Donnerstag, 15. November 2007

Das hr-Sinfonieorchester bot mit Hugh Wolff am Pult ein aufreibendes Konzert in der Alten Oper

Zwei Werke, die kurz hinter einander entstanden und schwer zugänglich sind. Dennoch sind es zwei vollkommen unterschiedliche Kompositionen. Beide vereint der enge Bezug zum gesellschaftlichen Hintergrund, vor dem sie geschrieben wurden. Als sich Benjamin Britten im November 1938 an sein Violinkonzert setzte, war gerade der Zweite Weltkrieg ausgebrochen. Was er noch in der englischen Heimat begann, vollendete er im September des darauf folgenden Jahres im amerikanischen Exil. Zwischenzeitlich war der Pazifist Britten vor dem Krieg in Europa geflohen.

Auch Schostakowitsch kämpfte mit Umständen, die wenig günstig für die Schaffenskraft scheinen. Er schrieb seine 4. Sinfonie in den Jahren 1935 und 1936, allerdings zunächst für die Schublade – es sollte 25 Jahre dauern, bis das Werk uraufgeführt wurde. Zuvor nämlich war der Komponist heftigen öffentlichen Angriffen ausgesetzt, die ihm mangelnde Nähe zum „Sozialistischen Realismus“ vorwarfen. 108 Musiker werden für die Sinfonie gefordert und vermitteln eine ungeheure Kraft, die streckenweise fast vernichtend wirkt.

Das hr-Sinfonieorchester hatte sich dafür seinen alten Chef Hugh Wolff ans Pult zurück geholt. Niemand anderes als die Geigerin Midori nahm sich das sperrige Violinkonzert vor – und es braucht durchaus eine Künstlerin von ihrem Format, um damit umzugehen. Midori, weit entfernt von der Suche nach dem raschen Effekt, sezierte ihren Part, ohne ihn in seine Einzelteile fallen zu lassen. Sie ermöglichte ihren Zuhörern eine ungewöhnlich rasche Ahnung von dieser Musik. Vor allem blieb Midori jedoch Künstlerin, war mit ganzer Seele und all ihrer Kompetenz an der Arbeit, so dass Brittens Werk an diesem Abend zu einem ästhetischen Genuss der besonderen Art wurde.

Ganz anders die 4. Sinfonie Schostakowitschs. Sie will und kann sich dem Zuhörer nicht andienen. Das hr-Sinfonieorchester nahm die Herausforderung mit ungetrübtem Engagement an. Unmöglich, nach 60 Minuten Dauerbeschuss wieder Sinn für sanfte Töne zu entwickeln, der Eindruck ist allumfassend und hält lange nach. Hugh Wolff führte die Musiker sicher durch steinige Pfade voller krachender Untiefen. Dass dabei oft die Schmerzgrenze des Erträglichen erreicht wurde, spricht für die stilsichere Interpretation. Ein aufregendes Konzert, das kaum die Möglichkeit bot, sich zurück zu lehnen.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

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