Samstag, 17. Dezember 2005

Jules Massenets "Werther" in der Frankfurter Oper

Wer vor der eigenen Hochzeit mit einem Unbekannten auf einen Ball geht sollte sich nicht wundern, wenn der Gefühlshaushalt durcheinander gerüttelt wird. Schon dumm, wenn man sich ausgerechnet an diesem Tag zum ersten Mal so richtig verliebt. Charlotte geht es so. In Jules Massenets Oper „Werther“ nach dem Roman von Johann Wolfgang von Goethe trifft sie zum absolut falschen Zeitpunkt auf ihren Traummann.

Willy Deckers knapp zehn Jahre alte Inszenierung wurde nun an der Frankfurter Oper aufgeführt und hat nichts an ihrer fesselnden und klaren Bildersprache eingebüßt. Die eigentliche Premiere fand 1996 an der Nederlandse Opera Amsterdam statt. Auf den blauen und grünen Schrägen der großräumigen und angenehm aufgeräumten Bühne spielt sich das Drama mit oft schon bedrückender Direktheit ab

Dass Charlotte (Kristine Jepson) sich beständig windet, ihren anfänglich noch nur erahnten doch bald schon sicheren Gefühlen für den jungen Werther (Piotr Beczala) nachzugehen, nimmt immer groteskere Züge an. Nach dem Tod der Mutter hat sie ihr Leben ihren jüngeren Geschwister und ihrem Vater gewidmet. Das hat sie am Sterbebett geschworen. Etwas anderes auch, nämlich Albert (Nathaniel Webster) zu heiraten. Kein übler Kerl, aber doch recht langweilig. Mit Werther hingegen kann sie sich nicht nur auf besagtem Ball vergnügen, sondern auch die Köpfe „ganz nah“ über Bücher stecken. Die unvermeidbare Hochzeit treibt Werther nach langem Leiden in den Selbstmord und erst jetzt begreift Charlotte: „Anstatt meine Pflicht zu vergessen zog Dein Leiden ich vor.“

Die von Johannes Erath für Frankfurt neu szenisch einstudierte Produktion besticht durch ihre kühlen und schroffen Szenen, durch die das kuriose Bruderpaar Johann und Schmidt (Simon Bailey, Michael McCown) mit oft sinnstiftenden und handlungswendenden Eingriffen führt. So tauchen sie als Charlottes Gewisen auf oder reichen Werther schon im zweiten Akt die Pistole für den späteren Selbstmord. Die relative Gleichgültigkeit, die Werther ansonsten entgegenschlägt wird in den wenigen Momenten mit der Familie besonders deutlich.

Sängerisch brillierte insbesondere der polnische Tenor Piotr Beczala. Der derzeit viel gefragte Sänger gab seine Rolle nicht nur szenisch absolut authentisch sondern bestach auch mit einer Stimme, die sich nie zu verausgaben schien. Selten lässt sich eine Leistung auf derartigem Niveau über eine solche Dauer halten. Die Mezzosopranistin Kristine Jepson gefiel mit souveränen Leistungen, Britta Stallmeister als kleine Schwester Sophie konnte adrett und mit mädchenhaftem Charme überzeugen. Unter der Leitung von Carlo Franci warf das Museumsorchester mit üppiger Klangpracht um sich, konnte darüber hinaus aber auch stimmungsfördernde Differenzierungen klar von reiner Illustration abgrenzen.

Veröffentlicht im Main-Echo aus Aschaffenburg

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