhlichen Bühnenmusik“, wie Yilmaz die Suite für Violine, Klarinette und Klavier op. 157b von Darius Milhaud bezeichnete, nahmen sich die drei Musiker einem Werk der russischen Komponistin Galina Ustwolskaja an, die vor zwei Jahren gestorben ist. Ihr Trio aus dem Jahr 1959 vermittelt in sehr reduzierter Form doch reichlich musikalischen Stoff. Oft wirken ihre Phrasen zerbrechlich und strömen dabei erstaunlicherweise eine zielstrebige Kraft aus. Dem Trio gelang es, dieses Werk sehr direkt und ausdrucksstark aufzunehmen und zu vermitteln.

„Kontraste“ hat Béla Bartók ein Stück für die gleiche Besetzung genannt und die Stimmen direkt aufeinander prallen lassen. Dem Zuhörer bieten sich argwöhnische Beobachtungs-Szenen und zaghafte Annäherung, bis aus den Fremden nach und nach Vertraute werden. Bis hin zur beschwingten Aufgeregtheit im Schluss-Satz gelingt dem Ensemble eine spannungsreiche und packende Interpretation.

Nachdem die Musiker im zweiten Satz aus dem Kammerkonzert für Klavier, Violine und 13 Bläser von Alban Berg in virtuosem Zusammenspiel klangliche Wellen im Zeitlupentempo vorgeführt hatten, gelang das „Kegelstatt-Trio“ von Wolfgang Amadeus Mozart als ein elegant schwungvolles Abschluss-Stück. Susanne Stoodt griff dabei zur Bratsche und zauberte gemeinsam mit den beiden Herren eine angenehme Luftigkeit in den Raum. Die entspannte Interpretation, aus der ein großes musikalisches Einfühlungsvermögen sprach, beendete einen kontrastreichen, gleichsam auch unterhaltsamen Vormittag.


Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Mittwoch, 16. April 2008

Jean-Michel Jarre lässt sich in der Alten Oper als Hexenmeister der Elektronischen Musik feiern

Die Million, die 1979 zu seinem ersten Konzert auf den Pariser Place de la Concorde kam, war es dann doch nicht. Doch auch, nachdem es eine Weile stiller um ihn geworden war, strömte eine erstaunliche Masse zu Jean-Michel Jarre in die Alte Oper. Dort ließ sich der Meister der Elektronischen Musik bei seinem vierten und letzten Deutschland-Konzert seiner Europa-Tournee tüchtig feiern. Im Stil eines 80er-Rockstars animierte er sein Publikum zum rhythmischen Applaus, fegte zwischen seinen Manualen und dem Bühnenrand hin und her, als ob er sich zwischenzeitlich versichern wollte, ob noch alle da seien.


Jarre gehört zu den Pionieren einer Musikrichtung, die das gesamte Geschäft kräftig revolutioniert hat. Als die Technik noch in ihren Kinderschuhen steckte, war er ganz vorne dabei und regte auch emotional engagiert geführte Debatten über den Einsatz von Elektronik in der Musik aus. Für viele aber wurde er Vorbild. Der Mann des pompösen Live-Spektakels hat im vergangenen Jahr sein erfolgreichstes Album „Oxygene“ neu aufgenommen, Anlass war das 30-jährige Jubiläum der Platte, die seinen Ruhm begründet hat.


In Frankfurt beeindruckte er nun gemeinsam mit Francis Rimbert, Claude Samard und Dominique Perrier hinter gut 20 Tastaturen seiner Instrumente, die größtenteils tatsächlich aus eben dem Sortiment stammen, das ihm 1977 zur Verfügung gestanden hat. Alles live, keinerlei vorprogrammierten Sequenzen. Fast verliebt sprach Jarre vor dem Konzert von einer „Stradivari der elektronischen Musik“ und bat um Nachsicht für die „alten Damen“ auf der Bühne, die ihre Arbeit aber ohne größere Ausfälle bewältigten.


Als sich das bemannte Klang-Raumschiff in Bewegung setzte, stellte sich im Publikum eine fast spirituelle Atmosphäre ein. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich die Begeisterung in ungebremstem, tobendem Applaus Bahn brach. Alle Titel des Albums spielte das Quartett in direkter Abfolge und mit improvisiert wirkenden Übergängen. Flächige Streicherklänge, über denen sich minimalistisch orientierte Melodie-Fragmente entwickelten wurden abgelöst von weichen Stakkato-Folgen und ekstatisch blitzenden Klang-Orgien.


Auch optisch wurde traditionsgemäß so einiges geboten. Eine Neonröhre schwebte anfangs quer über der Bühne und machte später einem gigantischen Spiegel Platz, der es dem Publikum ermöglichte, den Musikern von oben auf die Finger zu schauen. Und während der Hintergrund anfangs lediglich aus einer schmalen Lichtsäule bestand, wurde die Fläche später genutzt, um kurze Filmsequenzen einzuspielen, gegen Ende einen längeren Part über Erblühen und Vergänglichkeit in der Natur. Jean-Michel Jarre sprang bisweilen wie ein irrer Hexenmeister von Manual zu Manual, hielt aber dabei immer Kurs. Auch ans Teremin traute er sich für eine kurze Einlage und drückte damit ganz nebenbei seine beachtliche Vielseitigkeit aus.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Sonntag, 13. April 2008

Ideenloser "Fliegender Holländer" in Mannheim

Die Premiere von Richard Wagners „Fliegendem Holländer“ am Nationaltheater Mannheim stand von Anfang an unter keinem guten Stern. War zunächst der Darsteller des Erik ausgefallen, bekam der Holländer-Sänger Thomas Jesatko noch am Premierentag striktes Sing-Verbot von seinem Arzt verordnet. Kurzfristig sprang das frühere Mainzer Ensemble-Mitglied Karsten Mewes ein und sang die Partie von einer Seitenloge aus, während Jesatko den szenischen Part übernahm. Soviel zu den Umständen, die nun mal nicht besser in den Griff zu bekommen waren.

Mit Gregor Horres hat sich die Theaterleitung für einen Regisseur entschieden, der als Oberspielleiter in Bielefeld über eine große Repertoire-Erfahrung verfügt und zunehmend auch mit der Inszenierung zeitgenössischer Werke auffällt. Für Mannheims „Holländer“ aber schien es ihm am rechten Biss zu fehlen. Das, was schließlich auf der Bühne geschah, hinterließ vor allem Ratlosigkeit und Unzufriedenheit. Ideen und ein Konzept, die mutmaßlich dahinter steckten, übertrugen sich nicht auf das Publikum, das seinem Unmut am Ende deutlich Ausdruck verlieh.

Lange musste man rätseln, ob die Inszenierung überhaupt auf einem Schiff stattfindet. Zwei lange Stuhlreihen stehen sich gegenüber, auf denen nehmend abwechselnd der hervorragend auftretende Männer- oder Frauenchor Platz. Über allem schwebt ab und an ein Gitterkonstrukt, im Hintergrund dient ein Vorhang als Projektionsfläche für wechselnde Farbspiele. Manchmal schimmert eine gigantische Gerätschaft dahinter durch, die man durchaus als Schiffsschraube ansehen kann. Die Sänger sind in graue Overalls gesteckt worden, aus denen sie sich bisweilen herausschälen. Damit lassen Horres, Sandra Meurer (Bühne) und Yvonne Forster (Kostüme) Akteure und Publikum allein.

Dem Ensemble gelingt es nur manchmal, die gähnende Leere dieser Szenerie auf der riesigen Bühne zu überwinden. Vielleicht sollen sie es sogar garnicht, aber das lässt sich nicht schlüssig erkennen. Musikalisch setzt vor allem das Orchester unter seinem Generalmusikdirektor Friedemann Layer Maßstäbe. Mit bestechender Präzision schaffen die Musiker Atmosphäre, können die mystischen Momente der Oper bestens hervor rufen. Auch Chor und Extrachor setzen nachhaltig wirkende Akzente, die wendige Choreografie im letzten Auftritt stellt den einsamen optischen Genuss des Abends dar.

Durchwachsen hingegen das Ensemble. Karsten Mewes überzeugt in der gerade angenommenen Partie restlos, kann sich sogar von der Seite aus nahezu mühelos und markant gegen Ensemble und Orchester durchsetzen, ohne angestrengt zu wirken. Die Sopranistin Caroline Whisnant verleiht ihrer Senta kraftvoll Gestalt, wirkt mitunter etwas scharf, was der Partie nicht schlecht steht. Eine faszinierende Strahlkraft geht von Tenor Stefan Vinke in der Rolle des Erik aus, wofür er später auch kräftig gefeiert wird. Friedemann Kunder wirkt als Daland etwas starr, Charles Reid (Steuermann) und Martina Borst (Mary) bleiben farblos.


Im Auftrag der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Freitag, 11. April 2008

Giora Feidman mit "KlezMundo" in der Wiesbadener Marktkirche

Wer Giora Feidman besucht, erwartet kein gewöhnliches Konzert. Seine Auftritte stehen für ein Musikerlebnis, das weit über das reine Zuhören hinaus geht. Lange bevor der Begriff „ganzheitlich“ in Mode gekommen ist und Musiker sich publikumswirksam über die Verschmelzungen von Stilen Gedanken gemacht haben, hatte Feidman seinen bereits geprägt. Sicherlich gehört er zu den wenigen Musikern, denen es gelungen ist, ein klassisches Instrument über die Maßen populär zu machen. Seiner Wirkung ist er sich wohl bewusst und er kokettiert auch gerne damit. Wenn er im Vorgespräch gesagt hat, dass er auch vor wenigen Menschen spielen und dabei das Gleiche empfinden würde, liegt es ihm doch sichtlich, vor einem großen Publikum in der voll besetzten Marktkirche aufzutreten.

Seine Zuhörer hat er mit seinem Programm „KlezMundo“ von Anfang an fest in der Hand. Nach einem kurzen Intro seiner bestens ausgerichteten Band aus Jens-Uwe Popp (Gitarre) und Guido Jäger (Kontrabass) – später kommt noch der Perkussionist Murat Coskun dazu -, betritt er den Kirchenraum von hinten, schreitet durch die Reihen und bringt kaum vernehmbare Töne mit. Kein Huster, kein Rascheln begleitet ihn dabei, schon jetzt wird ihm ehrfürchtig zugehört. Ab diesem Moment kann er tun und lassen, was er will, das Publikum hängt buchstäblich an seinen Lippen. Egal, ob er spielt oder spricht.

Sein Programm bedient sich bei allen möglichen musikalischen Formen. Gerne leiht er sich Phrasen und Melodien aus unterschiedlichen Folklore-Bewegungen, holt Mozart zu Scott Joplin und Charlie Parker auf die Bühne. Aber jeweils so, dass schon klar ist, dass er die Herren Komponisten lediglich als Anregungen und keinesfalls als dogmatische Vorformulierer betrachtet. Es ist und bleibt seine Musik, die er spielt. Wenn er schreien will, dann entlockt er seinen Klarinetten die wildesten und markerschütterndsten Töne, wenn er flüstern will, schmeichelt er sich verhalten in die Ohren seiner Zuhörer, zwingt sie ganz nah an sich heran.

Der 1936 als Sohn jüdischer Einwanderer in Argentinien geborene Klarinettist hat eine universelle Vorstellung von Musik. Er glaubt, dass sie überall und in jeder Kultur verstanden wird und daher eine Weltsprache ist. In der Welt kennt er sich jedenfalls aus. Fast zwanzig Jahre lang spielte er im Israel Philharmonic Orchestrea und machte sich in den siebziger Jahren auf, die Kletzmer-Tradition zu neuem Leben zu erwecken. Auf der ganzen Welt gibt er Konzerte, spielt die Musik für Filme ein und wirkt in Opern mit. 2001 erhält Giora Feidman das Große Bundesverdienstkreuz am Bande für seine „besonderen Verdienste um die Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden.“ Mit welcher Selbstverständlichkeit Feidman auch derart große Aufgaben annimmt, davon konnte man auch in Wiesbaden einen kleinen Eindruck gewinnen.

Veröffentlicht u.a. im Wiesbadener Kurier / Wiesabdener Tagblatt

Montag, 7. April 2008

Trio Kayana mit Mozart und mehr in Mainz

Mozart und die Moderne. So in etwa lässt sich das Programm des „Trio Kayana“ zusammenfassen. Im Frankfurter Hof stellten die drei jungen Musiker Werke des Wiener Klassikers neben die tango-inspirierten „Jahreszeiten“ von Astor Piazzolla und das „Pianotrio“ des 1961 geborenen Grenzgängers zwischen Klassik und Jazz Daniel Schnyder. Zusammengefunden haben sie an der Folkwang-Hochschule in Essen, wo sie mittlerweile als Trio in der Klasse von Andreas Reiner unterrichtet werden.

Mozarts Klaviertrios in C-Dur (KV 548) und G-Dur (KV 564) näherten sie sich teilweise noch mit gewisser Scheu. Während die Geige etwas verhalten erklang und auch intonatorische Unsicherheiten zu hören waren, die ansonsten kaum auftraten, geriet der Klavierpart oft zu dominant, gar aggressiv. Doch bald gelang es Yana Dukanova (Geige), die verspielten Momente in den raschen Sätzen bewusster anzugehen, Kai Schumacher zeigte am Klavier seine sensiblen Seiten. Durchgängig souverän die Leistungen der Cellistin Anna Reitmeier, die zupackend und mit großem musikalischem Gespür ihren Part gestaltete.

Piazzolla lag dem Trio deutlich besser. Jeder Effekt war hier durchdacht, der Bogen von einer anfänglich lässigen Beiläufigkeit hin zu einer pulsierenden Spannung gelang im „Frühling“ hervorragend. Leidenschaftliche Akzente lösten melancholische Momente sicher und authentisch ab. Der ganz eigene Trotz, der im „Winter“ liegt, kam in der Interpretation des „Trio Kayana“ optimal zum Vorschein. Auch im abschließenden „Piano Trio“ des Schweizers Schnyder bewies das Ensemble Reife und Spielfreude zugleich.


Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Sonntag, 6. April 2008

Wiederaufnahme von Alfred Kirchners "Zauberflöten"-Inszenierung an der Oper Frankfurt

Wer sich in die Hände von Alfred Kirchner begibt, bekommt auch mal ein farbenfrohes Märchen erzählt. Werke des Regisseurs, der im vergangenen Jahr 70 Jahre alt wurde, haben derzeit in Frankfurt Konjunktur. Nach „La Bohème“ wurde nun seine „Zauberflöte“ wieder aufgenommen. Orest Tichonov hat die szenische Leitung des bizarren Tamino-Traums übernommen, die vor zehn Jahren das erste Mal hier über die Bühne ging. Kirchner fährt dafür mitunter derart bizarres Personal auf, dass man den Eindruck bekommt, sie entstammten einem Fieberwahn. Dennoch wird es ein Märchen, mit all seinen faszinierenden Momenten. Riesige Insekten und andere seltsame Kreaturen beherrschen die Szenen, in denen das Ensemble mit viel Spielfreude agiert. Die Hauptpersonen, und hierin liegt ein weiterer Reiz, sind aber alles andere als überformte Gestalten. Sie sind präzise modelliert und werden klar geführt. Florian Plock gibt einen herrlich einfach gestrickten Papageno, Daniel Behle verleiht dem Tamino eine edle Haltung, die im Verlauf der Handlung zusätzlich an Kontur gewinnt. Musikalisch sind beide bestens gerüstet. Auch Julia Novikova gefällt als Königin der Nacht mit frei gesungenen Koloraturen und einem brillanten Timbre. Peter Marsh muss als Monostatos in Krähengestalt auftreten und beeindruckt dabei in seiner beängstigenden Wechselgestalt. Etwas hölzern wirkt dagegen Magnus Baldvinsson in der Rolle des Sarastro, doch darüber sieht man gerne hinweg, wenn man dafür seine erdige Tiefe in den Knochen spüren darf. Zsolt Hamar hinterlässt mit seinem Debüt am Pult des Museumsorchesters einen guten Eindruck, die Musiker können unter seiner Leitung eine wirkungsvolle Mischung aus gesunder Routine und zupackender Neugier entfalten.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Dienstag, 1. April 2008

