Montag, 18. Juni 2007

Donizettis Oper "Lucia di Lammermoor" in Mainz

Kluge Inszenierung leidet unter schlechtem Gesang. Tatjana Gürbaca führt in Mainz bei Donizettis Oper „Lucia di Lammermoor“ Regie.

In der Opernsparte des Mainzer Staatstheaters gibt es einiges zu tun. Genauer: es muss entrümpelt werden. Jeder Fußballverein, der außer einer passablen Doppelspitze nichts zu bieten hat, wird die Spielpause wohl dazu nutzen, sich um ein ordentliches Mittelfeld zu kümmern, zumal das Haus in der kommenden Spielzeit einiges vor hat. Der „Rosenkavalier“ von Richard Strauss steht an, auch für Massenets „Werther“ und Puccinis „La Bohème“ ist das Ensemble derzeit wohl kaum gerüstet.

So zumindest präsentierte man sich zum Ende der laufenden Spielzeit mit Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“. In der Titelpartie konnte Ana Durlovski nach einer gewissen Eingewöhnungsphase zu vollem Glanz aufblühen. Doch ähnlich wie in der „Zauberflöte“, wies sie gerade in den mittleren Registern eine seltsam metallische Färbung auf, die anfangs immer wieder irritiert. Schnell vergessen sind solche Einschränkungen, wenn sie zu ihren grandios ausgesungenen Koloraturen ansetzt, auch die leisen Töne gehören zu ihrer unbestrittenen Stärke. Außerdem gelingt es ihr immer wieder, sich ihre Partie charakterlich bestmöglich zu eigen zu machen. Als selbstbewusste Frau tritt sie in den Konflikt zwischen ihrem pleite gegangenen Bruder, der sie gewinnträchtig verheiraten will und den Forderungen ihres Geliebten. Als sie jedoch zusammenbricht, tut sie das zur Gänze, beschert dem Publikum eine bedrückende Wahnsinns-Szene, in der sie ein ums andere Mal vor dem Nichts steht und das auch unmittelbar zeigt.

Ihr zur Seite steht Sergio Blazquez als Edgardo, der in sich die Kardinaltugenden eines jungen Tenors vereint. Durchhaltevermögen, brillante Tongebung und dabei eine erstaunlich warme Grundfärbung zeichnen ihn aus, darstellerisch wirkt er bisweilen etwas hölzern, doch das wird sich schnell geben.

Hinter diesen Beiden aber herrscht bestenfalls Ratlosigkeit. Während sich Richard Morrison noch recht souverän durch die Partie des Lord Enrico arbeitet, zeigen sich Alexander Spemann (ein blasser Arturo) und Hans-Otto Weiß (Raimondo ohne Tiefe) stimmlich bestenfalls überfordert. Edith Fuhr als Alisa und Jürgen Rust als Normanno haben größte Mühe, ihre Töne zum Klingen zu bringen, das Pressen und Stemmen nimmt mitunter geradezu groteske Züge an.

Schade um die kluge Inszenierung von Tatjana Gürbaca, die hier ganz auf feinnervige Personenführung setzt, große Bilder zeichnet und ohne plakative Überinterpretation der psychologischen Komponente ihre Geschichte erzählt. Noch während der Ouvertüre erfährt der Zuschauer vom Ursprung der Familienfehde, als nämlich Klein-Edgardo seine Spielkameradin Lucia vor einer vermutlich familieninternen Vergewaltigung rettet. Auch im späteren Verlauf bleiben sie Kinder in der rauen Erwachsenenwelt, als steckten sie in ihrem Trauma fest. Hoch zu Holzross und mit Spielzeugschwert bewaffnet, steckt Edgardo seiner Lucia einen Staniolpapier-Ring an die Hand. In einer besseren Welt begegnen sie sich schließlich wieder.

Das Orchester unter der Leitung seines Ersten Kapellmeisters Thomas Dorsch zeigt sich wendig und kultiviert, steckt treffsicher den atmosphärischen Rahmen ab. Dem bestens aufgestellten Chor von Sebastian Hernandez-Laverny sind einige der gelungensten Szenen des Abends zu verdanken.

Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse

Samstag, 16. Juni 2007

Schauspiel "Tristan und Isolde" von Martin Oelbermann am Mainzer Staatstheater

„Liebe ist so ungefährlich wie ein Löffel Salzsäure auf nüchternen Magen“ hat Charles Baudelaire einmal geschrieben. Der Satz findet sich auch im Programmheft zu der aktuellen Schauspiel-Produktion des Mainzer Staatstheaters wieder. Treffender hätte sich die Essenz des Stücks wohl kaum zusammenfassen lassen. Denn ihre Gesundheit haben sich alle Protagonisten ruiniert. Sie sind krank aus Liebe, aus Eifersucht oder Sehnsucht. Und deshalb lässt sie Regisseur Martin Oelbermann in seiner Fassung von „Tristan und Isolde“ nach Gottfried von Straßburg auch vorsichtshalber in klinikähnlicher Kleidung herumlaufen, stattet sie mit Erste-Hilfe-Koffern aus und legt sie nacheinander oder gemeinsam ins Krankenhausbett (Bühne und Kostüme: Marc Thurow).

Die Geschichte ist alt und bekannt. Tristan fährt ins feindliche Königreich Irland, um für seinen Onkel und König Marke von Cornwall die schöne Isolde zu werben. Weil er sich dort vorher aber schon unbeliebt gemacht hat, indem er einen adligen Vorzeigekrieger der Iren niedergestreckt hat, gibt er sich erneut als der Spielmann aus, als der er vorher bereits schwer verletzt auf der Insel gestrandet ist.


Zwar entlarven ihn Mutter und Tochter Isolde bald als den Bezwinger des Onkels und Bruders, doch die Königin steht zu ihrem vorher gegeben Wort, Tristan zu beschützen, weil der das Land von einem Drachen befreit hat. Die Tochter muss mit nach Cornwall, um den unbekannten König zu heiraten. Damit sie sich dem Gemahl hingibt, braut die Mutter einen Trank, der ihnen in der Hochzeitsnacht verabreicht werden und sie für immer in Liebe aneinander binden soll. Durch ein Missgeschick trinken aber Tristan und Isolde das Gebräu und müssen nun ihre Liebe auch an der bald geschlossenen Ehe vorbei ausleben.

Liebe wird von Oelbermann als Droge verstanden, als Zwang, der die beiden ungewollt Liebenden nicht voneinander loskommen lässt. Ein zeitweise Trennung bringt regelrechte Entzugserscheinungen mit sich. Friederike Bellstedt, Franziska Hackl, Tatjana Kästel, Tim Breyvogel, Felix Mühlen und Daniel Seniuk schlüpfen in dem episch daherkommenden Projekt in einem rasanten Tempo in die unterschiedlichsten Rollen, wechseln sich dabei permanent ab. Sie sind alle jeweils Erzähler und handelnde Figur in einem. Das verwirrt nur kurz und entpuppt sich rasch als absolut schlüssiges Format.

Die Anforderung an das Ensemble ist extrem hoch, denn die Textdichte ist wohl kaum zu überbieten – alle Beteiligten sind ständig in das Geschehen involviert, übernehmen immer wieder neue Rollen, entwickeln die Charaktere in unterschiedliche Richtungen. Der mittelalterliche Stoff erhält dadurch mühelos packende Aktualität.

Veröffentlicht im Main-Echo (Aschaffenburg) und der Allgemeinen Zeitung (Mainz)

Sonntag, 10. Juni 2007

Vesselina Kasarova und Charles Spencer bei den Schwetzinger Festspielen

Die Mezzosopranistin Vesselina Kasarova und der Pianist Charles Spencer bescherten den Schwetzinger Festspielen einen weiteren musikalischen Höhepunkt.

Vesselina Kasarova ist ein Publikumsmagnet. Für den derzeit erfolgreichsten bulgarischen Exportschlager waren im Schwetzinger Rokoko-Theater eigens zusätzliche Stuhlreihen auf den Orchestergraben gestellt worden, um dem enormen Publikumsandrang gerecht zu werden. Gemeinsam mit dem Pianisten Charles Spencer gestaltete sie nun bei den zu Ende gehenden Schwetzinger Festspielen einen Arien- und Liederabend, der sicherlich zu den Höhepunkten der an Besonderheiten nicht gerade armen Reihe gehörte. Italienische Arien beherrschten den ersten Teil. Ausgesucht empfindsam nahm sich die Mezzosopranistin der Arie „Pupille amate“ aus Mozarts „Lucio Silla“ an, ohne dabei allzu süßlich zu wirken. Schon im Rezitativ „Ombre felice!“ aus der Mozart-Oper „Arsace“ kam ihre sinnliche Tiefe ganz ohne Druck voll zur Geltung. Spencer agierte neben ihr überlegen, nie distanziert, sondern angenehm einfühlsam gestaltend, sparte dabei nicht an durchaus auch spitzen Kommentaren in der Kantate „Arianna a Naxos“ von Joseph Haydn. Gemeinsam arbeiteten sie die dramatische Zuspitzung im Mittelteil pointiert heraus, machten aus der Kantate eine durch und durch packende Erzählung. In den düsteren Liebesliedern op. 83 von Antonín Dvorák nach Gedichten von Gustav Pfleger-Moravský standen die unterschiedlichen Schattierungen von Verzweiflung und Unbehagen im Vordergrund. Jedes Leiden gestaltete sich da wieder aufs Neue mit seinen Eigenarten. Da war etwa die seltsam hinkende Rhythmisierung, die Spencer in „Kol domu se ted’ potácim“ (Ich taumele jetzt an dem Haus vorbei) so präsent heraus stellte, was mit der wehmütigen Interpretation von Vesselina Kasarova atmosphärisch einnehmend korrespondierte. Ohnehin fand auf der Bühne ein selten zu erlebendes organisch fließendes Zusammenspiel statt, das von einem großen Verständnis beider Künstler füreinander und vor allem für das musikalische Anliegen geprägt zu sein scheint. Ihre Zuspitzung fand diese Eigenschaft in „La spectre de la rose“ von Hector Berlioz. Hier versanken die beiden Musiker fast vollständig in zerbrechlicher Stille, um ihre Zuhörer ganz dicht an die Verzweiflung des Erzählers heran zu führen.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse