Freitag, 14. November 2008

HR-Sinfonieorchester mit russischem Programm in der Alten Oper

Ein mehr oder minder russisches Programm muss nicht einseitig sein. Den Beweis dafür trat nun das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Yakov Kreizberg in der Alten Oper Frankfurt an. Die Annahme, dass der in St. Petersburg geborene Dirigent qua Herkunft ein besonderes Händchen für diese Musik haben sollte, wäre arg kurz gegriffen und kann getrost bezweifelt werden. Seine Fähigkeit, ein großes Orchester für die ihm angetragene Musik derart zu begeistern, dass es mit einem ungeheuren Schwung und nahezu bahnbrechendem Enthusiasmus ans Werk geht, hat er in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Als Intendant der Komischen Oper Berlin hat er bis heute nachklingende Akzente gesetzt und sich seitdem als international gefragter Orchesterleiter etabliert.

Das Frankfurter Konzert begann er mit Peteris Vasks' „Cantabile archi“, das 1979 entstanden ist. Der lettische Komponist hat hier viel Energie und Emotionalität notiert, die ausschließlich mit Tönen der C-Dur-Tonleiter auskommen, ohne sich in das konventionelle Dur-Moll-Schema zu pressen. Das hr-Sinfonieorchester stellte luftig-immaterielle Momente und leichthin erblühende Passagen gegen eine blockartige Massivität, ohne dabei die Gegensätze bloß um ihrer selbst willen aufzufahren. Im Gegenteil – hier wurden sie konsequent und offensichtlich zwingend konsequent zueinander gestellt.

Auch in Peter Tschaikowskys Violinkonzert bewies das Orchester eine enorme atmosphärische Bandbreite. Arabella Steinbacher nahm sich eines der populärsten Konzerte ihres Fachs mit klinisch reiner Intonation, rasanten Läufen und blitzsauberen Trillern an, die eine wie mit Zirkel und Lineal gezogene Präzision aufwiesen. Gerade im ersten Satz sorgte vor allem das Orchester für die emotionalen Aspekte des Werks. Die Solistin zeigte sich einmal mehr als bestechend souveräne Musikerin, bei der klangliche Vollkommenheit und geschmeidiger Spielfluss oberste Priorität genießen. Raum für musikalische Reibungen blieb da wenig, nur manchmal brach ein radikalerer Strich wie ein Peitschenhieb aus diesem Konzept aus.

Die mitunter bizarr anmutende klangliche Vielschichtigkeit von Dimitri Schostakowitschs fünfter Sinfonie d-Moll op. 47 kam abschließend besonders klar zur Geltung. Kreitzberg und die hr-Musiker hatten sich dabei genau in die spätromantischen Anlehnungen des 1937 vollendeten Werks, hinein gearbeitet, aus denen heraus eine schier berstende Kraft entstand, neben der aber auch die verzweifelten Klänge ihren Platz fanden.

Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier

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