Charlotte Roche liest aus ihrem Roman "Feuchtgebiete"

Charlotte Roche war wütend. Deshalb hat sie ein Buch geschrieben. „Zum Glück merkt man das dem Buch aber nicht mehr an“, beruhigt sie. Ihr Zorn richtete sich gegen die Werbe-Industrie, weil dort immer mehr Hygiene-Produkte angepriesen werden. „Für mich bedeutet das, dass ein Mal duschen am Tag nicht reicht“, filterte sie eine Botschaft heraus. Das ärgert sie, denn das würde für sie bedeuten, abends aus Geruchsgründen keinen Geschlechtsverkehr mehr haben zu dürfen. Es sei denn, sie hätte eines dieser Produkte benutzt. „Frauen sind ohnehin nicht die lockersten“, beäugt sie das weibliche Geschlecht und ist überzeugt, dass das viel mit der Erziehung zu tun hat. „Dagegen wollte ich angehen und habe mir eine Anti-Heldin erfunden, die frei von solchen Beklemmungen ist“, sagt sie.

Als sie anfing, zu schreiben, waren es vor allem Spielereien, die ihr eingefallen sind. „Dinge, die sich Helen ausdenkt, um Jungen eine Freude zu machen“, beschreibt sie es. „Das wäre dann eher so eine Art Sachbuch, vielleicht ein Ratgeber darüber, was Charlotte Roche deutschen Frauen rät“, blickt sie zurück. „Das wäre aber sehr von oben herab gewesen und auch langweilig“, hat sie schnell befunden. In der Heldin ihres Debüt-Romans „Feuchtgebiete“ steckt auch ein wenig Charlotte drin. Helen liegt im Krankenhaus und versucht, ihre geschiedenen Eltern wieder zusammen zu bringen. „Für mich war es nahe liegend, meine Familiengeschichte zu nehmen“, erklärt sie. „Scheidungsdrama, das Kind, das an der Scheidung leidet, das ist voll meine Geschichte“, fügt sie hinzu.

„Ich habe beim Schreiben an keinen gedacht als an mich“, berichtet sie über den Schreibprozess. Sie hat dabei keinen besonderen Kundenstamm im Auge gehabt. Auch die Frage, ob sie darin Tabus brechen könnte, hat sie sich nicht gestellt. „Es ist wohl ein Buch, das sehr schwer mit anderen zu vergleichen ist“, weiß sie nun auch. Und sie ist sich sicher, dass es mit seiner Thematik und in seiner Herangehensweise einzigartig ist. Die „Feuchtgebiete“ findet sie deshalb so faszinierend, weil „es als böse gilt, darüber zu sprechen“. Sie möchte das Gegenteil beweisen und ihren Geschlechtsgenossinnen Mut zum selbstbewussten Umgang machen.

Ein Problem hat sie nun aber: „Ich wüsste gern, wer das Buch kauft“, fragt sie sich. Sicher ist, dass das Internet-Geschäft gut funktioniert. „Die einzigen, die ich sehe, sind die in den Lesungen“, berichtet sie. Viele junge Frauen sind darunter, was sie „sehr beruhigend“ findet. „Ich bin froh, dass es nicht immer ein voller Saal geifernder älterer Herren ist“, ergänzt sie. Der Reiz für Voyeuristen besteht schon – immerhin weiht Charlotte Roche ihre Leser in die tiefsten Geheimnisse des weiblichen Organismus ein und beschreibt detaillierter, als es so manchem lieb ist, körperliche Vorgänge, zu denen es ansonsten bestenfalls wissenschaftliche Literatur gibt.

Charlotte Roche liest am Donnerstag um 20 Uhr im Frankfurter Hof aus ihrem Roman.


Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz