Sonntag, 17. August 2008

Jochen Kowalski und der Swing

„Der Saal ist so schön, da kann man nur Musik machen!“. Eigentlich hat es David Canisius nicht nötig, sich auf diese Weise bei seinem Publikum im Wiesbadener Kurhaus einzuschmeicheln. Was er mit seinem „Capital Dance Orchestra“ auf die Beine stellt, macht schon Laune genug. Die heute ungewohnte Besetzung aus zwei Trompeten, einer Posaune, drei Saxophonen, drei Geigen und der Rhythmusgruppe wirkt vom ersten Augenblick an. Die Instrumental-Titel kommen gut gelaunt und knackig daher, swingende Titel aus den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wirbeln befreit durch die Gegend.

Dann tritt ein Mann auf die Bühne und setzt in höchsten Töne an. „Wir machen Musik, da geht euch der Bart ab“ trällert er im Falsett und keiner wundert sich. Jochen Kowalski ist seit den 80er Jahren einer der renommiertesten und vor allem beständigsten Countertenöre der Republik und trotz aller Umwerbungen seit 1983 der Komischen Oper Berlin treu geblieben. So viel Heimatbewusstsein belohnte der Berliner Senat denn auch mit dem Titel eines Kammersängers. Kowalski wirkt auf der Bühne vor allem bei den Moderationen so bodenständig, dass man es kaum glauben mag. Mit seinen etwas überformten Theatergesten trifft er genau den Nerv der Schlager, die er zum Besten gibt.

Sein Publikum hat Jochen Kowalski sofort im Griff. Nachdem er es an die ungewöhnliche Kombination von Altus und Swing gewöhnt hat, schaltet er noch einen Gang weiter und singt in russischer Sprache. Der frühere DDR-Bürger schlägt aus seiner Herkunft sympathisch Kapital und gräbt die Unterhaltungsmusik unter den Trümmern der untergegangenen Sowjetunion hervor. „Darum sind wir Piloten“, schmettert er den Propagandajazz von 1945 aus dem Film „Die Himmelskutsche“. Darin behauten die männlichen Vertreter einer Fliegerstaffel, ihre Maschinen mehr zu lieben als die Frauen. „Beim nächsten Mal singe ich das Frauenlied“, kichert Kowalski und säuselt ein „Spakoinoij Notschij“ (Gute Nacht) aus der Feder des „Katjuscha“-Komponisten Matwej Blanter hinterher. Garniert wird das ganze später noch mit einem kleinen Brecht-Weill-Sahnehäubchen.

Veröffentlicht u.a. in der Frankfurter Neuen Presse

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