Samstag, 28. Oktober 2006

Klavierduo Gröbner/Trisko im Holzhausenschlösschen Berinl

Das Klavierspiel zu vier Händen gehört zur ganz großen Tastenkunst, die unbedingtes Einverständnis zwischen den beteiligten Künstlern fordert. Denn wenn sich zwei Pianisten die 88 Tasten teilen müssen, sind sie wie in keiner anderen Duo-Formation voneinander abhängig. Ein Fehlgriff, eine musikalisch anders geartete Einschätzung des Partners und die gesamte Interpretation steht auf dem Spiel, schließlich kann jede Taste nur ein mal gedrückt werden. Vielleicht gibt es international auch deshalb nur so wenige ausgezeichnete Klavierduos. Aus Österreich scheint sich Nachwuchs anzukündigen, von dem in Zukunft noch mehr zu hören sein wird. Mit Johanna Gröbner und Veronika Trisko waren bei den „Europa Kulturtagen“ nun zwei junge Pianistinnen zu Gast, die ohne weiteres auf Augenhöhe mit den Großen ihrer Zunft, von Önder bis Stenzl spielen. Es waren die Brahms-Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 23, die zum ersten Mal wirklich aufhören ließen. Da zeigten sie ein untrügliches Gespür für effektvolle Details und stiegen mit spürbarer Begeisterung in die Klangwelt des Komponisten ein, die mal zum zerreißen gespannte Atmosphäre bot und mal lakonischen Variationenreichtum streifte. Von Schumanns „Bildern aus dem Osten“, bei der sich der Komponist von arabischen Rückert-Adaptionen inspirieren ließ, erzählten die jungen Pianistinnen in ungekünstelter und doch kunstfertiger Manier, führten kleine, in sich geschlossene Charakterstudien vor. Müßig, von ihrer absoluten technischen Präzision zu sprechen, die schließlich zu einem prasselnden Temperamentsausbruch in einer Auswahl „Ungarischer Tänze“ von Johannes Brahms führte.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Montag, 23. Oktober 2006

Tosca leidet unter Pinochet - Puccinis "Tosca" im Staatstheater Darmstadt

Bei der Operninszenierung an sich gibt es eine Menge Dinge, die gründlich schief gehen können. Am gefährlichsten ist es, ein Stück aus seinem historischen Kontext heraus zu brechen und in eine andere, markante und dem Publikum noch recht präsente Zeit zu verlegen. Unabhängig einmal vom Textverständnis sind damit eine Reihe dramaturgischer Stolperfallen vorprogrammiert. Eine besondere Herausforderung stellt es dann noch dar, dieses Wagnis bei einem Publikumsliebling einzugehen. Philipp Kochheim hat das nun mit Giacomo Puccinis „Tosca“ in Darmstadt getan und ist beim Premierenpublikum gnadenlos durchgefallen. Entrüstung schlug dem Ensemble schon nach dem ersten Akt entgegen.

Völlig zu unrecht. Denn Kochheim ist mit Mut und Konsequenz ein ausgezeichneter Transport des Stoffes in die Zeit der Militärdiktatur von General Pinochet gelungen. Die Konfliktlinien ähneln sich, die Methoden auch. Bei Puccini lehnen sich Anhänger Napoleons gegen die Restauratoren der Monarchie auf, Kochheim skizziert den Freiheitskampf gegen die Militärdiktatur. Alles beginnt bei ihm am schicksalhaften 11. September 1973, als Pinochet gegen die demokratisch gewählte Regierung Salvador Allendes putschte. Der gestürzte Konsul Angelotti ist nun ein widerständischer Gewerkschafter, Cavaradossi kein Kirchenmaler, sondern ein Fotograf.

Im Mittelpunkt steht in dieser Inszenierung die Brutalität eines Regimes, das sich in seiner besonders gefährlichen Mischung aus persönlicher Perversion und Eitelkeit sowie politischem Fanatismus in der Gestalt des Scarpia widerspiegelt. In dem Bariton Tito You hat Kochheim einen sängerisch wie schauspielerisch überaus präsenten Darsteller gefunden, der die Rolle bis zur bizarren Dämonie zuspitzt. Unbekümmert lässt er Anja Vinckens eindringlich formulierte Tosca-Arie „Vissi d’arte, vissi d’amore“ an sich abprallen, ihr vorgebliches Selbstopfer nimmt er freilich an.

Kochheim und Uta Fink, die für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich ist, lassen dem Zuschauer nur wenig Zeit zum Durchatmen. Sie arbeiten mit deutlichen Bildern. Cavaradossi (ausdauernd und wendig: Zurab Zurabishvili) werden die Augen ausgestochen, die Erschießungs-Szene findet im berüchtigten Nationalstadion in Santiago statt – dort, wo seinerzeit Tausende von Menschen unter brutalen Bedingungen zusammengetrieben und ermordet wurden. Auch in diesem Bühnenbild erkennt man deutlich, dass hier bereits gestorben wurde, Toscas finaler Selbstmord am elektrisch geladenen Zaun ist da nur konsequent. Und der Vorhang trieft schon nach dem ersten Akt vor Blut. Unter der Leitung stellvertretenden Generalmusikdirektors Martin Lukas Meister illustriert das Orchester das Bühnengeschehen mit ausgesuchter Schärfe und Präzision.

Kochheims Inszenierung ist direkt und verstörend. Hier kommt niemand heraus, ohne sich über die Wiederkehr historischer Ereignisse Gedanken gemacht zu haben. Die Distanz von 200 Jahren ist hier kein Vorwand mehr, um sich an üppigen Melodien zu erfreuen und damit den Inhalt aus den Augen zu verlieren. Dass das nicht jedem gefallen kann, ist klar.

In Abwandlungen veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse und im Main-Echo

Sinfoniekonzert des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz

Jugendwerke werden entweder als Wegweiser eines früh erkannten Genies gewertet oder als dilettantische Fingerübung abgetan. Aber sie haben ihren Reiz. Vielleicht deshalb, weil wir es so faszinierend finden, wenn ein Teenager ein ganzes Orchester zum Klingen bringt. Franz Schubert und Felix Mendelssohn-Bartholdy haben das vollbracht, das Philharmonische Staatsorchester Mainz hat deren sinfonische Erstlinge nun als Klammer für sein zweites Sinfoniekonzert der Saison genutzt.

Dazwischen zwei Zeitgenossen. Ein jüngerer, der dem Mainzer Publikum seit seiner hier uraufgeführten Oper „Kein Ort. Nirgends“ ein Begriff ist. In Anno Schreiers „Nachtstück (Durchbrochene Szene 2)“ für Orchester spielen Zeit und Linearität eine untergeordnete Rolle. Es geht vielmehr um atmosphärische Streiflichter einer eher unwirklichen Situation. Ansätze, daraus auszubrechen, kommen nicht weit – sie verenden oder kumulieren. Beides sehr eindrucksvoll und kunstfertig. Skizzierte Nachtgestalten wirken flüchtig, egal ob sie pfeifen oder rumpeln, ob sie singen, hinken oder toben. Sie sind in ihrer bewussten Verschwommenheit merkwürdig real.

Ähnlich wie in den „Vier Fragmenten für Orchester“, die hier in ihrer revidierten Fassung uraufgeführt wurden, besticht Schreiers Tonsprache durch konzeptionelle Besonnenheit. Geschwätzigkeit oder Stereotype kommen nur als Parodie vor. Die bunte Collage der „Fragmente“ beherbergt auch Zitate älterer und jüngerer Meister, die in originaler, stark verknappter Form zum Zuge kommen. Virtuos spielt Anno Schreier mit dem Material Anderer und entwickelt damit eine eigene pointierte Klangkultur.

In den atmosphärisch dominierten Reigen fügt sich „La selva incantata“ von Hans Werner Henze bestens ein. Das Orchesterstück ist seiner Oper „König Hirsch“ entnommen und für den konzertanten Gebrauch extrahiert. Für die Streicher eine gut genutzte Möglichkeit, Präsenz und Stilsicherheit zu beweisen. Eine weniger glückliche Figur machten sie in Schuberts c-Moll-Ouvertüre für Streichorchester. Da fielen gerade die ersten Geigen durch unsichere Einsätze und Intonations-Mängel auf.

Zum Schluss die erste Sinfonie von Felix Mendelssohn-Bartholdy, in die Thomas Dorsch das Orchester mit süffiger Wucht einsteigen ließ. Auch das pulsierende Scherzo verfehlte seine Wirkung nicht. Dorsch trieb das Orchester mit weiträumigen Gesten an, arbeitete impulsiv und mit einem Höchstmaß an Engagement. Dass er dabei die Arbeit am Detail nicht aus dem Blick verlor, ließ sich an einem lebendigen Orchesterklang deutlich ablesen.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Montag, 16. Oktober 2006

Mozarts "Idomeneo" am Staatstheater Wiesbaden

Was man verspricht, muss man auch halten. Das bekommen schon kleine Kinder beigebracht. Und gerade ein König sollte da schon Vorbild sein. Idomeneo ist keines. Der Kreterkönig schachert und verhandelt, nachdem sich sein Versprechen gegen ihn zu wenden scheint. Auf der Rückreise vom siegreichen Feldzug gerät der Kriegermonarch in einen Sturm, erleidet Schiffbruch und bietet Poseidon einen Handel an: Wen er nach seiner Rettung als erstes an Land trifft, den wird er opfern. Das Schicksal meint es nicht gut. Am Strand von Kreta wartet Idamante, sein Sohn, der in Idomeneos langer Abwesenheit das Reich erfolgreich regiert hat. Bis schließlich ein Deus ex machina das Dilemma löst, schwelt drei Akte lang ein intensiver Konflikt zwischen Staatsräson und einer Reihe von Spielarten der Liebe.

Da liegt einiges an Zündstoff drin, zumal die Dramenvorlage von Antoine Danchet der griechischen Vorlage auch noch eine Liaison des Kreterprinzen mit Ilia, der Tochter des besiegten und getöteten Trojanerkönigs Priamos hinzufügt. Für den Fortgang der Handlung geradezu hinderlich, also dramaturgisch umso herausfordernder ist da noch die vergebliche Liebe der zornigen Elektra, Tochter Agammemnons, die in der Kriegsgefangenen Ilia nichts als die Rivalin sieht.

In Wiesbaden ist es leider nicht einmal im Ansatz gelungen, mit der Mozart-Oper eine spannende Geschichte zu erzählen. Eine konzertante Aufführung hätte hier die gleiche Wirkung erzielt wie die ideenlose und uninspirierte Inszenierung von Cesare Lievi, der damit den seit 2002 am Staatstheater laufenden Mozart-Zyklus nach Zauberflöte, Figaros Hochzeit und Cosi noch eins draufsetzt. Kalt und abweisend ist seine Sprache, das allein wäre kaum einen Vorwurf wert. Doch dass er die handelnden Personen streckenweise unbeweglich und beziehungslos auf der Bühne vereinsamen lässt, macht einfach keinen Sinn und ist höchst ärgerlich. Emotionen? Fehlanzeige.

Lievi scheint gar nicht erst den Versuch zu unternehmen, das Stück zu sich nehmen zu wollen, verordnet seinen Protagonisten zudem zigfach gesehene hohle Bühnengesten. Ob er schlicht gelangweilt war? Die Figuren stehen so starr umher wie die Säulen des unterkühlt mondänen Bühnenbildes von Csába Antal. Manchmal werden sie hektisch, rennen, wie in der ersten Begegnung zwischen Vater und Sohn ziellos umeinander herum. Idamante wird zum blassen Gutmenschen, Idomeneo eher ein verwirrter Greis, denn ein zerrissener Monarch und verzweifelt liebender Vater. Auch und gerade in Marina Luxardos betont nüchtern gehaltenen zeitgemäßen Kostümen hätten gut verständliche Dialoge entstehen können. Stattdessen freudlose Tristesse.

Indem es Lievi nicht gelingt, Spannung zu erzeugen oder Momente zu inszenieren, in denen einfach einmal nicht gesungen wird, nimmt er „Idomeneo“ jedes Tempo. Als historisch fast rückwärts gewandten Beitrag zur Opera seria hat Mozart seinerzeit alle Register gezogen, damit das Auftragswerk, ein Beitrag zur höfischen Mannheimer Karnevals-Saison 1781, ein effektvolles Stück wird. Und nachdem Lievi diese Bemühungen 225 Jahre später erfolgreich untergraben hat, bemüht sich das Wiesbadener Ensemble nun nach Kräften, zu retten, was ging: Die Musik. Was bleibt ihnen auch anderes übrig.

Hier zumindest gibt es kaum Anlass zum Anstoß. Zur Titelpartie ist dem Haus ausgiebig zu gratulieren. Als Gast konnte der südafrikanische Tenor Kobie van Rensburg gewonnen werden. Er kennt die Rolle gut, war in der vergangenen Spielzeit damit etwa im Staatstheater am Gärtnerplatz in München zu erleben. Ihm gelingt es auch am ehesten, aus der verordneten Hilflosigkeit ein wenig auszubrechen. Stimmlich ist er fantastisch aufgestellt, überzeugt restlos in anstrengenden Koloraturen und ist auch nach bald drei Stunden Dauereinsatz noch unverkrampft und spielfreudig.

In der Rolle des Idamante überspielt Ute Döring rasch anfängliche Unsicherheiten, geht souverän mit der Situation um. Annette Luig erklimmt gerade in ihrer letzten Szene als von Eifersucht zerfressene Elektra beeindruckende Höhen, Jud Perry kann als Königsvertrauter Arbace vor allem mit etwas unwirklich schillernder Bühnenpräsenz Spuren hinterlassen. Unaufdringlich und anrührend füllt Thora Einarsdottir die Rolle der Ilia mit mädchenhaftem Charme aus, gestaltet die kleinen Wandlungen der ansonsten eher eindimensional angelegten Figur souverän und autark. Ihr angenehm weiches Timbre nutzt sie für eine Reihe erinnerungswürdiger Momente.

Generalmusikdirektor Marc Piollet und dem Hessischen Staatsorchester ist ein kultivierter, stets durchsichtig und ausgewogen gehaltener Klang zu verdanken. Historisch informiert und mit einem Höchstmaß an künstlerischer Beteiligung ausgestattet ist das Orchester ein empfindsamer Begleiter und präsenter Kommentator gleichermaßen. Ein solider Chor (einstudiert von Christof Hilmer) ergänzt die Produktion routiniert. Freundlicher Applaus.

Veröffentlicht in unterschiedlicher Fassung u.a. in Frankfurter Neue Presse und Main-Echo

Sonntag, 15. Oktober 2006

Anno Schreiers Oper "Kein Ort. Nirgends" nun auch im Mainzer Staatstheater

Und noch einmal „Kein Ort. Nirgends.“ Ein Aufguss des bereits gesehenen? Mitnichten. Im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters bleibt alles anders. Was Wochen zuvor am nahezu authentischen Ort in Oestrich-Winkel am Rhein funktioniert hat, wäre in der klassischen Bühnensituation nicht angekommen. Und so hat sich Regisseurin Anna Malunat erneut ans Werk gemacht und die Oper von Anno Schreier wieder uraufgeführt. Die Vorlage der Erzählung von Christa Wolf wurde von Librettist Christian Martin Fuchs auf wenige wesentliche Details ausgeschabt, womit ihm das scheinbar Unmögliche gelungen ist. Denn dass der subtil verfranste monologartige Text jemals auf die Bühne kommen könnte, hätte sich wohl kaum jemand vorher denken mögen.

Der Konflikt zwischen Anspruch und Realität, gesellschaftlicher Norm und persönlicher Emotionalität, in dem sich die jungen Dichter Karoline von Günderrode und Heinrich von Kleist zurechtfinden müssen, ist in Mainz zwar nicht so unmittelbar zu erleben, wie in der Brentano-Scheune, doch auch hier geht er nicht am Publikum vorbei. Konnte Anna Malunat dort noch den Raum als Bühne nutzen, wahrt sie hier die tradierten Grenzen. Ein unbestreitbarer Vorteil daran ist, dass die Musik nun viel unmittelbarer wirken kann, da sie, wie gewohnt, frontal vor dem Zuhörer erklingt.

Wieder ist Kleist „hautlos unter Menschen“, kann sich nicht wehren, ebenso wenig wie die Kollegin, die er im realen Leben nie kennen gelernt hat. Beide entziehen sich irgendwann durch Selbstmord. Dazwischen müssen sie auf teilweise stupide Realitäten und Rivalitäten acht geben, die sie nur vom Leben abhalten.

Dass sich neben dem fest engagierten Neuzugang Patrick Pobeschin (Kleist) ausnahmslos Mitglieder des Jungen Ensembles dieser Produktion angenommen haben, verleiht der Inszenierung eine eigentümliche Authentizität. Stehen sie doch biografisch an genau der gleichen Stelle wie die Figuren, die sie größtenteils verkörpern: Am Anfang ihrer Karriere. Anna Malunat, ebenfalls solide diesseits der 30, geht unverkrampft ans Werk. Mit einer gewissen Gelassenheit verführt sie ihr Publikum zum Zeitsprung. Vorne hängt Honecker, hinten wird Mobiliar aus dem 19. Jahrhundert aufgefahren. Dazwischen wechseln die Protagonisten die Kostümierung nach Belieben.

Diana Schmid kann darstellerisch wie gesanglich als Günderrode überzeugen, verleiht ihr diesen seltsam unwirklichen Charme, Pobeschin hängt seine Figur sichtlich zwischen die Stühle. Gemeinsam mit Sonja Gornik, Sarah Kuffner, Daniel Jenz, Florian Rosskopp und Arthur Pirvu bilden sie ein optimal aufeinander eingespieltes, künstlerisch enorm leistungsfähiges Ensemble.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Samstag, 14. Oktober 2006

Das etwas andere Konzert: Klaviermusik im Künstleratelier

Fernab der kulturellen Zentren verbergen sich hinter den Mauern des Mainzer Stadtlebens eine Reihe privater Schätze, die es immer wieder einmal zu bergen gilt. In Wohnzimmern und Loftetagen, Ateliers und Kellerräumen engagieren sich Mainzer Bürger auf vielfältige Art und Weise. Ein besonders gelungenes, weil auch unaufdringliches Beispiel ist das von Christiane Schauder. Sie selbst stammt aus dem Hunsrück, hat an der Johannes Gutenberg-Universität studiert und lebt seit Mitte der 80er Jahre als freischaffende Künstlerin in Mainz. Seitdem hat sie eine Reihe Arbeitsstipendien erhalten und pflegt gute internationale Beziehungen, unter anderem nach China, wo sie einen Lehrauftrag an der Academy of Fine Art der Shanghaier Universität wahrnimmt.

Gemeinsam mit ihrem Mann Günter Minas organisiert sie seit 1997 die Neustadter Kunstbiennale „3 x klingeln“, Cineasten ist sie als Mitbegründerin und langjährige Vorsitzende der AG Stadtkino bekannt, die das CinéMayence betreibt. Nun hat sie aus einem biografischen Zufall eine kulturelle Initiative entstehen lassen. Nach dem Umzug ihrer Mutter, hatte die keinen Platz mehr für ihren Flügel und so wurde das Instrument, ein in die Jahre gekommener aber hervorragend bespielbarer Ibach, kurzerhand in Christiane Schauders Atelier in der alten Waggonfabrik verfrachtet. Hier fand nun bereits zum zweiten Mal in privater Atmosphäre ein Hauskonzert der besonderen Art statt. Zahlreiche Bekannte und Freunde des Künstlerpaares hatten die Gelegenheit wahrgenommen, sich zwischen Farbtuben und Leinwänden einen Klavierabend zu vier Händen anzuhören.

Dafür konnten die Musikwissenschaftler Diana Bickley und Jens Rosteck gewonnen werden, die an diesem Abend den Beweis antraten, dass Forschung und künstlerische Leistung durchaus miteinander in Einklang gebracht werden können. Das Duo konzertiert ausschließlich bei solchen Hauskonzerten und war damit bereits in Paris, Amsterdam, Edinburgh und New York zu Gast. Das vorwiegend französische Programm enthielt selten gespielte Stücke wie die „Trois morceaux en forme de poire“ (Drei Stücke in Birnenform) von Erik Satie. Das Duo spielte die sieben Miniaturen als augenzwinkernde Bonmots mit ausgesuchter Akkuratesse und Leichtigkeit. Auch Schuberts Fantasie in f-Moll op. 103 gelang kenntnisreich seziert, ohne dabei die emotionale Wirkung außer Acht zu lassen. Werke von Poulenc, Ravel und Fauré rundeten einen gelungenen und abwechslungsreichen Abend ab.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Mittwoch, 4. Oktober 2006

"Requiem" von Karl Jenikns mit dem Chor von St. Bonifatius in Wiesbaden

Das Experiment ist geglückt. In St. Bonifatius war nun einmal ein so ganz anderes Requiem zu hören. Es stammt von Karl Jenkins, einem britischen Komponisten, der vor allem durch Musik für Ferseh-Werbung und die Popindustrie im Allgemeinen bekannt geworden ist. Doch das, was Gabriel Dessauer nun entdeckt und mit seinem Chor und dem Kammerorchester „arco musicale“ zum Tag der deutschen Einheit aufgeführt hat, ist fernab von vereinfachenden Melodien und Rhythmen, die auf den raschen Effekt zielen. Im Gegenteil: Die Wirkung dieser Musik entfaltet sich im sakralen Raum auf eine ungeahnt tiefgründige Art. Diese Musik ist leicht verständlich, wirkt aber nie banal.

Ein weicher, üppig dimensionierter Chorklang steht am Anfang des Werkes, schon hier vermittelt der Bonifatius-Chor einen ersten Einblick in seine dynamischen Möglichkeiten. Konsequent ausgesungene Spannungsbögen sind im „Kyrie eleison“ zu hören. Dann schon der erste harte Kontrast. Das „Dies Irae“ entpuppt sich als eine scharf pointierte Hip-Hop-Nummer, die in orchestraler Fülle daherkommt. Chromatisch aufsteigende Bläserlinien werden später von den Männern übernommen, dazwischen rammt das Chortutti präzise Einwürfe zu ostinaten Schlagzeugsequenzen. Der Satz gipfelt schließlich in einer pulsierenden Überlagerung der Stimmen und einem schroffen Abschluss. Spontaner Szenenapplaus ist die Folge.

Später wird es deutlich ruhiger, dem Chor gelingt es tadellos, die unterschiedlichen Charaktere der Sätze zu transportieren. Etwa die vielfachen Aufschreie im „Rex Tremendae“ und den gleichmäßig treibenden Dreiertakt, in den sie eingebettet sind. A capella wirkt das „Confutatis“ wie ein schlichter Choral, erhält dann mit instrumentaler Begleitung den Charme einer illustrierenden Filmmusik. Bis hin zum glatten, versöhnlichen Klang des Abschlusschores „In Paradisum“ liefern die Sängerinnen und Sänger eine ausgesprochen lebhafte Interpretation ab, die von ihren Kontrasten gleichermaßen lebt wie von der gut strukturierten Durchhörbarkeit des Klanges.

In den Requiem-Text hat Jenkins feine japanische Haikus eingeflochten, die wie filigrane Kleinode zwischen den Sätzen sitzen. Anton Dessauer (Knabensopran), Ute Steffan (Harfe) und Lars Asbjörnsen (Shakuhachi) gehen mit diesen kleinen Inseln äußerst behutsam um, treten dabei in vorsichtige Dialoge mit dem meist im akkuraten Piano verharrenden Chor ein. Das Instrumental-Ensemble fügt sich optimal in den Klang ein, übernimmt eine zuverlässig stützende Rolle. Gabriel Dessauer führt seine Ensembles mit großem Engagement und detailreichem Dirigat, das seine Wirkung nie verfehlt. Minutenlanger, herzlicher Applaus und stehende Ovationen in der bestens gefüllten Kirche.

Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt

Montag, 2. Oktober 2006

Nino Rotas "Florentiner Hut" in Weimar

Bei Komödien, die auf den ersten, zweiten und dritten Blick als belanglose Possen mit hohem Unterhaltungswert daher kommen, neigt Mancher gerne einmal dazu, nachträglich einen gesellschaftskritischen Sinn zu interpretieren. So ergeht es auch dem Stück von Eugène Labiche, das Nino Rota 1944 unter dem Titel „Der Florentiner Hut“ zur Oper werden ließ und das elf Jahre später in Palermo uraufgeführt wurde. Juliane Schunke reduziert die gesellschaftliche Überhöhung im Programmheft zur Weimarer Aufführung immerhin auf eine „Burleske der menschlichen Existenz“ oder „gnadenlose Entblößung allgemein-menschlicher Schwächen“. Mehr ist es sicherlich nicht.

In der Tat gibt es eine Menge Grund zur Schadenfreude in diesem temporeichen Stück, das hierzulande eher selten gespielt wird. Da versucht Fadinard, ein wohlhabender Pariser Bürger (Uwe Stickert), einen vermeintlich ganz besonderen Hut wieder zu besorgen, den zuvor sein Pferd aufgefressen hat. Das Pikante an der Situation: Die Besitzerin Anaide (Christiane Bassek) hatte ihn auf, als sie sich mit ihrem Liebhaber, dem Offizier Emilio (Alexander Günther) getroffen hat, wovon ihr Ehemann Beaupertuis (George Gagnidze) natürlich nichts erfahren darf. Der Zeitpunkt ist doppelt ungünstig, weil sich Fadinard mitten in seiner Hochzeit mit Elena (Heike Porstein) befindet, die ebenso wenig wie ihr Vater Nonancourt (Dieter Hönig) Verständnis für die Aufgeregtheit ihres Gatten aufbringen kann, deren Grund sie ja nicht kennt.

Was folgt ist eine turbulente Hatz quer durch das Paris des 19. Jahrhunderts, denn das gute Stück gibt’s nicht beim Hutmacher um die Ecke. Schließlich stellt sich heraus, dass das einzige Exemplar in die Hände von Vèzinet (Günter Moderegger), Elenas schwerhörigem Onkel in die Finger geraten ist, der es der Nichte zum Hochzeitsgeschenk mitgebracht hat. Am Schluss geht natürlich alles gut aus, der gehörnte Ehemann bleibt weiterhin uneingeweiht.

Musikalisch fährt Rota hier die Schwüle Puccinis auf, aber nicht etwa als plakatives Plagiat, sondern in Form einer intelligent illustrierenden Opernmusik, die auch allein ihre Wirkung erzielen würde. Das „Kino im Kopf“ stellt sich bei dem Meister der Filmmusik also auch hier ein. Unter der Leitung von Marco Comin gelingt der Staatskapelle Weimar eine süffige, gleichsam beschwingt-heitere Interpretation. Auch auf der Bühne präsentiert das Ensemble ein lustvolles Verwirrspiel auf darstellerisch und sängerisch ausgezeichnetem Niveau. Allen voran die Sopranistin Heike Porstein mit bezaubernd anschmiegsamem Timbre. Ihre strahlenden Höhen und souveränen Koloraturen rufen laut nach größeren Herausforderungen, ihr Spiel ist angenehm frei von standardisierten Theatergesten.

Ihr zur Seite steht mit Uwe Stickert ein engagiert spielender und ausnehmend belastungsfähiger Tenor. Dieter Hönig gibt einen köstlich bärbeißigen Buffo als ewig schlecht gelaunten Schwiegervater in spe aus, auch George Gagnidze mimt den betrogenen Ehemann in effektreich kauziger Manier. Nils Cooper hat ein weitestgehend entschlacktes Regiekonzept zu bieten. Er lässt das Stück für sich sprechen, ohne auch nur irgend einen Deutungsversuch zu unternehmen. Ebenso spartanisch fällt die Bühne von Thorsten Macht aus, der mit Trennelementen und Matratzenlager, einem hellen Mond, einer Laterne und zwei angedeuteten Balkonen auskommt. Als Kontrast zu dem aufgeräumten Bühnenbild, das von Mike Jezirowski behutsam ausgeleuchtet wird, hat Elena Meier-Scourteli fast verschwenderisch historische Kostüme erstellen lassen, die genau in dieser Kombination ihre ganze Wirkung entfalten können.

Veröffentlicht im Neuen Deutschland