Sonntag, 4. März 2001

Podium RSO in der Villa Berg

Man kennt sich in der Villa Berg. Primgeiger Stefan Knote nickt familiär in die erste Reihe, die Gespräche unten sind auch jetzt nur schwer auf die Pause zu verschieben – dafür finden sie in mindestens vier Sprachen statt. Auf der Bühne hat mittlerweile das Haydn-Streichquartett in F-Dur (op. 74 Nr. 2) begonnen, das nicht nur durch die ersten unisono-Takte eine besonders einheitliche Note erhält. Überhaupt sind die vier Musiker des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart intensiv auf Harmonie bedacht. Selbst die etwas übertriebenen Phrasierungen findet man in jeder einzelnen Stimme wieder. Betont wird auch der Effekt, der durch die unterschiedlichen Kombinationen entsteht, der sattsam bekannte Dialog nämlich und der damit einhergehende Eindruck des leicht Berechenbaren. Dafür löst sich Cellist Fionn Bockemühl mit seinen Motiven angenehm eigenständig heraus, hätte hier ruhig mehr geben können. Vielleicht wäre darin eine Chance erwachsen, die Interpretation ein Stück persönlicher werden zu lassen. Im Menuetto rumpeln Triolen-Figuren ungebremst gegen die lauernden Fermaten, das Finale wird durchaus virtuos durchgejagt – ohne viel Rücksicht mehr auf die Intonation zu nehmen.

Bockemühl bleibt (erhält deshalb später auch keine zweite Rose) und bekommt Verstärkung durch Anne Marckardt (Oboe), Lukas Friedrich (Violine) und Ingrid Philippi (Viola) für Benjamin Brittens „Phantasy“. Zunächst bleiben die Streicher bloße Rhythmusgruppe um Anne Marckardt die Grundlage zu schaffen, auf der sie, zunächst ein wenig tastend bloß, ihre Melodie aufbauen kann. Nie dauern die allzu lange, aber sie sind intensiv genug, um die Pausen zu überstrahlen. Irgendwann kommt dann die fast hysterische Vereinigung, die sich wie ein Befreiungsschlag auswirkt. Nun flankieren die Streicher pulsierend den Lauf der Oboistin, deren Ton von dünn zurückhaltend bis trotzig auftrumpfend reicht. Der Schluß gibt fast spiegelbildlich die ersten Töne wieder und endet mit kaum mehr vernehmbar dahingehauchten Cellotönen.

Das Konzert schließt mit dem großformatigen Brahms-Klarinettenquintett h-moll (op. 115), das den Zuhörer von vorne herein packt und in dem bereits im ersten Satz mehr passiert, als in den meisten Kammermusik-Stücken in dreien oder mehr. Herbert Gruber gelingt ein Klarinettenpart, der nicht nur die erwartete Spannung aufbaut, sondern der auch die geschriebenen Noten derart zu gestalten weiß, dass in jeder Phrase und jeder unterbrochenen Figur eine neue Dynamik entsteht. Wenige Töne aus Stefan Bornscheuers Geige wirken im Adagio-Satz wie von Ferne, werden nur allmählich voller und kehren immer wieder zurück. Schwermütig bleibt der Grundtenor über weite Strecken hinweg, der Schlussapplaus benötigt seine Schrecksekunde.

Veröffentlicht in der Stuttgarter Zeitung