Dienstag, 30. Mai 2006

Interpretationskurs mit Peter Feuchtwanger in Mainz

Die junge Frau am Klavier hört ihren letzten Tönen hinterher und bleibt dann still sitzen. Das schwere Werk ist ihr gut gelungen und nun wartet sie gespannt. In einer der hinteren Reihen des Konzertsaals im Peter-Cornelius-Konservatorium steht ein schmaler älterer Herr auf, geht langsam auf sie zu und setzt sich an den zweiten Flügel. „Fangen sie noch mal an“, sagt er zu Hara Manami, die erneut beginnt. Mendelssohns „Schottische Fantasie“ hat sie sich ausgesucht für den Meisterkurs bei Peter Feuchtwanger.

Am Anfang unterbricht er sie nur manchmal. Etwas Kosmetik bei der Haltedauer mancher Töne, ein paar agogische Hinweise. Dann nimmer er ihren Arm, führt kreisende Bewegungen aus und schlägt einen neuen Fingersatz vor. „Das wird eine elastische Hand, sie wird sich sehr gut entwickeln“, sagt er ihr voraus. Am langsamen Teil arbeitet er lange. „Sie müssen die Spannung halten, das Publikum weiß noch nicht, was passiert“, rät er ihr. Dann lächelt er in die Stuhlreihen: „Eine gewisse Ungeduld hat sie noch.“ Er achtet auf Details, manchmal mehr auf die Pausen als auf die Töne. „Insgesamt mehr Ruhe“, empfiehlt er noch abschließend, dann ist der Unterricht schon zu Ende.

Das ist einer der Nachteile an Kursen dieser Art. Der international renommierte Klavierpädagoge, der heute von London aus in aller Welt Unterricht gibt, mag daher auch lieber die länger andauernden Phasen. Dann kann er auf viel mehr achten. Etwa auf die äußeren Bedingungen. „Ich kenne kaum einen Pianisten, der richtig mit seinem Körper umgeht“, bedauert er später. Viele klagten über Nacken- und Rückenbeschwerden, könnten oft wochenlang nicht schmerzfrei spielen. Er selbst ist Autodidakt und legt Wert darauf, dass alles, was er vermittelt, auf eigenen Erfahrungen in Kindheit und Jugend beruht.

Die ersten Stücke auf dem Klavier hat er vom Grammophon abgespielt – manchmal in der falschen Tonart, weil die Geschwindigkeit des Apparats nicht gestimmt hat. Heute ist er, in der Methode kontrovers diskutiert, als einer der meistbeachteten Klavierpädagogen der Welt. Viele renommierte Künstler kommen zu ihm, um sich in seiner Methode, dem funktionell-natürlichen Klavierspiel, wie er es nennt, unterweisen zu lassen. Auch Claudia Meinardus-Brehm, die den Kurs am Konservatorium initiiert und gemeinsam mit dem Tonkünstlerverband Rheinland-Pfalz organisiert hat, gehört zu seinen Schülern. „Er hat ein gutes Gespür dafür, was er jemandem zumuten kann“, berichtet sie. Denn für viele ist es eine große Umstellung, wenn sie bei ihm unterrichtet werden.

Loslassen können und den richtigen Impuls setzen – das sind zwei wesentliche Elemente, die Feuchtwanger in das Zentrum seines Unterrichts gestellt hat. Beide Eigenschaften führen seiner Überzeugung nach zu einem natürlichen Spiel. Ein Effekt, der sich auch bei international erfolgreichen Künstlern nicht immer zu beobachten ist.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Sonntag, 28. Mai 2006

Konzertante Aufführung von Amilcare Ponchiellis Oper „La Gioconda“ in Frankfurt

Christoph Loy hat sie 1995 in Bremen in Szene gesetzt, die Erfahrung und Kompetenz hätte die Oper also im Haus gehabt. Auch die entsprechenden Sänger mit ausreichend darstellerischer Routine konnten in der Alten Oper aufgefahren werden. Dennoch entschied sich die Frankfurter Oper zu einer konzertanten Aufführung von Ponchiellis einziger Oper, die heute noch öfter auf die Spielpläne findet.

Das Verwirrspiel voller Intrigen im Venedig des 17. Jahrhunderts geht von dem Inquisitions-Spitzel Barnaba (Zeljko Lucic) aus. Er ist in die Straßensängerin La Gioconda (Alessandra Rezza) verliebt, die sich zu dem deklassierten Prinzen Enzo (Johan Botha) hingezogen fühlt. Dieser kann sich nicht von der einstigen Geliebten Laura (Michaela Schuster) lösen, die mittlerweile mit Alvise (Magnus Baldvinsson), einem Protagonisten der Inquisition, verheiratet ist. Barnaba gelingt es, Enzo in eine Falle zu locken und ihn dann zu befreien - unter der Bedingung, dass sich Gioconda ihm hingibt. Die muss erleben, wie Laura und Alvise miteinander glücklich werden und sieht ihr Heil schließlich nur noch im Selbstmord.

Von all dieser Spannung und Dramatik geht in einer konzertanten Aufführung einiges verloren, dennoch ist es dem großartig disponierten Ensemble gelungen, ein wenig von der Atmosphäre der Handlung zu transportieren. Im wesentlichen war das der Sopranistin Alessandra Rezza zu verdanken, die in letzter Minute für Paoletta Marrocu eingesprungen ist. Noch zwei Stunden zuvor war sie am Flughafen gelandet und gestaltete ihre Partie doch, als ob sie sich unter optimalen Bedingungen darauf vorbereitet hätte.

Faszinierend ihre ausdrucksstarke Mimik, der man die szenische Erfahrung mit dem Werk anmerkte. Ihre große Stimme, die manchmal gezielt scharf und schneidend werden kann, setzte sie ohne Anflug von Überanstrengung ein. Beeindruckende Technik und überaus verantwortungsvoller Umgang mit diesem in seltener Reinheit ausgeprägten Instrument ermöglichten ihr schlichtweg alles. Mühelos gelangen ihr große Intervallsprünge, ihre Erzählungen waren immer packend, außerdem ist sie mit einer bemerkenswerter Tiefe ausgestattet. Daneben etablierte sich Michaela Schuster (Mezzosopran) mit erfolgreichem Engagement, auch Elzbieta Ardam empfahl sich mit angenehm sattem, nie zu üppigem Alt in der Rolle der blinden Mutter Giocondas.

Unter den Männern stach Tenor Johan Botha hervor, der unter beständiger Spannung effektvolle Akzente setzte, Zeljko Lucic gab einen kernigen Barnaba, lediglich Magnus Baldvinsson blieb etwas farblos. Paolo Carignani spornte das Museumsorchester und die packend agierenden Chöre des Hauses zu Höchstleistungen an, die sich auch im begeisterten Schlussapplaus widerspiegelten.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Donnerstag, 25. Mai 2006

Uraufführung von Salvatore Sciarrinos "Kälte" bei den Schwetzinger Festspielen

Salvatore Sciarrino ist in Schwetzingen kein Unbekannter. Zwei Werke hat er hier uraufgeführt, jetzt stellte die Regisseurin Trisha Brown eine weitere Oper des Komponisten erstmalig bei den Festspielen vor. Für den Stoff hat der Komponist tief in die Geschichte gegriffen und den Kontinent gewechselt. Fündig wurde er im Japan Anfang des zweiten Jahrtausends. Die Gesellschaft ist im Umbruch, die großen Kriege scheinbar ausgefochten. Das Land erblühte und mit ihm seine Kultur.

In dieser Umgebung wächst Izumi Shikibu auf, die als Dichterin berühmt wird. Gleichzeitig steht sie in dem Ruf, eine große Anzahl Liebhaber, oft gar parallel, zu unterhalten. Aus ihren Tagebucheinträgen, Gedichten und Prosa, hat Salvatore Sciarrino „100 Szenen mit 65 Gedichten“ geschaffen. Der italienische Original-Titel wäre in „Vom Frost zum Frost“ zu übersetzen und spiegelt in Anlehnung an den japanischen Jahreszeitenkult den Verlauf einer Handlung über das Jahr hinweg wieder, nimmt gleichzeitig Bezug auf emotionale Befindlichkeiten. Der deutsche Titel ist schlichter: „Kälte“.

Die Handlung reduziert sich auf das Wesentliche. Izumi (Anna Radziejewska) und ein verheirateter Prinz (Otto Katzameier) verhandeln ihre Affäre in vielen Briefen und wenigen Begegnungen. Effektvoller Kunstgriff: Sciarrino lässt die handelnden Personen sowohl in ihren Briefen als auch im direkten Dialog sprechen. So erhalten sie eine Art doppelte Identität.

Schnell wird klar, dass hier ein Paar agiert, dessen Bedürfnisse und Erwartungen mehr Differenzen als Gemeinsamkeiten aufweisen. Ihre Zusammentreffen finden bei unterschiedlicher Stimmungslage statt, selten kommt es zu einem aufeinander bezogenen Austausch. Die erotische Komponente zieht sich unterschwellig durch die Handlung – sie scheint der einzige Aspekt zu sein, auf den sich beide manchmal einigen.

Kommunikation findet in hastigen Stakkato-Sätzen statt, die meist verhalten bleiben. Selten sprudeln Bedürfnisse über. Das Stück endet in dem Moment, in dem der Prinz seine Kurtisane in den Palast geholt hat und die Affäre von einer Amme entdeckt wird. Da haben beide ohnehin bereits das Interesse aneinander verloren. Zu alltäglich ist ihre Beziehung, die sich über ein Jahr lang mit vielen Pausen und voller emotionaler Zwiespältigkeit hingezogen hat.

Musikalisch bleibt Sciarrino erstaunlich unaufdringlich, illustriert die Handlung mehr, als sie zu kommentieren. Das erhöht die Spannung auf der Bühne und lässt Raum, in das komplizierte Gefühlsgeflecht der Protagonisten einzudringen, die ebenso wie das Radio-Sinfonieorchester unter Leitung von Tito Ceccherini mit viel Engagement und künstlerischer Ernsthaftigkeit eine permanent fassliche Aufführung lieferten.


Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Freitag, 19. Mai 2006

"Andrea Chénier" von Umberto Giordano mit der Nationaloper Warschau bei den Maifestspielen in Wiesbaden

„Andrea Chénier“ gehört nicht zu den Spielplan-Hits. Weder in Deutschland noch anderswo. In den vergangen Jahren tauchte sie jedoch wieder öfter auf, etwa in Wien oder in Saarbrücken. In der kommenden Spielzeit wird auch wieder eine Inszenierung des Darmstädter Intendanten John Dew in der Deutschen Oper Berlin gezeigt. Wer eine Referenzaufnahme sucht, findet zunächst aber nur zwei Produktionen. Eine immerhin aus dem Jahr 1977 mit Plácido Domingo in der Titelrolle und dem National Philharmonic Orchestra unter der Leitung von James Levine. Umso dankenswerter, dieses süffige Verismo-Werk nun bei den Internationalen Maifestspielen als Gastspiel der Polnischen Nationaloper Warschau hören zu können.

Sein Schöpfer, Umbert Giordano ist auch Zeit seines Lebens als Komponist relativ glücklos geblieben. Einige seiner acht Opern erlebten zwar eine umjubelte Uraufführung, fanden aber kaum auf die Spielpläne und gerieten daher rasch in Vergessenheit. So erging es auch dem Vierakter „Andrea Chéier“, der genau vor 110 Jahren, dem Gründungsjahr der Maifestspiele, uraufgeführt wurde. Allenfalls die Arie der Maddalena im dritten Akt taucht ab und an noch bei den Hörerwünschen der Klassik-Radios auf. Giordano hörte 19 Jahre vor seinem Tod auf zu komponieren.

Die Handlung von „Andrea Chénier“ ist rasch skizziert. Inmitten der Französischen Revolution sagt sich der Page Gérard (Mikolaj Zalasinski) von seiner Herrschaft los und wird zu einem der Revolutions-Anführer. Später nutzt er seine Macht, um sich die ehemalige Grafentochter Maddalena (Tatiana Borodina) gefügig zu machen. Die hat sich in den Dichter Andrea Chénier (Viktor Lutsiuk) verliebt, der sich enttäuscht von der Revolution abgewandt hat und nun als Verräter gesucht wird. Erst nachdem Gérard die Anklage wegen Hochverrats unterschrieben hat, wird er sich seiner Feigheit bewusst und versucht, den Angeklagten vor Gericht frei zu bekommen. Der Versuch scheitert und der Dichter wird zum Tod verurteilt, Maddalena schleust sich in seine Zelle ein und wird gemeinsam mit ihm hingerichtet.

Schon das Libretto von Luigi Illica verspricht große Gefühle: Liebe, Stolz, Edelmut und fehlgeleiteten Rachedurst. All dem setzt Umberto Giordano mit seinem voll erblühten Verismo-Gestus, der so oft an Puccini erinnert, noch eins drauf. Mariusz Trelinski hat für seine Inszenierung, die vergangenen Oktober in Warschau Premiere hatte, eine klare Formensprache gefunden. Riesige Symbole ziehen sich durch die vier Akte. Dazu gehören eine riesig Guillotine, unter der sich Maddalena und Chénier in den Revolutionswirren wieder begegnen. Das Tribunal nimmt mondäne Ausmaße an und vermittelt durch den Einsatz des großen Chores über drei Stockwerke hinweg eine bedrückende Atmosphäre (Bühnenbild: Boris Kudlicka).

Die moralische Deformierung der Revolution zeig Trelinski gleichermaßen plakativ wie die Überhöhung klassischer Werte zu Kampfbegriffen. Aber auch der Adelsstand, der seine letzte Stunde förmlich riecht, ist nur noch ein Schatten seiner selbst, wird in einem letzten bizarren Auftritt als Schar von verwesenden Untoten karikiert (Kostüme: Magdalena Teslawska und Pawel Grabarczyk).

Viktor Lutsiuk ist als kraftvoller Tenor eine ideale Besetzung und kann auch spielerisch überzeugen, Mikolaj Zalasinski legt seine Partie weniger stürmisch an, was ihr gut zupass kommt. Eine Überraschung stellt die Mezzosopranistin Tatiana Borodina dar. Wirkt sie zunächst etwas spröde, entwickelt sie immer mehr an farbenprächtiger Klanggestaltung und kann spätestens in der bereits genannten Arie mit präzise geführter Stimme vollständig überzeugen. Dem Orchester unter Leitung von Grzegorz Nowak gelingt eine atmosphärisch lebendige Kulisse.


Veröffentlicht im Main-Echo und in der Frankfurter Neuen Presse (vom Autor gekürzt und verändert)

Dienstag, 16. Mai 2006

Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und die Geigerin Patricia Kopatchinskajaerin in Frankfurt

Drei Mal prasselt Holz auf Saite, mit einer ungeheuren Vehemenz steigt das Orchester in Beethovens Coriolan-Ouvertüre ein. Mit solch krassen Phrasierungen hat man das Stück wohl noch nicht gehört, jeder Ton ist Impulsivität pur. Dann säuseln wieder die Geigen. Selbst der scheinbar nebensächlichste Ton wirkt in dieser Interpretation nie zufällig gesetzt. Genau so gerät auch die Sinfonie Nr. 8. Als nicht enden wollende Aufforderung zum musikalischen Ungehorsam. Beethoven rhythmisch gegen den Strich gebürstet, ohne dass ihm ein Leid geschieht. Jede Stimme wird heraus gestellt, alles ist auf einmal so transparent. Kein Zweifel: Paavo Järvi, der kommenden Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters, hat seine ganz eigenen Vorstellungen von Beethoven und in der Deutschen Kammerphilharmonie einen begeisterten Komplizen gefunden. Sein Schlag ist fordernd, seine Gestik unmissverständlich und schnörkellos. Puristen mögen die Nase rümpfen, doch wer Musik – gleich welcher Art – nicht als lebloses Exponat einer vergänglichen Epoche betrachtet, verfolgt gebannt, was da geschieht. Unerhört im besten Sinne auch das, was die junge Geigerin Patricia Kopatchinskaja mit dem Violinkonzert anstellt. Das Energiebündel aus der jungen Republik Moldau derwischt durch die Läufe, flüstert hauchige Lagenwechsel. Oft klingen die wie eine ganze Reihe Flageoletts. Geradezu eine Neudefinition. Lustvoll wie geistreich ist sie ohne Zweifel. Dabei von erstaunlicher Disziplin und Präzision, die ihr erst einmal nicht zuzutrauen ist, wenn man sie dabei beobachtet, wie sie sich auch ganz körperlich vom Orchester treiben und herumwirbeln lässt. Dazu kommen eigene Kadenzen, die respektvoll aber befreit mit dem Material spielen. Ein außergewöhnliches Konzert-Ereignis und die Erkenntnis: Frankfurt, freu Dich auf Paavo Järvi!

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Mittwoch, 10. Mai 2006

Henzes "Wundertheater" und Ullmanns "Kaiser von Atlantis" in Weimar

Zwei Mal geht es um die Verführung der Massen. Zwei Mal haben sich die Komponisten dieses Themas angesichts der Verbrechen der Nazis im Zweiten Weltkrieg angenommen. Viktor Ullmann war betroffen, wie es unmittelbarer nicht sein könnte. Im Lager Theresienstadt interniert, wurde er später in Auschwitz ermordet. Als Lagerinsasse gelang es ihm, gemeinsam mit anderen Künstlern, die Proben zu zahlreichen Werken durchzuführen. Unter unvorstellbaren Bedingungen wurde hier Musik gemacht. Hans Werner Henze indes erlebte, wie sein Vater zum fanatischen Anhänger des neuen Geistes wurde.

In Weimar wurden nun zwei Werke der beiden Komponisten im e-Werk, einer Spielstätte des Deutschen Nationaltheaters aufgeführt. Das „Wundertheater“ schrieb Henze in einer ersten Fassung bereits 1984 als Sprechtheater mit Musik, später fügte er noch die Singstimmen hinzu. Hier werden in wenigen Szenen nichts anderes als des Kaisers neue Kleider verhandelt. Der Wundertheater-Direktor Chanfalla (Frieder Aurich) behauptet, dass nur wahre Christen und Kinder aus reiner Ehe seine fabelhaften Erscheinungen sehen können. Natürlich will sich keiner etwas anmerken lassen, alle fallen auf die Scharlatanerie herein. Bis ein Uneingeweihter hineinplatzt. Er wird als Außenseiter schnell zum Freiwild und entsprechend malträtiert. Udo van Ooyen hat das Geschehen in seiner ersten Weimarer Inszenierung zu einer „Reality-Soap“ gewandelt und effektvoll auch mit Video-Sequenzen aus der Handkamera gearbeitet. Das holt die Handlung nahe an die Lebenswirklichkeit der Zuschauer und wirkt damit trotz seiner komischen Elemente umso bedrückender. Ulrika Strömstedt hat hier einen gelungen Auftritt als Assistentin und kann mit sehr belastungsfähigem Alt überzeugen.

Auch bei Ullmanns „Kaiser von Atlantis“ kommt die Kamera zum Einsatz. Hier ist sie aber für mondäne Mitschnitte zuständig, die den Größenwahn des Kaisers Overall (Alexander Günther) greifbar machen. Der hat den Krieg aller gegen alle ausgerufen, was den Tod (Jens Söndergaard) zum Generalstreik herausfordert. Keiner kann mehr sterben, außer der Kaiser selbst opferte sich. Gemeinsam mit dem Harlekin (Uwe Stickert) ist der Tod arg herunter gekommen. In einem leeren Stadion durchwühlen sie in Udo van Ooyens Fassung die Mülltonnen nach Essbarem und erfreuen sich an Nacktmagazinen. Unter Overalls Ägide sind sie zu belanglosen Statisten degeneriert. Erst die Herausforderung des Krieges weckt zumindest den Tod wieder aus seiner Apathie.

Alexander Günther gibt den Kaiser mit großer, heller Stimme und operiert dabei von einer nüchtern-futuristischen Kommando-Brücke. Vom „Lautsprecher“ Andreas Koch, der als Bindeglied zur Realität fungiert, hört man in Zukunft hoffentlich noch mehr. Sein kraftvoller Bass-Bariton kommt hier nur selten voll zur Geltung.

Kapellmeister Marco Comin immer wieder einmal, mit seiner pointiert und wendig interpretierten Musik aus dem Schatten der Bühnengeschehens heraustreten. Die Mitglieder der Staatskapelle folgen ihm durch nicht immer ganz einfach nachzuvollziehendes Klangdickicht. Das bleibt dennoch in den meisten Fällen illustrierend, beide Werke setzten vor allem auf den Transport der Handlung. Vor allem Ullmann ist hier wieder einmal als raffinierter Klangparodist erkennbar – sei es bei der bis zur Unkenntlichkeit verfremdeten deutschen Nationalhymne oder einem geschickt verdrehten Bach-Choral. Weimar ist hier die Zusammenführung von zwei nahe beieinander liegenden Sujets gelungen.


Veröffentlicht im Neuen Deutschland

Sonntag, 7. Mai 2006

Liu Solas "Fantasy of the Red Queen" in Frankfurt

Das Ensemble Modern brachte Liu Solas „Fantasy of the red queen“ als Uraufführung und mit der Regisseurin in der Hauptrolle im Bockenheimer Depot auf die Bühne.

Die kleine Bühne mit der hohen Projektionsfläche im Hintergrund ist Mittelpunkt des Geschehens, das international besetzte Orchester aus Ensemble Modern und chinesischen Künstlern ist zu beiden Seiten angeordnet. Immer wieder werden einzelne von ihnen in das Geschehen mit einbezogen, das sich über insgesamt acht Bilder verteilt.

In einem Spezialkrankenhaus glaubt sich eine alte Frau (Liu Sola) an Stationen als Gattin des chinesischen „Großen Vorsitzenden“ Mao Tse-Tung zu erinnern. Ausgestattet mit unerwarteter Machtfülle, doch kaum akzeptiert von der Partei-Nomenklatura, rächte sich die ehemalige Tänzerin an ehemaligen Gegenspielern. Es geht um Ehrgeiz, Abhängigkeit von Einzelnen oder der Masse und um die Versuchungen, die künstliche Autorität mit sich bringt.

Liu Sola, deren Familie selbst unter den Auswirkungen der „Kulturrevolution“ zu leiden hatte, erliegt jedoch nicht dem Reiz einer künstlerischen Generalabrechnung. Ihre subtile Art der Entlarvung schlichter menschlicher Regungen paart sich hintergründig mit einem poetischen, gleichzeitig analytischen Ansatz. So führt sie mit der ehrgeizigen Krankenschwester (Wu Jing) gar eine Figur ein, die einen direkten Bezug zur Gegenwart ermöglicht. Auch ihr sind die Mittel einerlei auf dem Weg Ruhm – auch wenn es nur der eines Pop-Stars ist. Immerwährend fragend und fordernd bewegt sich ein Teufel (Zhen Jianhua) wie eine dramaturgische Klammer durch das Stück.

Musikalisch bindet Liu Sola unterschiedliche Elemente ein. Die Gu Qin, ein zitherähnliches chinesisches Saiteninstrument, sorgt für traditionelle Töne, wird aber auch perkussiv eingesetzt. Das üppig besetzte Ensemble mit hohem Bläser-Anteil fährt mit Blues-Adaptionen ebenso auf wie mit ostinater Untermalung eines Sprechgesangs. Harte Stakkati werden für revolutionäre Bilder gebraucht, dazu kommen lärmende Gesten. Dass das nicht lediglich eklektisch wirkt, ist der große Verdienst von Liu Sola, die mit großer Sorgfalt und Blick für musikalische wie szenische Details gearbeitet hat.

Sänger und Instrumentalisten überzeugen unter der gezielt effektvollen Leitung von Johannes Kalitzke durch Authentizität und Einsatz. Keine selbstverständliche Leistung. Denn die Dichte der Beziehungsgeflechte, die Liu Sola in Rückblenden, Video-Sequenzen (gemeinsam mit Lü Yue) und Klanggemälden strickt, fordert Einfühlungsvermögen und Professionalität aller Beteiligten gleichermaßen und ohne die geringste Pause.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Mittwoch, 3. Mai 2006

Portrait des Baritons Peter Schöne

Der Umgang mit „Neuer Musik“ ist für Peter Schöne selbstverständlich. „Ich will nicht nur 350 mal den Papageno singen, sondern interessiere mich für das, was danach kommt“, betont er. Nicht zuletzt dafür wird ihm am Sonntag im Mainzer Staatstheater der Schneider-Schott-Musikpreis verliehen. Die mit 13.000 Euro dotierte Auszeichnung erhält er für seine Leistungen als „Sänger von außergewöhnlicher Begabung und früher künstlerischer Reife, vor allem in der Interpretation zeitgenössischen Liedrepertoires.“ Gerade für einen Sänger, der in diesem Jahr 30 wird, eine hohe Auszeichnung.

Auf der Suche nach zeitgenössischem Repertoire sei er immer wieder „auf die erstaunlichsten und schönsten Stücke“ gestoßen, erzählt der junge Sänger, der zur Zeit am Hagener Stadttheater engagiert ist und dem von der Jury „unnachgiebige künstlerische Neugierde“ bescheinigt wird. Vor allem bei der Generation jüngerer Komponisten habe er festgestellt, dass auch wieder „sehr herzliche Musik“ geschrieben werde und nennt dabei Namen wie Matthias Pintscher oder Jan Müller-Wieland. Sie würden nicht mehr ausschließlich eine „verkopfte und konstruierte“ Musik schreiben, die nach 1945 in Deutschland üblich wurde.

Ähnlich seine Sicht auf die Entwicklung des Regie-Theaters: „Ich freue mich auch mal über eine Konwitschny-Inszenierungen, die bunt und spektakelig ist“. Als junger Sänger empfindet er es als seine Aufgabe, das Publikum auch an ungewohnte Klänge heran zu führen. „Sonst können die Zuhörer nie entscheiden, was sie mögen“, so seine Begründung. Dennoch will er sie „dort abholen, wo sie sind“, was auch bedeuten kann, einen Liederabend von Mozart über Reger zu Aribert Reimann zu führen.

Seine Zukunft sieht Schöne, der auch ausgebildeter Geiger ist, schwerpunktmäßig im Konzertbereich. „Die Opernbühne macht mir großen Spaß, allerdings sehe ich die Gefahr, von der Maschinerie meine übermäßig vorhandene Neugier geschluckt zu bekommen“, erläutert er seine Einstellung. „Das gibt mir auch die Möglichkeit, selbstbestimmter und intensiver zu arbeiten“, so seine Erfahrung.

Bei selbst verantworteten Konzerten achtet der Bariton auf die inhaltliche und dramaturgische Konzeption. So moderiert er die Veranstaltungen selbst und singt Stellen auch vorher einmal an, bevor sie später im Zusammenhang erklingen. Für die Zukunft hat er noch eine Reihe von Plänen. „Ich habe meinen Platz auf der Karriereleiter noch nicht gefunden“, weiß er und auch, dass er an unterschiedlichen Stücken oder Rollen wachsen kann. Und eine gewisse Gelassenheit vermittelt er ebenfalls, wenn er meint: „Ich habe großes Vertrauen, dass die richtigen Herausforderungen auch zur rechten Zeit kommen.“


Peter Schöne wurde 1976 geboren, studierte Geige in Nürnberg und Gesang bei Harald Stamm in Berlin. Debüt im Oktober 2002 an der Komischen Oper, Fest-Engagement am Stadttheater Hagen seit 2003. Gewinner des Bundeswettbewerbs Gesang 2004

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Dienstag, 2. Mai 2006

Der Bariton Konrad Jarnot und der Pianist Alexander Schmalcz in Schwetzingen

Der Bariton Konrad Jarnot und der Pianist Alexander Schmalcz widmeten ihre Matinee in Schwetzingen dem Dichter Heinrich Heine.

Im Interesse dieses so jubiläumsreichen Jahres stehen auch zwei Kulturschaffende, die zunächst einmal eines teilen: ihr Todesjahr. Sowohl Heinrich Heine als auch Robert Schumann starben 1856. Schumann gehörte darüber hinaus zu den fleißigsten Komponisten bei der Vertonung von Heine-Gedichten. So lag es nahe, dass Konrad Jarnot und Alexander Schmalcz ihre Matinee im Konzertsaal des Schwetzinger Schlosses mit dem Liederkreis op. 24 und der „Dichterliebe“ einrahmten. Dazwischen waren ausgewählte Lieder aus dem „Schwanengesang“ von Franz Schubert zu hören.

