Sonntag, 19. März 2006

Katie Melua in Frankfurt

Überwiegend junges Publikum stellt sich da in Massen ein und das, obwohl Katie Melua doch ganz gerne unter der Überschrift „Jazz“ firmiert. Sollte mit der „Peace by Peace“-Tour, die das gleichnamige Album noch über den aktuellen Platin-Erfolg hinaus bringen wird, da etwa die Renaissance einer Musik eingeläutet werden, die eher mit ergrauten Herren, ausgeräucherten Kellern oder komplizierten Chaos-Linien verbunden wird? Und das vor ausverkaufter Frankfurter Jahrhunderthallen-Kulisse?

Nein, soweit geht das dann alles doch nicht. Denn die junge Sängerin bietet auch auf der Bühne genau das, was ihre beiden CDs versprechen. Sanfte, weichgespülte Balladen und ebenso glatte Interpretationen. Dazwischen die eine oder andere Version gut gehender Dauerbrenner aus der Rock- und Pophistorie und schon lässt sich ein angenehmer Abend mit viel Gefühl und kaum einer musikalischen Stolperfalle verbringen. Einmal aber lässt sie aufhorchen. Der Beatles-Klassiker „Lucy in the Sky“ wird mit ihrem mädchenhaftem Charme und behutsam eigenwilliger Veränderung der Refrains zu einer zugkräftigen, vorwärtstreibenden Nummer.

Ansonsten wirkt Katie Melua streckenweise so, als wolle sie bald fertig werden. Oft genug spielt sie in den zuverlässig aufbrandenden Applaus hinein, als stünde hinter ihr der schlüsselklappernde Hausmeister mit strengem Blick auf die Uhr. Ein paar Titel weniger wären kaum aufgefallen und hätten die Eile unterbunden. In dezentem schwarz-weiß gehalten verklingen die säuselnden Balladen mit minimaler Begleitung. Etwa das in sich gekehrte „I cried for you“.

Immer dann, wenn man sich gerade so schön an diese verschmuste Atmosphäre eingelassen hat, kommen diese langgezogenen schneidenden Töne, die zu Katie Meluas Markenzeichen gehören wie das ebenmäßig kindliche Gesicht unter der dunklen Lockenpracht. Verträumt blickt sie am Publikum vorbei, lässt die sorgfältig auf Linie gezupften Augenbrauen kräuseln. Das alles ist eine etwas unbestimmbare Mischung, versatzstückhaft zusammengesetzt aus einstudierter Pose, Unsicherheit und echtem ungekünsteltem Charisma. Aber interessant.

Bunt wird’s zu den fast psychedelisch anmutenden Klängen von „Halfway up the Hindu Kush“ und ab dem Moment hat auch die Band mehr zu tun, die sich bislang vor allem auf sorgfältiges Abwägen der Atmosphäre zu beschränken hatte. Henry Spinetti am Schlagzeug beweist, dass er nicht nur mit dem Besen umgehen kann, Jim Wilson saust mit akrobatischer Leichtigkeit über die Tasten, Lucy Shaw am Bass sorgt souverän für das Bauchgefühl Justin Sandercoe, der Melua das Gitarrespielen beigebracht hat, zeigt sich ebenso von seiner virtuosen Seite wie der Multi-Instrumentalist Frank Gallagher mit Flöten, Mandoline und Perkussions-Instrumenten.

Klar dürfen an diesem Abend die Handvoll Hits nicht fehlen, die Katie Melua so eine steile Karriere beschert haben. „The closest thing to crazy“ singen alle verzückt mit, „On the Road again“ und „Crawling up a hill“ werden begeistert gefeiert. Eine schöne Party für alle.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Dienstag, 14. März 2006

"Land des Lächelns" in Wiesbaden

Der Versuch einer bikulturellen Ehe ist gescheitert. Die Erwartungen sind zu unterschiedlich, die Voraussetzungen in der neuen Umgebung für die junge adlige Wienerin zu unannehmbar. Und der Reiz des exotisch Fremden überdauert den Alltag nicht. Lisa liebt Sou-Chong, der gerade zum chinesischen Ministerpräsidenten ernannt wurde. Doch der soll nach den Lehren seines Volkes gleich vier Frauen ehelichen, der Europäerin wird bestenfalls der Status einer Mätresse zuerkannt.

„Euroa und China, das ist wie Feuer und Wasser“, die Alten beider Kulturen haben es gewusst und Recht behalten. Franz Lehárs „Land des Lächelns“ verhandelt diese Gegensätze mit holzschnitthaften Wahrheiten, an deren Allgemeingültigkeit es kein Rütteln gibt. Darum gibt die europäische Prinzessin ja auch bald auf und muss die scheinbar grundsätzliche Unvereinbarkeit ihrer beider Kulturen hinnehmen, nachdem es ihr der asiatische Monarch mit einem kurzen despotischen Ausbruch leicht macht.

Am Wiesbadener Staatstheater hat Iris Gerath-Prein die Operette weitestgehend von diesen Konflikten befreit und die Operette als romantische und bildergewaltige gescheiterte Romanze inszeniert. Keine Rede von einer Debatte der „Wahrheiten“. Zudem bleiben ihre Figuren merkwürdig unbeweglich. Der europäische Adelshof ist eine nur mäßig bizarre Szenerie des kultivierten Müßiggangs, die chinesische Welt wird mit bunter Folklore zitiert, an deren Höhepunkt die farbenprächtige Hochzeits-Zeremonie samt etwas wackelig geratenem Fächertanz (Choreografie: Iris Limbarth) steht.

Eine beeindruckende technische Leistung haben die Theater-Werkstätten unter Anleitung von Bühnenbildner Karel Spanhak abgelegt. Noch im ersten Akt spielt die Handlung komplett auf der überdimensionalen Kopie jenes Kästchens, in dem Sou-Chong sein Gastgeschenk für die Europa-Visite untergebracht hatte. Das öffnet sich im zweiten Akt, teilt sich später zu einer riesigen Decke und schließt sich zu den Schlusstakten wieder. Der Einblick in das Geschenk der exotischen Ferne bleibt Lisa einmalig gewährt.

Annette Luig hat in dieser Rolle immer wieder Schwierigkeiten, sich klanglich gegenüber einem eigentlich sehr ausgewogenen Orchester unter der Leitung von Andreas Schüller durchzusetzen. Lediglich in den brillant ausgesungenen Höhen gelingt ihr das. Etwas linkisch, damit durchaus rollengemäß, gibt sich Erik Biegel als Gustl, der Lisa vergeblich verehrt und ihr zur Flucht in die Heimat verhilft. Eine wunderbar adrette Mi hat Simone Brähler zu bieten. Ihr sanft timbrierter Sopran erweist sich auf erstaunliche Art immer wieder als besonders durchsetzungsfähig. Und auch in der zweiten Premieren-Hauptrolle seiner ersten Wiesbaden Spielzeit hat Alfred Kim (Sou-Chong) die Begeisterung des Publikums auf seiner Seite. Mit anhaltendem Zwischenapplaus wird der kraftvolle Tenor schon früh gefeiert.

Weitere Aufführungen: 16., 20., 28., 30. März, 6., 12., 16., 21. und 23. April

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Pavel Haas Quartett im Frankfurter Holzhausenschlösschen

Warum es von jedem Komponisten ausgerechnet das zweite Werk dieser Gattung sein muss, bleibt das Geheimnis des Pavel Haas Quartetts. Doch die Frage wird nebensächlich in dem Augenblick, in dem die vier jungen Musiker aus Prag ihren Instrumenten diese ungeheuer intelligent und leidenschaftlich verwobene Dichte entlocken. Bedřich Smetana, Pavel Haas und Leoš Janáček stehen auf dem Programm. Klanglich aufregender und rhythmisch aufgewühlter hätte wohl keiner von ihnen interpretiert werden können. Dabei beherrschen Veronika Jaruskova, Katerina Gemrotova (Violinen), Pavel Nikl (Viola) und Peter Jarusek die zu selten gehörte Kunst der permanenten Kommunikation. Manches mal hat es gar den Anschein, als spielte ein jeder die Instrumente der drei anderen noch mit. Die Gegensätze von schroffer Klarheit und lyrischer Verspieltheit werden da nicht um ihrer selbst willen bemüht, sondern sind stets als zwingende musikalische Konsequenz zu erkennen. Exakt definierte Pointierungen offenbaren bei dem Pavel Haas Quartett einen unmissverständlichen Interpretations-Ansatz. Mit Kraft peitschen die Musiker etwa den Finalsatz von Smetanas d-Moll-Quartett voran, um sich dann bruchlos in inniger Sanftheit zu üben. Pulsierend werden die lautmalerischen Momente in dem Streichquartett „Aus dem Affengebirge“ von Pavel Haas heraus gestellt, behutsam das Moderato in den „Intimen Briefen“ von Janáček ausgehorcht. Perfekt in Intonation und Technik ist diese Direktheit des Pavel Haas Quartetts manchmal geradezu kompromittierend. Aber das kann, darf, soll und muss so sein.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse