Donnerstag, 29. Dezember 2005

Mozart in Hessen

Dass Mozart kein Hesse war, ist allgemein bekannt. Dennoch lassen es sich die Kulturschaffenden im Lande nicht nehmen, dem Salzburger Wunderknaben im kommenden Jahr zum 250. Geburtstag zu gratulieren. Wolfgang Amadeus ist das gesamte Jahr über allgegenwärtig und treibt die Kreativen zu künstlerischen Höhenflügen. Immerhin hat Hessen mit Frankfurt und Offenbach zwei Städte zu bieten, die Mitglied im Verein „Europäische Mozart-Wege“ sind. In diesem Zusammenschluss finden sich Städte und Regionen wieder, die einen authentischen Mozart-Bezug aufzuweisen haben.

Tatsächlich hat Mozart Frankfurt zwei Mal besucht. Im August 1763 logierte die Familie auf der Reise nach London und Paris am Main, wo der geschäftstüchtige Vater spontan vier umjubelte Konzerte mit dem berühmten Siebenjährigen organisierte. Im September 1790 besuchte Wolfgang Amadeus Mozart die Stadt anlässlich der Kaiserkrönung Leopolds ein weiteres Mal. Die Frankfurter Bürgerstiftung Holzhausenschlösschen hat zum Mozartjahr eigens die Internetseite www.mozart-in-frankfurt.de geschaltet, um die dortigen Veranstaltungen zentral zu sammeln. Sie hat auch einen „Mozart-Stadtführer“ herausgegeben, der alle wichtigen Mozart-Orte in Frankfurt in historischen und aktuellen Ansichten, versehen mit ausführlichen Beschreibungen, präsentiert.

Offenbach verdankt seinen Mozart-Bezug dem Notenstecher und Musiker Johann Anton André, der 1799 Mozarts kompletten künstlerischen Nachlass von dessen Witwe Constanze kaufte und damit die Voraussetzung für das „Köchelverzeichnis“ schaffte. Die Ausstellung „Johann Anton André und der Mozart-Nachlass - ein Notenschatz in Offenbach am Main" im Haus der Stadtgeschichte bildet deshalb den Mittelpunkt des Offenbacher Beitrags zum Jubiläumsjahr. Dort sind neben originalen Mozart-Handschriften auch seltene Erstdrucke zu sehen. Die Eröffnung durch den Schirmherrn und ehemaligen Oberbürgermeister Gerhard Grandke findet am 29. Januar statt, die Ausstellung ist bis zum 28. Mai zu sehen.

Der wichtigste Tag im Jahr liegt bereits zu Anfang des Jahres: am 27. Januar erblickte Mozart das Licht der Welt. Die Frankfurter Oper schenkt dem Komponisten zu diesem Anlass eine Christof-Loy-Inszenierung von „La Clemenza di Tito“ (Die Milde des Titus) – der Oper, die Mozart in seinem letzten Lebensjahr geschrieben hat. Generalmusikdirektor Paolo Carignani hält die musikalische Leitung in seinen Händen. Dieser Neuinszenierung folgt am 22. Juni im Bockenheimer Depot mit „La finta semplice“ (Die Einfältige aus Klugheit) ein weiteres Werk des Komponisten, das er im zarten Alter von 12 Jahren geschrieben hat. Die musikalische Leitung hat die Britin Julia Jones, Regie führt wieder Christof Loy. Daneben stehen mit der „Zauberflöte“ und „Don Giovanni“ weitere Mozart-Opern auf dem Spielplan.

Auch an anderen Theaterhäusern des Landes wird gratuliert: Am Kasseler Staatstheater ist Benedikt Borrmanns Inszenierung der „Hochzeit des Figaro“ zu sehen, das Orchester feiert am 26. und 29. Januar unter der Leitung von Andreas Wolf ein „Fest für Amadeus“. Das Rüsselsheimer Stadttheater hat neben zahlreichen kammermusikalischen Veranstaltungen für den 27. Januar die Prager Kammeroper mit der „Zauberflöte“ (Inszenierung: Jan Stych) eingeladen. Am gleichen Tag ist am Wiesbadener Staatstheater eine „Zauberflöte“ eigens für Kinder angesetzt. Das Darmstädter Staatstheater zeigt seit Oktober Philipp Kochheims Inszenierung der „Entführung aus dem Serail“, die musikalische Leitung hat Timor Oliver Chadik. Und auch die Bad Hersfelder Festspiele entziehen sich dem Jubiläum nicht und führen zwischen dem 8. und 22. August mit „Don Giovanni“ eine der populärsten Opern überhaupt in der malerischen Stiftsruine auf.

Auch die kleineren Gemeinden in Hessen haben sich gerüstet. Am Geburtstag begibt sich die Gemeinde Butzbach auf die Reise nach Prag mit Texten von Eduard Mörike und Musik natürlich von Mozart in der Alten Turnhalle. Der Schauspieler Christian Herrmann übernimmt die Rezitationen und wird begleitet von einem Bläseroktett der Frankfurter Musikhochschule. Im nordhessischen Melsungen wagt sich die Melsunger Musikantengilde gemeinsam mit der Rotenburger Kammerphilharmonie an Mozarts effektreiches Requiem.

Wer sich Mozart lieber in die eigenen vier Wände holt, wird gut bedient. Der Hessische Rundfunk widmet Mozart am 27. Januar einen kompletten Programmtag in seinem zweiten Radioprogramm. So beginnt um 10.05 eine Mozart-Matinee mit dem Pianisten Alexander Lonquich, abends um sieben überträgt der Sender die Aufführung der Oper „„Idomeneo, re di Creta“ aus dem Theater an der Wien unter der musikalischen Leitung von Seiji Ozawa.

Bereits eine Woche vor Mozarts Geburtstag präsentiert das hr-Sinfonieorchester zusammen mit Herbert Feuerstein ein Konzert, das hohen Unterhaltungswert verspricht. Der Satiriker und Entertainer hat selbst in Salzburg Musik studiert und tourt seit einiger Zeit mit seiner „Mordnacht Mozart“ durchs Land. Das Konzert vom 20. Januar im Sendesaal des Hessischen Rundfunks wird am 26. und 29. Januar im Hessenfernsehen gezeigt.

Und auch das darf im Internet-Zeitalter nicht fehlen: Der aus Bruchköbel stammende IT-Experte Alfred Schilken hat auf www.dein-name-ist-musik.de ein kostenloses Programm zu Verfügung gestellt, mit dem jeder Nutzer lediglich durch Eingabe seines Namens und Geburtsdatums ein individuelles Menuett aus originalen Mozart-Takten „komponieren“ kann.

Weitere Infos:

Europäische Mozartwege: www.mozartways.com

Mozart in Frankfurt: www.mozart-in-frankfurt.de

Mozart in Offenbach: www.offenbach.de/themen

Oper Frankfurt: www.oper-frankfurt.de

Staatstheater Kassel: www.staatstheater-kassel.de

Staatstheater Wiesbaden: www.staatstheater-wiesbaden.de

Staatstheater Darmstadt: www.staatstheater-darmstadt.de

Theater Rüsselsheim: www.theater-ruesselsheim.de

Opernfestspiele Bad Hersfeld: www.oper-hersfeld.de

Hessischer Rundfunk: www.hr-online.de

Gemeinde Butzbach: www.butzbach.de

Stadt Melsungen: www.melsungen.de

Internet-Projekt: www.dein-name-ist-musik.de

Wolfgang Amadeus Mozart wurde am 27. Januar 1756 in Salzburg geboren und starb am 5. Dezember 1791 in Wien. Er schrieb über 50 Sinfonien, 27 Klavierkonzerte, 21 Opern, 19 Messen und zahlreiche weitere kammer- und kirchenmusikalische Werke. Gemeinsam mit seiner Frau Constanze hatte er zwei Söhne: Carl Thomas (1784-1858) und Franz Xaver (1791-1844).


Erstellt für den Hessendienst der Nachrichtenagentur ddp.
Erschienen unter anderem in der Freien Presse Chemnitz und in der Mittelbayerischen Zeitung

Samstag, 17. Dezember 2005

Jules Massenets "Werther" in der Frankfurter Oper

Wer vor der eigenen Hochzeit mit einem Unbekannten auf einen Ball geht sollte sich nicht wundern, wenn der Gefühlshaushalt durcheinander gerüttelt wird. Schon dumm, wenn man sich ausgerechnet an diesem Tag zum ersten Mal so richtig verliebt. Charlotte geht es so. In Jules Massenets Oper „Werther“ nach dem Roman von Johann Wolfgang von Goethe trifft sie zum absolut falschen Zeitpunkt auf ihren Traummann.

Willy Deckers knapp zehn Jahre alte Inszenierung wurde nun an der Frankfurter Oper aufgeführt und hat nichts an ihrer fesselnden und klaren Bildersprache eingebüßt. Die eigentliche Premiere fand 1996 an der Nederlandse Opera Amsterdam statt. Auf den blauen und grünen Schrägen der großräumigen und angenehm aufgeräumten Bühne spielt sich das Drama mit oft schon bedrückender Direktheit ab

Dass Charlotte (Kristine Jepson) sich beständig windet, ihren anfänglich noch nur erahnten doch bald schon sicheren Gefühlen für den jungen Werther (Piotr Beczala) nachzugehen, nimmt immer groteskere Züge an. Nach dem Tod der Mutter hat sie ihr Leben ihren jüngeren Geschwister und ihrem Vater gewidmet. Das hat sie am Sterbebett geschworen. Etwas anderes auch, nämlich Albert (Nathaniel Webster) zu heiraten. Kein übler Kerl, aber doch recht langweilig. Mit Werther hingegen kann sie sich nicht nur auf besagtem Ball vergnügen, sondern auch die Köpfe „ganz nah“ über Bücher stecken. Die unvermeidbare Hochzeit treibt Werther nach langem Leiden in den Selbstmord und erst jetzt begreift Charlotte: „Anstatt meine Pflicht zu vergessen zog Dein Leiden ich vor.“

Die von Johannes Erath für Frankfurt neu szenisch einstudierte Produktion besticht durch ihre kühlen und schroffen Szenen, durch die das kuriose Bruderpaar Johann und Schmidt (Simon Bailey, Michael McCown) mit oft sinnstiftenden und handlungswendenden Eingriffen führt. So tauchen sie als Charlottes Gewisen auf oder reichen Werther schon im zweiten Akt die Pistole für den späteren Selbstmord. Die relative Gleichgültigkeit, die Werther ansonsten entgegenschlägt wird in den wenigen Momenten mit der Familie besonders deutlich.

Sängerisch brillierte insbesondere der polnische Tenor Piotr Beczala. Der derzeit viel gefragte Sänger gab seine Rolle nicht nur szenisch absolut authentisch sondern bestach auch mit einer Stimme, die sich nie zu verausgaben schien. Selten lässt sich eine Leistung auf derartigem Niveau über eine solche Dauer halten. Die Mezzosopranistin Kristine Jepson gefiel mit souveränen Leistungen, Britta Stallmeister als kleine Schwester Sophie konnte adrett und mit mädchenhaftem Charme überzeugen. Unter der Leitung von Carlo Franci warf das Museumsorchester mit üppiger Klangpracht um sich, konnte darüber hinaus aber auch stimmungsfördernde Differenzierungen klar von reiner Illustration abgrenzen.

Veröffentlicht im Main-Echo aus Aschaffenburg

Montag, 12. Dezember 2005

Der Pianist Denys Proshayev in Mainz

Eigentlich sollte es sich doch herumgesprochen haben, dass die Reihe für Qualität bürgt. Wenn der Südwestrundfunk die „Stars von morgen“ ankündigt, mag das populistisch klingen, doch der Sender hat einfach recht damit. Dennoch blieben beim Klavierabend mit Denys Proshayev im Frankfurter Hof so manche Reihen leer.

Diejenige, die gekommen waren, haben aber nun einiges zu erzählen. Sie können ihren daheim gebliebenen Bekannten von einem jungen russischen Künstler berichten, dem es gelungen ist, sie auf unprätentiöse Art zu fesseln. Sie dürften von einer Persönlichkeit schwärmen, die weniger durch ihr Auftreten als mit einer außergewöhnlichen Musikalität bestechen konnte. Denn so unspektakulär und sperrig das Programm auf den ersten Blick wirkte, so beflügelnd gerieten die Ausdeutungen von Deny Proshayev.

Mit ganz nebensächlich dahingeblinzelten Trillern, die mit akkurater Präzision gesetzt wurden, belebte er die Suite e-Moll von Jean-Philippe Rameau, dem französischen Zeitgenossen von Johann Sebastian Bach. Proshayev atmete durch die Stimmen hindurch und modellierte sachte die Läufe. Mit der Linken tupfte er sanfte Bässe und ließ während dessen mit der Rechten feine Melodien in klarer Brillanz erklingen. Selten ist eine so differenzierte und gleichzeitig wohlausgewogene Interpretation zu hören, die dabei ohne Attitüde auskommt. Ähnliches konnte man bei Bachs Französischen Suite Nr. 2 c-Moll erleben. Besonders auffällig, wie er der Courante eine natürliche Schärfe verlieh und ihre klaren Konturen nachzeichnete.