Der junge Bariton bewies in dem Vortrag einen außergewöhnlich souveränen Umgang mit seiner Stimme. Selten kann man so eine fein ausgearbeitete Klanggestaltung erleben. Eine klare Deklamation ermöglichte ihm die lebendige Umsetzung ganz unterschiedlicher Charaktere. Frei von jeder stimmlichen Auszehrung und ausgestattet mit einem ungekünstelten Durchsetzungsvermögen fesselte er sein Publikum von der ersten Sekunde an. Sei es die kraftvolle Markigkeit, die er etwa im „Wilden Schiffsmann“ aus dem Liederkreis und „Im Rhein, im heiligen Strome“ bewies, oder die atemlose Spannung, die er bei „Anfangs wollt’ ich fast verzagen“ (Liederkreis) aufbaute. Immer erweckte er auf ganz authentische Art Emotionen.

Am Klavier begleitete empfindsam pulsierend der Graham-Johnson-Schüler Alexander Schmalcz. Streckenweise schien er die Bariton-Stimme mitzusingen, wodurch er musikalisch zu einer ertragreichen Einheit mit Jarnot verschmolz.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Gespräch mit Giora Feidman

Seit über fünfzig Jahren steht Giora Feidman auf internationalen Bühnen. Der Klarinettist erreicht oft Menschen, die nicht zum traditionellen Klassik-Publikum zählen. So wurde er in Deutschland vielen durch die Film-Musik zu „Schindlers Liste“ bekannt, für die er 1993 den Oscar verliehen bekam. Ende vergangenen Jahres trat er vor 800.000 Menschen und dem gerade gewählten Papst Benedikt beim Weltjugendtag in Köln auf. Dort spielte er ein „Ave Maria“ und ein jüdisches Gebet. Symptomatisch für sein Verhältnis zu Kunst und Glaube.

„Musik ist keine Religion, aber Religion braucht die Musik“, erläutert er im Gespräch. Dass es ihm dabei nicht um eine einzig wahre Religion geht, streift er später wie selbstverständlich. „Es geht mir nicht um die Liebe zu einer Kirche oder einer Lehre, sondern um die Liebe zu Gott“, so sein Glaubensansatz. Seine Musik steht dabei in einem spirituellen Zusammenhang: „Als Musiker sind wir verantwortlich für die geistige Nahrung einer Gesellschaft“, ist er überzeugt. „Musik ist nicht die Frage, sondern eine Antwort“, schiebt er schnell nach.

„Es ist ein Prozess, immer wieder vor einem anderen Publikum zu spielen“, skizziert der 70-jährige Künstler. Seine Zuhörer bezeichnet er als „Freunde“, bei den meisten Konzerten sucht er den direkten Kontakt zum Publikum. Oft steht er eine Weile fast unbemerkt hinter den Reihen, bevor er langsam und scheinbar beiläufig zu spielen beginnt. Damit schafft er schon von Anfang an eine Atmosphäre, die familiär und für ihn so typisch ist. „Die Klarinette ist das Mikrofon meiner Seele“, bekennt Feidman eine sehr intime Auseinandersetzung mit seinen Konzerten. Denn wer einen solch absoluten Anspruch an seine Kunst hat, gibt sich immer auch ein wenig selbst preis und vertrauensvoll in die Hände seiner Zuhörer.

Stilistisch will er sich auch heute nicht zu sehr festlegen lassen. „Klezmer ist mehr als nur die Musik“, wehrt er sich gegen wohlfeile Verkürzungen. „Oder fühlen Sie sich plötzlich als Jude, nur weil Sie diese Musik hören?“, fragt er verschmitzt. Es gelingt ihm, einen Zugang zu unterschiedlichen musikalischen Spielformen zu finden, der klassische, volkstümliche und jazzverwandte Elemente ebenso berücksichtigt wie religiöse Aspekte.

Nachdenklich wird er, wenn er auf seine Wünsche für die Zukunft befragt wird. „Ich würde gerne in einer Welt leben, in der man sich versteht. Heute sind wir angesichts 28 offizieller Kriege weltweit weit davon entfernt“. Daher bewundert er vor allem Künstler wie Daniel Barenboim, der mit seinem „West-östlichen Divan“ gezielt mit Musikern aus verschiedenen kulturellen Zusammenhängen arbeitet und auch in Krisenregionen auftritt.


Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier