Montag, 26. November 2007

Michael Sadler auf Abschiedstournee mit "Saga"

Voraussichtlich war es einer seiner letzten Auftritte mit der Band „Saga“. Michael Sadler hatte Anfang des Jahres verkündet, die Band noch binnen Jahresfrist zu verlassen. Die Gründe sind privater Natur, der 53-Jährige will sich mehr der Familie widmen. In der Phönixhalle aber stand er auf der Bühne, als wäre noch alles beim Alten. Auch eine Erkältung, die ihn bei vorherigen Auftritte während der Tour beeinträchtigt hatte, war abgeklungen. Und so mussten die Fans lediglich den Auftritt der Vorgruppe „The Urge“ hinter sich bringen, um dem legendären Quintett dann ungebremst zujubeln zu können. Schon der Einstieg geriet saftig, neben dröhnenden Keyboard- und Gitarrenklängen blitzte es aus allen verfügbaren Scheinwerfern, was von Anfang an überschäumenden Jubel provozierte.

Ohnehin war die Stimmung an diesem Abend enorm ausgelassen, die Fans sangen nahezu jede Strophe mit, egal ob es sich um einen Klassiker aus den 80ern handelte oder um einen Titel aus dem aktuellen Album „10.000 days“, das in diesem Jahr produziert worden ist. Dem oberflächlichen Beobachter mag es zwar geschienen haben, als seien die Progressive Rocker still und leise auseinander gegangen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Sowohl in den 90ern als auch im neuen Jahrtausend haben die Herren Alben fast im jährlichen Takt heraus gegeben. Auf der Bühne geben sie alles, wirken in ihrer Musik fest verwurzelt, feuern das Publikum zu immer frenetischer werdenden Choreinsätzen an.

Kommerzieller Erfolg blieb ihnen ja meist versagt. Die Alben stiegen in den Verkaufs-Charts selten auf die ersten 50 Plätze, die Fans lieben wohl vor allem den Live-Eindruck. Und so ist auch die aktuelle Tour, die „Saga“ durch Deutschland und die Niederlande führt, eine einzige Party mit ausschließlich gut gelaunten und feierwilligen Gästen. Der Altersdurchschnitt ist natürlich mit dem Alter der Musiker gestiegen – immerhin feiern die Kanadier gerade ihr 30-jähriges Bühnenjubiläum. Doch auch den jüngeren Generationen scheint diese Musik etwas zu sagen – passiert hier doch weit mehr, als sie von Retorten-Gruppen aus den Casting-Shows oder mit hohen Werbe-Etats aufgeputschten Eintagsfliegen gewöhnt sind.

Die deutschen Fans sind dann auch die bislang treusten, die sich „Saga“ im Laufe der Jahrzehnte erspielt hat. Hier konnten zumindest Achtungserfolge in den Charts verbucht werden. Titel wie „On the loose“ oder „Wind him up“ vom Album „Worlds Apart“ oder die Knaller „Time Bob“ und „Humble Stance“ verfehlen auch heute ihre Wirkung nicht.

Ein klein wenig Abschiedsschmerz war gegen Ende dann doch zu spüren, vermutlich waren die Zugaben schon ein wenig dem Umstand geschuldet, dass Sadler nun aufhört. Im Internet können sich Nachwuchstalente übrigens um seine Nachfolge bewerben. Dort lassen sich die Instrumental-Fassungen von „On the loose“ und „Wind him up“ herunterladen. Wer dann ein Video mit seiner eigenen Interpretation auf einem Videoclip-Portal veröffentlicht, beteiligt sich an dem Auswahl-Verfahren.

Veröffentlicht in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

Freitag, 23. November 2007

Hr-Sinfonieorchester mit Original-Filmmusik zum Chaplin-Klassiker "Modern Times"

Moderne Zeiten sind angebrochen im Jahr 1936. Die Industrialisierung hat sich zumindest in den wohlhabenden Ländern der Erde mit Macht durchgesetzt, überall rotieren die Maschinen und in den großen Städten raucht es aus allen Schornsteinen. Der Mensch wird in diesem System schnell zum Helfershelfer einer automatisierten Welt, in der Maschinen den Takt vorgeben. Wenn es jemandem gelungen ist, diese neue Welt treffend zu persiflieren, ohne dabei in politisches Wüten zu geraten, dann ist das Charlie Chaplin. Der Meister des Stummfilms hat mit „Modern Times“ ein legendäres Filmopus, geschaffen, das bis heute Kultstatus genießt.

Eine ganz besondere Aufführung stand jetzt im Sendesaal des Hessischen Rundfunks an. Der renommierte Filmmusik-Dirigent Frank Strobel stand am Pult des hr-Sinfonieorchesters, das die Originalmusik von Charlie Chaplin spielte, wie sie vor sieben Jahren erst von dem amerikanischen Komponisten Timothy Brock rekonstruiert wurde. Bemerkenswert ist, dass Chaplin neun Jahre nach Entwicklung des Tonfilms ganz bewusst seinem Genre, dem Stummfilm treu bleibt. Nur selten werden Stimmen oder Geräusche eingespielt, die entweder isoliert da stehen oder mit der Musik korrespondieren.

Chaplin ist hier in seiner Dauer-Rolle als Tramp mit Stock und Melone zu sehen, der meist vergeblich versucht, mit seiner Umwelt zurecht zu kommen. Am Fließband versagt er ebenso, wie als Nachtwächter, durch ein Missverständnis gerät er als kommunistischer Streikführer ins Gefängnis, wo er unter Drogeneinfluss einen Ausbruch verhindert. Ganz allmählich entwickelt sich auch so etwas wie eine Liebesgeschichte mit einer jungen Frau, wobei es nie zu einem Kuss oder gar mehr kommt.

Frank Strobel gelingt es, gemeinsam mit den HR-Musikern eine packende und stets präzise auf das Leinwandgeschehen zugeschnittene Musik aufzuführen. Dabei sind die Klänge oft mehr als reine Lautmalerei. Natürlich kommen hier die witzigen Begleitungen von Chaplins Ungeschicklichkeiten besonders gut an. Doch zwischendrin kann man erfahren, dass der Komiker auch als Komponist einiges zu bieten hat.

Donnerstag, 22. November 2007

Jungautor Florian Bergner legt seinen Debüt-Roman "Rastlien de Gravie" vor

Florian Bergner ist Autor. Das allein macht ihn noch nicht besonders außergewöhnlich, in gewisser Weise ist Schriftsteller ja auch nur ein Beruf wie jeder andere. Allerdings ist der Autor gerade einmal 18 Jahre alt und arbeitet eigentlich in erster Linie an seinem Abitur an der Elly-Heuss-Schule. Sein Erstlingswerk, das nun auch im Druck erschienen ist, kommt zunächst auf eine Auflage von 350 Stück. 100 davon erhält er zur Verbreitung etwa bei Lesungen oder im Bekanntenkreis. Die erste Lesung im „Haus der Heimat war übrigens gut besucht. „Mit weit über 50 Besuchern feierte unser jüngster Autor, Florian Bergner, am vergangenen Freitag eine tolle Buchpremiere in Wiesbaden. Das Publikum war von seiner Lesung mehr als überzeugt und kaufte eine stattliche Anzahl von Büchern.“, jubelt sein Verlag im Internet.

„Ich fühle mich jetzt auch nicht anders als vorher“, lacht Florian Bergner auf die Frage, ob das Schriftsteller-Dasein nun einen neuen Menschen aus ihm gemacht habe. Auch sein Umfeld war nicht sonderlich überrascht, denn seine schriftstellerischen Ambitionen waren nie ein Geheimnis. Das Buch ist ein Fantasy-Roman geworden und handelt von der fiktiven Gestalt Rastlien de Gravie – ihm verdankt das Buch auch seinen Titel. „Der Name ist frei erfunden“, erklärt der Autor, als Pate habe „eine Person aus der alten Stauffenbergischen Familie“ gestanden.

Der Protagonist wächst gut behütet im Prag des Mittelalters auf und sieht einer Medizinerkarriere entgegen. Bald jedoch nimmt Kain (aus der biblischen Geschichte um Kain und Abel) Einfluss auf ihn und wandelt seinen Charakter zum Bösen hin. Schließlich spaltet sich Kain von seinem unfreiwilligen Wirt ab und wird zum „Dunklen Messias“, um Rache an Gott und der Menschheit zu nehmen.

Die Keimzelle des Romans steckt in einem Essay, den der junge Autor einmal über die Frage geschrieben hat, ob man das eigene Schicksal verändern kann. „Das war mir aber zu trocken“, meint er. Und so hat er sich an einen Fantasy-Roman gesetzt. Dafür hat er insgesamt sechs Monate in zwei Schaffensperioden gebraucht. Seine Erfolgsaussichten sieht er ganz realistisch. „Ich warte ab, was auf mich zukommt“, sagt er entspannt. Der Verlag will noch einige Lesungen organisieren, außerdem hofft er, dass das Buch seinen Weg in die Auslagen der Buchläden findet.

Sein Interesse an fantastischen Geschichten und dem Mittelalter hat er schon von Kindheit an entwickelt. „Ich bin mit Rittergeschichten aufgewachsen“, erinnert er sich. Außerdem hat er auch eine Weile an Rollenspielen Teilgenommen. Bei der Konstruktion fiktiver Welten findet er es spannend, „Idealbilder“ zu erschaffen Außerdem sei er dabei auf der „Suche nach dem besseren Menschen“. Seit der siebten Klasse ist er Mitglied in der Theater-AG seiner Schule. „Ich nehme oft viel von den Rollen mit“, erzählt er aus diesem Teil seines Lebens. „Theater spielen gehört bei mir zum Leben dazu“, bekennt er. Und weitere Romanprojekte stecken auch bereits in der Schublade.

Florian Bergner: Rastlien de Gravie, erschienen im Geest-Verlag, 232 Seiten

Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier

Mittwoch, 21. November 2007

Michael Endes "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" am Mainzer Staatstheater

Die Kinderbücher von Michael Ende haben Generationen von Kindern fasziniert. Unter ihnen auch das Buch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, womit der Autor 1960 schlagartig bekannt wurde. Unter der Regie von Marcus Mislin wurde das Stück nun im Mainzer Staatstheater vorgestellt.

Was passiert, wenn ein ohnehin schon kleines Königreich einen neuen Bewohner per Post zugeschickt bekommt? Nun, solange der Neu-Insulaner noch ein „halber Untertan“ ist, macht das nicht so viel aus. Doch immerhin wird auch er einmal größer und braucht dann Platz, um sich ein Haus zu bauen. Der Ansicht jedenfalls ist König Alfons der Viertelvorzwölfte, unumschränkter Herrscher von Lummerland. Sein Problem: Vor einigen Jahren ist ein Päckchen auf der Insel angekommen, in dem der kleine Jim lag, der mittlerweile zu einem aufgeweckten Jungen herangewachsen ist. Lummerland aber ist wirklich klein. Gerade einmal fünf Bewohner zählt das Reich – inklusive König und Lokomotive.

Am Mainzer Staatstheater stand Jim Knopf nun zum ersten Mal auf der Bühne. Marcus Mieslin, Mitglied des Schauspiel-Ensembles mit einschlägiger Regie-Erfahrung, hat eine liebevoll inszenierte Fassung des Kinderbuchklassikers ersonnen. Das Bühnenbild von Elisabeth Pedross gleicht einer farbenfrohen Bilderbuch-Illustration. Allein die Insel ist ein kleines Schmuckstück. Dicht aneinander drängen sich hier der Bahnhof, das Schloss, der Laden von Frau Waas und Herrn Ärmels Wohnhaus zwischen den zwei Tunnel-Einfahrten.

Von hier aus brechen Lukas der Lokomotivführer (Thomas Kornack) und Jim Knopf (Joachim Mäder) auf, nachdem König Alfons (Adrian Hagenguth) beschlossen hat, dass Lokomotive Emma abgeschafft werden soll. Auf ihrer Reise erleben sie ein märchenhaftes Abenteuer. Dem Kaiser von China (Andreas Quirbach) versprechen sie, seine Tochter Lisi (Norma Anthes) aus den Klauen des bösen Drachen Frau Mahlzahn (Julia Kreusch) zu befreien. Die nämlich kauft einer Bande kleine Kinder ab, um sie in ihrer Schule zu quälen. Auf diese Weise erfährt Lukas auch, dass er selbst ein solches Kind war, doch durch eine unleserliche Adresse auf dem Paket, schließlich ins Lummerland geraten ist.

Natürlich gelingt das Rettungsunternehmen und am Schluss sind alle zufrieden. Vor allem auch deshalb, weil Frau Mahlzahn, während sie sich in einen guten Drachen verwandelte, noch den Tipp mitgegeben hat, eine Art Beistellinsel aufzutreiben, womit Lummerland wieder ausreichend groß wird.

