Donnerstag, 6. November 2008

Danny Bober singt die Geschichte des jüdischen Volkes

Als Dany Bober zu singen anfängt, wird es in dem großen Raum, der in der Carl-von-Ossietzky-Schule „Info“ genannt wird, ganz ruhig. Vorher haben die Schülerinnen und Schüler noch herum gealbert, wie man das eben so zu Beginn einer Schulstunde macht. Auch die Worte des Schulleiters Helmut Nehrbaß waren noch von ein wenig Unruhe begleitet. Er fasst sich kurz und spricht darüber, dass im Frühling ein Schüler-Austausch mit Israel stattfinden wird und betont die „freundschaftlichen, normalen Kontakte zwischen den Jugendlichen“.

Doch dann fordert der kleine Mann mit schwarzer Kappe und Gitarre Aufmerksamkeit, ohne dafür etwas anderes tun zu müssen, als zu singen und zu spielen. Dabei ist sein Auftritt alles andere als das, was man in den letzten Jahren vor dem Abitur als Popkultur bezeichnen würde. Dany Bober führt eher unspektakulär in alter Liedermacher-Manier durch die Geschichte des jüdischen Volkes, die seine eigene ist. Er wurde wurde als sechstes Kind einer deutsch-jüdischen Familie geboren, die rechtzeitig vor der Reichspogromnacht aus Deutschland nach Palästina ausgereist war. Er erlebte die ersten Jahre des Staates Israel, ging dort zwei Jahre in die Volksschule und kann deshalb noch ganz gut Hebräisch. „Wenn ich eine Woche in Israel bin, kann ich auch wieder die Nachrichten im Radio verstehen“, sagt er. Doch seit seiner Kindheit hat sich eine Menge verändert, so auch die Sprache.

Das Lied, mit dem er die Jugendlichen zum Schweigen gebracht hat, handelt vom „goldenen Jerusalem“, dessen Name dem Sänger auf den Lippen „brennt“. Ein Lied voller Sehnsucht in Text und Melodie, dazu die dezente, doch charakteristische Gittarenbegleitung. Dann beginnt Dany Bober zu erzählen. Was folgt, ist keine langweilige Geschichts-Stunde von jemandem, der sich etwas angelesen hat. Für Bober ist das, was er zu berichten hat, lebendige Vergangenheit. Er spricht vom König David, der tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung die Bundeslade nach Jerusalem gebracht hat und damit das Zentralheiligtum für die 12 Stämme Israels begründete, genau so spannend wie von seinem 55. Geburtstag, als ihm seine Mutter die Witze-Sammlung seines in den 1950er Jahren gestorbenen Vaters überreichte. Die gingen mitunter ordentlich unter die Gürtellinie. „Damals fand meine Mutter wohl, ich sei nun alt genug dafür“, grinst er.

Die Geschichte der Juden ist lang und voller Leid, das im Nationalsozialismus nicht erfunden wurde, wohl aber seinen katastrophalen Höhepunkt erreichte. Doch dieses Leid steht gar nicht so sehr im Zentrum dessen, was Danny Bober vermittelt. Witz und Humor, Schalk und Ironie blitzen in den melancholischen und auch in den heiteren Liedern auf. Aus seinen Worten kann man ganz banale Dinge lernen, nämlich dass manche unserer Alltagsbegriffe aus dem Jiddischen, jener Gemengelage aus Hebräisch, Mittelhochdeutsch und Slavisch stammt. Und dass wir diese Wörter heute noch kennen, weil die europäischen Juden vor den Kreuzrittern Schutz bei Räubern und Raubrittern fanden, die ihre Sprache für geheime Codes benutzen lernten. Doch Danny Bober spricht auch vom 4. Lateran-Konzil, in dessen Folge die jüdischen Ghettos schon im 13. Jahrhundert entstanden. Juden hatten sich damals zu kennzeichnen. Etwa mit einem gelben Stoff-Fetzen, der 800 Jahre später wieder kehren sollte.

Bober gehört zu der Generation deutscher Juden, die den Nationalsozialismus und seine Folgen noch unmittelbar oder mittelbar am eigenen Leid erlebt haben. Er hatte Glück, ebenso wie seine Eltern. Doch auch in seiner Umgebung klafften und klaffen Lücken, die nie mehr geschlossen werden können. Er hat einen Weg gefunden, auf eindringliche Weise vor Intoleranz und Diskriminierung zu warnen, indem er den Reichtum einer Kultur vermittelt, die so oft dem Untergang geweiht war und doch überlebt hat. Den erhobenen Zeigefinger bekommt an diesem Vormittag niemand zu sehen.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt

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