Mittwoch, 12. Dezember 2007

Über die Stumm-Orgel in der Bärstadter Martinskirche

Wenn man in den Ort hinein fährt, fällt die evangelische Martinskirche nicht sofort ins Auge. Obwohl sie, bei Näherem betrachtet, eine beachtliche Größe hat. Zwar stammt der Bau, wie er heute zu sehen ist, aus den Jahren 1709 bis 1717, doch es gibt auch deutlich ältere Spuren eines Gotteshauses. Bei Ausschachtungsarbeiten wurden Bodenplatten eines Vorgängerbaus gefunden, die auf das Jahr 1250 datiert wurden, auch die älteste Glocke stammt etwa aus dieser Zeit. Der Taufstein in der Bärstadter Kirche ist spätgotisch, ähnlich alt sind zwei weitere Glocken.

Was aber besonders auffällt, wenn man sich einen Moment in der Kirche, die tagsüber immer geöffnet ist, aufhält, ist die beeindruckende Orgelfront. Trotz der Größe des Raumes, wirkt das Instrument, als müsste es sich überall ducken, um nicht anzustoßen. Es gibt Vermutungen, dass die Orgel eigentlich im Kloster Eberbach stand. „Aber ich kenne mindestens drei Instrumente, die möglicherweise aus Kloster Eberbach stammen“, ist Thomas Wächter skeptisch. Er ist als Kantor des evangelischen Dekanats Bad Schwalbach letzten Endes auch zuständig für die Bärstadter Orgel. Das Instrument wurde von der renommierten Orgelbaufamilie Stumm im Hunsrück gebaut und stammt aus dem Jahr 1770. „Es ist ungewöhnlich, dass sie hier steht, ansonsten ist kaum eine rechtsrheinische Orgel aus dieser Werkstatt bekannt“, weist Wächter auf eine regionale Besonderheit hin. Lediglich in der Idsteiner Unionskirche ist noch das Gehäuse einer Stumm-Orgel erhalten.

Eine Erklärungslegende besagt, dass der Orgelbaumeister Stumm gemeinsam mit seinem Sohn auf der Durchreise vom Winter überrascht und von den Bärstadtern freundlich aufgenommen wurde. Zum Dank dafür hat er ihnen diese Orgel gebaut. Wie auch immer sie nun wirklich dorthin gekommen sein mag, sie gilt zumindest als die wertvollste Denkmalsorgel in Südnassau. Mit ihren zwei Manualen und sechs Zungenregistern ist sie eine Besonderheit unter den Dorfkirchenorgeln. Obwohl es keine Dokumente gibt, ist es unstrittig, dass es sich dabei um eine Stumm-Orgel handelt. „Das ist unzweifelhaft“, bestätigt Wächter. Für die Größe des Instruments spricht, dass Bärstadt einmal der Hauptort der Umgebung war.

Auch ihr Zustand ist recht beeindruckend. 1971 wurde sie durch die Firma Beckerath in Hamburg komplett saniert und seitdem jährlich gewartet. Sie wird vor allem im Gottesdienst eingesetzt, Konzerte gibt es nicht öfter als ein oder zwei Mal im Jahr. „Ich mag diese Orgel sehr“, sagt Thomas Wächter. Auch, weil er noch vor dem Studium viel auf Stumm-Orgeln gespielt hat. Vor einigen Jahren hat er auch selbst einmal ein Konzert in Bärstadt gegeben. Besonders froh ist er darüber, dass das Instrument über die Jahrhunderte nicht nach den unterschiedlichen Moden der Zeit verändert worden ist.

Zur Größe der Orgel passt der überaus kernige Klang. Besonders markant etwa ist die Pedalposaune (16 Fuß), auch die achtfüßigen Trompeten auf den Manualen verfehlen ihre scharf schneidende Wirkung nicht. „Es ist eine der lautesten Orgeln, die ich kenne“, bestätigt auch der Kirchenmusiker. „Stumm hat sehr rustikal gebaut“, ergänzt er noch. Die Trompeten der Bärstadter Orgel haben übrigens schon bei vielen Restaurationen ähnlicher Instrumente als Vorlage gedient. Dass die Firma Stumm derart robust klingende Orgeln gebaut hat, erklärt Thomas Wächter mit dem französischen Einfluss. „Daher lässt sich auch die französische Barockmusik hierauf sehr gut spielen“, so seine Erfahrung. Allerdings gibt es etwa mit der Gambenstimme auch einige etwas zartere Klänge zu erzeugen.

Wenn man genau hinschaut, erkennt man auch die vermutlich originalen Registerbezeichnungen: Ein Lederband mit Prägedruck, der sich über den Registerhebeln entlang zieht. Bemerkenswert ist auch das sehr kurze Pedal, das lediglich eine Oktave misst. „Da muss man die Orgel schon sehr gut kennen, um damit umgehen zu können“, bestätigt Wächter. Den Dienst hier verrichten im übrigen vier nebenamtliche Kollegen.

Veröffentlicht im Wiesbadener Tagblatt

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