Dienstag, 22. Juli 2008

Oboist Albrecht Mayer und die Sinfonia Varsovia

Zu Zeiten Georg Friedrich Händels, also im 18. Jahrhundert, waren klassische Komponisten so etwas wie die heutigen Hitproduzenten. Waren sie gut im Geschäft, mussten sie im Wochenrhythmus Musik herstellen, sie in Windeseile mit den zur Verfügung stehenden Musikern einstudieren und sie dann zur Unterhaltung der meist adeligen Auftraggeber oder zur Mitgestaltung geistlicher Anlässe aufführen. Dass sie sich dabei oft genug bei alten eigenen und fremden Werken bedienten, gehörte zum alltäglichen Geschäft und wurde als üblich hingenommen.


Nun hat sich der Oboist Albrecht Mayer dieser Methode bedient, ohne freilich die Ergebnisse als eigene Werke zu beanspruchen. Bei Händel lieh er sich interessante Orgelwerke und Arien aus Oratorien, Kantaten oder Opern, schrieb sie für seine Verhältnisse um und setzte sie neu zusammen. Die Ergebnisse dieses „Pasticcio“-Verfahrens konnten sich die Besucher im Kloster Eberbach beim Rheingau Musik Festival nun gleich zwei Mal anhören.


„Voli per l'aria“ bezeichnet er ein Concerto für Oboe, Streicher und Basso continuo, bei dem ihm die Sinfonia Versovia zur Seite stand. Zwei Arien aus dem Oratorium „Semele“ bilden den Anfang des Werkes und werden durch ein kurzes Intermezzo verbunden – ein Ausschnitt aus dem langsamen Satz des Orgelkonzerts op. 4 Nr. 3, darauf folgen eine weitere Semele-Arie und eine aus der Kantate „Tra le fiamme“. Seinen sehr weichen und sanglichen Ton kann Albrecht Mayer im Kopfsatz besonders effektvoll zur Geltung bringen, im flotten dritten Satz nimmt er gemeinsam mit den Orchestermusikern den fliehenden Charakter unmittelbar auf. Unauffällig schleicht sich Mayer in den langsamen vorletzten Satz hinein, um sich zunächst die Stimme mit den ersten Geigen zu teilen und erst später seinen solistischen Anspruch geltend zu machen. Pulsierend gerät der Schluss-Satz.


Auch in „Verdi prati“, einem Concerto für Oboe d'amore, Streicher und Basso continuo ist es ihm gelungen, aus unterschiedlichen Stücken eine schlüssige Einheit zu bilden. Jetzt sind es die Opern Ariodante und Alcina sowie das Orgelkonzert A-Dur, die als musikalischer Steinbruch herhalten. Erzählfreudig nimmt sich Mayer das einleitende Allegro vor und streift anschließend geschickt die verschiedenen Charaktere der zusammen gestellten Sätze.


Die Sinfonia Varsovia, entstanden aus dem Polish Chamber Orchestra, zeigte sich ohne den Solisten von zwei fast gegensätzlichen Seiten. Während sie eine „Introduktion, Arie und Presto“ von Benedetto Marcello“ recht lustlos und schwerfällig interpretierten, gelangen ihnen die „Drei Stücke im alten Stil“ des polnischen Komponisten Henryk Mikolaj Górecki ausgesprochen lebendig und vielfarbig. Die populäre Mozart-Sinfonie Nr. 29 in A-Dur nutzte das Orchester, das ohne Dirigenten spielte, für auffällig Forcierungen im Allegro moderato und entwickelte im Finalsatz einen bissigen Tatendrang. Dazwischen lagen ein wohliges, fast sinnliches Andante und ein keck verspieltes Menuetto.

Veröffentlicht u.a. im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt

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