Donnerstag, 27. September 2007

Gespräch mit dem Jazz-Gitarristen David Becker

David Becker ist Stammgast im Walhalla-Studio. Und die künstlerische Leiterin Sigrid Skoetz ist auch ganz begeistert von ihm. „Er hat eine ganz besondere Beziehung zum Publikum“, lobt sie „ihren“ Musiker, der ihr seinerzeit von Tilmann Höhn vorgestellt wurde. „Die Konzerte sind immer gut besucht“, freut sich die Veranstalterin. Der Musiker fühlt sich im Walhalla-Studio auch persönlich gut aufgehoben. „Es ist wie ein Zuhause“. Und wenn das ein Mann sagt, der ständig auf Achse ist, hat das etwas zu bedeuten. 100.000 Meilen seien es, die er pro Jahr zurücklegt. Da fällt es schwer, ein Zuhause zu finden. Doch die Lust zu reisen überwiegt bei dem Jazz-Gitarristen.

Im Übrigen hat der in Cincinatti/Ohio geborene Musiker Wiesbadener Wurzeln. Eine seiner Großmütter hat hier gelebt. Und Musik ist ihm quasi in die Wiege gelegt worden. „Meine Vorfahren waren bei Partys von Robert Schumann zu Gast“, erzählt er. Als 19-Jähriger war er zum ersten Mal in Wiesbaden und hatte dabei auch gleich sein Europa-Debüt als Musiker in dem Club „Treppe 14“. Daher freut er sich heute umso mehr, hier wieder einen Auftritts-Ort gefunden zu haben. „Ich hatte lange nicht gedacht, dass es wieder so eine Möglichkeit geben würde“, sagt er.

Gemeinsam mit Sigrid Skoetz freut er sich auf gemeinsame Projekte. Im November soll der große Saal im ersten Stock fertig gestellt sein, dann können sich beide auch Jazz in großer Besetzung oder ganze Jazz-Nächte vorstellen.. Damit hat David Becker Erfahrung. Kürzlich erst war er mit einem klassischen Orchester auf Tournee, hat dabei auch Trompete gespielt.

Seine neuen CD heißt „Leaving Agentina“ und ist „geprägt von Menschen, Landschaften und Musik dieses Landes“, sagt Becker. Dabei kommt eine Melange aus Jazz, Latin, Tango und etwa Folklore heraus. „Es ist eine große Mischung aus allem, was Jazz betrifft“, versucht er eine Einordnung. „Für mich hat Musik einfach keine Grenzen“, so seine Auffassung der eigenen Arbeit. Durch seine Reiselust hat er auch gelernt, jedes Land mit unterschiedlichen Augen zu sehen. Schon sein Vater war daran interessiert, ihm „Kultur zu zeigen“ und ging mit ihm auf große Fahrt. „Das hatte großen Einfluss auf mich“, erinnert er sich.

„Zeitgemäßer Jazz ist anspruchsvoll“, reflektiert er seine Kunst. Und dennoch freut er sich, wenn ein großes Publikum erscheint. „Da sind Teenager dabei, aber auch 80-jährige“, umreißt er seine Fans. Auch die Resonanz übers Internet freut ihn sehr. „Jazz ist nie verschwunden, es kommt immer darauf an, was man daraus macht“, verteidigt er das Genre. „Und wenn wir spielen ist da Publikum ein wichtiger Teil, den wir immer mit einbeziehen“, ergänzt er.

Das nächste Konzert findet am 29. September um 21 Uhr im Walhalla-Studio in der Mauritiusstraße statt.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt

Montag, 24. September 2007

Wilde Worte im Waschsalon

Mitte der 90er fing es an. Da setzten oder stellten sich in Berlin seltsam normale Menschen auf die Bühne und lasen skurrile oder einfach nur alltägliche Geschichten vor. Die „Lesebühnen“ waren geboren. Dort fand das statt, was in deutschen Wohnzimmern kaum mehr passiert. Es wird eben vorgelesen. Sonst nichts. Keine Show, keine Performance, einfach Lesen. Meist sind es selbst geschriebene kleine Beobachtungen, die direkt vor der Tür stattgefunden haben oder zumindest so hätten stattfinden können. Auch in Wiesbaden gibt es diese Darstellungsform seit immerhin acht Jahren. Der Verein für Kunst, Literatur und Wilde Worte hat sich dann 2002 aus der Initiative zum gemeinnützigen Verein gewandelt und fällt durch zahlreiche Veranstaltungen, wie etwa den „Poetry Slam“ im Schlachthof auf. Auch der „Poetry Kids Slam“ im Kulturpalast geht auf seine Initiative zurück.

Nun hatten die wilden Wordkünstler bei den Kulturtagen im Westend zum Werkstattgespräch geladen. Nicht an irgend einen gewöhnlichen Ort, sondern in den ehemaligen Waschsalon in der Wellritzstraße. Und auch hier kommen großstädtische Vergleiche auf, hat doch Knacki Deuser dereinst einen Waschsalon in Kölin zum Comedy-Kult werden lassen. Doch zurück nach Wiesbaden. Da hat Bettina Lehmann angefangen, ihren Verein vorzustellen. Weil sie erkältet ist, leider ohne Musik. Aber auch optisch macht ihre Vorstellung einiges her, beherrscht sie doch die hohe Kunst des Overheadprojektor-Theaters. Das antiquierte Ding aus Oberstufenzeiten wird zum Schattenriss-Guckkasten samt Publikum. Und Frau Lehmann stellt ihre Kollegen vor, die in den vergangenen Jahren für „keine bestimmte Zielgruppe“ über 90 Veranstaltungen vom „Poetry Slam“ über „Open Mic“ bis hin zu gewöhnlichen Lesungen organisiert haben.

Da ist Vera, die sich mit Sabine um die Requisiten kümmert, Daniel hilft an der Theke, Hendrik moderiert und hat einmal eine E-Mail geschrieben, mit der er die Welt gerettet hat. Jens ist Autor, Uwe Techniker und Poet, außerdem macht er Fotos. Bettina selbst ist die PR-Frau des Unternehmens Wilde Worte. Nach der Vorstellung gibt es auch gleich eine Kostprobe von dem, was der Verein mit Hilfe immer weniger werdenden öffentlichen Geldern so treibt.

Auf der Bühne haben sich Jens Jekewitz und Falk Fatal von der Lesebühne Vollversammlung eingefunden. Der Pädagoge Jekewitz outet sich dabei als in seiner Freizeit wenig kinderfreundlicher Zeitgenosse, der als Halbwüchsiger selbst im Tom-und-Jerry-Schlafanzug eher kläglich ausgesehen haben will. Herr Fatal muss sich bei einem Gang durch sein Viertel den Gedanken gefallen lassen, dass die Welt immer kaputter wird. Dann kommt eine Frau aus dem Publikum auf die Bühne, stellt sich nicht vor und liest einen ersten Text. Das ist so gewollt, so funktioniert das Konzept. Die Frau stellt sich später dann doch vor, heißt Gudrung Gehrung und freut sich, dass ihr endlich mal jemand zuhört. Das offene Mikrofon funktioniert.

Die nächste Lesung findet am Mittwoch, 26. September um 20 Uhr im Schlachthof statt.
Weitere Informationen: www.wtwwa.de

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt

Freitag, 21. September 2007

Sächsische Staatskapelle Dresden mit Alpensinfonie von Richard Strauss in der Alten Oper Frankfurt

Die Sächsische Staatskapelle Dresden ist mit ihren 459 Jahren sicherlich eines der ältesten Orchester der Welt, das auf eine durchgängige Existenz zurückblicken kann. Von Altersmüdigkeit war jetzt jedoch nichts zu spüren. Beim Pro-Arte-Konzert in der Alten Oper zeigte sich der Klangkörper unter der Leitung seines neuen Generalmusikdirektors Fabio Luisi so kraftvoll und wendig wie lange nicht mehr. Das Programm hätte indes kontrastreicher nicht sein können. Die erste Hälfte wurde mit Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur gefüllt. Die Pianistin Hélène Grimaud übernahm dabei ihren Part mit souveräner Zurückhaltung in der Form, aber größter Effektivität im Klang. Die warme Grundstimmung des Orchesters stand in einem anregenden Gegensatz zu dem manchmal schon als hart erlebbaren Anschlag der Solistin. Scharf und analytisch näherte sie sich dem Werk, blieb dabei stets besonnen und selbstbewusst. Spannungsvolle Momente schöpfte sie aus der aparten Schlichtheit des langsamen Satzes, wurde dabei vom Orchester sanft getragen. Im Finalsatz preschte sie lustvoll voran und wurde von der Staatskapelle in gleichem Temperament verfolgt.

Dann die monströse „Alpensinfonie“ op. 64 von Richard Strauss. Ein urwüchsiges Naturschauspiel von der packendsten Sorte. Das beständig wirkungsvolle Dirigat von Fabio Luisi trieb das Riesenorchester zu Höchstleistungen an. Lautmalerische Aspekte wurden voll ausgekostet, die musikalische Begeisterung war an jedem einzelnen Pult zu spüren. All die reichlich verwendeten Klangfarben wurden in ihrer archaischen Gewalt vermittelt, ohne dabei im Überschwang verloren zu gehen. Beeindruckend das lupenreine Blech und die dicht verwobenen Streicherszenen. Vor allem in den tiefen Streichern war eine pointierte Zeichensetzung zu bewundern. Bei einer derart spannungsgeladenen Interpretation dauert dieses monumentale Werk keine Sekunde zu lang.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Dienstag, 18. September 2007

Internationale jüdische Künstler bei den "Dialogtagen" in Wiesbaden zu Gast

Mit einer neuen Veranstaltungsreihe lädt das Aktive Museum Spiegelgasse vom 25. bis 30. September erstmals zu den „Dialogtagen“ ein. Jüdische Künstlerinnen und Künstler verschiedener Sparten kommen sowohl aus dem In- und Ausland nach Wiesbaden und weisen damit auf die Bandbreite jüdischer Kultur in der Gegenwart hin.

Die aus Jerusalem stammende Sängerin und Liedermacherin Yael Deckelbaum gibt am 25. September im Kulturpalast in der Saalgasse 13 ihr Wiesbaden-Debüt. Die Künstlerin mit kanadisch-israelischen Wurzeln ist bereits als 16-Jährige öffentlich aufgetreten, mit ihrer Band „The Palmtrees“ war sie schon bei zahlreichen Festivals in der ganzen Welt zu Gast. Ihre Musik wird irgendwo zwischen Suzanne Vega und Janis Joplin lokalisiert – eine spannende Verortung, die auf einen außergewöhnlichen Abend schließen lässt. Eintritt: sieben Euro.

In ihrer Ausstellung „Migrationscollagen“ doukumentiert die Künstlerin Julia Bernstein ihre sozialwissenschaftlichen Studien über russischsprachige jüdische Migranten in Deutschland mit einem Tagebuch aus Grafiken, Collagen und Bildern, das sie parallel zu ihrer Doktorarbeit geführt hat. Ziel der Ausstellung ist es, „eine äußerst heterogene Welt aufzuzeigen, die sich hinter dem eindimensionalen Stereotyp russisch Juden verbirgt“. Die Vernissage findet am Mittwoch, 26. September um 16.30 Uhr im Ministerium für Wissenschaft und Kunst in der Rheinstraße statt. Die Ausstellung ist bis zum 13. Oktober zu sehen.

Tanz, Pantomime und Gesang stehen bei der jüdische-beduinischen Theatergruppe des Kinderheims Neve Hanna auf dem Programm. Thema des Stücks mit dem Titel „A day in a life“ ist ein Tag im Leben einer arabisch-beduinischen Familie und der Kinder des Heims. Damit gibt es Eindrücke in kulturelle Hintergründet, Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie Probleme des israelischen Alltags. Die Veranstaltung findet am Samstag, 29. September um 20 Uhr im Roncalli-Haus an der Friedrichstraße bei freiem Eintritt statt.

Eine Diskussionsrunde zum Thema „Chancen neuen jüdischen Lebens in Deutschland?“ findet am Sonntag, 30. September um 11.30 Uhr ebenfalls im Roncalli-Haus statt. Allein in Wiesbaden ist die jüdische Gemeinde von 350 Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg auf über 1000 Mitglieder in der Gegenwart gewachsen. Infolge von Einwanderungen sind überall in Deutschland unterschiedliche Formen jüdischer Kulturen entstanden. Der Vorsitzende des Aktiven Museums diskutiert mit Julia Bernstein, der in Frankfurt lehrenden Sozialwissenschaftlerin Lena Inowlocki und Arno Lustiger.

Am Sonntag abend wird das Chagall-Quartett Werke im Dritten Reich verfemter Künstler aufführen. Dazu gehören Streichquartette von Viktor Ullman, die 1943 im Lager Theresienstadt uraufgeführt wurden. Außerdem stehen Stücke von Schostakowitsch und Paul Ben-Haim auf dem Programm. Das Konzert beginnt um 17 Uhr und findet bei freiem Eintritt im Roncalli-Haus statt.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt

Montag, 17. September 2007

Gespräch mit Mitgliedern der Band B.O.N.

Der Name ist selbstbewusst gewählt und die Abkürzung wurde lange als Geheimnis gehütet. Mittlerweile aber verraten sie es. „B.O.N.“ steht für „Best of Nightbirds“. Das Trio aus Elke Diepenbeck, Tilmann Höhn und Torsten Haus ist aus der bekannten Wiesbadener Band entstanden, alle drei spielen dort heute noch mit. Die Namensfindung hat lange gedauert, per E-Mail haben die drei Musiker hin und her überlegt, was wohl passend wäre. „Das war auch einiges Unanständiges dabei“, lacht Tilman Höhn. Doch schließlich einigte man sich auf die jugendfreie Variante und gab den Fans dabei noch ein Rätsel auf.

„Wir sind eben diejenigen, die vorne herumhampeln“, begründet Sängerin Elke Diepenbeck den Namen. Ihr Repertoire speist sich aus bekannten Titeln der letzten Jahrzehnte. „Wir spielen die Stückie aber in einer Besetzung, die so keiner erwartet“, erzählt Tilman Höhn. Rockige Nummern werden da schon mal mit der Blockflöte interpretiert und somit ganz neu aufgestellt. Dazu kommen Songs von Kylie Minogue, Bruce Springsteen und auch von Caterina Valente. „Wir versuchen einfach, dass es schön wird“, schmunzelt Elke Diepenbeck, die bei den Auftritten schon mal zur Melodika greift.

Die Proben finden im lockeren Rahmen statt. Die Profi-Musiker wissen, was sie voneinander erwarten können. „Wir reden meist so viel, wie wir spielen“, grinst Tilman Höhn. Die Atmosphäre ist gelöst, wohlmeinende Sticheleien sind an der Tagesordnung, wenn „B.O.N.“ zusammenkommt. So ist das auch auf der Bühne. „Eine Mischung aus musikalischem Anspruch und viel Spaß“, sagt Höhn. Das Publikum, das zu den Konzerten des Trios kommt, ist bunt gemischt. „Selten kommen Teenager zu uns“, meint Elke Diepenbeck. „Ab 25, ohne Grenze nach oben“, so ihr Eindruck.

Im Walhalla präsentieren sie nun ihr zweites Programm. Die Musiker sind von dieser Einrichtung sehr angetan. „Wir können hier machen, was wir wollen“, freut sich Tilman Höhn. Viele Clubs hätten eine viel rigidere „Auftritts-Politik“, so seine Erfahrung. Hier aber seien sie auf eine „unglaubliche Offenheit“ gestoßen. „Das Publikum, das hierher kommt, ist sehr aufmerksam, wir hatten immer das Gefühl, willkommen zu sein“, ergänzt die Sängerin. „Interaktion funktioniert hier von selbst“, beschreibt sie das Gefühl im Walhalla weiter. „Die Leute machen mit und hören zu, wenn sie es sollen“, weiß sie.

Neben der Sängerin Elke Diepenbeck und dem Gitarristen Tilman Höhn ist Torsten Haus der zweite Sänger im Dreierbund. „Er ersetzt manchmal auch das Schlagzeug oder den Bass“, geheimnist Elke Diepenbeck. „Er ist unsere Allzweckwaffe“, assistiert Tilman Höhn. Die „Zwei-Mann-und-eine-Frau-Kapelle“, wie sie sich selbst bezeichnen, hat auch eine CD herausgebracht. Auf „Großes Kino“ ist ein repräsentativer Querschnitt der „B.O.N.“-Titel zu hören. Erhältlich ist die Scheibe auf der Homepage der Band (www.b-o-n.de) oder bei dem Konzert am Freitag, 21. September um 21 Uhr im Walhalla-Theater.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt

Sonntag, 16. September 2007

"Der Rosenkavalier" von Richard Strauss am Staatstheater Mainz

Den „Rosenkavalier“ von Richard Strauss zu inszenieren, ist von jeher eine Gratwanderung. Musikalisch schwergewichtig, die Geschichte eine wienerische Verkleidungskomödie, die Dauer nahezu episch. Am Mainzer Staatstheater ist dem Intendanten Matthias Fontheim in seiner ersten Opernproduktion an diesem Haus dieser Balanceakt geradezu bravourös gelungen. Der Schauspiel-Regisseur lieferte nun eine kurzweilige, nie überzogen wirkenden Arbeit ab. Seine Figuren sind allesamt ernst zu nehmen, selbst in ihren grotesken Ausprägungen. Bis in die kleinsten Nebenrollen hinein ist zu spüren, dass sich der Regisseur eingehend mit deren Stellung im Beziehungsgefüge befasst hat.

Im „Rosenkavalier“ rankt sich alles um den jungen Grafen Oktavian, der sich mit der deutlich älteren Fürstin von Werdenberg vergnügt, sich später aber in Sophie verliebt. Die wiederum soll den grobschlächtigen Baron Ochs heiraten und Oktavian ist lediglich der Brautwerber. Sophie verliebt sich ebenfalls in den adretten jungen Mann und fühlt sich von dem derben Benehmen des Barons abgestoßen. Gemeinsam führen sie nun den Baron mit einer tolldreisten Maskerade vor, so dass ihm schließlich nichts anderes übrig bleibt, als das Feld zu räumen.

Als Strauss seine Musik zu dem Text von Hugo von Hofmannsthal schrieb und die Uraufführung 1911 in Dresden von Max Reinhardt umgesetzt wurde, gehörte die Geschichte in eine plüschige Rokoko-Welt voller snobistischer Adels-Attitüde und dem Hang zur Intrigen bei den gelangweilten Oberen. Emporkömmlinge, die gerade erst in den Adelsstand erhoben worden sind, wurden von oben herab in ihre Schranken verwiesen. Fontheim holt die Geschichte in die Gegenwart, zitiert aber auch vergangenen Glanz, etwa mit den Commedia dell’arte-Masken, die während der Ouvertüre aufblitzen, oder mit dem Sänger, der im ersten Akt zur Unterhaltung der Fürstin herbeigerufen wird.

Besonders beeindruckend ist, dass es Fontheim immer wieder gelingt, seine Figuren in einem beständigen Dialog zu halten. Es gibt keinen Moment, der ohne körperlich spürbare Spannung verstreicht. Hier hat er die Tugenden und Notwendigkeiten des Schauspiels auf die Oper übertragen. Dort, wo keine Musik ist, muss die Interaktion her. Wenn beides gelungen zusammentrifft, wirkt das umso packender. Die Fürstin, die früh Angst vorm Altern hat, der jugendliche Galan, dessen Liebesschwüre mal dieser, mal jener gelten, der polternde Baron Ochs, sie alle werden bei Fontheim nicht zu plumpen Archetypen, sondern werden geradewegs lebendig.

Auch musikalisch ist der Abend absolut gelungen. Ausdrucksstark und unverkrampft stellt sich Sopranistin Abbie Furmansky in der Rolle der Fürstin Werdenberg als Neuzugang vor. Souverän und darstellerisch in bewährt ruppiger Manier gibt Hans-Otto Weiß den Baron Ochs, Patricia Roach ist als wandlungsfähiger Oktavian optimal besetzt. Auch die Sopranistin Tamara Gallo ist ein Neuzugang, über den sich das Publikum zukünftig freuen darf, sie ist hier in der Rolle der Sophie zu erleben. Edith Fuhr und Jürgen Rust geben ein herrlich komisch tratschsüchtiges Paar ab, das sich in jedermanns Dienste einzuschleichen weiß. Unter der Leitung von Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt bewältigt das Philharmonische Orchester Mainz eine enorme Aufgabe, der es ebenso wie der Chor in jedem Moment absolut gewachsen ist.

Veröffentlicht im Main-Echo und der Frankfurter Neuen Presse

Annett Louisan beim 3sat-Festival

Das wäre alles nicht passiert ohne „Das Spiel“. Annett Louisan weiß, dass sie ihren großen Erfolg diesem einen Lied verdankt, das 2004 aus der Hamburger Kunststudentin plötzlich einen Star machte. Doch sie hat sich nicht auf dem einzelnen Titel ausgeruht und mittlerweile auch mit dem dritten Album bewiesen, dass sie alles andere sein will als eine Eintagsfliege. Beim 3sat-Festival auf dem Lerchenberg präsentierte sie nun zum ersten Mal live einige Stücke aus ihrem vor zwei Wochen erschienenen Album „Das optimale Leben“.

Doch sie verrät nicht zu viel und bindet zahlreiche Lieder ein, die ihren Fans in bester Erinnerung sind. Da gelingt es ihr und der großartig aufgestellten Band immer wieder, mit neuen Arrangements zu überraschen. Dazu zappelt sie fröhlich umher, schreitet die kleine Bühne etwas vorprogrammiert ab, schlendert durchs Publikum und lässt auch mal jemanden mitsingen. Und sie spricht, wie sie singt. So sanft und etwas kindlich, so eben, wie man sie aus ihren Liedern kennt. Manchmal, wenn es in die tieferen Regionen geht, wird ihre Stimme plötzlich ganz warm und weich, geradezu sinnlich. Ihr Trick, wie sie jeden im Saal fesselt: Kokett blickt sie ständig mit wachem und offenem Blick umher, so dass sich jeder einzelne mal angesprochen und angesungen fühlen darf.

Die Musik schwenkt zwischen funkigen Nummern, sacht wiegenden Balladen und Latino-Anleihen hin und her, dabei gefallen den Fans auch die neuen Stücke. „Wenn man anfängt, sich Fragen zu stellen, bleibt man sich auch die Antworten schuldig“, überlegt Annett Louisan und singt „Was haben wir gesucht?“. Gewandte Wortspielereien gibt es auch wieder, etwa in „Dings“ oder „Die Wahrheit“. Die Musik zu „Fettnäpfchen-Weithüpfen“ würde sogar in jeden Quentin Tarantino-Film passen, so furios und groß angelegt wechselt sie zwischen bombastischem Tango und treibendem Walzer.

Annett Louisans Lieder entwickeln sich von Album zu Album, werden irgendwie erwachsener, ohne dabei von ihrer Unbeschwertheit und sanften Frechheit zu verlieren. Damit wird sich die junge Sängerin sicherlich auch in Zukunft behaupten, immerhin lässt sie sich die notwendige Zeit für ihre Produktionen und außerdem hat sie ausgezeichnete Musiker im Rücken.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Samstag, 15. September 2007

Element of Crime beim 3sat-Festival

Nanu, haben wir uns verirrt? Dort, wo ansonsten brav die Stühle im halben Rund stehen, ist nun für das Publikum Stehen angesagt. Im 3sat-Zelt ist das ein ungewohntes Bild, aber es hat seinen tieferen Sinn. Aus dem Off erklärt der zuständige Regisseur das Warum. Für die Gruppe „Element of Crime“ wolle man ein „Rock-Feeling“ erzeugen. Also gut, dann Rocken im Stehen, so wie es sich gehört. Aber aufpassen auf die Kameraleute, die einen möglicherweise „sacht anstoßen“ könnten. Verletzte sind jedenfalls nicht bekannt.

Unbändiger Jubel schallt dem ungewöhnlichen Quartett entgegen, das sich mittlerweile seit 22 Jahren hält. Gegründet 1985 in West-Berlin hat es alle Moden und alle Stil-Verformungen drum herum gut überlebt und ist sich bei aller Flexibilität treu geblieben. Die Fans wachsen offensichtlich nach, denn neben den in Würde leicht ergrauten Anhängern der Pionierzeit mit Anfängen in Berlin (damals wichtig: West) hat sich auch das Mainzer Studentenmilieu zum Lerchenberg aufgemacht. Gemeinsam ist allen der Wunsch nach rund zwei Stunden Abtauchen in die immer leicht melancholischen Melodien von „Element of Crime“.

Im Gegensatz zu vielen Gruppen, die sich auf der ersten, zweiten oder dritten Ausgabe der „Neuen deutschen Welle“ ihre Taschen gefüllt haben, glaubt man „Element of Crime“ den Bezug zur Muttersprache, obwohl der Titel ja gerne in die Irre führen könnte. Das hat nichts mit dumpfer Deutschtümelei zu tun, im Gegenteil: Bei „Element of Crime“ gibt es neben musikalisch Rührseligem auch sprachlich kluge Tiefsinnigkeit, die gerne mit Wörtern und Sätzen spielt.

Auch jetzt, zu Zeiten der neuen CD und zugehörigen Tournee „Mittelpunkt der Welt“, hat die Band nichts von ihrer Sogwirkung verloren. Immer noch geht es um die seltsame Larmoyanz in der Stimme von Sven Regner, oder seine Trompetensoli, die ein wenig wie die Verlängerung seiner gesungenen Worte mit anderen Mitteln wirken. Wer zu „Element of Crime“ kommt, wird mit einem Konzert in Moll bedient, egal ob es sich um eine Polka-Art oder einen Walzer handelt, egal ob das Stück schnell oder langsam ist. Und das Lieblings-Intervall dieser Band ist und bleibt die Quinte. Manchmal kommt schon der Gedanke auf, dass die vier sich einmal ein Lied ausgedacht haben und nun in mehr oder minder treuer Nähe drum herum improvisieren. Langweilig wirkt das merkwürdigerweise nie.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Dienstag, 11. September 2007

Matthias Deutschmann beim 3sat Festival

Erinnert sich noch jemand an politisches Kabarett? Also nicht Comedy oder so was. Sondern diese Version, in der ein einzelner Mensch auf der Bühne in der Lage ist, die Weltpolitik ins Wohnzimmer zu holen und sie da genüsslich zu sezieren. Wer sich in diesem Genre eher mäßig bedient sieht, kennt Matthias Deutschmann nicht. Beim 3sat-Festival präsentierte er nun Ausschnitte aus seinem aktuellen Programm „Die Reise nach Jerusalem“. So provozierend der Titel angesichts der Weltgeschehnisse anmutet, so messerscharf sind Deutschmanns Kommentare. So bezeichnet er die Bush-Wahlkämpfe als „den teuersten Horrorfilm, den sich die Amis je geleistet haben.“ Aber, so gesteht er ein: „Er hat alles wieder reingespielt.“

Dass der Krieg gegen den Terror den Terror lediglich vervielfacht hat, ist für Deutschmann klare Sache. Und Schäubles „einstweilige Erschießung von Terrorverdächtigen“ sieht er nur als klare Konsequenz. Ohnehin empfiehlt er seinem Publikum, dem doch manches Lachen voreilig im Hals stecken bleibt, „locker“ zu bleiben. Was soll es auch anderes machen. „Dass wir uns Schäuble leisten, zeichnet uns aus als Demokraten“, belohnt er zwischendrin. Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun, dass unser „Empörungs-Potenzial“ nach Deutschmanns Meinung verschwunden ist.

Neben der Außenpolitik hat er es auch auf die im Innern Regierenden und Opponierenden abgesehen. „Beck braucht jemanden, der hinter ihm steht – und auch mal den Mund zuhält“, empfiehlt er dem scheinbar glücklosen SPD-Chef. Und Innenpolitik ist das ja dann auch: „Deutschland muss am Hindukusch verteidigt werden. Warum? Weil es dort landschaftlich reizvoller ist.“ Dafür bietet er Mecklenburg-Vorpommern all jenen Palästinensern an, die ihre Waffe gegen eine Geige eintauschen und mindestens die C-Dur-Tonleiter spielen können. Auch eine Art Einwanderungsgesetzt.

Das Fernsehen bekommt im Fernsehen auch etwas ab. „Wer alle erreichen will, muss auf den Sinn verzichten“, nimmt er so manche blödsinnig flimmernde Zeitverschwendung in Schutz. Schließlich sei auch die Neugier der natürliche Feind der Abscheu. Matthias Deutschmann gelingt ein Parforce-Ritt quer durch alles Aktuelle, ohne dabei empört mit dem Zeigefinger zu drohen. Absolut unverkrampft und gleichzeitig boshaft, zynisch und treffsicher respektlos.

Sendung am 15. September um 22.30 Uhr in 3sat
Foto: Sabine Schnell

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Montag, 10. September 2007

Django Asül & Gäste und Rebecca Carrington beim 3sat-Festival

Wer wird hier eigentlich integriert? Die Frage stellt sich immer dann, wenn einer der vier Herren die Bühne betritt. So unterschiedlich ihr Habitus, ihr Humor und ihr Programm auch sind, sie spielen alle mit einem weit verbreiteten Missverständnis. Denn der Schein trügt immer öfter. So muss ein südländisch wirkender Mann in eindeutiger Pose nicht unbedingt im gebrochenen Deutsch vor sich hin radebrechen. Im Gegenteil, so mancher bringt gar einen bayerischen oder Mannheimer Dialekt mit. Beim 3sat-Festival gab es nun einen Ausschnitt aus vier Programmen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können und doch diesem Roten Faden folgen.

Bekanntestes Mitglied des zusammengewürfelten Quartetts ist sicherlich Django Asül, dessen Auftritte eine Zeitlang die Bildschirme füllten. Er gehört zu den Pionieren jener türkisch-stämmigen Generation, die es geschafft haben, mit den Klischees über den eigenen kulturellen Hintergrund humorvoll aufzuräumen, ohne dass es belehrend wirkt. Im Anzug steht er am Rednerpult und trägt kabarettistische Scharfzüngigkeiten vor. „Wir sind immerhin schon wesentlich länger im Land als die Frau Bundeskanzlerin“, erwähnt er etwa in Anbetracht des Jubiläums „40 Jahre Gastarbeiter in Deutschland“. Und zum Zuwanderungsgesetzt: „Gleichbehandlung heißt, das es nicht nur der Ausländer schwer hat.“

„Ich bin Moslem“, ruft Faith Cevikkollu ins Publikum und erntet Schweigen. Das ist geplant, denn dass viele Menschen mit der weltweit über eine Milliarde Mitglieder zählende Religionsgemeinschaft mit Terroristen gleichsetzen, ist ihm wohlbekannt. Ihm ist es zu verdanken, dass einmal mehr die Absurditäten des „Gesinnungstests“ für Einwanderer aufgewärmt werden. Murat Topal aus Neukölln ist Türke und Polizist gleichzeitig – „das geht mittlerweile“ und Bülent Ceylan heizt die Stimmung schließlich mit einer Mischung aus türkischem Poser-Tanz und Schuhplattler auf. Ausweisung muss er dafür nicht fürchten: „Ich habe einen deutschen Pass – muss also hier bleiben“, bekennt er.

Den zweiten Teil des Doppelabends gestaltete die Cellistin Rebecca Carrington gemeinsam mit Cello Joe und Lebensgefährten Colin Griffith-Brown. Mit ernstem Gesicht und klassischem Solo steigt sie in ihr Programm ein, um unmittelbar abzubrechen und eine musikalische Weltreise zu unternehmen. Sie spielt Bach wie Popmusik und rappt zur Kleinen Nachtmusik. Auf ihrem Trip überzeugt sie dogmatische Volksmusiker aus Schottland, Japan oder Spanien, dass sie die landestypischen Töne auch aus ihrem Cello heraus bekommt. Dann wirbelt sie Joe umher und beginnt mit stolzer spanischer Folklore mit rasanten Pizzikati. Den Klassiker „Amazing Grace“ spielt sie ausschließlich im Flageolett, die scharfen bulgarischen Harmonien setzt sie ebenso selbstverständlich um wie indische „Bollywood“-Musik.

Ausstrahlungen in 3sat
Django Asül und Gäste am 15.9. um 21 Uhr
Rebecca Carrington am 22.9. um 21 Uhr

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Puccinis "Tosca" am Staatstheater Wiesbaden

Mit Puccinis „Tosca“ eröffnet das Hessische Staatstheater Wiesbaden die Spielzeit und lässt Sarah Leupold eine durchwachsene Inszenierung vorlegen.

Offensichtlich war die Theaterpause zu lang. Begeisterte Bravos und entrüstete Buh-Rufe waren selten in dieser Deutlichkeit vom Wiesbadener Publikum zu hören. Schuld war die Eröffnungspremiere, Puccinis „Tosca“. Für die Inszenierung kehrte Regisseurin Sandra Leupold wieder ins Rhein-Main-Gebiet zurück. In der vergangenen Spielzeit hatte sie in Mainz eine faszinierende Deutung von Debussys „Pelléas et Melisande“ abgeliefert, was die Erwartungen für ihr Wiesbaden-Gastspiel entsprechend in die Höhe schraubte. Doch denen wurde sie letzten Endes nur teilweise gerecht, grundsätzlich gab es einige interessante Ideen zu verfolgen.

Relativ zeitlos ist die Szene, eine etwas nüchtern wirkende Kirchen-Innenkulisse mit vom Kunstlicht angestrahlten Heiligen (Bühnenbild: Tom Munsch). Es gibt keine Umdeutung des Stoffes wie etwa vergangenes Jahr in Darmstadt, wo Philipp Kochheim die Geschichte in einer südamerikanischen Diktatur verhandelte. Sandra Leupold versucht allerdings, ihre „Tosca“ vom Rezipienten-Plüsch zu befreien. Das ist ehrenwert, immerhin haben doch viele Opernfreunden vor allem die zwei zentralen Arien und auch ansonsten den süffigen Puccini-Wohlklang in den Ohren. Dass sich dazwischen menschliche und politische Dramen abspielen, wird gerne gnädig übersehen, der Sturz von der Engelsburg gerät gar zum Pausengespräch, sensationslüstern überlegt man sich schon im Voraus, wie der wohl dieses Mal gelöst wird.

In Wiesbaden gehört auch dieses wohl Bekannteste aller Opernfinale mit zur realistisch inspirierten Arbeit von Sandra Leupold. Während Cavaradossi gut sichtbar in Kruzifix-Haltung gefoltert und später per Kopfschuss aus nächster Nähe hingerichtet wird, erleidet Tosca den Tod durch Scarpias prügelnde Schergen. All das könnte gut funktionieren, wenn zwischen diesen effektvollen Momenten Verbindungen bestehen würden, die hier allerdings kaum zu entdecken sind. Auch die sichtbaren Veränderungen der Kulisse, die doch immer gleich bleibt, hilft nur bedingt. Der Altar wird zu Scarpias Tafel, die Nischen, in denen im ersten Akt noch die Heiligen standen, starren am Ende als leere, düstere Fenster auf den Innenraum. Die Darsteller haben jedoch scheinbar keine Anhaltspunkte bekommen, wie sie diese Form zu füllen haben.

Einhellige Begeisterung aber rief die musikalische Leistung hervor. Das Staatsorchester rückte unter Leitung von Generalmusikdirektor Marc Piollet jede Szene in ein atmosphärisch klar erkennbares Licht, schwelgte und zerriss, je nach Stand der Situation. In der Titelrolle brillierte Janice Dixon als Gast in Wiesbaden. Neben ihrer Renommier-Arie, die sie mit größtmöglichem Anteil an Empathie umsetzte, gelang es ihr immer wieder, darstellerisch glaubhaft zu wirken. Alfred Kim als Cavaradossi überzeugte mit tenoraler Strahlkraft, die mittlerweile auch auf langer Strecke trägt. In der Rolle des Scarpio war mit Krister St. Hill ebenfalls ein Gast engagiert worden, der sich die düster-lüsterne Partie wirkungsvoll zueigen machte.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Sonntag, 9. September 2007

Horst Schroth beim 3sat Festival

Wenn ein Typ wie Horst Schroth in die Kaffeeküche käme, um seine Kollegen zu unterhalten, könnte das vielleicht klappen. Für eine knappe Stunde Bühnenprogramm aber reicht das, was er momentan zu bieten hat, nicht aus. Beim 3sat-Zeltfestival kalauerte er sich durch sein Programm, ohne dass am Ende irgend eine Pointe wirklich dauerhaft hängen geblieben wäre, die man nicht schon mal woanders gehört hat. Warum er dafür eine Kunstfigur, nämlich „Nikolaus Niehoff“ erfindet, bleibt ohne triftigen Grund. Denn wer eine Figur erschafft, muss sie auch mit einem unverwechselbarem Charakter ausstatten. Genau das aber gelingt Schroth nicht.

Er mogelt seine Figur durch Plattitüden und Allgemeinheiten der komödiantischen Trick-Kiste, ohne dabei aber einmal tiefer zu greifen. An der Oberfläche dieser Kiste etwa liegt die Angewohnheit, sich ständig selbst im Redefluss zu unterbrechen und einen neuen Erzählstrang aufzumachen. Witzig, in gewisser Weise, aber eben nicht besonders originell, weil nicht von ihm. Los geht’s mit Albernheiten über E-Mails und Spam. „Wer kein Englisch kann, versteht kein deutsch“, naja… Dass er dann noch die Menge der empfangenen Elektropost als Status-Symbol verbrät, war zu erwarten.

Ach ja, Herr Niehoff ist wohl Geschäftsmann. Der „große Deal“ platzt leider, vermutlich hat Geschäftspartner „Juan Carlos“ seine Finger im Spiel. Irgendwie schafft es Horst Schroth, plötzlich über seine fiktiven WG-Erfahrungen gemeinsam mit der liebestollen Schwester und deren Sohn zu erzählen. Das bietet Gelegenheit für Gähner über faule Lehrer und promovierte Germanisten mit Taxischein. Später kommen noch die ganz existenziellen Fragen auf dem Niveau von selbsternannten Internet-Komödianten. Also nach dem Motto „Endlich kommt der Herbst, dann ziehen sich die Deutschen wieder an“. Natürlich wird auch die Frage diskutiert, ob so mancher wohl mit dem Alter in seine Tätowierungen hereinwächst.

Was fehlt noch in dem Sammelsurium? Richtig, die Frau-Mann-Beziehungen. Klar gibt’s die bei Horst Schroth. Er faselt was von einer „Anfasser-Lizenz“, die mancher Mann habe, ohne es zu wissen, die aber nicht übertragbar sein und jederzeit wieder eingezogen werden könne. Gut, dass das 3sat-Sendeformat bloß eine dreiviertel Stunde benötigt. Länger ließe sich dieser Flickenteppich aus uninspiriert zusammen getragenen Kalauern ohne roten Faden wohl kaum ertragen.

Sendung am, Freitag, 14. September 2007 um 20.15 Uhr auf 3sat

Im Auftrag der Allgemeinen Zeitung Mainz

Freitag, 7. September 2007

Gespräch mit der Mezzosopranistin Sarah Ferede

Eigentlich ist in Deutschland der Zugang zu fast jedem Beruf einigermaßen klar geregelt. Selbst die Karriere eines Künstlers hat seinen vorgeschriebenen Weg. Musiker gehören in eine Musikhochschule, dort machen sie nach einer Reihe von Prüfungen ihren Abschluss und können dann entweder auf eine Festanstellung in einem Theater oder einer Musikschule hoffen, oder sich als Freiberufler von einem Gastengagement zum nächsten Festivalauftritt hangeln. Sarah Ferede hat es geschafft, außerhalb dieser vorgegebenen Regeln auf sich aufmerksam zu machen. Eine Musikhochschule hat sie nie besucht und dennoch gelang es ihr, wichtige Preise zu gewinnen. Damit ist die junge Mezzosopranistin bereits eine absolute Ausnahme-Erscheinung im Musikgeschäft.

Schon als Achtjährige sang Sarah Ferede bei den Hamburger „Alsterspatzen“, dem Kinderchor der Staatsoper mit und nahm mit 16 Jahren erstmals beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ teil. Damals wurde das Jury-Mitglied Charlotte Lehmann, eine der renommiertesten Gesangspädagogen und selbst erfolgreiche Konzertsängerin auf das junge Talent aufmerksam. Sie gab ihr Privatunterricht und schon zwei Jahre später gewann die junge Sängerin den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ in der Kategorie Gesang solo, später auch im Duo Liedgesang. Es folgten Preise beim Bundeswettbewerb Gesang und weitere wichtige Wettbewerbserfolge.

Auf den Wiesbadener Mozartpreis, den sie kürzlich gewonnen hat, wurde sie durch einen Aushang im Theater Coburg aufmerksam. „Dort hingen drei Wettbewerbe aus und ich habe mich bei allen beworben“, lacht sie. Der Erfolg gibt ihrem hohen Arbeitspensum recht. Denn auch beim Wettbewerb der Kammeroper Schloss Rheinsberg war sie erfolgreich. Und damit nicht genug – aus ihrem Engagement am Coburger Theater löste sie sich nun, um als Stipendiatin des Förderkreises an der Deutschen Oper in Berlin zu gastieren, wo sie demnächst das Eröffnungskonzert mit bestreitet.

Dort steckt sie bereits mitten in den Proben. „Ich spiele die Alten und Hässlichen, wie das bei Mezzos eben so ist“, erzählt sie. Darunter die Marcellina aus „Figaros Hochzeit“ und die zweite Dame aus der „Zauberflöte“. „Natürlich stelle ich mir irgendwann doch eine Carmen vor“, hofft sie auf zukünftige Rollendebüts. „Derzeit versuche ich mich in Oratorien, damit hatte ich außer etwa einem Weihnachtsoratorium noch nicht viel zu tun“, berichtet sie. Bis vor einem Jahr habe sie sogar fast ausschließlich Lieder gesungen. Aber auch unbekanntere Arien waren dabei. Die hat sie von ihrer Lehrerin bekommen. „Frau Lehmann hat eine tolle Art, jemanden aufzubauen“, schwärmt sie von ihrer Mentorin.

Dadurch, dass sie nie an einer Hochschule studiert hat, fehle ihr etwas der schauspielerische Bezug, gesteht Sara Ferede ein. „Da bin ich froh, dass ich in Coburg und Stuttgart viel lernen konnte“, sagt sie. Am Landestheater Coburg hatte sie unter anderem die Rolle der Mercédés aus „Carmen“ übernommen und außerdem die Sharon Graham in Terrence McNalls Theaterstück „Meisterklasse“ gespielt, die sie vorher schon in Stuttgart gegeben hatte.

In Wiesbaden wird sie bei ihrem Preisträgerkonzert natürlich Mozart-Arien singen, darunter Ausschnitte aus den Opern „Lucio Silla“ und „Mitridate, re di ponto“. Das Konzert findet am Sonntag, 16. September um 17 Uhr im Wiesbadener Kurhaus statt.

Die Internetseite der Sängerin: www.jungundklassisch.de

hr-Sinfonieorchester mit Werken von Wagner, Brahms und Erkki-Sven Tüür

Zum Auftakt seiner aktuellen Spielzeit hat sich das hr-Sinfonieorchester Frankfurt wieder ein Komponisten-Porträt vorgenommen. In diesem Jahr ist es Erkki-Sven Tüür, Jahrgang 1959. Er gilt neben Arvo Pärt als der estnische Komponist mit der größten internationalen Bedeutung. Zu seinen Werken gehören Arbeiten aus fast allen Genres, vom Orchesterkonzert über Oratorien bis hin zu Film- und Bühnenmusik. In seiner Heimat wurde der Komponist als Keyboarder und Sänger der Rockgruppe „In Spe“ bekannt. Seine 4. Sinfonie „Magma“, die nun in der Alten Oper gespielt wurde, geht auf eine Initiative der Schlagzeugerin Evelyn Glennie zurück, die hier auch als Solistin zu hören war.

Das Werk entwickelte sich in kontrastreichen Schritten innerhalb seiner vier Abschnitte ständig weiter, markante Motivwiederholungen ließen sich immer wieder durchhören, so dass die Struktur der Komposition sehr klar erschien. Eine angeregte Kommunikation entstand zwischenzeitlich zwischen Glockenspiel und Flöten, später zog ein gewittriges Grollen auf, das sich öfter wiederholte. Scharf abgegrenzte, abwechselnde Rhythmen ließen das Stück ausgesprochen vielseitig erscheinen. Oftmals wurden die Streicher als nervenaufreibendes Bollwerk verwand, dazwischen kamen zarte Einwürfe des Marimbaphons, das sich zu rasanten Läufen und Wirbeln verstieg. Der letzte Abschnitt erhielt durch den Einsatz von Bongo-Trommeln und das Pizzikato der Kontrabässe einen tänzerischen, vorwärts treibenden Charakter. Interpreten und der anwesende Komponist erhielten in der Alten Oper anhaltenden Applaus.

Mit diesem Konzert startete das hr-Sinfonieorchester unter Leitung von Paavo Järvi auch seinen Brahms-Zyklus zum 175. Geburtstag des Komponisten. Zu Beginn erklang die 1. Sinfonie. Dem Orchester gelangen hier üppig strahlende Klangfarben, sanft schwebendes Holz auf weichem Grund der Streicher fiel im Satz Un poco allegretto e grazioso auf. Später überraschten die Streicher mit fast unhörbarem Pizzikato, bevor das gesamte Orchester zu einem wirkungs- und kraftvollen Finale ansetzte. Zuvor schwelgte der große Apparat noch im Meistersinger-Vorspiel von Richard Wagner und steigerte sich geradezu spiralförmig in den harmonischen Überschwang des Stückes hinein.


Veröffentlicht im Main-Echo