Das alles wird in raschem Tempo, aber ohne Hast vermittelt. Die Kinder im Publikum sind von Anfang an begeistert, machen gefragt und ungefragt mit. Alexandre Bytchkov sorgt mit dem Akkordeon für die musikalische Umrahmung (Bühnenmusik: Till Löffler), den Protagonisten ist er eine solide Stütze bei ihren Gesangseinlagen.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Dienstag, 20. November 2007

European Union Baroque Orchestera bei den Bach-Wochen in Wiesbaden

Mit der Verpflichtung des European Union Baroque Orchestras ist Martin Lutz neben den großen Oratorien und den behutsam zusammengesuchten kammermusikalischen Perlen ein ganz besonders spannender Konzertabend gelungen. Das Ensemble ist derzeit international sehr gefragt, einen Tag vor seinem Gastspiel im Herzog-Friedrich-August-Saal spielte es in Portugal, am Folgetag wurden die Musiker bereits in Brüssel erwartet. Doch auf die Leistungsbereitschaft und die überschäumende Spielfreude hatte der straffe Tourneeplan keinerlei bemerkenswerte Einflüsse.

Das European Union Baroque Orchestra ist eines der beiden von der Europäischen Kommission als offizielle Repräsentanten anerkannten Orchester. Das allein sagt noch nicht unbedingt allzu viel über die künstlerische Qualität des Ensembles aus, allerdings zeigt es, dass der Kommission offensichtlich eine frühe Spezialisierung bei jungen Musikern besonders wichtig ist. Wer Mitglied dieses erlesenen Kreises von 21 Künstlern werden möchte, muss sich bei einer europaweiten Ausschreibung qualifizieren. Im Durchschnitt sind die Mitglieder 24 Jahre alt und arbeiten sechs Monate lang konzentriert mit führenden Barockspezialisten an einem Konzertprogramm. Damit gehen sie weltweit auf Tournee. Mittlerweile sind viele Ehemalige in den besten Barockensembles der Gegenwart zu finden – ein deutliches Indiz für die wichtige Funktion dieses Ausbildungs-Programmes.

Wie ein Studentenorchester klang das European Union Baroque Orchestra aber bei weitem nicht. Hier paarten sich im Gegenteil die jugendliche Frische, die unterstellt werden darf, mit einer ernsthaften und tiefgründigen Auseinandersetzung mit der Materie. Effekte wurden nicht um ihrer selbst Willen gezündet, sondern gehörten nachvollziehbar zum gesamtmusikalischen Konzept der Interpretation. Historisch informierte Bogentechnik, Klangerzeugung und die bewusst extrem gegensätzliche Dynamik sind Bestandteile des Erfolgs, den das Publikum in Gestalt pointiert vorgetragener Werke erleben konnte. Die Begeisterung schlug dem jungen Ensemble bereits nach dem ersten Stück ungebremst entgegen.

Sicherlich hatte der Zuspruch auch mit dem berühmten Funken zu tun, der an diesem Abend sofort übersprang. Der Zuhörer konnte sich hier jederzeit individuell angesprochen fühlen, die Musiker vermittelten von jedem Pult aus ihr ganz persönliches Anliegen. Margaret Faultless leitete das Ensemble als Prima inter pares und drehte dabei ein ums andere Mal beherzt am Schwungrad, konnte aber auch bremsen, wenn notwendig und dabei sensibel aufgeraute Töne im leisesten Pianissimo erschaffen.

Das Programm setzte sich aus Populärem und Unbekanntem fast zu gleichen Teilen zusammen. Johann Sebastian Bachs Doppelkonzert für zwei Violinen in d-Moll wurde mit begeisternder Frische transportiert, im Brandenburgischen Konzert Nr. 3 schwelgten die Musiker in komplexen Klanggebilden, ohne dabei an Präzision zu sparen. Geheimnisvolle Momente barg das Concerto grosso „Il pianto d’Arianna“ von Pietro Antonio Locatelli in sich, schroffe Passagen überraschten im Concerto grosso D-Dur op. 6/4 von Arcangelo Corelli. Ausgeglichen und mit homogenem Klang ausgestattet beendete das Ensemble sein Programm mit dem Concerto grosso B-Dur op. 6/7 von Georg Friedrich Händel.

Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt

Donnerstag, 15. November 2007

Das hr-Sinfonieorchester bot mit Hugh Wolff am Pult ein aufreibendes Konzert in der Alten Oper

Zwei Werke, die kurz hinter einander entstanden und schwer zugänglich sind. Dennoch sind es zwei vollkommen unterschiedliche Kompositionen. Beide vereint der enge Bezug zum gesellschaftlichen Hintergrund, vor dem sie geschrieben wurden. Als sich Benjamin Britten im November 1938 an sein Violinkonzert setzte, war gerade der Zweite Weltkrieg ausgebrochen. Was er noch in der englischen Heimat begann, vollendete er im September des darauf folgenden Jahres im amerikanischen Exil. Zwischenzeitlich war der Pazifist Britten vor dem Krieg in Europa geflohen.

Auch Schostakowitsch kämpfte mit Umständen, die wenig günstig für die Schaffenskraft scheinen. Er schrieb seine 4. Sinfonie in den Jahren 1935 und 1936, allerdings zunächst für die Schublade – es sollte 25 Jahre dauern, bis das Werk uraufgeführt wurde. Zuvor nämlich war der Komponist heftigen öffentlichen Angriffen ausgesetzt, die ihm mangelnde Nähe zum „Sozialistischen Realismus“ vorwarfen. 108 Musiker werden für die Sinfonie gefordert und vermitteln eine ungeheure Kraft, die streckenweise fast vernichtend wirkt.

Das hr-Sinfonieorchester hatte sich dafür seinen alten Chef Hugh Wolff ans Pult zurück geholt. Niemand anderes als die Geigerin Midori nahm sich das sperrige Violinkonzert vor – und es braucht durchaus eine Künstlerin von ihrem Format, um damit umzugehen. Midori, weit entfernt von der Suche nach dem raschen Effekt, sezierte ihren Part, ohne ihn in seine Einzelteile fallen zu lassen. Sie ermöglichte ihren Zuhörern eine ungewöhnlich rasche Ahnung von dieser Musik. Vor allem blieb Midori jedoch Künstlerin, war mit ganzer Seele und all ihrer Kompetenz an der Arbeit, so dass Brittens Werk an diesem Abend zu einem ästhetischen Genuss der besonderen Art wurde.

Ganz anders die 4. Sinfonie Schostakowitschs. Sie will und kann sich dem Zuhörer nicht andienen. Das hr-Sinfonieorchester nahm die Herausforderung mit ungetrübtem Engagement an. Unmöglich, nach 60 Minuten Dauerbeschuss wieder Sinn für sanfte Töne zu entwickeln, der Eindruck ist allumfassend und hält lange nach. Hugh Wolff führte die Musiker sicher durch steinige Pfade voller krachender Untiefen. Dass dabei oft die Schmerzgrenze des Erträglichen erreicht wurde, spricht für die stilsichere Interpretation. Ein aufregendes Konzert, das kaum die Möglichkeit bot, sich zurück zu lehnen.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Dienstag, 13. November 2007

David Mouchtar-Samorai präsentiert am Staatstheater Wiesbaden eine kühle Inszenierung der Gluck-Oper „Orfeo ed Euridice“

Manchmal ist es doch besser, nicht alles zu wissen. Die Geschichte von Orpheus, der seiner verstorbenen Geliebten Eurydike ins Totenreich folgt, um sie wieder zu den Lebenden zu holen, ist bekannt. Doch ähnlich wie Lots Frau bei der Flucht aus dem brennenden Sodom, kann auch Eurydike ihre Neugier nicht zügeln. Quengelnd wirft sie dem armen Orpheus vor, sie nicht zu lieben, versteht die angedeuteten Verpflichtungen nicht, die dieser eingegangen ist. Denn auf dem Rückweg aus dem Reich der Toten, darf Orpheus seine Geliebte nicht anschauen. Irgendwann setzt sie sich mit ihrer Nerverei durch, Orpheus fällt ihr in die Arme, sie stirbt sogleich ihren zweiten Tod. Dass Amor, der die Regeln aufgestellt hat, sie später wieder zum Leben erweckt ist dann eine Inkonsequenz, die der Geschichte einen opernhaften Charme verleiht.

Christoph Willibald Glucks „Orfeo ed Euridice“ hatte nun am Wiesbadener Staatstheater Premiere und erschreckte seine Zuschauer mit wirren Bildern vor einer riesigen kaltblau gefliesten Kulisse von Heinz Hauser. Schnell drängt sich der Eindruck einer Klinik, vermutlich einer Psychiatrie auf, denn nicht nur Orpheus wirkt bisweilen etwas fernab der Beherrschung seiner Sinne. Eurydike stirbt mitten im Liebesakt auf einer kargen Matratze, die rasch zur Totenbahre umfunktioniert wird. Nach einer ergreifenden Klage, die Ute Döhring mit inniger Wärme vorträgt, in der gleichermaßen Kraft und intime Weichheit zum Tragen kommen, taucht Amor auf. Emma Pearson muss eine überdrehte Pipi Langstrumpf geben, die den armen Orpheus mehr piesackt, als ihm Mut zu machen.

Die Unterwelt besteigt Orpheus über eine riesige Wendeltreppe, unten angelangt empfängt ihn ein skurriles Ballett aus Furien und anderen Unterweltlern, die ihm den Eintritt verwehren wollen. Bei seiner Wiedergeburt trifft er auf prägende Figuren seiner Kindheit, darunter auch seine Eltern. Doch Eurydike macht der Rettungsaktion mit ihrer Neugier und mangelndem Vertrauen einen vorläufigen Strich durch die Rechnung.

David Mouchtar-Samorais Inszenierung wirkt vor allem dann, wenn das von Christof Hilmer einstudierte Extra-Ballett seine Einsätze hat, etwas exzentrisch, ohne dabei die Handlung wesentlich voran zu bringen oder mit wahrnehmbaren Einfällen zu bereichern. Die Kühle der Kulisse scheint sich auch durch die Inszenierung selbst zu ziehen. Dem Publikum, das den Regisseur später mit deutlichen Missfallensbekundungen empfängt, erhien die Interpretation jedenfalls nicht besonders schlüssig.

Musikalisch kann vor allem das Orchester unter Leitung von Cornelius Heine punkten. Sehr kultiviert und gelöst klingt es aus dem Graben heraus, hier werden pointierte Einsätze und luftige Motive eines hoch engagierten Orchesters gefeiert, das sich der historisch informierten Aufführungspraxis verschrieben hat. Auch der Chor zeigt sich in bester Verfassung, ist auch in der Aktion behände und immer punktgenau zur Stelle. Das kleine Ensemble wird von Thora Einarsdottir (souverän und spielfreudig als Eurydike) und Simone Brähler, die einen kurzen Auftritt als Gouvernante hat, ergänzt.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Das Ensemble Parnassi musici interpretiert Bach-Werke in neuem Klanggewand

Für Johann Sebastian Bach und seine Zeitgenossen war es ein ganz übliches Verfahren. Einmal komponiert, war ein Werk noch lange nicht vor Veränderungen gefeit. Im Gegenteil, immer wieder wurden Stücke umgeschrieben, neu arrangiert oder auf bestimmte Anlässe zugeschnitten. Das Verfahren birgt einen gewissen ökonomischen Sinn in sich. Schließlich gab es nicht die Möglichkeit der industriemäßigen Reproduktion. Dennoch war das Interesse der musikliebenden Öffentlichkeit an Neuerscheinungen ähnlich groß, wie heute. Also griffen die Komponisten zu diesem allgemein akzeptierten Kunstgriff.

Bei den Wiesbadener Bachwochen hatte nun auch das Ensemble „Parnassi musici“ um Martin Lutz einmal vertraute Bach-Werke in ein neues Klanggewand gesteckt und in der Christophoruskirche aufgeführt. Besonderen Anklang fand dabei das berühmte Doppelkonzert für zwei Violinen und Orchester (BWV 1043), das hier zu einer Triosonate geschrumpft war. Die Geiger Margaret MacDuffie und Matthias Fischer gingen das populäre Stück gemeinsam mit dem Cellisten Stephan Schrader hochvirtuos an, interpretierten es luftig und schwungvoll, vor allem in den Ecksätzen. Der zweite Satz erhielt einen fahl-matten Glanz, gewann durch die behutsame Klanggestaltung des Trios immer mehr an eigenständigem Charakter, der in farbigem Kontrast zum ausgelassenen Finalsatz stand.

Der Fagottist Sergio Azzolini hatte das Cembalo-Concerto C-Dur BWV 1053 für sein Instrument umgeschrieben und verblüffte mit überaus kunstvoller Melodieführung und beherzter Kommunikation mit dem Ensemble. Zuvor hatte Martin Lutz die Partita für Violine Solo BWV 1004/5 transparent und pointiert auf das Cembalo übertragen.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt und Wiesbadener Kurier

Mittwoch, 7. November 2007

Frühe Mozart-Opern am Staatstheater Darmstadt

John Dew inszeniert am Staatstheater Darmstadt die beiden ersten Musiktheater von Wolfgang Amadeus Mozart.

Früh übt sich, das ist so eine Binsenweisheit, die manchmal aufs Erstaunlichste belegt wird. Etwa bei Wunderkindern, so auch bei dem Prototyp dieser Spezies, Wolfgang Amadeus Mozart. Während seine Altersgenossen noch recht unbekümmert ihre Kindheit genossen, schrieb er Musik und wurde von seinem Vater stolz an europäischen Adelshöfen herumgezeigt. Bereits als Elfjähriger befasste er sich mit einer der schwierigsten musikalischen Gattungen, der Oper. Am Staatstheater Darmstadt wurden nun seine ersten Musiktheaterwerke aufgeführt. Dabei handelte es sich um Inszenierungen, die Intendant John Dew bereits für die Salzburger Festspiele eingerichtet hatte.

„Apollo et Hyacinthus“ ist ein „lateinisches Intermedium“, das sich um den Gott Apoll dreht. Der Gott möchte die Sterbliche Melia heiraten, doch als sie erfährt, dass der ihren Bruder Hyacinthus getötet haben soll, wendet sie sich von ihm ab. Später kommt heraus, dass der wahre Schuldige ein Neider des Hyacinthus ist, Apoll verwandelt den Ermordeten in eine Blume und wirbt erneut um Melia. John Dew hat für seine Inszenierung den Griff in die Historie gewählt. Die Personen werden zu Marionetten mit einem übersichtlichen Repertoire an stilisierten und pointierten Bühnen-Gesten. José-Manuel Vázquez hat sie dazu in prächtige Rokoko-Kostüme gesteckt und Heinz Balthes liefert ein üppig gemaltes Bühnenbild.

Die faszinierende Wirkung entsteht durch den unverstellten Blickwinkel, den Dew anbietet. Denn bei seiner Inszenierung handelt es sich nicht um den Versuch, eine mögliche Aufführung aus dem 18. Jahrhundert zu kopieren. Er liefert lediglich das Angebot einer Zeitreise, die ihm gemeinsam mit dem ausgezeichnet mitspielenden Ensemble gelingt. Aki Hashimoto erreicht als Melia fantastische Höhen und bietet mühelose Koloraturen, schlank und zugleich volltönend lässt sich Maximilian Kiener als König Oebalus, Hyacinthus’ Vater vernehmen.

Für den zweiten Teil des Abends hatte Dew Mozarts Beitrag zu dem geistlichen Singspiel „Die Schuldigkeit des Ersten Gebots“ ausgewählt. Die beiden anderen Teile stammen von Michael Haydn und Anton Adlgasser und sind nicht erhalten. Hier wird es erstaunlich rasant, denn die Inszenierung macht sich augenzwinkernd über den Moralisten, den „Christgeist“ lustig, der auf linkische Art versucht, einen Menschen auf dem rechten Pfad zu halten, auch wenn ihn der „Weltgeist“ mit allerlei Verlockungen davon abbringen möchte. Weil die beiden Werke auf den ersten Blick nicht zueinander zu passen scheinen, wird der Bruch umso unmittelbarer erlebt. Das verbindende Element ist die beeindruckend ausgereifte Musik eines Elfjährigen. Das Orchester des Staatstheaters kann unter der Leitung von Martin Lukas Meister die Atmosphäre der verschiedenen Momente vortrefflich ausloten und wiedergeben.

Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse

Orchester der Großregion Luxemburg in Mainz

Musik kümmert sich nicht um Grenzen. Das beweist auch das Orchester der „Großregion“ Luxemburg. Das europäische Konstrukt besteht aus der belgischen Region Wallonien, dem französischen Lothringen, dem Großherzogtum Luxemburg, sowie den deutschen Bundesländern Rheinland-Pfalz und Saarland. Und das Projekt, so bürokratisch der Titel „Kooperation für Musik in der Großregion“ auch klingt, ist ausgesprochen erfolgreich. Bereits zum dritten Mal haben sich nun junge Musiker auf dem Weg ins Profidasein zusammen gefunden, um ein anspruchsvolles Orchesterprogramm auf die Beine zu stellen. Nach einer intensiven Probenphase standen Konzerte in den Metropolen der beteiligten Gebiete an.

In Mainz ist die Hochschule für Musik Rheinland-Pfalz seit Anfang an der Kooperationspartner des Projekts. Ein Hornist, ein Trompeter, eine Geigerin, ein Bratschist, zwei Cellistinnen und ein Kontrabassist aus den Mainzer Klassen waren mit dabei und hatten bereits mit ihren Kolleginnen und Kollegen erfolgreiche Konzerte in Nancy, Liège und Völklingen absolviert.

Im Mittelpunkt des Konzerts in der Phönix-Halle stand nun das Cellokonzert e-Moll von Edward Elgar. Als Solistin trat die Pergamenschikow-Schülerin Francoise Groben an. Die junge Musikerin, die bereits auf zahlreichen Erfahrungen mit renommierten Orchestern und Kammermusikpartnern zurückblickt, stieg mit viel Emotion in die ersten Takte ein. Sie verfügt über einen sanften, gleichzeitig voluminösen Klang, den sie klar zu differenzieren weiß. Ihr gelang es, dauerhaft atemlose Spannung herzustellen, um dann gleich darauf wieder äußerst temperamentvoll aufzutreten.

In den Orchesterstücken, Elgars Froissart-Ouvertüre und der 1. Sinfonie c-Moll von Johannes Brahms überraschte das Orchester mit einem ausgewogenen Klangbild. Ein weicher Streicherapparat lotete die dynamischen Grenzen fließend aus, dazu kamen kraftvoll wie präzise musizierende Blechbläser und fein abgestimmtes Holz. Erstaunlich, wie es dem Dirigenten Elgar Howarth in kürzester Zeit gelungen ist, aus den unterschiedlichen Musikern, die sich größtenteils vorher nicht kannten, eine weitestgehend harmonisch musizierende Gemeinschaft zu formen.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Sonntag, 4. November 2007

Felix Prader inszeniert „Die schöne Helena“ von Jacques Offenbach am Staatstheater Mainz

„Vielleicht muss man das heute so machen“, meint der ältere Herr im Fahrstuhl ein wenig resigniert zu seiner Begleiterin. Diese nickt nur müde. Beide scheinen bei aller Toleranz, um die sie sich bemühen, vor allem eines zu sein: traurig. Für sie ist es schade um einen Theaterabend, der amüsant hätte sein können und in ihren Augen doch vor allem zur Klamotte geriet. „Die Schöne Helena“, Jacques Offenbachs Opéra bouffe stand in Mainz auf dem Spielplan. Regisseur Felix Prader hatte bereits im Vorgespräch angekündigt, dass er keine historisierende Griechengeschichte erzählen will. Seine Vorstellung von Werktreue ist die zeitgemäße Veränderung. Denn schließlich gehe es heute ebenfalls darum, die Handelnden so zu zeigen, wie sie Offenbach gemeint habe: eben im Hier und Jetzt verankert.

Die schlimmsten Untiefen menschlichen Zusammenlebens hat Prader ausgekramt, um sie seinen Helden überzustülpen. Sie leben auf einem Campingplatz. Natürlich einem griechischen. Helena träumt einen eher bizarren Traum, vorher hat Kalchas, Großaugur des Zeus, die Spielregeln erklärt. In Praders Version ist er ein proletenhafter Platzwart. Ihm zur Seite steht ein ganzes Panoptikum an archetypischen Camper-Gestalten, so wie man sie, wenn man nicht selbst zu den Freilufturlaubern zählt, eigentlich nur aus den „Reportage“-Formaten der Privatsender her kennt (und nicht glauben mag, dass es sie in so großer Zahl gibt).

Hier also wird die Geschichte der schönen Helena verhandelt, die eigentlich dem etwas trotteligen Menelaos angetraut ist. Doch wie es nun mal so ist als Spielball der Götter, wird sie flugs dem Paris versprochen, weil er Venus zur schönsten Göttin gekürt hat. Der erobert die schöne Sterbliche kurzerhand, indem er ihr vorgaukelt, dass alles nur ein Traum sei – und in dem könne man ja mal versuchen… Zwischendurch wird ein Intelligenz-Wettbewerb ausgerichtet - schließlich ist der Pöbel nicht nur schön, sondern auch klug -, den Paris selbstverständlich gewinnt. Agamemmnon, hier in Gestalt eines Alleinunterhalter-Verschnitts, leitet die Show. Hinzu kommen krude Typen, die sonst Helden wären. Achill etwa im Gips, wegen der Achilles-Ferse.

Es ist vor allem dem Ensemble zu verdanken, dass die Fassung nicht ins Peinliche abrutscht. Denn allen auf der Bühne ist eine unbändige Spielfreude anzusehen. Ob sie sich eine „Augen-zu-und-durch“-Mentalität angeeignet haben, sei dahin gestellt. Auf jeden Fall hat es etwas von der Unbekümmertheit derer, die nichts mehr zu verlieren haben. Und so funktioniert es dann auch. Vor allem Patricia Roach glänzt als rappender und Müllwagen-surfender Orest, der außer Partys nichts im Kopf hat. Sie kann auch stimmlich voll und ganz überzeugen. Ebenfalls perfekt besetzt ist Jürgen Rust in der Rolle des Menelaos. Rusts komisches Talent und sein schneidender Tenor werden hier gebraucht. Etwas zu dramatisch fallen Tamara Gallo als Helena und Sergio Blasquez als Paris aus. Der Chor hat viel zu tun und nimmt seine Rolle mit Elan an, ebenso wie das Orchester unter Leitung von Thomas Dorsch.

In verschiedenen Fassungen veröffentlicht, unter anderem in der Frankfurter Neuen Presse