Montag, 7. November 2005

Tschaikowskys Oper "Pique Dame" an der Oper Frankfurt (Main)

Hermann ist hin- und hergerissen. Eigentlich müsste er sich nicht entscheiden zwischen der Liebe und dem großen Geld durch Glücksspiel. Beides würde den sozialen Aufstieg bedeuten. Doch dieser Gedanke kommt dem deutschen Ingenieur-Offizier in Tschaikowskys Oper „Pique Dame“ nicht. Die russische Gräfin Lisa würde ihn ja nehmen. Obwohl sie eigentlich mit dem Fürsten Jeletzki verlobt ist. Der wiederum ist sogar davon zu überzeugen, dass er von einer Gattin nichts hätte, die ihn nicht liebt. Dennoch: Hermann ist bereits ohnmächtig von dem Gedanken, mit Hilfe eines düsteren Geheimwissens um drei Karten, die immer stechen, sein Heil im Spiel zu finden. Aus der Benommenheit wird ein Wahn, dem er erst die Geliebte und schließlich sich selbst opfert.

In Frankfurt am Main hatte Peter I. Tschaikowskys 1890 nach einer Erzählung von Alexander Puschkin verfasste Oper nun Premiere. Für die Regie zeichnete der Münchner Christian Pade verantwortlich, der im vergangenen Jahr mit Henzes „Elegie für junge Liebende“ an der Staatsoper Unter den Linden debütierte und als einer der führenden Grenzgänger zwischen Schauspiel und Musiktheater gilt. An der Frankfurter Oper war er in der vergangenen Spielzeit insbesondere mit Mussorgskis aufwendig eingerichteter „Chowantschtschina“ aufgefallen.

Hier nun setzt Pade auf kühle Formen und eine mondäne Schlichtheit. Die von Alexander Lindl zwischen riesige Säulen gesetzte Szene wird in einer Art Rückbesinnung auf die literarische Vorlage in eine psychiatrische Anstalt verlegt. Dorthin also, wo Puschkins Hermann nach all seinen Fehlgriffen und Lisas Selbstmord landet. Die Kumpane spielen russisches Roulette, Graf Tomski, der Hermann den Floh mit den geheimen Karten ins Ohr setzt, scheint einer der Ärzte zu sein. Inmitten dieser Kälte hat Lintl einige seiner Figuren – vor allem den Chor – in prunkvolle Kostüme gesteckt, die einen wohlig-kitschigen Blickfang bilden. Insgesamt kommt damit eine merkwürdige Unwucht in die Sache.

Immer lenkt irgend etwas ab. Die Handlung lässt sich nicht konsequent verfolgen, die Interpretation bleibt im Nebel stecken. Und auch so beziehungsreiche Momente zwischen dem bürgerlichen Offizier unterster Rangordnung und der jungen Aristokration, wie sie in den beiden zentralen Begegnungen der beiden gezeichnet werden könnten, bleiben eher unwirklich. Viel von der emotionalen Kälte, in der Hermann agieren muss, kann vermittelt werden, aber wenig von der Aufgewühltheit, der geradezu psychotischen Besessenheit, in die er sich hineinsteigert. Nur zweimal kommt diese gruselige Spannung auf. Die Szene, in der Hermann versucht, der alten Gräfin ihr Geheimnis zu entlocken, das sie – wohl wissend um das Schicksal des Trägers – nicht preisgeben möchte, geht unter die Haut. Und dann der Moment, in dem sie ihm wieder als Geist erscheint und ihm den falschen Tipp gibt.

Gerettet wird der Opernabend vor allem durch eine durchweg herausragende Solistenriege und ein feinnervig agierendes Museumsorchester unter Sebastian Weigle, der zurzeit als Generalmusikdirektor in der Nachfolge von Paolo Garignani gehandelt wird. Immer gelingt es den Musikern im Graben, die momentane Stimmung zuzuspitzen. Johannes Martin Kränzle besticht in der Rolle des „Arztes“ Tomski. Seine Ballade im ersten Akt interpretiert er mit gleichermaßen kernigem wie einfühlsamem Bariton. Elzbieta Ardam gestaltet die alte Gräfin mit herber Spannung, die Sopranistin Danielle Halbwachs brilliert großformatig in einer glänzend gestalteten Partie der Gräfin Lisa, Rodion Pogossov (Fürst Jeletzki) ist als kultivierter Sänger zu erleben. Mikhail Davidoff schließlich erweckt den schwierig zu fassenden Hermann mit einem unendlich scheinenden stimmlichen Reservoir, mit klaren Linien und höchst differenziert aussingend zum Leben.

Veröffentlicht im Neuen Deutschland und NEWS Frankfurt (vom Autor gekürzte Fassung)


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