Dienstag, 25. April 2006

Wagners "Parsifal" in der Oper Frankfurt

Beeindruckend ist schon einmal dieses Kulisse. Ein dichter Lattenzaun reicht bis knapp unter die Decke, er scheint endlos und undurchdringlich zu sein. Manchmal gibt er die Sicht auf riesige Räume frei, ein anderes Mal engt er sie ein, gibt nur einen Moment lang die Sicht auf die Szene frei oder lässt ein unentwirrbares Labyrinth erahnen. Auf jeden Fall muss er auch in der Länge eine unvorstellbare Dimension haben, denn auf der Drehbühne der Frankfurter Oper ist er ständig in Bewegung, ohne jemals eine echte Lücke aufzuweisen.

Christof Nel hat nun realisiert, was ihm vor zwei Jahren aus finanziellen Gründen nicht gegönnt war. Seinerzeit hatte das Haus Wagners „Parsifal“ lediglich konzertant aufführen können, nun wurde das Bühnenweihfestspiel wenige Tage nach Ostern szenisch aus der Taufe gehoben. Abgesehen von diesem Zaun bleibt Jens Kilians Bühne meist leer. Ein großer Tisch, an dem der abgedankte König Titurel seinen Sohn und Amtsnachfolger Amfortas an seinen Pflichten gemahnen kann und auf dem der Gral zum ersten Mal enthüllt werden kann, am Schluss des ersten Aufzugs dann noch die Tafel, an der die Recken von Monsalvat das Liebesmahl einnehmen können. Das war’s dann aber auch.

Da bleibt viel Raum für beziehungsreiches Aufeinanderprallen und mystisch aufgeladene Symbolik. Chistof Nel lässt den vom „Toren“ Parsifal geschossenen Schwan effektreich in Gestalt einer Tänzerin hereintaumeln, bewaffnet seine Heerscharen mit bedrohlichen Speeren, die sich im finalen Akt gar gegen den eigenen König richten. Die Blumenmädchen im zweiten Aufzug treten erst als Putzkolonne auf den Plan, verwandeln sich dann in rot aufgeplusterte Umgarnerinnen des Helden – zum Karfreitagszauber kehren einige von ihnen mit Kindern oder hochschwanger zurück (Kostüme: Ilse Welter).

Als stete Begleiter dieses Spiels wird hier die unwirklich daherkommende Kundry genutzt. Sie stellt die Beziehungen her, erweckt den Toren in einer Art Initiations-Ritus mit einem Kuss zum Leben und zum Wissenden. Ihr Kuss ist nicht der einer Mutter, sondern der einer Liebenden, die Parsifal nur noch mehr zu verwirren scheint. Doch das Ziel hat er nun vor Augen: Die Erlösung des Königs Amfortas, der durch Klingsors Hand eine ewig offene Wunde geschlagen bekam.

Das Mammut-Werk wird in Frankfurt vor allem von seinen überragenden Interpreten getragen. Allen voran das ausgezeichnet disponierte Orchester unter Generalmusikdirektor Paolo Carignani, das immer wieder aufs Neue die verdichtete Atmosphäre des Abends aufleben lässt. Auch auf der Bühne gibt es kaum eine Beeinträchtigung zu beklagen. Da ist Michaela Schuster als wandlungsfähige Kundry zu erleben, die mit großer, nie überforderter Stimme aufwartet. Ihre ungewöhnlich satte Tiefe hat Wärme und doch akkuraten metallisch schimmernden Glanz. Machtbewusst und verletzlich zugleich legt sie ihre Rolle auch spielerisch gut nachvollziehbar an.

Dem törichten und dann gewandelten Helden Parsifal verleiht Stuart Skelton einen schlackenfreien, für diese Rolle vielleicht etwas zu schlanken Tenor, der aber bis zuletzt unverbrauchtes Durchhaltevermögen beweist und auch kraftvoll aussingen kann. Jan-Hendrik Rootering ist ein gehaltvoller Gurnemanz, Alexander Marco-Buhrmester gibt als Amfortas mit klarer, durchsetzungsfähiger Stimme sein Frankfurt-Debüt. Abgerundet wird ein anregendes Opern-Erlebnis durch die Chöre des Hauses, die sich lediglich mit ein paar Abstrichen bei der Präzision engagiert und wirkungsvoll einsetzen lassen.


Veröffentlicht in der Wetzlarer Neuen Zeitung und NEWS Frankfurt

Dienstag, 18. April 2006

Barock-Oper "Croesus" von Reinhard Keiser in Wiesbaden

Vier Jahrzehnte lang war Reinhard Keiser einer der führenden Musiktheater-Komponisten in deutschen Landen. Allein für die Hamburger Oper am Gänsemarkt, die Anfang des 18. Jahrhunderts ihre Blütezeit erlebte, schrieb er 60 Werke. Mit einem der ersten und größten bürgerlichen Opernhäuser ging aber auch der Name Reinhard Keiser unter. Bundesweit steht in dieser Spielzeit ein einziges seiner Werke auf dem Spielplan: am Wiesbadener Staatstheater feierte jetzt „Der hochmütige, gestürzte und wieder erhabene Croesus“ Premiere.

Die an den antiken Berichten Herodots angelehnten Handlung (Libretto von Lukas von Bostel) trägt zwar den Widerstreit von irdischem Machtstreben und Sinnsuche in sich, ist aber auch ein unterhaltsames Verwirrspiel mehr oder minder unglücklich Liebender. Über allem prangt die Warnung des Philosophen Solon vor allzu großem königlichem Übermut: „Keiner ist vor seinem Tode glücklich zu preisen.“

Und tatsächlich: nachdem das Reich des bis dato mächtigen Königs Croesus von den Persern erobert wurde, streiten die Fürsten Orsanes und Eliates um den Thron. Während Eliates vom König als Statthalter bestimmt wurde, versucht Orsanes mit einer Intrige an die Macht zu kommen. Croesus’ stummer Sohn Atis, der durch einen Schock aber wieder zu Stimme gekommen ist, soll ihm dabei behilflich sein. Der wiederum bleibt loyal und will sich anstatt des gefangenen Vaters für sein Land opfern. Dieser erinnert sich in diesem Moment an die Warnungen Solons und wird ob seiner Erkenntnis wieder frei gelassen. Eingeflochten sind noch einige Liebes-Szenen zwischen Atis und Prinzessin Elmira.

Die Inszenierung von Jakob Peters-Messer verfrachtet die Handlung in eine überdimensionale Blumenwiese (Bühne: Markus Meyer), in der die Akteure zunächst als kindliche Figuren in bonbonfarbenen Sonntagskleidchen (Kostüme: Sven Bindseil) auftreten. Sie spielen mit Puppen und Kriegsspielzeug, necken sich gegenseitig in naivem Übermut und scheinen sich ihrer Lage nur halb bewusst. Erst als das Reich vom mondänen Perserkönig Cyrus und seinen schwarzen Horden überfallen wird, werden sie erwachsen. Die scharfen farbigen Kontraste tragen die Stimmung über die gesamte Spielzeit hindurch.

Auch musikalisch bleibt die Wiesbadener Produktion dank dem ausgezeichnet aufgelegten Orchester unter Leitung von Barock-Spezialist Sébastien Rouland stets lebendig. Sharon Kempton (Elmira) begeistert mit eleganten Koloraturen und auch spielerisch, in der Rolle des Atis ist Jud Perry wandlungsfähig und stimmlich fundiert zu erleben. Christoph Stephinger kann in der Doppelrolle als Solon und Cyrus kraftvoll und kernig überzeugen.

Auf der Wiese tummelt sich zudem vom Ameisenheer bis hin zu plüschigen Feldhasen allerlei Getier, das von Studierenden der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Hessischen Theaterakademie gestellt wird und bei den Zwischenmusiken die Bühne füllt.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Sonntag, 16. April 2006

Markus-Passion von CPE Bach uraufgeführt

Wie viele andere Kirchenmusiker seiner Zeit auch, hatte Carl Philipp Emanuel Bach die Aufgabe, in jedem Jahr eine Passion aufzuführen. In der Regel bestanden solche „Kompositionen“ dann aus der Zusammenstellung bereits bekannter Teile und einiger neuer Sätze, die der Komponist entweder für diesen Zweck geschrieben, oder aus einem anderen seiner Werke entnommen und entsprechend bearbeitet hatte. Auf diese Art waren viele solcher Aufführungen einmalig. Lediglich einzelne Sätze wurden bisweilen anderweitig genutzt. Ähnlich erging es auch der Markus-Passion von 1786, der letzten aus der Feder von Carl Philipp Emanuel – zwei Jahre später starb der zweite Sohn Johann Sebastians im für damalige Verhältnisse hohen Alter von 74 Jahren.

Die EuropaChorAkademie unter Leitung von Joshard Daus hat diese Fassung nun in der Berliner Philharmonie und der Pauluskirche Bad Kreuznach wieder aufgeführt. Die Noten stammen aus dem Archiv der Sing-Akademie zu Berlin, der Daus bis Ende vergangenen Jahres vorstand. In diesem Haus gehört es zur guten Tradition, in Vergessenheit geratene Werke der Bach-Familie wieder ans Tageslicht zu befördern, so hat Felix Mendelssohn-Bartholdy hier mit der Wiederaufführung von Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion für eine Renaissance des Thomas-Kantors gesorgt.

Diese beiden Ereignisse musikhistorisch auf eine Stufe zu stellen, wäre allerdings deutlich zu hoch gegriffen. Allerdings ist diese Markus-Passion auch dank ihrer knappen Ausführung ein durchaus spannendes Stück Musik. Zumal der Chor in relativ kleiner Besetzung ausgesprochen sensibel mit seinem Part umging. Ungemein homogen aufgestellte Stimmgruppen mit astreine Deklamation sorgten für eine aufregende Wiedergabe. Sanfte, nachdrücklich verfolgte Phrasierungen etwa im Chor „Dich bet ich an, Herr Jesu Christ“ ließen die unterschiedlichen Charaktere der Passion immer wieder lebendig werden. Schon im Eingangschor wiesen die Sängerinnen und Sänger ihr enormes Potenzial nach. In beständigem, sich nur in Nuancen veränderndem Piano erzeugten sie eine undurchdringliche klangliche Dichte, die schon fast etwas unwirklich schien.

Zum ersten Mal ließ sich der Chor von der kürzlich gegründeten Mendelssohn-Symphonia begleiten. Im Kern sind das die Streicher des Südwestdeutschen Kammerorchesters, aufgestockt durch weitere Profi-Musiker und Studierende. Das neue Ensemble fiel gleich durch kultivierten Ton und aufmerksame Musizierfreude auf, die gut zu dem schlanken Chorklang passte. Die Sopranistin Claudia Barainsky präsentierte sich mit angenehmer deklamatorischer Schwere, Maria Soulis (Mezzosopran) gestaltete ihren Part warm und unprätentiös, während Thomas Dewald (Tenor) die Rolle des Evangelisten gehaltvoll erzählend und mit atmender Stringenz anlegte. Daniel Sans (Tenor), Ulf Bästlein (Bassbariton) und Bart Driessen (Bass) ergänzten das Solisten-Ensemble souverän und mit markanter Beteiligung.

Originalbeitrag für den Blog

Montag, 3. April 2006

"Peter Grimes" von Benjamin Britten am Staatstheater Mainz

Der tote Peter Grimes ist allgegenwärtig. Am Mainzer Staatstheater liegt er von Anfang an am Bühnenrand. Selten kommt jemand vorbei und legt Blumen nieder, ansonsten dient er als gar nicht mal so abstrakter Sündenbock für Chor und Ensemble. Die angedeutete Rückblende hat auch hier Einzug gehalten. Benjamin Brittens 1945 in London uraufgeführte Oper wird von Gottfried Pilz beklemmend aktuell inszeniert, ohne dabei mit allzu vordergründigen Mitteln zu arbeiten.

