Sonntag, 14. September 2008

Gespräche mit dem Tod

Früher wurde hier schmutzige Wäsche gewaschen, heute wird der frühere Waschsalon vom Quartierskuratorium Inneres Westend für Kunstprojekte genutzt. Eine echte Lebenskünstlerin war nun per Filmbotschaft zu Gast in dem breiten Korridor, an dem noch in die Jahre gekommene Trockenmaschinen an seine frühere Nutzung erinnern. Das Thema hieß „Mit dem Tod im Gespräch“ und versprach alles andere als erquicklichen Kunstgenuss. Und so war es auch nicht gedacht. Sonja Töpfer hat sich einen Tabubruch zugetraut. Einen der letzten, die es noch gibt, und hat ihre Gespräche mit Inge T. zu einer Videocollage zusammen geschnitten.

Über den Tod spricht man heute kaum, schon gar nicht über den nahen oder gar eigenen. Inge T. ist eine noch lebende Ausnahme. Sie liegt am Abschluss eines langen Krebsleidens im Hospiz Advena und hat sich noch lange nicht aufgegeben. Dass sie in Kürze sterben wird, das weiß sie genau. Die über 70-jährige Dame liegt mit wachen Augen in ihrem Bett und beginnt zu strahlen, als ein großer schwarzer Hund an ihr Bett kommt. Sie hat Appetit auf Bratwurst und Lust auf das Leben, das ihr noch zur Verfügung steht. Durch die Schmerzmittel geht es ihr relativ gut, aber aufstehen kann sie nicht mehr, weil der Krebs ihre Wirbelsäule zerfressen hat.

„Ich war halt krank und musste damit fertig werden“, sagt sie druckreif und doch natürlich in die Kamera. Sie erzählt, dass sie voller Zorn gewesen sei. „Du kriegst mich nicht“, hat sie ihrer Krankheit eingebläut. Doch während der Chemotherapie hätte sie sich umbringen können. Sie erlebte das „volle Programm“ mit Trombose und Lungen-Embolie, erlitt furchtbare Schmerzen, als ihre Schleimhäute angegriffen wurden, ihre Zunge plötzlich ein richtiges Loch bekam. Sie ist „voller Verständnis“ für Menschen, die in solch einer Situation nicht mehr weiter wissen und sich das Leben nehmen. „Aber ich hatte keine Möglichkeit“, sagt sie ernst. Das Zimmer lag nicht hoch genug und die Messer waren zu stumpf.

Als sie im Koma lag, hat sie sich in einem schmalen Gang gewähnt, war froh, dass vieles, was sie im Leben belastet hat, nun vorbei war. „Ich war erleichtert und dann so furchtbar enttäuscht, als ich wieder aufgewacht bin“, erinnert sie sich. „Irgendetwas hatte ich noch zu tun“, dachte sie damals und war gespannt, was das wohl sein würde. Sie geht ihren Tod sehr offensiv an, möchte anderen Menschen Mut machen, sich damit freier auseinander zu setzen. Sie mag keine Menschen mehr sehen, die sie bemitleiden. Aber das echte Verständnis im Hospitz tut ihr gut.

Sonja Töpfer war es ein Anliegen, „Sterben in die Öffentlichkeit zu tragen“. Bei der Auseinandersetzung ist ihr bewusst geworden, wie oft Menschen versäumen, Dinge zu tun, die sie eigentlich tun wollen. Oder sie verschieben. Beim Besuch sterbender Schwestern der Ordensgemeinschaft „Zum guten Hirten“ erlebte sie auch eine andere Seite von Tod. Hier lagen Frauen, die kaum mehr ihre Sinne beherrschen konnten. „Da habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, in den richtigen Händen zu liegen“, sagt sie. „Da habe ich zum ersten Mal Tod gefühlt“, setzt sie nachdenklich hinzu.


Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier und Wiesbadener Tagblatt
Foto: Ausschnitt aus dem Video von Sonja Töpfer

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