Montag, 4. August 2008

Dieter Wedel erzält die Geschichte der "neuen" Nibelungen in Worms

Das Nibelungenlied ist das zentrale Heldenepos, auf das sich die wüstesten Fantasien projiziert haben, bis hin zur wirren Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten. In Worms wird die Geschichte um den blauäugigen Superhelden Siegfried und den Untergang der burgundischen Linie in der brennenden Halle des Hunnenkönigs Etzel seit nunmehr sieben Jahren pompös vor dem Nordportal des Doms zelebriert. Regisseur Dieter Wedel hat dafür zwei Vorlagen („Siegfrieds Frauen“ und „Die letzten Tage von Burgund“) von Moritz Rinke zur Verfügung, die er in diesem Jahr erstmals innerhalb einer Spielzeit aufführen lässt und gleichzeitig unter anderem durch die Verwendung von einschlägigen Texten Friedrich Hebbels neu auflegt.


Heraus kommt ein bildermächtig und mit viel Pathos erzähltes Sagenwerk. Zentrale Motive sind Macht und Sex. So knapp lässt sich das problemlos zusammenfassen. Der schwache König Gunter (Roland Renner) hat die Staatsführung weitestgehend an Hagen (Uwe Bohm) abgegeben und sinnt in seiner dekadenten Langeweile vor allem darauf, seine Schwester unter die Haube zu bekommen und für sich eine adäquate Bettgefährtin aufzutreiben. Da kommt Siegfried (Robert Dölle) wie gerufen, denn der siegreiche Held heiratet nicht nur Kriemhild (Annett Renneberg) sondern besorgt, beschläft und domestiziert seinem König gleich noch die isländische Powerfrau Brünhild (Meret Becker).


Nach Hagens Meuchelmord bleiben zwei trauernde Witwen zurück. Kriemhild heiratet Hunnenkönig Etzel, verliebt sich bald in ihn und scheint ihre alte Welt langsam verdrängt zu haben, bis die, erneut geleitet von Gunthers Libido, brachial in ihre Idylle reinplatzt. Die alten Wunden brechen wieder auf, jetzt hilft auch Hagens verleumderische Diplomatie nichts mehr. Das Kartenhaus aus Lüge, Verrat und Intrige, das vorgeblich zu Gunsten des Burgunder-Staates aufgebaut wurde, fackelt buchstäblich ab.


Am ersten Abend sorgt vor allem Meret Becker für bewegende Augenblicke. Sie gibt die Brünhild nicht als männermordende Kampfmatrone, sondern wirkt seltsam zart und zerbrechlich. Dadurch wird unmittelbar deutlich, wie sehr sie betrogen wurde, sowohl um ihre Heimat als auch um ihre Liebe. Sie wird durch den Beischlaf mit Siegfried ihrer Kraft und Selbständigkeit beraubt und lebt fortan nur noch das Leben eines königlichen Anhängsels. Mit aller Macht prallen die beiden betrogenen Frauen später aufeinander. Die zeitweise versuchte Annäherung, die kurz auch homoerotische Züge anzunehmen schien, ist aufgerieben worden im Streit um den Besitzanspruch am toten Helden.


Die Rolle des Hagen macht Uwe Bohm indes zur zentralen Figur der Inszenierungen. An ihm ist es, die tölpelahfte Machtgier seines Regenten in zielführende Bahnen zu lenken. Dabei bricht er nach Belieben Moral und Recht im Sinne der Krone. Mit dem Sänger Volker von Alzey (Walter Plathe) führt Wedel zusätzlich eine Figur ein, die der Struktur erzählerischen Halt gibt.


In „Siegfrieds Frauen“ halten sich Licht und Dunkel noch die Waage. Der marode gesellschaftliche und private Kern kann oft noch hinter einer prachtvollen Fassade und einer vorgeblich heilen Welt verborgen werden. Die „Letzten Tage von Burgund“ aber liegen von Beginn an unter einem Grauschleier, Wedel macht sehr deutlich, dass die allumfassende Katastrophe nicht mehr verhindert werden kann. Hier gibt es nur für einige kurze Momente wieder helles Licht, in dem Kriemhild im Hunnenland ihr neues Glück feiern darf, ohne die nahende Bedrohung ahnen zu müssen.

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