Mittwoch, 26. November 2008

Wenn Kunst auf Reisen geht

Manchmal können Ines Unger und Sarah Bernhardt im Bekanntenkreis erzählen, dass sie bald wieder nach New York, Los Angeles, Paris oder Rom fliegen. Für einen Moment ist ihnen der Neid der Gesprächsteilnehmer sicher, doch bald stellt sich heraus, dass der vermeintliche Luxus-Trip harte, ermüdende Arbeit bedeutet. Wenn Kunst auf Reisen geht und entsprechend wertvoll ist, muss eine der beiden Restauratorinnen mitkommen. Doch besonders angenehme Reisepartner sind die Gemälde und Skulpturen des Wiesbadener Landesmuseums nicht. Im Gegenteil, sie sind ausgesprochen launisch, fordern Aufmerksamkeit und sind enorm sensibel.

Die „Terrasse am Walchensee“ von Lovis Corinth ist so ein Kandidat. Das Gemälde ist heiß begehrt und wird dementsprechend oft zur Ausleihe angefragt. Ein Dilemma für die Restauratorinnen, denn: „Wenn etwas viel reist, wird es auch viel angefragt“, so Ines Unger. Denn wenn es einmal woanders hängt, erweckt es Begehrlichkeiten bei anderen Ausstellern. „Für den Wert des Bildes und das Haus ist das gut“, weiß sie. Für die Materie des Bildes sei so ein Leben auf Reisen jedoch nicht optimal. „Auch wenn man sich noch so viel Mühe gibt, stellt Reisen für ein Kunstwerk immer ein Problem dar“, sagt sie.

„Wir versuchen, es von vorne herein so gut wie möglich zu schützen“, betont ihre Kollegin. „Doch alles kann passieren“, kann sie aus langjähriger Erfahrung bestätigen. „Am liebsten würden wir gar nicht ausleihen“, lacht Sarah Bernhardt, doch das wäre wohl auch nicht im Sinne der Kunst. Und so wird alles Menschenmögliche unternommen, um dem Werk die Reise so angenehm, wie möglich zu gestalten. Zunächst werden Verträge „Nagel zu Nagel“ aufgesetzt, die auch die Versicherungsfrage im Detail klären. Dann erhalten spezielle Kunsttranportfirmen den Auftrag zum Umzug. Die verfügen über entsprechendes Material, wie etwa die besonders klimatisierten und sanft gefederten Fahrzeuge. Bewegung und Klimaveränderungen sind eine Gefahr für sensible Bilder. Durch Rütteln können Risse entstehen. Die sind zwar mikroskopisch klein und mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen, doch sie stellen den Anfang eines schleichenden Prozesses dar. Kleine Sprünge können sich vertiefen, Malschollen lösen sich ab. „Auch wenn man es nicht sofort sehen kann, gibt es immer Veränderungen“, bestätigt Sarah Bernhardt.

Besonders wertvolle Gemälde werden von einer der Restauratorinnen begleitet. „Sollte ein Unfall geschehen, sind wir gleich vor Ort“, begründet Ines Unger den Aufwand. Und so entstehen auch für die sie Reise-Anlässe. Doch mit Urlaub hat das nichts zu tun. Oft müssen sie stundenlang in den Cargo-Hallen auf Flughäfen darauf warten, dass es weiter geht, dürfen dabei ihren Schützling aber nie aus den Augen verlieren. Denn in der Regel geht das Flughafenpersonal nicht allzu liebevoll mit dem sperrigen Gut um. Nicht aus Ignoranz, sondern weil oft nicht bekannt ist, was sich in den seltsamen Kisten verbirgt. Einmal, so wissen die Restauratorinnen zu berichten, ist auch Wasser in einen Container eingedrungen, in dem eine ihrer Klimakisten stand. Ein andermal haben sich die Mitarbeiter geweigert, das Objekt festzugurten. Wären sie nicht dabei gewesen, hätte diese Vorfälle großen Schaden nach sich gezogen.

Mit den Klimakisten hat es eine besondere Bewandtnis. Sie sind durch mehrere Schichten dermaßen gut isoliert, dass sich das Klima in ihnen nur sehr langsam verändert. Die Gemälde erleben also keinen Schock, wenn sie aus ihrem warmen Zuhause etwa im Winter auf die Straße, in eine kalte Flughafenhalle und später in ein klimatisiertes Flugzeug transportiert werden. „Ohne die Kisten könnte man richtig spüren, wie sich das Material zusammen zieht“, weiß Ines Unger. Nach der Ankunft am Bestimmungsort müssen die Kisten zunächst 24 Stunden ungeöffnet stehen bleiben, damit sich der Inhalt langsam an das neue Außenklima gewöhnen kann. In dieser Zeit hat nun auch die Begleiterin endlich ein wenig Zeit, die sie für sich selbst nutzen kann. Doch Sehenswürdigkeiten stehen dabei selten auf dem Programm. Gerade nach Interkontinentalflügen ist Sarah Bernhardt froh, endlich ins Hotel zu kommen.

Es gibt auch Bilder, die grundsätzlich nicht ausgeliehen werden. Für die wurde eine „Rote Liste“ angefertigt. Das „Liebespaar“ von Otto Müller etwa, wird wohl nie wieder etwas anderes sehen, als sein Gegenüber im Landesmuseum. Der Grund: Der Transport wäre wegen der porösen Leinwand zu gefährlich. Immerhin ist die freizügig bekleidete Dame samt ihrem Liebsten, der sein Gesicht in ihren Haaren vergräbt, bald 80 Jahre alt. Da reist man nicht mehr so ohne Weiteres unbeschadet in der Welt herum. „Der Materialschaden wäre da größer als der vermeintliche Nutzen“, so Ines Unger. Auch wenn es oft schwer fällt, dem Drängen nachzugeben, wenn es aus diplomatischen Gründen opportun wäre oder das Paar einem wichtigen Anlass beiwohnen könnte. Dann müssen die Fachfrauen Überzeugungsarbeit leisten und sich durchsetzen. Im Wiesbadener Landesmuseum ist ihnen das aber bisher immer geglückt.


Veröffentlicht in EXTRA - Monatsbeilage der Verlagsgruppe Rhein-Mainz

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