Montag, 8. Oktober 2007

Ansgar Weigner inszeniert die Künneke-Operette „Der Vetter aus Dingsda“ im Wiesbadener Staatstheater.

Julia ist schon eine treue Seele. Seit sieben Jahren wartet das naive Ding auf ihren Freund aus Kindertagen und blickt jeden Abend gen Mond. So, wie es sich die Heranwachsenden versprochen hatten. Der ferne Roderich jedoch hat die Kleine längst vergessen und sich im Fantasie-Land Batavia anderweitig vergnügt. Als goldene Zukunftsvision aber besetzt er nicht nur die Hoffnungen der jungen Frau, sondern er geistert auch als Schreckgespenst im Bewusstsein ihres Onkels Josse umher, der seine Vormundschaft über sie für ein Leben in Saus und Braus nutzt.

Im Wiesbadener Staatstheater hat Ansgar Weigner Eduard Künnekes Operette „Der Vetter aus Dingsda“ in einer Mischung aus bezaubernder Klamotte und sorgfältig modellierter Charakterstudie auf die Bühne gebracht. Ihm ist es gelungen, mit dem ausgezeichnet aufspielenden Ensemble eine zeitgemäße Inszenierung zu schaffen, die das Genre durchaus ernst nimmt. Die 1921 in Berlin uraufgeführte Operette bietet leichtfüßige Unterhaltung ebenso wie den Einblick in bürgerlich verkorkste Strukturen am Anfang des 20. Jahrhunderts.

Julias Jungmädchenträume werden von Annette Luig wunderbar anheimelnd nachvollzogen. Ansonsten zeigt sie sich durchaus resolut. Sowohl im Umgang mit Onkel und Tante, als auch mit dem stocksteifen Verehrer Egon von Wildenhagen, der von Klaus Krückemeyer herrlich transusig wiedergegeben wird. Auch die anderen Personen scheinen wie mit spitzer Feder gezeichnet. Da ist Tante Wimpel, die von Angela Mehling dezent überdreht und in ständig wechselnder bizarrer Kostümierung von Renate Schmitzer gespielt wird. Simone Brähler ist als Julias Freundin Hannchen stets die im Hier und Jetzt Verankerte, die zum Schluss aber ihren eigenen Weg gehen will.

In der Rolle des vermeintlichen Roderich, der jedoch nur August, ein weiterer Verwandter der Sippe, ist, kann Carsten Süß auch stimmlich überzeugen. „Wer wagt, gewinnt“, schreibt er am Ende des zweiten Akts resigniert auf die Möbel und verabschiedet sich mit Schuberts „Gute Nacht“ aus der „Winterreise“, eben den Worten „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“. Wolfgang Vater gibt den Onkel Josse überzeugend bärbeißig. Ein „Happy End“ verweigert Ansgar Weigner seinem Publikum so ganz nebenbei. Bei ihm gibt sich der demaskierte August nicht damit zufrieden, nur als Projektionsfläche zu dienen. Als Julia beharrlich in ihm ihren Roderich herbei ruft, zieht er von dannen.

Unter der Leitung seines ersten Kapellmeisters Wolfgang Ott spielt das Staatsorchester gut aufgelegt und beweglich, gibt sich stets munter und voller Tatendrang. Dabei gelingen stimmungsvolle Nuancen, die der Handlung auf der Bühne zusätzlichen Schwung verleihen. Den bringt auch die passgenau eingesetzt Choreographie von Torsten Gaßner mit sich.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

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