Sonntag, 16. Dezember 2007

Julia Neigel mit ihrem Programm "Stimme mit Flügel(n)"

Gleich vorne in der Reihe sitzt jemand aus dem Fanclub, einen anderen Gast kennt sie von einem Konzert in Ludwigshafen. Man ist unter sich, kennt sich, plaudert ein wenig miteinander. Julia Neigel ist nach Rüsselsheim gekommen, wo sie auf der Hinterbühne des Stadttheaters keinerlei Berührungsängste mit ihrem Publikum zeigt. Im Gegenteil, die Frau, die 1989 mit „Schatten an der Wand“ den Grundstein für ihre Karriere legte, hat sich offensichtlich zum abendlichen Plauderstündchen verabredet. Früher einmal hieß sie Jule, das ist aber lange her. Und scheinbar will sie daran auch nicht unbedingt erinnert werden. Zumindest ihrem Gesicht nach zu urteilen, das sie aufzieht, als ihr ein Gast erklärt, dass er 1989 zum letzten Mal auf einem ihrer Konzerte war. Seitdem ist eben viel passiert.

Seit einiger Zeit ist sie mit dem Pianisten Simon Nicholls unterwegs und präsentiert unter dem Titel „Stimme mit Flügel(n)“ lauter „Lieblingslieder“ von sich. Als sie im vergangenen Jahr damit begonnen hatte, von Mainz aus ihr Bühnen-Comeback zu feiern stieß sie den Seufzer aus: „Ihr glaubt nicht, wie mir die Bühne gefehlt hat“. Heute ist sie wieder ganz routiniert. Dass ihr die Bühne eine Art Zuhause gibt, wird aber in jedem Moment klar.

Von der Schlager-Sängerin von einst ist nicht mehr viel übrig. Die Rüsselsheimer - und alle die, die wie etwa ein Wetzlarer, weit gereist sind – erleben hier eine gereifte Sängerinnenpersönlichkeit, die auch mit der Neuinterpretation älterer Titel ungeahnte Überzeugungsarbeit leisten kann. Etwa mit der Ballade „Weil ich Dich liebe“ vom 92er Album „Nur nach vorn“. Und sie singt Erfolge von Kollegen nach, ohne sie zu imitieren. Darunter „Hijo de la Luna“ der spanischen Gruppe Mecano. Das hat Gefühl, Tempo und Witz zu gleichen Teilen. Titel von John Hiatt oder Eric Clapton interpretiert sie auf ihre ganz persönliche Art. Neuere Stücke, wie etwa „Jetzt und hier“, wirken dagegen etwas seicht.

Julia Neigel ist vielleicht auch deshalb so nah an ihrem Publikum, weil sie ihm ähnlich ist. Sie kokettiert ein wenig, wirkt etwas aufgedreht, als habe sie die gleiche Art Lampenfieber wie eine Neunjährige beim Krippenspiel. Ihre raue, tiefe Stimme erinnert in manchen Zügen an Marla Glenn, aber das ist auch schon alles, was an hinkenden Vergleichen zulässig ist. Wenn sie auf dem Barhocker den Freizeit-Vamp gibt oder verspielt mit ihrem ausgezeichnet mitziehenden Pianisten flirtet, erlebt der Zuhörer einen Menschen, der sich auf der Bühne mit Sicherheit nicht besonders anders verhält, als in seiner privaten Freizeit – ob man das mag, steht auf einem anderen Blatt. Auf jeden Fall macht diese Art einen seltenen Charme aus.

Veröffentlicht in der Main-Spitze

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