Sonntag, 9. November 2008

Am Wiesbadener Staatstheater inszeniert Iris Gerath-Prein das Musical „My fair Lady“ von Frederick Loewe

Vielleicht ist das ja eine männliche Urfantasie. Eine Frau nach den eigenen Vorstellungen zu formen, zu unterwerfen und ihr in allen Lebenslagen überlegen zu sein. Für Professor Higgins in „My Fair Lady“, dem Musical von Frederick Loewe, könnte diese Vorstellung jedenfalls Realität werden, er ist zumindest auf bestem Wege dorthin. Aus dem Blumenmädchen Eliza will er eine Herzogin machen. Ein Unterfangen, das angesichts der rüden Manieren und der bestenfalls rudimentären Kenntnisse der Hochsprache recht gewagt scheinen. Eine Wette mit Oberst Pickering weckt den Jagdinstinkt in dem eingefleischten Junggesellen mit deutlichen Chauvi-Allüren.

Am Wiesbadener Staatstheater hat nun Iris Gerath-Prein versucht, der leicht angestaubten, aber doch immer wieder amüsanten Geschichte neues Leben einzuhauchen. Ihr Blumenmädchen ist eine Gassengöre in Ledermontur und mit etwas verratztem Umfeld, das dermaßen gezwungen auf jugendlich getrimmt ist, dass es jedem Beobachter unter 30 die Schamesröte ins Gesicht treibt. Aufgedreht, doch wenig originell springt das vermeintlich coole Jungvolk über die leere Bühne und ätzt bemüht gegen das Establishment in Gestalt von Oberst und Professor. Das nun wieder findet zumindest Higgins „entzückend ordinär und schauerlich schmutzig“ und packt das Blumenlädchen auch weiterhin nicht mit Glacéhandschuhen an.

Später wird es etwas glaubhafter, wenn sich in der schicken Loftbehausung des Phonetik-Professors Erziehungsmethoden aus der Steinzeit der Pädagogik abspielen. Ein hübsch affektierter Ascot-Chor bekommt im akkurat getrimmten Gestrüpp die ersten Gehversuche des mutierenden Fräulleinwunders mit und Mutter Higgins, die mit dem staubtrockenen Humor, findet Gefallen an dem Forschungsobjekt ihres Sohnes. Schon bald lässt die Regisseurin durchblicken, wie sehr sich der Professor nicht nur an das Gesicht des Ex-Punks gewöhnt hat. In einer bizarren Vampir-Mischpoke besteht Eliza schließlich die Abschlussprüfung und entdeckt dabei auch ihr Selbstbewusstsein und die Kraft, ihren Doktor Frankenstein zu verlassen, dem dann erst bewusst wird, dass er sich verliebt hat.

Das Stück lebt in Wiesbaden vor allem durch die Spielfreude seiner Darsteller. Dirk Schäfer gibt den Higgins als eklig arroganten Kerl, dessen Umgangsformen immer mehr zu wünschen übrig lassen. Erst in den letzten Minuten wird ihm sein Dilemma klar, wofür er dann auch mit dem Happy End belohnt wird. Annette Luig verzaubert das berlinernde Blumenmädchen perfekt in eine Dame von Welt, die aber immer wieder ihre Wurzeln erkennen lässt. Die Wandlungsfähigkeit dieser Künstlerin ist jedenfalls enorm. Oberst Pickering wird von Wolfgang Vater souverän und bestechend korrekt verkörpert. Zu all dem steuert das Staatsorchester unter Leitung von Uwe Sochaczewsky eine fröhliche Kirmesmusik bei und treibt das Geschehen fröhlich vor sich her.

Veröffentlicht in der Frankfuter Neuen Presse

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