Vielmehr erzählt er formal recht nüchtern und in ein kühles, ebenfalls von ihm eingerichteten Bühnenbild integriert, die Geschichte von Vorurteilen, Ausgrenzungsmechanismen und fehlgeleitetem Ehrgeiz. Der Fischer Peter Grimes lebt ein von der Gemeinschaft abgesondertes Leben und wurde gerade vom Mord an seinem Gehilfen freigesprochen. Doch die Dorfbevölkerung will nicht an einen Unfall glauben. Als Grimes dem Waisenhaus erneut einen Jungen abkauft und dieser ebenfalls unter ungeklärten Umständen ums Leben kommt, wird ihm auch von seinem letzten Fürsprecher der Selbstmord nahe gelegt.

In dieser schnell erzählten Handlung stecken zahlreiche Handlungsmotive, die Gottfried Pilz hier erstaunlich plastisch aufgespürt und sichtbar gemacht hat. Immer wieder schwankt die Sympathie des Zuschauers bis hin zur Frage, ob der Volkszorn gerechtfertigt ist, nur weil er Recht hat. Die zum Scheitern verurteilten Bemühungen des geächteten Fischers, durch Leistung und damit erhofften Reichtum Anerkennung zu erlangen, scheitern notwendigerweise an der Eindimensionalität und Alternativlosigkeit der Situation.

„Je bösartiger eine Gesellschaft, desto bösartiger das Individuum“ – diese Erkenntnis hat Britten seinerzeit an der Verserzählung „The Borough“ des englischen Dichters George Crabbe, die ihm als Vorlage diente, fasziniert. Crabbe beschrieb seinen Anti-Helden selbst als „unberührt von Mitleid, unversöhnt durch Reue und unbelehrbar durch Scham“, der seinen „wilden, schreckerfüllten Wahnvorstellungen“ zum Opfer fällt. Und diese eigentümliche Faszination wird auch in Mainz mit Händen greifbar.

Neben einer durchdachten Inszenierung, die durch Christoph Schödels Videosequenzen von menschlichen Massenauftrieben gestützt wird, ist das auch einem ausgezeichnet aufgestellten Ensemble zu verdanken. In der Titelrolle kann Alexander Spemann in jedem Moment überzeugen, vermittelt die geradezu zwanghafte Mischung aus Geltungsdrang und Gerechtigkeits-Autismus und kann darüber hinaus mit ungebrochener stimmlicher Präsenz trumpfen. Als Ellen Orford, die ihm als schwesterliche Freundin und mögliche Ehefrau zur Seite steht, ist Elizabeth Hagedorn in souveräner Direktheit zu erleben. Jürgen Rust gelingt die Mensch gewordene Doppelmoral in Person des Fischers Boles erschreckend authentisch.

Unter der Leitung von Catherine Rückwardt beweist sich das Philharmonische Staatsorchester angesichts dieser ausgemacht heiklen Partitur einmal mehr in Sachen Deutungskraft und musikalischem Vermittlungswillen ebenso wie der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Das Tecchler Trio in Schloss Reinhartshausen

Ganz selten kommt einmal ein Instrumentenbauer zu der Ehre, als Namensgeber für ein Kammermusik-Ensemble herhalten zu dürfen. Das deutsch-schweizerische „Tecchler Trio“ hat sich dazu entschieden, sich nach dem italienschen Geigenbauer David Tecchler zu benennen, der 1705 das Instrument geschaffen hat, auf dem Cellist Maximilian Hornung gute dreihundert Jahre später spielt. Gemeinsam mit der Geigerin Esther Hoppe und dem Pianisten Benjamin Engeli war er nun in der Reihe „Konzert und Brunch“ des Rheingau Musik Festivals in Schloss Reinhartshausen zu Gast.

Mit zwei ausgesprochen gewichtigen Werken stellte sich das junge Trio hier vor und bewies dabei eindrucksvoll, dass sich musikalische Reife nicht an der Zahl der Jahre messen lässt, die ein Künstler aufzuweisen hat. Schon bei Schumanns Klaviertrio Nr. 2 in F-Dur op. 80 ließen sich konsequente Interpretationsansätze und präzise Formulierungen gleichermaßen beobachten. Elegant federten die drei Musiker dramatische Zuspitzungen immer wieder ab, so dass sie nie in Übertreibungen umschlugen. Esther Hoppe schien im langsamen Satz mit dem Bogen streckenweise über den Saiten zu schweben und doch klang das Ergebnis nie dünn oder fasrig, sondern im Gegenteil ausnehmend verheißungsvoll. So hauchfein modulierte sie ihre Themen, dass eine ungebrochene Spannung den Satz bestimmte. Auch im Pianissimo wartet sie mit einem vollen Ton auf, der Wärme ausstrahlen kann und im nächsten Moment wieder hell aufblitzt und Schärfe beweist. Dem folgenden Satz mit seinen pulsierenden Bass-Figuren verlieh Benjamin Engeli diesen eigentümlich unruhig vorwärts drängenden Charakter, sein vielseitig ausgeprägter Anschlag bewies einen ausgeprägten Sinn für wirkungsvolle Nuancen. Maximilian Hornung stellte sich als virtuoser, weit blickender Künstler ohne jegliche Manierismen heraus.

Im Klaviertrio a-Moll von Maurice Ravel fiel insbesondere die bedingungslose Dialogfähigkeit des Tecchler Trios auf. Auch in den oft kompliziert verästelten Strukturen des Werkes ließen die drei Musiker den Gesprächsfaden nie abreißen. Zupackender Elan, der auch mal zu plötzlichen dynamischen Ausbrüchen fähig ist, stand effektvoll neben lyrischen Unisono-Passagen der Streicher im zweiten Satz. Sehr verinnerlicht wurde die Passacaille ausgekostet. Souverän, beinahe lustvoll ging Benjamin Engeli die vollgriffigen Passagen im Schluss-Satz an.

Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt

Portrait der Geigerin Julia Fischer

Mit 23 Jahren erholen sich die meisten Studenten in Deutschland von ihrer Zwischenprüfung, eifrigere unter ihnen haben gerade das Diplom in der Tasche. In die Verlegenheit, gleich mit einem Professorentitel ausgestattet zu werden, kommt in diesem Alter jedenfalls kaum jemand. Julia Fischer ist da eine Ausnahme. Ab dem kommenden Wintersemester wird sie sich die Anrede „Frau Professor“ gefallen lassen müssen. Denn sie hat einen Ruf nach Frankfurt angenommen. An der Hochschule für Musik und darstellende Kunst gibt sie ein Stück von dem weiter, was sie schon seit Jahren auf den internationalen Konzertbühnen vor ausverkauften Häusern und begeistertem Publikum präsentiert: ihre Fähigkeiten, auf der Geige eine Klangwelt zu erschaffen, in die es sich abzutauchen lohnt.

Die Besonderheiten einer Kunsthochschule machen es möglich, dass eine Künstlerin bereits in jungen Jahren und selbst ohne eigenen formalen Studienabschluss die höchsten akademischen Weihen empfangen kann. Langwierige Promotions- und Habilitationsverfahren fallen hier weg. Lehraufträge wurden in Frankfurt und an anderen Musikhochschule schon öfter an junge Künstler vergeben, auf diesem Gebiet fehlt es also nicht an Erfahrung. Doch eine Professur für eine 23-Jährige ist neu. Dafür ist eine glaubhafte Fähigkeit zum Unterrichten auf Hochschulniveau nachzuweisen. Und die hat die junge Künstlerin tatsächlich im Angebot. Auch in Frankfurt hat sie bereits erfolgreich einen Meisterkurs durchgeführt und dort ganz offensichtlich einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Diese Erfahrung ist auch notwendig, um Zweiflern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn – so könnten sie anführen – wie will sich denn ein einstiges Wunderkind in die Untiefen technischer Probleme eines Studienanfängers hineindenken können? Kann man in diesem Alter schon von einer ausgereiften Persönlichkeit ausgehen. Bei Julia Fischer kann man da wohl erst einmal guten Gewissens annehmen, dass sie auf dem besten Wege dahin ist – weiter vielleicht als mancher an Jahren älterer Kollege. Ob es auch dazu ausreicht, eine komplette Geigenklasse zu führen, wird sich heraus stellen. Auf jeden Fall hält sie sich damit nicht nur einen Karriereweg offen, der sie nach dem Ende einer Solistenlaufbahn gut ernähren kann, sie hat damit auch eine Entscheidung getroffen, die viele andere Stars der Klassik-Szene zu lange hinauszögern. Früh genug kann sie nun im Lehrberuf den ständigen Kontakt zunächst einmal zur eigenen und später zu den kommenden Künstlergenerationen halten, sie sogar prägen.

Auch sie verdankt ihre Karriere einer umfangreichen Förderung. Die in München geborene, heute international gefeierte Solistin, erhielt schon mit vier Jahren den ersten Geigenunterricht, kam bereits zwei Jahre später ans Augsburger Konservatorium. Hier wurde sie von Lydia Dubrovskaya unterrichtet. Eine Lehrerin, so verrät Julia Fischer im Internet, die Selbstkritik, Disziplin beigebracht hat. Mit neun Jahren wurde sie dann bereits an der Musikhochschule München aufgenommen, wo sie seitdem von Ana Chumachenco unterrichtet wird. Mit dem Dirigenten Lorin Maazel verbindet sie eine umfangreiche künstlerische Zusammenarbeit, zahlreiche Wettbewerbserfolge und mit Preisen versehene CD-Aufnahmen zeugen von ihrer Reputation. Mit dem Museumsorchester und dem Cellisten Daniel Müller-Schott hat sie zuletzt im Oktober vergangenen Jahres das Frankfurter Publikum in der Alten Oper überzeugt.

Ob die Weltbürgerin mit bayerischen Wurzeln ab dem Winter dann auch ihren Lebensmittelpunkt in die hessische Metropole verlegen wird, steht noch in den Sternen und darf wohl eher bezweifelt werden. Wie viele Künstler ihres Ranges, zumal noch mitten in der ersten Hälfte der Karriere, wird man es ihr wohl nicht übel nehmen, wenn sie sich kein Häuschen am Frankfurter Stadtrand bauen wird. Mobilität wird eben auch in diesem Beruf groß geschrieben.


::: INFOS :::

Julia Fischer wurde 1983 in München geboren und hat 2002 ihr Abitur an einem mathematisch–naturwissenschaftlichen Gymnasium abgelegt.

Bislang sind drei CDs mit ihr erschienen. Mit dem Russischen Nationalorchester hat sie Konzerte von Aram Khachaturian, Serge Prokofiev und Alexander Glazunov aufgenommen, gemeinsam mit Tatjana Masurenko (Bratsche), Gustav Rivinius (Cello) und Lars Vogt (Klavier) Quartette von Johannes Brahms eingespielt. Außerdem liegt eine Aufnahme mit Solowerken von Johann Sebastian Bach vor.

Die wichtigsten Wettbebwers-Erfolge:
1995: Yehudi-Menuhin-Wettbewerb
1996: Achter Eurovisionswettbewerb für Junge Instrumentalisten
1997 „Prix d‘Espoir“ der Stiftung der Europäischen Industrie

Ihr momentanes Repertoire umfasst über 40 Werke mit Orchesterbegleitung und etwa 60 Werke der Kammermusik
Julia Fischer spielt auf einem italienischen Instrument von Jean Baptiste (Giovanni Battista) Guadagnini aus dem Jahre 1750

Veröffentlicht in NEWS Frankfurt