Wer glaubte, dass die Fähigkeiten Proshayevs vor allem in der strukturellen Zerlegung und sinnlichen Vermittlung barocker Werke bestehen, wurde mit der Sonatine von Maurice Ravel angenehm enttäuscht. Er goss das nervöse Werk mit nachfühlbarer Freude in eine aufregende Einheit. Gerade hier gelang ihm etwas, das einen großen Interpreten auszeichnet und das ihm immerwährende Aufgabe sein sollte: Mit scheinbar wenigen Zutaten eröffnete Denys Proshayev seinen Zuhörern eine faszinierende musikalische Welt und seinen ganz persönlichen Blick darauf. Ausreichend Gelegenheit dafür bot ihm schließlich Sergej Prokofjews Sonate Nr. 8 in B-Dur. Da türmte er mondäne Klangmomente auf, um sie rasch darauf wieder abzutragen und Augenblicke lang in bescheidener Nachdenklichkeit zu verharren. Mit großer Sorgfalt und einem sicheren Sinn für den legitimen Effekt sowie dessen Grenzen hinterließ der 27-jährige Künstler einen bleibenden Eindruck.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Donnerstag, 8. Dezember 2005

"Saint Nicolas" von Benjamin Britten im Stadttheater Heidelberg

Klar, am 6. Dezember kommt der Nikolaus. Das wissen vor allem die Kinder, denn dann werden die Stiefel gefüllt. Was aber immer mehr in den Hintergrund rückt, ist die Geschichte, die dieser Brauch in der Vorweihnachtszeit hat. Kunststück - immerhin ist der Heilige Nikolaus, so wie er in Europa etwa seit dem achten Jahrhundert verehrt wird, auch eine Kunstfigur aus zwei historisch belegten Personen: dem Bischof Nikolaus von Myra im kleinasiatischen Lykien, der wahrscheinlich im 4. Jahrhundert gelebt hat, und dem Abt von Sion, der Bischof von Pinora war und 564 in Lykien starb.

Benjamin Britten sammelte sich für die einaktige Kirchenoper „St. Nicolas“ das beste von beiden zusammen und setzte den Stoff musikalisch sehr volksnah um. So wird auch die Gemeinde zwei mal zum Singen der Choräle mit eingebunden. In Deutschland hört man diese Kantaten allerdings so gut wie gar nicht. Das Heidelberger Stadttheater hat nun damit begonnen, alle fünf Britten-Werke dieser Art in verschiedenen Kirchen der Stadt aufzuführen. Für „Saint Nicolas“ war die Friedenskirche im Stadtteil Handschuhsheim ausgewählt worden, deren Kantorei und Kinderchor (Leitung: Michael Braatz) auch gleich mit in die halbszenische Einrichung von Solvejg Franke integriert wurde.

Neben den beiden Chören und einem kleinen Ensemble des Theaterorchesters hatte Tenor Winfrid Mikus die Hauptlast des Abends zu tragen. Als einziger Solist und meist im Mittelpunkt des Geschehens gönnt ihm das Werk keinen Moment Pause. Dennoch gelang es ihm, die zahlreichen Stationen des Heiligen in ihren unterschiedlichen Farben plastisch darzustellen. Mit wandelbarer Stimme konnte er sich dabei stilsicher und musikalisch überlegt präsentieren.

Besondere Leistungen hatten die Chöre zu vollbringen, die – ungewohnt für eine Kantorei – oft genug auch in die Handlung mit eingebunden wurden. Dabei stellten sich die Sängerinnen und Sänger auch als ausgesprochen lebhafte Darsteller heraus, deren szenische Aktivitäten nie auf Kosten des Gesangs gingen. Dazu kam ein Instrumentalensemble, das unter der Leitung von Noam Zur eine solide Grundlage bot und zwischen lautmalerischem Gerumpel und fein gezeichneter Linienführung wesentlich zum atmosphärischen Gelingen des Abends beitrug.

Dass es Solvejg Franke mit ihrem Bühnenbildner Klaus Teepe und Frank Bloching (Kostüme), vor allem aber auch einer ideenreichen Technik-Abteilung gelungen ist, den Kirchenraum effektvoll zu einem nichtsakralen Handlungsort umzufunktionieren, ohne ihm dabei Gewalt anzutun, sollte dem Theater ebenso Mut zur Fortsetzung seiner Britten-Pläne machen wie der stürmische Applaus zur Premiere.

Nur eine weitere Aufführung am Samstag, 10.12. um 20 Uhr.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz