Dienstag, 13. November 2007

David Mouchtar-Samorai präsentiert am Staatstheater Wiesbaden eine kühle Inszenierung der Gluck-Oper „Orfeo ed Euridice“

Manchmal ist es doch besser, nicht alles zu wissen. Die Geschichte von Orpheus, der seiner verstorbenen Geliebten Eurydike ins Totenreich folgt, um sie wieder zu den Lebenden zu holen, ist bekannt. Doch ähnlich wie Lots Frau bei der Flucht aus dem brennenden Sodom, kann auch Eurydike ihre Neugier nicht zügeln. Quengelnd wirft sie dem armen Orpheus vor, sie nicht zu lieben, versteht die angedeuteten Verpflichtungen nicht, die dieser eingegangen ist. Denn auf dem Rückweg aus dem Reich der Toten, darf Orpheus seine Geliebte nicht anschauen. Irgendwann setzt sie sich mit ihrer Nerverei durch, Orpheus fällt ihr in die Arme, sie stirbt sogleich ihren zweiten Tod. Dass Amor, der die Regeln aufgestellt hat, sie später wieder zum Leben erweckt ist dann eine Inkonsequenz, die der Geschichte einen opernhaften Charme verleiht.

Christoph Willibald Glucks „Orfeo ed Euridice“ hatte nun am Wiesbadener Staatstheater Premiere und erschreckte seine Zuschauer mit wirren Bildern vor einer riesigen kaltblau gefliesten Kulisse von Heinz Hauser. Schnell drängt sich der Eindruck einer Klinik, vermutlich einer Psychiatrie auf, denn nicht nur Orpheus wirkt bisweilen etwas fernab der Beherrschung seiner Sinne. Eurydike stirbt mitten im Liebesakt auf einer kargen Matratze, die rasch zur Totenbahre umfunktioniert wird. Nach einer ergreifenden Klage, die Ute Döhring mit inniger Wärme vorträgt, in der gleichermaßen Kraft und intime Weichheit zum Tragen kommen, taucht Amor auf. Emma Pearson muss eine überdrehte Pipi Langstrumpf geben, die den armen Orpheus mehr piesackt, als ihm Mut zu machen.

Die Unterwelt besteigt Orpheus über eine riesige Wendeltreppe, unten angelangt empfängt ihn ein skurriles Ballett aus Furien und anderen Unterweltlern, die ihm den Eintritt verwehren wollen. Bei seiner Wiedergeburt trifft er auf prägende Figuren seiner Kindheit, darunter auch seine Eltern. Doch Eurydike macht der Rettungsaktion mit ihrer Neugier und mangelndem Vertrauen einen vorläufigen Strich durch die Rechnung.

David Mouchtar-Samorais Inszenierung wirkt vor allem dann, wenn das von Christof Hilmer einstudierte Extra-Ballett seine Einsätze hat, etwas exzentrisch, ohne dabei die Handlung wesentlich voran zu bringen oder mit wahrnehmbaren Einfällen zu bereichern. Die Kühle der Kulisse scheint sich auch durch die Inszenierung selbst zu ziehen. Dem Publikum, das den Regisseur später mit deutlichen Missfallensbekundungen empfängt, erhien die Interpretation jedenfalls nicht besonders schlüssig.

Musikalisch kann vor allem das Orchester unter Leitung von Cornelius Heine punkten. Sehr kultiviert und gelöst klingt es aus dem Graben heraus, hier werden pointierte Einsätze und luftige Motive eines hoch engagierten Orchesters gefeiert, das sich der historisch informierten Aufführungspraxis verschrieben hat. Auch der Chor zeigt sich in bester Verfassung, ist auch in der Aktion behände und immer punktgenau zur Stelle. Das kleine Ensemble wird von Thora Einarsdottir (souverän und spielfreudig als Eurydike) und Simone Brähler, die einen kurzen Auftritt als Gouvernante hat, ergänzt.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

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