Montag, 31. März 2008

Massenets Werther am Mainzer Staatstheater

Werther ist auch Unterhaltung. Zu diesem Schluss ist offensichtlich Regisseurin Tatjana Gürbaca gekommen. Schon vor der Premiere hatte sie darüber gesprochen, dass die Handlung der Oper „erstaunlich alltäglich“ sei und so findet der Mainzer Theaterbesucher einiges wieder, was so auch tagtäglich in deutschen Familien stattfindet. Familienvater und Witwer Le Bailli versucht, sein halbes Dutzend Kinder in Schach zu halten, das im Sommer Kinderlieder trällert und Besuch mit einer Stofftier-Kanonade verabschiedet. Zähmen lässt sich die Brut nur von der großen Schwester Charlotte, die als Mutter-Ersatz herhält und sich nun seit langem ihren ersten freien Abend gönnt – freilich nur mit schlechtem Gewissen.

Kurz vor ihrer Hochzeit und dem damit verbundenen bürgerlichen Leben gerät sie an den schwärmerischen Dichter Werther. Er schafft es, die in ihr schlummernden Sehnsüchte nach unverstellter schrankenloser Liebe zu wecken. Doch die Vernunft siegt und sie verbannt den verhinderten Geliebten. Mehr noch, sie lässt zu, dass ihr Mann zum unwissend-wissenden Helfershelfer für Werthers Selbstmord wird. Nur in dessen Todesstunde ist sie für einen Moment bereit, sich ganz zu dieser Liebe zu bekennen.

Tatjana Gürbaca hat in ihrer Einheitsbühne mehrere Ebenen aufgezogen, zeigt Kinderzimmer mit Stockbetten, die Tristesse des Alters und kehrt Charlottes emotionale Vereinsamung vor eine leer geräumte Kulisse. Dazwischen agieren ihre Personen sehr klar geschnitten, manche von ihnen schon fast im leicht überspitzten Stil von Daily-Soap-Darstellern. Tatsächlich wirkt alles irgendwie alltäglich und nah.

Musikalisch und szenisch ist diese Aufführung deutlich das Beste, was das Mainzer Staatstheater seit dem Intendantenwechsel geboten hat. Das Ensemble ist leistungsbereit und gut in Form. Sergio Blazquez gibt stimmlich überlegen, szenisch etwas steif, den Werther, Patricia Roach changiert als Charlotte authentisch zwischen ihren Gefühlen. Tatjana Charalgina fällt als jüngere Schwester Sophie auf dem spannenden Grat zwischen kindlichem Äußerem und einer erstaunlichen klanglichen Strahlkraft mit großer Spiellust auf. Richard Morrison legt den Albert mit sanftmütiger Leidenschaft an. Wattig säuselnde Streicher schließlich sind nur ein Aspekt der vielen atmosphärisch ausgezeichnet gelungenen Momente, die Thomas Dorsch aus dem Orchester hervor zaubert.


Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

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