Freitag, 17. Oktober 2008

Glucks Oper "La Semiramide" wird in Mainz als Zirkusnummer aufgeführt

Mainz kümmert sich um „Gottes starke Töchter“. Die Operntrilogie hat im vergangenen Jahr begonnen und wird in dieser Spielzeit mit einer echten Wiederentdeckung fortgeführt. Die Arbeitsstelle „Gluck-Gesamtausgabe“ der Mainzer Akademie der Wissenschaften hat in der Wiener Nationalbibliothek Abschriften einer bislang nicht bekannten Oper von Christoph Willibald Gluck entdeckt. Das Werk war zum Geburtstag von Kaiserin Maria Theresia von Österreich im Jahr 1748 entstanden und damals 27 Mal hintereinander aufgeführt – anschließend verschwand sie ohne Wiederaufführung. Am Mainzer Staatstheater wurde „La Semiramide riconosciuta“ in Zusammenarbeit mit der Mainzer Musikhochschule und der internationalen Sommerschule „Singing Summer“ auf die Bühne des Kleinen Hauses gebracht.

Die Oper erzählt die Geschichte der babylonischen Königin Semiramis, die ihren Gatten ermordet hat und in Männerkleidern regiert. Um die Hand ihrer Tochter Tamiri bewerben sich die Prinzen Mirteo, Ircano und Scitale. Fast jede der handelnden Figuren ist durch ihre Vorgeschichte mit einer anderen mehr oder minder unheilvoll verknüpft. Mirteo ist Semiramides unerkannter Bruder. Scitale war einst unter anderem Namen ihr Geliebter, der sie in Folge einer Intrige ihres Vertrauten Sibari, der sie ebenfalls liebt, glaubt, sie ermordet zu haben. Lediglich Ircano hat mit all dem wenig zu tun – zum Ziel kommt er dennoch nicht.

Regisseur Peer Boysen, der auch für Bühne und Kostüme verantwortlich ist, hat einen bunten Zirkus gezaubert, in dem die Protagonisten in orientalisch anmutender Bekleidung muntere Vorstellungen geben oder proben. Mal bizarr überzogen, mal verblüffend filmrealistisch findet eine permanente Interaktion statt, die immer neu fesselt. Besonders spannend ist das ständige Auflösen tradierter Geschlechter-Rollen, die sich in dem Barock-Zirkus geradezu aufdrängen. Nicht nur Semiramide hat in dieser Betrachtung Einiges in Bezug auf ihr Innerstes aufzuklären.

Musikalisch ist die Oper optimal umgesetzt worden. Anne Catherine Wagner changiert in der Rolle der Semiramide geschickt zwischen mitfühlender, oft leidenschaftlicher Wärme und beherrschender Stärke. Prinzessin Tamiri kann Alexandra Samouilidou mit einer ansprechenden Mischung aus koketter Niedlichkeit und intensiv einprägsamer Stimmgebung überzeugen. Mirteo wird von Daniel Jenz sängerisch geradezu aristokratisch feingliedrig modelliert, Jasmin Etezadzadeh ist als hunnenartiger Skythen-Prinz Ircano kernig und souverän. Dmitry Egorov besticht in der Altus-Partie des Scitalce überaus wendig und enorm koloraturensicher. Almererija Delic übernimmt die Rolle des raubtierhaft wendigen Sibari mit großer spielerischer und klanglicher Plastizität. Unter Leitung von Michael Millar überzeugt das Orchester mit silbrig-fahlem Barock-Klang und einer behutsamen Rezitativ-Begleitung.

Weitere Aufführungen finden am 26. Oktober, 2. und 12 November sowie 10., 16., 23. und 30. Dezember statt.

Weitere Informationen: www.staatstheater-mainz.de, Karten unter 2851-222


Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse und im Main-Echo (Aschaffenburg)

Keine Kommentare: