Montag, 17. November 2008

Bettina Geyer inszeniert Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ als knallbuntes Märchen

Engelbert Humperdinck könnte heute als treffsicherer Hitproduzent mit einem gesunden Sinn fürs Geschäft gelten. Doch auch schon zu seiner Zeit gelang ihm mit der Oper „Hänsel und Gretel“ der ganz große Wurf. Niemand Geringes als Richard Strauss leitete am 23. Dezember 1893 die Uraufführung in Weimar. Danach waren dem Komponisten Weltruhm und finanzielle Unabhängigkeit sicher. Wer kennt heute nicht den Text von „Brüderchen, komm tanz mit mir“, „Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh“ oder „Ein Männlein steht im Walde“. Die kleinen Stücke sind nachhaltig in das Kinderlieder-Repertoire eingegangen.

Das von Humperdinck vertonte populäre Märchen eignet sich wie kaum ein anderer Klassiker zur vorweihnachtlichen Umsetzung, das wissen wohl alle Theater dieser Republik. Das Staatstheater Darmstadt hat die Inszenierung in die Hände der jungen Regisseurin Bettina Geyer gelegt, die unter anderem im vergangenen Jahr mit Grigori Frids Mono-Oper „Anne Frank“ Fingerspitzengefühl und Talent für Zwischentöne bewiesen hatte. Hier aber konnte sie ihrer offensichtlich geradezu zügellosen Fantasie freie Bahn gewähren. Die Produktion ist ihr überaus spannend und farbenfroh gelungen. Großen Anteil daran hat auch Puppenspieler Lorenz Seib, der in der Waldszene märchenhafte Figuren im Schwarzlicht-Theater auffährt. Faszinierend sind seine Tiere und Gestalten, die sich immer wieder neu sortieren und zusammen setzen und damit eine beständige Faszination ausstrahlen.

Auch die Ausstattung von Fabian Lüdicke ist außergewöhnlich plastisch. Die Besenbinder-Familie lebt in einem Keller, das fehlende Mobiliar wird durch Kisten ersetzt, das Schlaflager befindet sich unter der Treppe. Nach dem Abendsegen bringen überdimensionale weiße Federn die Engelschaar, die aus sieben Teddys und sieben Puppen bestehen, den Beschützkuscheltieren der kindlichen Protagonisten. Später weckt ein knallbuntes Tipi die Neugier der Geschwister, die sie erst einmal in die Arme einer knallbonbonfarbenen Hexe treibt.

Auch musikalisch kann man höchst zufrieden aus dieser Produktion gehen. Lukas Beikirchner hat ein spielfreudiges und klanglich bestens eingestelltes Staatsorchester optimal im Griff. Als Gretel ist Aki Hashimoto nicht nur niedlich zurecht gemacht, sondern gefällt auch mit feiner gesanglicher Ausprägung. Niina Keitel ist als Hänsel eine Spur kantiger und kommt auch spielerisch mit der Rolle gut zurecht. Während Elisabeth Hornung als Mutter Gertrud sehr scharf intoniert, ist Oleksandr Prytolyuk ein beweglicher Besenbinder, hinzu kommt Katrin Gerstenberger als aufgedrehte Hexe mit vokal angenehmer Ausstattung.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

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