Montag, 7. August 2006

Placido Domingo dirigiert Verdis "Requiem" in der Münchner Philharmonie

Manchmal wirkt es etwas seltsam, wenn ein gefeierter Weltstar sich einem ganz anderen Metier zuwendet, als dem, für das er seinen Ruhm eingestrichen hat. Anderen hingegen gelingt der Fachwechsel seriös und damit nicht weniger effektvoll. Placido Domingo gehört eindeutig zur letzen der beiden Gruppen. Als Leiter des im Jahr 2000 gegründeten „Youth Orchestra of the Americas“, in dem in dieser Saison 110 Musikerinnen und Musiker aus 21 Nationen der beiden Kontinente spielen, hat er sich in authentischer Weise einer Aufgabe zugewandt, die eine enorme künstlerische wie gesellschaftliche Herausforderung bedeutet.

Gemeinsam mit der von Joshard Daus einstudierten Europa-Chor-Akademie und dem Jugendorchester führte er nun in einem nicht anders als spektakulär zu nennenden Auftritt Verdis Messa da Requiem in der Münchner Philharmonie im Gasteig auf. Das Orchester befindet sich derzeit auf seiner einmonatigen Europa-Tournee, die heute an der englischen Ostküste zu Ende geht.

Das an Stimmungswechseln überreiche Requiem eignet sich hervorragend für den Konzertsaal, zumal auch Verdi selbst nicht als besonders religiös galt und dieses Werk in Erinnerung an den italienischen Nationaldichter Alessandro Manzoni schrieb. Er bezeichnete die Komposition seinerzeit als ein „Herzensbedürfnis, nach besten Kräften diesem Großen Ehre zu erweisen“. Seine Erfolgsgeschichte begann das Requiem dann von der Mailänder Scala aus, wo es 1874 geradezu enthusiastisch gefeiert wurde.

Die Aufführung in München konnte mit dieser Stimmung sicherlich mithalten. Verantwortlich dafür war eine zupackende und musikalisch wohldurchdachte Interpretation, zu der Domingo seine Ensembles anhielt. Seine künstlerischen Vorgaben fielen dabei freilich auf fruchtbaren Boden. Empfindsam geriet bereits der Einstieg im leisesten Pianissimo, das man sich vorstellen kann. Der dynamische Kontrast zum „Dies irae“ geriet dafür umso plastischer. Die zerstörerische Kraft des hier illustrierten Gotteszorns brachten Chor und Orchester machtvoll und erbarmungslos hervor.

Spannend gehaltene Generalpausen im „Mors stupendi“ hingegen zeichneten die Akteure als ausnehmend differenzierungsfähig und sensibel aus. Mit Verve engagierte sich das Orchester in ständig aufs Neue wachsender Intensität, dabei erwiesen sich die jungen Instrumentalisten gleichzeitig als ausgesprochen präzise und diszipliniert. Jede Vorgabe des Dirigenten wurde reibungslos und mit hohem musikalischem Verständnis umgesetzt. Auch die Europa-Chor-Akademie zeigte sich bei ihrem Münchner Gastspiel von ihrer besten Seite. Harmonisch ausgewogene Stimmen, treffsicheres Gespür für Stimmungen und eine verantwortungsbewusste Gestaltungsfreude bildeten die Grundlage für ein pulsierendes Erlebnis, das unter die Haut ging.

Domingo gelang es, die vielen melodienreichen Momente zwar wirkungsvoll zu vermitteln, sie aber vor einer Verkitschung zu bewahren, wie es in anderen Interpretations-Vorstellungen oft der Fall ist. Der Opernkomponist Verdi hat sich auch in dieser sakralen Tonschöpfung zu keinem Moment verleugnet, das fällt vor allem in den arienhaften Solopassagen auf. Gerade der New Yorker Mezzosopranistin Fredrika Brillembourg gelang dieser Spagat wie selbstverständlich. So konnte sie sich dezent und natürlich im „Agnus Dei“ zurückhalten, ein warm timbriertes hintergründiges „Lux aeterna“ singen und an anderer Stelle eine dramatische Strahlkraft entfalten. Der überragende Tenor Marco Berti nahm seine Zuhörer ein ums andere Mal in eine schillernde Opernwelt mit, Ildar Abdrazákov überzeugte mit einem profunden Bass. Lediglich die Sopranistin Cristina Gallardo-Domas hätte ihre makellose Stimme durchaus mit weniger Vibrato ausstatten können.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

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