Dienstag, 16. Oktober 2007

Alessandro Scarlattis Oper "La Giuditta" in Mainz

Die Geschichte stammt aus dem biblischen Buch Judith und ist fesselnd wie grausam zugleich. Die israelische Stadt Betulia steht kurz vor ihrer Vernichtung durch den assyrischen Feldherrn Holofernes. Der befindet sich gerade mitten in einem Plünderungs- und Eroberungsfeldzug, hat bereits zahlreiche Städte zuvor zerstört. Dementsprechend deprimiert ist die Stimmung unter den Oberen der Stadt. Da mischt sich mit der jungen Witwe Judith eine Frau ein, die glaubt, dem Treiben des Holofernes Einhalt gebieten zu können.

Diese Geschichte verpackte Alessandro Scarlatti nach einem Text seines Gönners Kardinal Pietro Ottoboni in den 1690er Jahren zu einem szenischen Oratorium. Das kaum mehr bekannte Werk wurde nun vom Jungen Ensemble des Mainzer Staatstheaters im Kleinen Haus aufgeführt – möglicherweise eine deutsche Erstaufführung.

Judiths spektakulärer Plan: Sie versucht, sich in das Lager des Assyrers einzuschmuggeln, ihn zu bezirzen und schließlich zu töten. Was sie vorhat, geht auf. Es kommt zu einer der berühmtesten Enthauptungen der Menschheitsgeschichte. In der Zwischenzeit aber erweisen sich die in der Stadt verbliebenen Entscheider als höchst wankelmütig. Ein von Holofernes übergelaufener Hauptmann flüchtet in die Stadt und wird vom Hohepriester und dem Fürsten Ozia skeptisch beargwöhnt. Als er davon berichtet, Judith im Lager gesehen zu haben, scheinen sie wieder beruhigt, doch als sie einige Tage nichts neues erfahren, ist ihr Glaube dahin und sie bereiten sich darauf vor, sich dem Eroberer zu unterwerfen. Just in diesem Moment erscheint Judith mit dem Haupt des Holofernes.

Die Inszenierung von Arila Siegert zeigt sich als überaus konzentriert und besticht durch eine klare Personenführung, die mitunter etwas schablonenhaft wirkt, gerade dadurch jedoch an Reiz gewinnt. Außerdem setzt sie auf Symbolkraft. So hat die vorher ganz in weiß gekleidete Judith nach ihrer Tat ein blutrotes Kleid an, die sich ergebenden Israeliten werden mit einem Stempel im Pass gekennzeichnet, bevor sie ins feindliche Lager können. Das alles geschieht jedoch ohne platte Aktualisierungs-Zwänge, sondern passt sich in die zeitlose Inszenierung von Arila Siegert ein. Das Bühnenbild von Hans Dieter Schaal bleibt überschaubar. Die weißgetünchten Wände mit großen Durchgängen und einem Einschusskrater dient gleichermaßen als Kulisse für die Heimstätte der Bürger Betulias wie für das Kriegslager der Assyrer.

In der Titelpartie überzeugt Ensemble-Mitglied Tatjana Charalgina mit angenehm offenem Sopran, der sowohl koloraturensicher ist als auch im emphatischen Einsatz bestens wirkt. Den Fürsten Ozia gibt Jasmin Etezadzadeh darstellerisch und sängerisch sehr ausgereift wieder, in die Rolle des Hohepriesters findet sich Kyoung-Suk Baek problemlos hinein. Mitunter etwas angestrengt wirkt der Counter Dmitry Egorov, was aber seine ansonsten tadellose Leistung nur selten schmälert. Als Hauptmann Achiorre ist schließlich Martin Erhard mit heller, ungekünstelter Stimme zu hören. Unter der Leitung von Clemens Heil macht das zu barocker Größe geschrumpfte Staatsorchester einen überaus beweglichen Eindruck.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse und im Darmstädter Echo

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